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Der Kampf um die Knolle - Kartoffeln im Ersten Weltkrieg

Zur Verteilung von Kartoffeln eingesetzt Kriegsgefangene im Lager der Oberrealschule Karlsruhe. Quelle Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 138 / 27.
Zur Verteilung von Kartoffeln eingesetzt Kriegsgefangene im Lager der Oberrealschule Karlsruhe. Quelle Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 138 / 27.

Badische Kochbücher aus dem 19. Jh. empfehlen die Verwendung von Butter, Rahm, Eigelb oder Weißbrot in verschwenderischer Fülle, selbst für einfache Suppen oder Gemüsegerichte.

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs war es damit vorbei. Schon nach kurzer Zeit mangelte es an allem. Die britische Seeblockade, die ab 1914 den nötigen Import von Lebensmitteln verhinderte, wurde propagandistisch ausgeschlachtet, war aber nur Teil des Problems. Eine Hauptursache bestand in der völlig falschen Einschätzung der Dimensionen, die der Krieg annehmen sollte. Vorstellungen von einem Blitzkrieg wie 1870/71 verflüchtigten sich rasch. Vorratslager existieren nicht, alle Ressourcen flossen an die Front. Militär und Rüstungsbetriebe beanspruchten Grundnahrungsmittel wie Getreide für Arbeiter und Soldaten. In der Landwirtschaft fehlte es an Arbeitskräften, Vieh und Düngemitteln. Die herkömmlichen Transport- und Verteilungswege brachen zusammen. Bauern wirtschafteten für den Grauen Markt, den die notleidenden Städter zum Hamstern aufsuchten, mangels Alternativen von vielen Behörden geduldet.

Zur Herstellung von Nahrungsmitteln für die Zivilbevölkerung dienten Surrogate wie Kleie. Auch die Deutsche Kartoffel galt als bewährtes Mittel gegen Unterernährung. Die Situation spitzte sich zu, als durch Kartoffelfäule im nassen Herbst 1916 die Hälfte der Ernte verrottete.

Über die Situation in Württemberg geben Quellen Auskunft. So regelten die Verordnungen der Stadtgemeinde Stuttgart über Kriegsernährungsfragen Beschaffung, Zuteilung und Preise von Lebensmitteln. Rund 30 Seiten des 1917 als gebundene Ausgabe erschienenen Werks sind der Kartoffel gewidmet. Neben Vorschriften über die den Haushalten zustehenden Mengen und der Kontrolle ihrer Einhaltung – erst mit Listen, dann Lebensmittelbüchern, schließlich Bezugsscheinen – lassen sie weitere Rückschlüsse auf die sich verschlechternde Lage zu. Ab dem Frühjahr 1915 fungierte die Stadt Stuttgart als zentrale Stelle für Anlieferung und Verteilung der begehrten Knollen. Zu Beginn des Winters 1915 erhielten Kriegerfamilien einen Preisnachlass. Im Frühsommer 1916 setzte die Rationierung ein. Im August 1916 wurden in Polizeiwachen Kartoffel-Ausgabestellen für Bedürftige eingerichtet. Hier gestaltete sich die Situation besonders dramatisch, wie ein kurz darauf ergehender Spendenaufruf speziell zum Kauf von Kartoffeln für Bedürftige, verdeutlicht. Die Vereine Mittelstandshilfe und Kriegshilfe für die Arbeiterschaft erhielten Darlehen zur Kartoffelbeschaffung.

Über die Schwierigkeiten auf amtlicher Seite ist in den Verordnungen nichts zu lesen. 1915 hatten sich Städte und Gemeinden zu Versorgungsverbänden zusammengeschlossen. Bei Engpässen, so die Regelung der Reichskartoffelstelle, sollten Überschüsse aus anderen Regionen für Abhilfe sorgen. Im Oktober 1916 begab sich Matthäus Betz, ein Beauftragter des Versorgungsverbands Tübingen, nach Wolmirstedt bei Magdeburg, um von den zugesagten, nun dezimierten Ernteerträgen doch noch etwas zu ergattern. Die herrschenden Zustände beschrieb Betz in seinen Berichten an das Oberamt Tübingen als Kartoffelkrieg. Für Betz und den Versorgungsverband endete die Geschichte damit, dass Ersatz in Nagold gefunden wurde.

Die folgenden Monate gingen als Steckrübenwinter in die Geschichte ein. Die Situation besserte sich erst mit der Ernte 2017.

Zum Weiterlesen:

Rezept für Badische Kartoffelsuppe, Neues praktisches badisches Kochbuch [...], Karlsruhe 1852, S. 7.

„Kartoffelkrieg“ in Wolmirstedt.

Verordnungen der Stadtgemeinde Stuttgart über Kriegsernährungsfragen, Stuttgart 1917, Kapitel III, Kartoffeln.

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