Mädchen am Spiegel 

Datierung :
  • 1922  [Herstellung]
Autor/Urheber:
  • Otto Dix [Künstler]
Objekttyp: Zeichnung
Weitere Angaben zum Werk: elfenbeinfarben, Zeichenkarton [Material]
Bleistift, Aquarell, Tuschfeder [Technik]
Höhe: 58,2 cm (Blatt), Breite: 43,1 cm (Blatt)
Kurzbeschreibung: Schreckliche Vision, bittere Wahrheit, oder beides zugleich? In aufreizender Rückansicht präsentiert Dix dieses junge Mädchen in ihren Dessous, während es sich in einem Spiegel betrachtet. Seine straffen, runden Formen und die glatte Haut offenbaren die Schönheit der Jugend. Um so erschreckender, was das Spiegelbild des Mädchens zeigt: Ein greises, bläulich gefärbtes Gesicht mit schmalen, faltigen Lippen und dürre Rippenknochen, die sich über den erschlafften Brüsten abzeichnen. Das eng geschnürte Mieder entlarvt die Eitelkeit einer alten, blondierten Frau, deren Gewerbe im Rotlichtmilieu offensichtlich ist. Ein schwarzer, in Aquarelltechnik verlaufener Fleck in ihrem Schambereich spricht eine deutliche Sprache. Die beiden konträren Ansichten der Frau bilden jedoch nicht das einzige Rätsel des Bildes, dessen Motiv eindeutig die Vergänglichkeit - und auch die Verwerflichkeit - thematisiert: Hinter dem Kopf des jungen Mädchens erscheint ein Fenster, durch das nächtliches Schwarz zu sehen ist. Der rechte Arm des Mädchens scheint den Vorhang zur Seite zu schieben, als schaue es aus dem Fenster in die Dunkelheit. Sieht das Mädchen also aus dem Fenster oder betrachtet es sich im Spiegel? Im Bild kann es offenbar beides zugleich: Der Blick in den Spiegel ist gleichzeitig der Blick in eine unbekannte Finsternis. Meisterlich setzte Dix in diesem 1922 datierten Werk die Aquarelltechnik ein: Sanfte Abstufungen im Inkarnat wechseln mit bunten Farbakzenten, deren Süßlichkeit die Atmosphäre eines Boudoirs hervorrufen. Die ausfransenden Linien der Tuschfeder verleihen den aufgerissenen Formen eine nervöse Unruhe. Das Aquarell zeigt beispielhaft Dix' zugespitzten, oftmals polemischen und sozialkritischen Realismus, den "Verismus", der sein Werk Anfang der zwanziger Jahre prägte. Dasselbe Motiv hatte er bereits 1921 in einem heute verschollenen Gemälde verarbeitet, das 1923 als "unzüchtig" beschlagnahmt wurde und zu einem Prozess gegen den Künstler wegen Obszönität führte. Zwar wurde Dix freigesprochen, doch 11 Jahre später sollte er mit einem Ausstellungsverbot belegt werden. Fortan wurden seine Werke unter den Nationalsozialisten verfemt und aus öffentlichem Museumsbesitz entfernt. [D.S.]
Quelle/Sammlung: Kupferstichkabinett
Identifikatoren/​Sonstige Nummern: 1984-5 [Inv.Nr.]
Weiter im Partnersystem: http://www.kunsthalle-karlsruhe.de/de/sammlung/sammlung-online.html
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