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Klosterschätze oder frieren für das ewige Leben

Frömmigkeit im Villinger Klarissenkloster am Ausgang des 15. Jh.

Manchmal bergen Klöster oder deren historische Zeugnisse Überraschungen. So geben einige jüngst digitalisierte Handschriften aus dem Villinger Bickenkloster Einblicke in die Frömmigkeit und Kultur eines Klarissenkonvents, der gegen Ende des 15. Jh. aus einer Schwesternsammlung hervorging. Die Bickensammlung bestand ursprünglich aus Töchtern angesehener Villinger Bürgefamilien, die sich der Pflege von Kranken und Sterbenden gewidmet hatten. Mit der Ankunft von Ursula Haider wurde die Sammlung 1480 in ein geschlossenes Kloster umgewandelt. Die als Mystikerin bekannte Ursula Haider (1413-1498) hatte lange Jahre als Äbtissin des Klarissenklosters Valduna in Vorarlberg gewirkt und brachte einige ihrer Weggefährtinnen mit. Fast alle bisherigen Schwestern verließen die Gemeinschaft. Der neue Konvent nahm junge Frauen auf, von denen viele aus angesehenen Familien Oberschwabens und des Bodenseeraums stammten. Sie unterstanden dem strengen Reglement in Klausur und pflegten ein anspruchsvolles kulturell-religiöses Leben, zu dem geistliche Literatur, Gesang und Musik gehörten. Im Kloster wurde eine Schreibwerkstatt eingerichtet. Die von der Äbtissin Juliana Ernstin verfasste Klosterchronik des 17. Jh. berichtet von einer umfangreichen Bibliothek sowie der literarischen Tätigkeit Ursula Haiders und den von ihr verfassten mystischen Werken.

Viele Bücher der Bibliothek fielen bereits Ende des 18. Jh. der Kirchenreform Josephs II. zum Opfer, als sie bei der Auflösung des Konvents kurzerhand im Ofen entsorgt wurden. In verschiedenen Bibliotheken und Archiven haben sich Werke sowohl aus der Bibliothek als auch der Schreibwerkstatt erhalten, darunter 14 Handschriften im Bestand „St. Georgen“ der Badischen Landesbibliothek, die sich zuletzt im Besitz der ehemaligen Benediktinerabtei St. Georg befanden. Wie ein Beispiel zeigt, wurden Bücher zusammen mit anderem Besitz beim Eintritt der Schwestern dem Koster übereignet. So gelangte eine Abschrift der „24 Alten“ des Otto von Passau 1485 als Gabe der Dorothea Sattler aus Ravensburg nach Villingen. 12 Handschriften, die der Schreibwerkstatt des Klosters zugeordnet werden können, entstanden in der Zeit zwischen 1480 und 1530 und lassen Rückschlüsse sowohl auf die Arbeit der Werkstatt als auch die Frömmigkeitsgeschichte und den religiösen Alltag zu. Für die Zeit um 1495 sind fünf hier tätige Schreiberinnen erwähnt. Anhand der Schriftproben lassen sich drei verschiedene Personen ausmachen. Eine von ihnen war Agnes Bútzlin, die unter anderem eine Passion Christi anfertigte und eigenhändig mit Illustrationen schmückte. Die Passion entstand in Zusammenhang mit der Erteilung des Kreuzwegablasses, für den sich Ursula Haider eingesetzt hatte. Sie gab auch eine Nachbildung der heiligen Stätten Jerusalems in Auftrag. Die auf 210 Pergamenttafeln festgehaltenen Abbildungen wurden um 1500 in Stein gehauen. Heute existieren noch rund 70 dieser Steintafeln im Kloster. Auf diese Weise war es möglich, dass die Schwestern eine Wallfahrt im Geiste unternehmen konnten, stellvertretend für eine reale Pilgerreise.

Neben Handschriften, die in engem Bezug zu der von Ursula Haider vertretenen Mystik stehen, scheint die Äbtissin die Klosterliteratur auf weitere prägnante Weise bereichert zu haben. Als Werk von herausragender Bedeutung finden sich drei Verszyklen, wo auf das harte Leben im „ruche Schwarczwald“ Bezug genommen wird. Die Verse richten sich direkt an das Gegenüber, vermutlich eine oder mehrere Schwestern des Konvents, die aus milderen Gegenden in den Schwarzwald zogen. Wie Christus hätten sie ihre Heimat zurückgelassen um durch Entbehrungen – erwähnt werden Schlehen und Tannenzapfen - in den Genuss des ewigen Lebens zu kommen. Ein weiterer Gedichtzyklus, der Ursula Haider zugeschrieben wird, ist in der Stiftsbibliothek St. Gallen überliefert. Personifizierte Fische und Vögel übermitteln in allegorischen Formen vorgebrachte Lehren, die an die jetzt namentlich genannten Schwestern des Villinger Klosters gerichtet sind. Zu den erhaltenen Texten der Bibliothek im Bickenkloster zählen darüber hinaus Hymnen und Sequenzen, die in anderen franziskanischen Handschriften nicht vorkommen. Für die besondere Stellung des Klosters spricht außerdem, dass der für seinen Humor gerühmte Franziskanerpater Johannes Pauli einige Zeit als Beichtvater tätig war. Von seinen Predigten fertigten die Schwestern 1493 eine Abschrift, die sich heute in der Staatsbibliothek zu Berlin befindet. Die Schreibwerkstatt war über viele Jahrzehnte aktiv, bis die Ereignisse des Dreißigjährigen Krieges die gesamte Stadt in Mitleidenschaft zogen.

Die Handschriften werden seit 2019 zusammen mit dem Bestand „St. Georgen“ der Badischen Landesbibliothek in einem Gemeinschaftsprojekt digitalisiert und wissenschaftlich erschlossen. Die meisten des rund 110 Bände umfassenden Bestands sind Erwerbungen des 17. und 18. Jh. aus der Benediktinerabtei St. Georg. Das ursprünglich in St. Georgen ansässige Kloster war nach der Übernahme der Vogteirechte durch Württemberg gezwungen, ins vorderösterreichische Villingen umzuziehen, wo sich die Mönche 1566 im ehemaligen Pfleghof einrichteten und nach dem Dreißigjährigen Krieg ein Gymnasium gründeten. Als Herkunftsorte der Handschriften konnten neben dem Bickenkloster weitere Frauenklöster in Westschwaben und dem Bodenseeraum ausfindig gemacht werden.

Zum Weiterlesen:

Die Handschriften des Villinger Bickenklosters. Ergebnisse aus dem Projekt zur Erschließung der St. Georgener Handschriften in der BLB Karlsruhe
Ein Gemeinschaftsprojekt der Handschriftenzentren Stuttgart und Leipzig mit der Badischen Landesbibliothek (BLB)

"Bickentorsammlung" und Klarissenkloster Villingen

Die Benediktinerabtei St. Georg in Villingen

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