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Die Tübinger und der Gôgenaufstand vom 22. Januar 1831

Die Weinberge bei Tübingen, im Hintergrund das Viertel an der Ammer. Lithographie nach Wilhelm von Breitschwert, 1865. Quelle WLB Stuttgart
Die Weinberge bei Tübingen, im Hintergrund das Viertel an der Ammer. Lithographie nach Wilhelm von Breitschwert, 1865. Quelle WLB Stuttgart

Am Abend des 16. Januar 1831 gab es in den Abendstunden einen Zwischenfall, in dessen Verlauf der angetrunkene Weingärtner und Handwerksgeselle Ludwig Kost durch einen Angehörigen des seit 1825 in Tübingen stationierten Sicherheitskommandos lebensgefährlich verletzt wurde.

Das Sicherheitskommando hatte Karl Ludwig Wilhelm von Hofacker (1794-1866) unterstanden, Regierungskommissär und Aufseher über das Studentenwesen in Tübingen. Er hatte dafür gesorgt, dass das Verbot der Burschenschaften aufrechterhalten wurde und politische Ausschweifungen unterblieben. Hofacker war für sein konsequentes Einschreiten bekannt und konnte mit der vollen Unterstützung des württembergischen Königs Wilhelm I. rechnen. 1829 verließ Hofacker Tübingen, das Kommando blieb in der Stadt. Dass es nicht zum Besten stand, zeigt der Vorfall mit Ludwig Kost. In den Tagen nach dem 16. Januar heizte sich die Stimmung auf. Am Abend des 22. Januar fand sich vor dem Haus des Tübinger Oberamtmanns eine aufgebrachte Volksmenge ein, die den Abzug der Polizeitruppe forderte. Diese flüchtete daraufhin. Doch damit nicht genug. Die besser gestellten und gebildeten Schichten waren alarmiert und fürchteten weitere Ausschreitungen. Erneut wurde eine Sicherheitswehr aufgestellt, nun unter Mitwirkung des Universitätskanzlers Autenrieth und der vormals verbotenen Studentenverbindungen.

Was fürchteten die ängstlichen Einwohner und wen? Die auch in Tübingen bestehenden sozialen Gegensätze zwischen der Ober- und Unterstadt wurde im Hinblick auf Letztere vor allem durch alteingesessene Weingärtner verkörpert, auch Gôgen genannt. Sie galten als eigen bis stur und pflegten einen breiten, für Nicht-Schwaben schwer verständlichen Dialekt. Eine weitere Ursache für die soziale Abgrenzung war die ausgeprägte Armut vieler Tübinger Weingärtner, die ihren Unterhalt auf kleinen Parzellen mit wenig ergiebigen Böden bestreiten mussten und durch Abgaben belastet waren. Damit verbunden waren geringe Bildung, oft Analphabetismus. Als Gôgen im weiteren Sinne galten auch andere Bewohner des Tübinger Ammer-Viertels, von denen viele Dienste als Taglöhner verrichteten.

Das Unverständnis gegenüber den Gôgen äußerte sich in zuweilen grotesker Form. Hermann Hesse, von 1895 bis 1899 Buchhändlerlehrling und -geselle in Tübingen, beschrieb sie als „horribles Geschlecht, schmutzig und vierschrötig, und gegenwärtig voll neuen Weins. Ihr Schwäbisch ist echt und faustdick und gemahnt ans Slowakische [...] Doch scheint es ein gesunder Schlag zu sein.“ Der Tübinger Arzt August Göz bemerkte in einer 1908 erschienen Publikation: „Es ist dies eine nahezu rundköpfige, ziemlich flach-schädliche, grobkieferige und knochige, etwas krumbeinige, stark behaarte, untermittelgroße, graubraune, dickhäutige Rasse [...] Diese Rasse ist sehr urteilskräftig und gar nicht unintelligent [...]“

Angesichts dieser Ungeheuerlichkeiten verwundert nicht, dass es Teile der Tübinger Bevölkerung mit der Angst zu tun bekamen. Die Situation der Weinbauern wurde auch in den folgenden Jahrzehnten nicht besser. Erst gegen Ende des 19. Jh. entstanden Initiativen um der Armut abzuhelfen.

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Sind in diesem Blog die Jahreszahlen durcheinander geraten?
Der Gogenaufstand war 1831. Das dagegen eingesetzte Sicherheitskommando unterstand von Hofacker. Dieser ist 1866 verstorben. Einige Sätze weiter wird beschrieben, dass Hofacker Tübingen 1929 verlassen habe.
Das passt nicht zusammen.
Gruß Walter Haußmann
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Danke für den Hinweis. Es muss 1829 heißen. Die Angaben wurden berichtigt.
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