Militärparade in Reutlingen 

Datierung :
  • 1936
Objekttyp: Video
Inhalt:
  • Militärparaden sind eine Sonderform des historisch überlieferten Brauchtums, die es in Europa seit dem 30jährigen Krieg gibt. Im Unterschied zu den bislang beschriebenen Bräuchen handelt es sich bei Militärparaden allerdings nicht um Bräuche, die im Laufe der Zeit historisch, also quasi von unten gewachsen und in einer spezifischen lokalen oder regionalen Kultur verankert sind, sondern um Formen der staatlich-militärischen Selbstrepräsentation; sie sind also im Gegensatz zu lokalen Bräuchen und Festen in hohem Grade staatlich gesteuert und institutionalisiert. Staatlich verordnete Gedenk- und Feiertage oder Rituale werden allerdings auch von breiten Gesellschaftsschichten begangen und finden einen Niederschlag in der regionalen Kultur. Gewachsene, volkstümliche Bräuche und staatlich verordnete Zeremonien lassen sich also nicht dichotomisch gegenüberstellen, vielmehr befinden sich beide Ebenen in einem ständigen Wechselspiel. So ist auch in diesen Filmaufnahmen von 1936 zu sehen, dass zahlreiche Schaulustige der Militärparade der Wehrmacht beiwohnen. Die Altstadt von Reutlingen ist mit Hakenkreuzfahnen geschmückt. Die Menschenmenge bildet die Kulisse für den Zug der Soldaten durch die Reutlinger Altstadt und bewirkt erst die notwendige Publikumswirksamkeit. Solche Bilder, bei denen die Unterstützung der Bevölkerung für die Armee und das Regime sichtbar wird - immerhin begrüßen viele der Schaulustigen die Wehrmacht mit dem Hitler-Gruß - waren zudem beliebte Bilder der staatlichen Propaganda. Militärparaden, bei denen die Truppen über öffentliche Plätze und Straßen marschieren, erfüllen zwei Funktionen: Zum einen dienen sie Kommandanten und staatlichen Vertretern der Inspektion, zum anderen handelt es sich um Machtdemonstrationen, bei denen die Waffen vorgeführt und gezeigt werden. Nicht zuletzt sollten sie entweder die Unterstützung von Staat und Bevölkerung für die Armee illustrieren, die Armee ehren oder Gegner einschüchtern. Der Stolz auf das Militär gilt dabei vielfach als Ausdruck von Patriotismus und Vaterlandsliebe; die Armee als Ausdruck vaterländischer Stärke. Militärparaden wurden daher gerade in durchmilitarisierten Gesellschaften praktiziert, die eine starke Verflechtung zwischen Gesellschaft und Militär aufweisen und in deren Normengefüge alles Militärische einen hohen Stellenwert genießt, wie dies beispielsweise in der wilhelminischen Gesellschaft der Fall war. Während der Weimarer Republik waren das Militärische und die Begeisterung für das Militär nach wie vor sehr präsent, obwohl infolge des Versailler Friedensvertrages zahlreiche Rüstungsbeschränkungen galten. Das NS-Regime konnte an die militaristische Tradition des Kaiserreichs sowie die nationalistische Ideologie der konservativen Eliten anknüpfen und propagierte einen Kult für alles Militärische, das als Ausdruck deutscher Stärke galt. Das Militär war - neben radikaler Exklusion, Gewaltausübung, Anspruch auf totale Kontrolle und Durchdringung aller Lebensbereiche, Zensur, Einschränkung bzw. Beseitigung von Freiheits- und Bürgerrechten und Gewaltausübung - eine zentrale Säule der nationalsozialistischen Herrschaftsausübung; dementsprechend wollten sich die NS-Machthaber möglichst schnell die Kontrolle über die Reichswehr sichern. Militärparaden wie die in Reutlingen konnten nicht nur als Machtdemonstration nach innen verstanden werden, sondern warfen auch einen Schatten auf die kommenden Angriffskriege voraus - aus ihren Eroberungsplänen hatten die Nationalsozialisten kein Geheimnis gemacht. Bereits nach der Machtübernahme im Jahr 1933 begann die NS-Führung damit, unter Missachtung der Bestimmungen des Versailler Vertrages die Reichswehr systematisch aufzurüsten. Nach dem Tod von Hindenburg wurde die Reichswehr, die 1935 in Wehrmacht umbenannt wurde, persönlich auf Adolf Hitler vereidigt - ein weiterer Schritt auf dem in eine totalitäre Diktatur. Wie die weitere Geschichte zeigt, sollte es nicht bei bloßen symbolischen Machtdemonstrationen bleiben. Felix Teuchert, LABW
Quelle/Sammlung: Landesfilmsammlung Baden-Württemberg: Einzug der Truppen in Reutlingen, 1936
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