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Muckefuck und koschere Zichorien – Ersatzkaffee in BW

Werbe-Postkarte der Firma Emil Seelig aus einer Serie mit deutschen Trachten. Abgebildet sind u.a. „Malz-Kaffee“ und „Kaffee Essenz“. Quelle Stadtarchiv Karlsruhe 8/Alben 062 / 13b

Bis vor einigen Jahren wehte den Reisenden am Ludwigsburger Bahnhof der Duft von Getreidekaffee entgegen, der in der unmittelbaren Nachbarschaft produziert wurde. Angefangen hatte alles mit Johann Heinrich Franck in den 1820er Jahren. Durch die Befreiungskriege war er nach Frankreich gekommen und hatte die Herstellung von Ersatzkaffee kennengelernt. Die Bezeichnung „Mocca faux“, also „falscher Kaffee“, ging als Muckefuck in den deutschen Sprachgebrauch ein. Nach seiner Rückkehr eröffnete Franck einen Kolonialwarenladen in Vaihingen an der Enz und begann mit Rezepturen zu experimentieren. Einige Jahre später konnte der Ersatzkaffee in größeren Mengen verkauft werden. Franck traf mit diesem preiswerten Getränkegrundstoff auf einen wachsenden Markt. Die Produktion expandierte und in den 1870er Jahren belegte die Firma „Heinrich Franck Söhne OHG“ mehr als 50 Gebäude in Vaihingen. Ab den 1860er Jahren entstanden die Werke in Ludwigsburg, dazu Stätten im Ausland.

Doch nicht nur Franck nutzte das Potenzial von Ersatzkaffee. In Heilbronn gab es Mitte des 19. Jh. mehrere Fabriken, in denen Zichorien verarbeitet wurden. Eine davon gehörte Emil Seelig, der mit der Marke „Seelig's kandierter Kornkaffee“ seinen größten Erfolg erzielen konnte. 1867 veröffentlichte der Bezirksrabbiner einen Prüfbericht, wonach in einigen Heilbronner Zichorien-Röstereien Schweineschmalz und andere tierische Produkte verwendet wurden, die nicht den koscheren Vorschriften entsprachen. Daraufhin überwachte der Vorsänger der israelitischen Gemeinde die Herstellung und die Unbedenklichkeit wurde öffentlich bestätigt. Nach der Jahrhundertwende stieg Franck als mehrheitlicher Teilhaber bei Seelig ein. Carl Heinrich Knorr war in den 1830er Jahren nach Heilbronn gekommen und stellte Zichorienkaffee her, der Mandeln oder Eicheln enthielt. In den 1850er Jahren musste er den Betrieb, der zu den größten in Heilbronn gehörte, aus gesundheitlichen Gründen einstellen und begann zehn Jahre später zusammen mit seinen Söhnen, sich auf Lebensmittel und Suppenextrakte zu spezialisieren. Die Franck‘ sche Produktion überstand die beiden Weltkriege. In den 1950er Jahren kam die beliebte Marke mit der roten Raute in die Läden, bis heute erhältlich ist. Die Werke in Ludwigsburg, nun unter der Regie eines der großen internationalen Lebensmittelkonzerns, stellten 2018 den Betrieb ein.

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