Inhalt: | - Die Fastnacht im Mittelalter hatte ursprünglich einem ökonomischen Sinn: Aufgrund der weitrechenden Fastenbestimmungen während der siebenwöchigen vorösterlichen Fastenzeit mussten nichthaltbare Lebensmittel wie Fleisch, Eier und Milch verzehrt werden. Diese Gelegenheit wurde genutzt, um noch einmal ausgelassen zu feiern - mit maßlosem Essen und Trinken, später auch mit Musik, Tanz, Spiel und Verkleidung. Um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert wurde der Gegensatz von Fastnacht und Fastenzeit zudem verstärkt theologisch aufgeladen und antithetisch gedeutet: Das Fastnachtstreiben wurde in der zeitgenössischen Theologie mit Teufel und Hölle, die Fastenzeit mit einem gottgefälligen Leben assoziiert, das die Gläubigen Christus näherbrächte. Vor dem Hintergrund der wilden Fastnachtsfeiern konnten die Pfarrer umso eindrücklicher gegen Sünde und Laster predigen. Zahlreiche Bilder aus dem Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit setzen den "Kampf zwischen Fastnacht und Fasten" in Szene. Aus diesem theologischen Gegensatz resultieren vermutlich die zahlreichen Teufelsfiguren, die charakteristisch für die schwäbisch-alemannische Fastnachtstradition sind. Inwieweit in der Fastnacht auch vorchristliche Rituale wie eine symbolische Winteraustreibung oder die Vertreibung von Dämonen lebendig sind, ist umstritten. Die jüngere kulturwissenschaftliche und historische Forschung ordnet die Fastnacht wieder stärker in einen christlichen Deutungskontext ein. Die Analyse von zeitgenössischen Predigten und bildlichen Fastnachtsdarstellungen geben jedenfalls über den christlichen Sinn des Festes Aufschluss. In der jüngeren Vergangenheit dürfte der christliche Sinn jedoch in den Hintergrund getreten sein, auch wenn die Fastnacht als Volksfest erhalten blieb. Vom Volksfestcharakter zeugen die Filmaufnahmen, die einen Fastnachtsumzug in Lahr im Jahr 1936 zeigen. Sie zeigen einen Umzug, der eher an den rheinischen Karneval erinnert. So fehlen die typischen Narren-, Hänsele- oder Teufelsfiguren mit ihren traditionellen Holzmasken. Auf einem als Dampfschiff dekorierten Mottowagen befinden sich Matrosen und Kapitäne; die Kapelle trägt ein Banner mit der Aufschrift "Strandkapelle". Das ist insofern ungewöhnlich, als dass die Renaissance der schwäbisch-alemannischen Fastnacht, die sich gegen die "Karnevalisierung", d.h. die Dominanz des rheinischen Karnevals richtete, seit den 1920er Jahren in vollem Gange war und auch den Schwarzwald und die Oberrheinregion erreichte. Vor allem während der 1930er Jahre nahm dieser Prozess Fahrt auf. Am Beispiel der Fastnacht lässt sich trefflich das beobachten, was der Historiker Eric Hobsbawm als "invention of tradition" bezeichnete. Die Hexenfigur wurde beispielsweise erst 1933 in Offenburg, von Lahr aus betrachtet die nächste größere Stadt, "erfunden". Der Kunstmaler Karl Vollmer schuf 1933 die ersten Exemplare, die in Pappmarché modelliert und anschließend aus Holz geschnitzt werden. Von Offenburg aus breiteten sich die Hexenfiguren mit ihren hervorstehenden Zähnen und Hakennasen schnell aus. Es handelt sich eigentlich um eine Neuerfindung, die aber als historisch-traditionell gedeutet wurde und mittlerweile als typisch für die schwäbisch-alemannische Fastnacht wahrgenommen wird. Bei anderen Figuren, die in der Offenburger Fastnacht auftreten, handelt es sich um Kulturimporte. Der im Bodenseeraum verbreitete "Spättlehanse", der heutzutage die Fastnacht in Offenburg dominiert, trat in Offenburg 1957 erstmals auf. In Lahr selbst wurde 1938 der "Grusilochzottli", ein überdimensionierter Narr, eingeführt. Alljährlich wird diese älteste Lahrer Narrenfigur am "Schmotzigen Donnerstag" aus seinem Verlies befreit und vor Aschermittwoch wieder eingesperrt. Felix Teuchert, LABW
|