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Das Säcklestrecken

Ein alter Brauch im winterlichen Schwarzwald

Schwarzwaldhof im Urachtal, Quelle: Badisches Landesmuseum BA 2005/1121

Hier ging es darum, etwas von den Fleisch- und Wurstwaren abzubekommen, die bei Hausschlachtungen – anlässlich besonderer Ereignisse oder in gewöhnlicher Form – hergestellt wurden. Doch ganz so einfach ist es nicht, denn der Ablauf des „Säcklestreckens“ folgt bestimmten Regeln und wer nicht aufpasste, konnte empfindlich bestraft werden. Sobald sich die Kunde eines Schlachttags verbreitet hatte und auf Interessierte traf, wurde ein „Säckle“ gebunden und an einer langen Stange befestigt. In das Säckle kam ein Zettel mit Versen, die auf den Anlass der Schlachtung oder andere aktuelle Ereignisse Bezug nahmen. Die Adressaten konnten auch mit „Missetaten“ erpresst werden unter der Drohung, diese bei ausbleibenden Gaben publik zu machen. Später packten gutartigere Säcklestrecker zusätzlich kleine Geschenke in den Sack. Es galt, die Stange mit dem Säckle möglichst ungesehen an einem Fester des den Schlachttag ausrichtenden Hauses oder Hofes zu platzieren. Das war nicht so einfach, denn die Umgebung wurde in Erwartung der Plagegeister streng bewacht. Ließen sich diese erwischen, konnte es zu Derbheiten kommen. Hatten die Säcklestrecker Glück, wurde das Säckle mit Schlachtgut gefüllt, wiederum vors Fenster gestellt und das Spiel begann beim Abholen aufs Neue. Ursprünglich war das Säcklestrecken eine herbe Angelegenheit für Menschen, die sich solche Nahrungsmittel nicht leisten konnten. Längere Verfolgungen und ernste Kämpfe waren durchaus üblich, was abschreckend wirkte und verhinderte, dass allzu viele etwas abbekamen. Mit zunehmendem Wohlstand im 20. Jh. nahm das Prozedere symbolischeren Charakter an. Wer erwischt wurde, bekam das Gesicht mit Ruß beschmiert und durfte zwar an der gemeinschaftlichen „Metzelsuppe“ teilnehmen, musste seine Portion aber ohne Zuhilfenahme der Hände essen. Diese für Heiterkeit sorgende Einlage und das Verlesen der Verse sind weitere Bestandteile des Brauchs.

Zusammen mit dem Abnehmen der Hausschlachtungen geriet das Säcklestrecken in Vergessenheit. Ein im Winter 1963 entstandener Film aus dem oberen Kinzigtal dokumentiert, dass es bis dahin noch lebendig war. In Tennenbronn, einem weiteren Verbreitungsgebiet, haben sich Mitglieder eines Vereins zusammengetan, um die Tradition zu bewahren. Sie wird vorwiegend bei Festlichkeiten gepflegt, verbunden mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass die Säcklestrecker gefangen werden dürfen. Zur Strafe müssen diese schon mal Saures oder Scharfes essen, bevor es ans Vespern geht.

Auf SWR-Retro finden Sie den Filmbeitrag von 1963
Über das heutige Säcklestrecken informiert der Musikverein Tennenbronn

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