Stift St. Georg Oberzell/Reichenau 

Ortsbezüge:
Baujahr/Gründung: [896]
Zerstörung/Aufhebung: [16. Jh.]
Beschreibung: St. Georg in Oberzell, an der Ostspitze der Reichenau gelegen, bildet wohl das prominenteste Beispiel einer Stiftskirche auf der Insel. Der Abt der Benediktinerabtei in Mittelzell, Hatto III., wollte mit ihrer Gründung um 896 einen Ort dauerhafter Memoria schaffen. Die beiden über die Gründung berichtenden Reichenauer Gewährsleute, der Kellner und spätere Abt der Benediktinerabtei Johannes Pfuser aus der Mitte des 15. Jh. und Gallus Öhem zu Beginn des 16. Jh., gehen wie selbstverständlich davon aus, dass St. Georg in Oberzell von Beginn an eine Propstei gewesen sei, Öhem spricht gar von einem Propst und sechs Chorherren. Von einer schon mit der Kirchengründung einsetzenden stiftischen Tradition, wie sie Öhem schildert, wissen die zeitnahen Quellen jedoch nichts zu berichten. Dementsprechend wird in der Forschung auch mehrheitlich abgelehnt, dass die geistliche Gemeinschaft bei St. Georg bereits in der Frühzeit nach einer kanonikalen Ordnung lebte. Von zentraler Bedeutung ist eine Urkunde Abt Berns (1008 - 1048), die nur durch Gallus Öhem überliefert ist, an deren Echtheit aber nicht zu zweifeln sein dürfte. Bern trifft als Abt des Reichenauer Benediktinerklosters 1008 umfangreiche Bestimmungen über die "pyetanen oder caritetten unser korherren inderhalbt der insul, sy sigen in der zell Eginonis oder Hattonis". Aus dieser Urkunde lässt sich schließen, dass spätestens 1008 sowohl in St. Peter in Niederzell als auch in St. Georg in Oberzell Kanoniker lebten. Die Frage bleibt, ab wann sich diese Klerikergemeinschaft an St. Georg institutionalisiert hatte. Am Ende des 10. Jh. zeigen sich deutliche Spuren des Zerfalls im Konvent in Mittelzell und gerade unter Berns unmittelbarem Vorgänger, Abt Immo (1006 - 1008), geriet der Konvent in eine ernste personelle und materielle Krise. Zahlreiche unzufriedene Mönche hatten die Benediktinerabtei verlassen und fanden in Niederzell Niederzell oder Oberzell teilweise Unterschlupf. Berns Verfügung von 1008 ist als Kompromissangebot zu sehen, um die Benediktinermönche in Mittelzell Mittelzell und die Religiosen in Ober- und Niederzell wieder stärker zusammen zu führen. Vielleicht ist daher die Einführung einer kanonikalen Lebensform in St. Georg erst kurz vor 1008 anzusetzen. Die weitere Entwicklung dieser religiösen Gemeinschaft bleibt unklar. Erst um 1200 tauchen in den Quellen namentlich Kanoniker von Oberzell auf, und spätestens ab diesem Zeitpunkt ist St. Georg eindeutig als Kanonikerstift anzusprechen. Bemerkenswert beim Blick auf die prosopographischen Belege ist die Tatsache, dass die Nennung eines Propstes fehlt. Noch 1505 wird Konrad Schlenk aus Urach als Pfründinhaber in St. Georg investiert und Gallus Öhem berichtet zu Beginn des 16. Jh., dass noch drei Priester bei St. Georg seien. Ein förmliches Ende des Stifts ist nicht bekannt. Strittig ist die frühe Baugeschichte von Oberzell, bei der Datierung der weltberühmten Fresken im Mittelschiff kristallisiert sich nach den neuesten Forschungen das Ende des 10. Jh. heraus. Reichhaltig dokumentiert ist die spätere Baugeschichte von St. Georg.
Autor: ERWIN FRAUENKNECHT
Objekttyp: Kloster
Ordensregel:
  • Zelle 896-1008
  • Chorherren, weltliche vor 1008-16. Jh. 16. Jh.
Sonstiges: Bistum: Konstanz, ab 1821 Freiburg
Weiter im Partnersystem: http://www.kloester-bw.de/?nr=480

Adresse Reichenau

Literatur:
  • Der Landkreis Konstanz. Amtliche Kreisbeschreibung (Die Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg). 4 Bde. Konstanz / Sigmaringen 1968–1984., 657.Die Kunstdenkmäler des Kreises Konstanz. Beschreibende Statistik. Bearb. v. F. X. Kraus (Die Kunstdenkmäler des Großherzogthums Baden Bd. I). Freiburg i. B. 1887., 364-374.|K. BRANDI: Die Chronik des Gallus Öhem (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Abtei Reichenau 2). Heidelberg 1893.|K. BEYERLE u. A. MANSER: Aus dem liturgischen Leben der Reichenau. In: K. BEYERLE (Hg.): Die Kultur der Abtei Reichenau. Erinnerungsschrift zur zwölfhundertsten Wiederkehr des Gründungsjahres des Inselklosters 724 - 1924. München 1925 (Nachdruck Aalen 1970), 1. Halbband, 316 - 437.|D. JAKOBS: Sankt Georg in Reichenau-Oberzell. 3 Bde. (Forschungen und Berichte der Bau- und Kunstdenkmalpflege in Baden-Württemberg 9). Stuttgart 1999.|Matthias UNTERMANN (Bearb.): Klosterinsel Reichenau im Bodensee. UNESCO-Weltkulturerbe (Arbeitsheft 8. Landesdenkmalamt Baden-Württemberg 2001). Stuttgart 2001|Th. KREUTZER: Verblichener Glanz. Adel und Reform in der Abtei Reichenau im Spätmittelalter (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B168). Stuttgart 2008. ||A. ZETTLER: Die frühen Klosterbauten der Reichenau. Ausgrabungen – Schriftquellen – St. Galler Klosterplan (Archäologie und Geschichte 3). Sigmaringen 1988.||Ders.: Klösterliche Kirchen, Cellae und Stifte auf der Insel Reichenau. In: S. LORENZ und Th. ZOTZ: Frühformen von Stiftskirchen in Europa. Funktion und Wandel religiöser Gemeinschaften vom 6. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts (Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde 54). Leinfelden-Echterdingen 2005, S. 357 – 376.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)