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Die Türken-Annemarie Anna Maria Christmann (1697-1761)

Uniform des Infanterie-Regiments Alt-Württemberg, das von 1716-1719 für Österreich auf dem Balkan kämpfte. Nach Richard Knötel, Uniformkunde, Band II, Nr. 21, Quelle Wikipedia gemeinfrei
Uniform des Infanterie-Regiments Alt-Württemberg, das von 1716-1719 für Österreich auf dem Balkan kämpfte. Nach Richard Knötel, Uniformkunde, Band II, Nr. 21, Quelle Wikipedia gemeinfrei

1761 verstarb in Stuttgart die Türken-Annemarie, die erste namentlich überlieferte Briefträgerin der Stadt. Der Spitzname kam nicht von ungefähr, denn Anna Maria Christmann, so der Taufname, hatte tatsächlich als Soldatin gegen die Türken gekämpft. Auch in anderer Hinsicht hatten die kriegerischen Ereignisse auf dem Balkan Spuren in der Geschichte der Familie hinterlassen.

Anna Marias Vater war war als Bursche eines österreichischen Offiziers nach Gingen an der Fils gekommen, das damals zu Ulm gehörte und Sitz eines Militärstützpunkts war. Einwohner des Osmanischen Reiches, die während der Türkenkriege von der gegnerischen Seite gefangengenommen und außer Landes gebracht wurden, fanden sich nicht selten unter dem Personal höherer militärischer Ränge. Die Geschichte des Vaters zeigt, dass es sich bei diesen Osmanen nicht immer um türkischstämmige Muslime handelte. Der Vater stammte aus Temeschwar und hatte sich als Slawe ursprünglich zum orthodoxen Christentum bekannt. Nach seiner Gefangenname durch die Türken, so wird berichtet, konvertierte er zum Islam. Auf die neuerliche Gefangenschaft unter christlich-westlicher Herrschaft folgte, wie bei den meisten seiner Schicksalsgenossen, die christliche Taufe. Mit der 1695 in Gingen durchgeführten Zeremonie erhielt Thomas Christmann seinen neuen Namen. Er heiratete eine Bedienstete auf Schloss Dürnau und ließ sich dort nieder. Am 7. Februar 1697 wurde Anna Maria geboren.

Die Verhältnisse waren ärmlich. Beide Eltern starben früh. Anna Maria lebte zunächst vom Betteln und begab sich dann als Mann verkleidet in die Dienste eines Müllers. Als Herzog Eberhard Ludwig mit einem 1715 geschlossenen Vertrag Truppenteile für einige Jahre an Österreich abtrat, wurden zusätzliche Soldaten, vorwiegend im Raum Göppingen, angeworben. Anna Maria, geübt in der Männerrolle, fand Aufnahme in das Regiment unter dem Namen ihres Vaters Thomas Christmann. Vielleicht waren es Not und Überlebenswille, vielleicht Abenteuerlust oder eine stille Sehnsucht, denn nun führte ihr Weg zurück zu den Wurzeln ihres Vaters, zu den Kriegsschauplätzen an der Donau. Dem Großen Türkenkrieg von 1683 bis 1699 waren weitere Auseinandersetzungen gefolgt. Anna Maria, nun Musketier, nahm an zwei großen Schlachten teil: im August 1716, als Prinz Eugen die Osmanen bei Peterwardein schlug und im Sommer 1717 an der großen und entscheidenden Schlacht von Belgrad.

Das Ende ihrer militärischen Karriere kam, als sie aufgrund eines Vorfalls desertierte, gefasst wurde und unter der drohenden Todesstrafe ihre Identität preisgeben musste. Sie wurde begnadigt und ehrenvoll entlassen. Herzog Eberhard Ludwig, der erst einige Jahre später davon erfuhr, wies ihr eine Rente zu sowie das Recht ihren Wohnort frei zu wählen. Es wird berichtet, dass sie immer wieder gerne von ihren kriegerischen Erlebnissen erzählte. Als sie 1761 in Stuttgart starb, schein ihre Geschichte weitergelebt zu haben, denn sie wurde 1833 in der Allgemeinen deutschen Bürger- und Bauernzeitung publiziert. Das Blatt hatte einen landwirtschaftlichem Schwerpunkt, veröffentlichte aber auch Beiträge von Ärzten oder Pfarrern zu Themen des täglichen Lebens.

Mehr zum Thema auch im Beitrag Barbarische Türken ? - Osmanen in der deutschen Provinz des 16. und 17. Jahrhunderts

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