Stift "St. Peter und Paul" Reichenau/Niederzell 

Ortsbezüge:
Baujahr/Gründung: [um 799]
Zerstörung/Aufhebung: [16. Jh.]
Beschreibung: Die Gründungsgeschichte von St. Peter in Niederzell ist gut dokumentiert durch die aus dem 10. Jh. stammenden "Miracula sancti Marci". Bischof Egino von Verona wollte sich nach seiner Resignation aus Verona auf die Reichenau zurückziehen. Mit Erlaubnis des Abtes Waldo der Benediktinerabtei in Mittelzell begann er um 799 "am äußersten Ende der Insel eine kleine Klosterzelle anzulegen, die er zur Ehre des heiligen Apostelfürsten Petrus erbaute und mit seinem Namen benannte". Die "Miracula sancti Marci" betonen besonders die reiche Ausstattung der Kirche für den Gottesdienst. Offensichtlich sollte das "sakrale Bauwerk" die entfremdete Kathedrale von Verona ersetzen. Ob Egino bereits ein unabhängiges Stift gegründet hat, geht aus den Quellen nicht hervor. Wohl erst während des späten 10. Jh. vollzog sich die Veränderung des religiösen Gemeinschaftslebens in ein Stift. Konventsbauten an der Nordseite der Kirche legen die Ansiedlung einer größeren religiösen Gemeinschaft nahe. Als Stift ausgebildet dürfte Niederzell spätestens 1008 gewesen sein, denn die Verfügung Abt Berns von Mittelzell über die so genannten Karitätenstiftungen, eine Art gemeinsames Mahl im Kloster, galt auch für die "korherren ... in der zell Eginonis". Man schätzt, dass die religiöse Gemeinschaft in St. Peter während des frühen 11. Jh. etwa 30 Personen umfasste. Eine auch sichtbare Zäsur in der Entwicklung von St. Peter bedeutete der romanische Kirchenneubau, der wohl unter dem Einfluss Abt Ekkehards II. von Nellenburg, ca. 1080 begonnen wurde, und in verschiedenen Bauabschnitten bis um 1134 zu verfolgen ist. Dieser Bau hatte auf das kanonikale Gemeinschaftsleben Auswirkungen, denn der Neubau beseitigte die Konventsbauten, die an der Nordseite des Vorgängerbaus gestanden hatten. Auf der Unterseite der Altarplatte entdeckte man 1976 im Zuge von Restaurierungsarbeiten zahlreiche geritzte und mit Tinte geschriebene Namenseinträge, die dem 10. und 11. Jh. zuzuweisen sind. Die etwa 350 Namen von Geistlichen, Mönchen und Laien waren zum Zweck der liturgischen Gebetsverbrüderung eingetragen worden. Schon früh belegt ist die Pfarrfunktion Niederzells. Mit dem Ende des 12. Jh. begegnen uns in den Quellen verstärkt Hinweise auf Kanoniker von Niederzell: 1181 erscheint ein Konventsherr der Benediktinerabtei in Mittelzell, der in Niederzell als Propst fungierte; ein Beleg dafür, wie eng die Verbindung von St. Peter zur Abtei in Mittelzell war. 1249 wurden die Einkünfte der Stiftskirche in die Vermögensmasse des Klosters inkorporiert. Damit war auch die Eigenständigkeit der Stiftsgemeinschaft erheblich eingeschränkt. Wiederholt belegen Pfründenangelegenheiten des späteren Mittelalters, dass die Zahl der Kanonikate in Niederzell zwar schwankte, aber wohl kaum den Idealtypus erreichte, den Gallus Öhem in seiner Klosterchronik für Niederzell postulierte: "uff ain bröbst und sechs corherren gewidmet". Dieser Sicht steht bereits die Bewertung von Johannes Pfuser aus dem 15. Jh. entgegen, der davon spricht, St. Peter sei "vor zitten ain probsty des gotzhus in der Ow gewesen canonicorum regularium und ouch hütt by tag monasterio incorporiert". Aus Pfusers Sicht war Niederzell demnach eine zeitlang ein Chorherrenstift mit einer starken Verbindung zur Abtei in Mittelzell. Diese Minderform entsprach sicher nicht dem voll ausgebildeten Kanonikerstift, als das Gallus Öhem in seiner Chronik Niederzell bezeichnet. Durch die Inkorporation 1249 in die Abtei Mittelzell entstand eine enge vermögensrechtliche Verbindung zur Abtei. Unklar ist das Ende des Chorherrenstifts im 16. Jh., auch in Niederzell dürften Pfründen zusammengelegt worden sein und so das Ende des Stifts beschleunigt haben. In der Hauptapsis der dreischiffigen Basilika finden sich Fresken mit einer Maiestas Domini aus der ersten Hälfte des 12. Jh. Noch nicht aufgearbeitet ist die neuzeitliche Baugeschichte.
Autor: ERWIN FRAUENKNECHT
Objekttyp: Kloster
Ordensregel:
  • Zelle um 799-1008
  • Chorherren, weltliche 1008-16. Jh.
Sonstiges: Bistum: Konstanz, ab 1821 Freiburg
Weiter im Partnersystem: http://www.kloester-bw.de/?nr=476

Adresse Reichenau

Literatur:
  • Der Landkreis Konstanz. Amtliche Kreisbeschreibung (Die Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg). 4 Bde. Konstanz / Sigmaringen 1968–1984., 659.Die Kunstdenkmäler des Kreises Konstanz. Beschreibende Statistik. Bearb. v. F. X. Kraus (Die Kunstdenkmäler des Großherzogthums Baden Bd. I). Freiburg i. B. 1887. , 357-364.K. BRANDI, Die Chronik des Gallus Öhem (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Abtei Reichenau 2), Heidelberg 1893.|K. BEYERLE u. A. MANSER, Aus dem liturgischen Leben der Reichenau, in: K. BEYERLE (Hg.), Die Kultur der Abtei Reichenau. Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724, 1924, München 1925 (Nachdruck Aalen 1970), 1. Halbband, 316 - 437.|D. GEUENICH, R. NEUMÜLLERS-KLAUSER, K. SCHMID (Hgg.), Die Altarplatte von Reichenau-Niederzell (MGH Libri memoriales et Necrologia N.S. 1, Supplementum), Hannover 1983.||W. BERSCHIN u. A. ZETTLER, Egino von Verona. Der Gründer von Reichenau-Niederzell (799) (Reichenauer Texte und Bilder 8). Sigmaringen 1999.||Klosterinsel Reichenau im Bodensee. UNESCO-Weltkulturerbe, zusammengestellt von M. UNTERMANN, Stuttgart 2001. (Arbeitsheft 8 Landesdenkmalamt) (hier interessante Hinweise auf kunstgeschichtliche Bedeutung von St. Peter und Paul, 53ff.|A. ZETTLER, Klösterliche Kirchen, Cellae und Stifte auf der Insel Reichenau, in: Frühformen von Stiftskirchen in Europa. Funktion und Wandel religiöser Gemeinschaften vom 6. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, hg. Von S. Lorenz und Th. Zotz (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 54), Leinfelden-Echterdingen 2005, 357 -376.|Th. KREUTZER, Verblichener Glanz. Adel und Reform in der Abtei Reichenau im Spätmittelalter (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B168). Stuttgart 2008.
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