Brüllmann, Jakob 

Geburtsdatum/-ort: 09.12.1872; Weinfelden (Thurgau)
Sterbedatum/-ort: 28.12.1938;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Bildhauer
Kurzbiografie: Steinhauerlehre in Weinfelden (beim Vater) und in St. Gallen
Kunstgewerbeschule und Kunstakademie in München
Studienreisen nach Frankreich und Italien
1900 dauernde Niederlassung in Stuttgart
1906-1938 dekorativer Bauschmuck an zahlreichen Großbauten in Stuttgart
1910 Geiser-Brunnen in Zürich
1911 Reformationsdenkmal in Stuttgart: Christus, Luther, Brenz
1924 Arbon (Thurgau), neue reformierte Kirche: Taufstein
1931 Thomas-Bornhauser-Brunnen in Weinfelden
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft (für Reformationsdenkmal)
Eltern: Vater: Brüllmann, Steinhauer
GND-ID: GND/1012179710

Biografie: Karl Heinz Burmeister (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 34-36

Brüllmann kam als ältester Sohn einer geachteten Steinmetzfamilie im traditionsreichen Haus „zur Schwärzi“ (Schwärzeweg Nr. 10) am Fuß des Ottenberges in Weinfelden zur Welt. Seine handwerkliche Ausbildung erfuhr Brüllmann im Betrieb seines Vaters in Weinfelden, später auch im Atelier eines Steinhauers in St. Gallen. Brüllmann zeigte früh eine zeichnerische Veranlagung und einen lebhaften Drang zur Formgestaltung, was nach einer höheren Ausbildung verlangte. Es wurde ihm daher der Weg geöffnet für einen Besuch der Kunstgewerbeschule in München und im Anschluss daran auch der Kunstakademie in München. Seine Lehrer waren u. a. Heß, Ruemann, Flossmann und Drumm. Längere Studienreisen unternahm Brüllmann nach Frankreich, wo er in Paris die moderne französische Plastik, besonders diejenige Rodins, studierte, und nach Italien.
Geschult vor allem unter dem neubarock-naturalistischen Bildhauer Wilhelm von Ruemann, der seit 1890 die Großplastik für die historische Legitimation einsetzte, begann Brüllmann seine praktische Tätigkeit unter Josef Floßmann, der 1896/99 das Münchener Bismarckdenkmal schuf. Brüllmanns Werk besteht hauptsächlich in dekorativen Aufträgen, aus teils antikisierenden monumental-repräsentativem, teils klassizistisch-genrehaftem Bauschmuck, aus Brunnenfiguren, Grab- und Denkmalen, aber auch in figürlicher Kleinplastik wie Statuetten von menschlichen Figuren und Tieren. In der Vielseitigkeit seines unermüdlichen Schaffens zeigt sich eine große schöpferische Kraft. Seine Werke galten seinen Zeitgenossen, sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz, als „bodenständig und volkstümlich“, er selbst „als trefflicher dekorativer Bildhauer von schlichtem und kernigen Wesen“.
Brüllmann hatte sich um 1900, jedoch unter ständiger Aufrechterhaltung intensiver Kontakte zu seiner thurgauischen und schweizerischen Heimat, die auch in seinem Lebenswerk reichlich dokumentiert sind, in Stuttgart auf Dauer niedergelassen. 1900 beteiligte er sich in Chur an einem Wettbewerb zu einem Fontana-Denkmal, das zur Erinnerung an den Bündner Kriegshelden Benedikt Fontana bzw. an die Schlacht an der Calven (1499) geschaffen werden sollte. Brüllmanns Entwurf wurde zwar nicht verwirklicht, sein Gipsmodell aber für die Kantonalen Kunstsammlungen im Kunsthaus Chur angekauft. Als ein weiteres frühes Werk Brüllmanns ist das 1906 erschaffene Relief der Brunnenterrasse und des Giebels der Villa Franck in Murrhardt (Rems-Murr-Kreis) zu erwähnen.
Für den weiteren Aufstieg Brüllmanns entscheidend wurde das Zusammenwirken mit dem Architekten Theodor Fischer, der Brüllmann und seinen Landsmann, den Maler Hans Brühlmann, wiederholt zur Ausschmückung seiner Bauten heranzog, so 1907/08 bei den Pfullinger Hallen in Stuttgart und ebenfalls 1907/08 beim Bau der Erlöserkirche in Stuttgart (Säulenrelief, Turmfiguren), schließlich auch 1907/12 beim Gustav-Siegle-Haus in Stuttgart (Leonhardstr. 28). Brüllmann schuf für dieses von der Industriellenfamilie Siegle zu Volksbildungszwecken gestiftete Haus ein Reliefbild des Stuttgarter Wappentiers. In den folgenden Jahren folgten weitere Arbeiten, 1911 zur Ausschmückung des Marstalls und des Kunstgebäudes in Stuttgart, der großen Schalterhalle des Hauptbahnhofs in Stuttgart (Relief eines Ritters mit Löwe und Hirsch), 1912/13 der ehemaligen Villa Weißenburg (Hohenheimerstr.), die für den Industriellen und Antikenforscher Ernst von Sieglin errichtet wurde; hier hat sich im Park der Villa Brüllmanns monumentale Säule mit einer Bronzefigur des Frühlings erhalten.
Um 1910/11 entstanden die beiden wohl bedeutendsten Werke Brüllmanns: der Geiser-Brunnen in Zürich und das Reformationsdenkmal in Stuttgart. Der 1910 aus Muschelkalk geschaffene monumentale „Stierbändiger“, ein Jüngling, der einen Stier bezwingt, steht im sogenannten Arnold-Geiser-Brunnen am Bürkliplatz in der Nähe des Seeufers. Der am 20. Oktober 1912 enthüllte Brunnen, der an Mignons Stier in Lüttich erinnert, ist nach dem Zürcher Stadtbaumeister Arnold Geiser (1844-1909) benannt.
Das württembergische Reformationsdenkmal, geschaffen nach einem Entwurf von 1902 von Theodor Fischer, ist geschickt an die gotische Hospitalkirche angegliedert. Die symbolische Darstellung der Auferstehung besteht aus drei Teilen: der zwischen zwei Strebepfeilern eingesetzte Mittelteil zeigt den aus einem Sarkophag aufsteigenden Christus mit der Siegesfahne, flankiert von den beiden Sitzbildnissen der Reformatoren Martin Luther und Johannes Brenz. Das Denkmal wurde bei einem Fliegerangriff am 12./13. September 1944 zerstört.
Während des Ersten Weltkrieges hatte man in Deutschland kaum mehr Geld für die Kunst. Brüllmann verlagerte deswegen seine Tätigkeit in die Schweiz, wo während des Krieges eine Reihe von Kunstwerken entstanden. So gestaltete Brüllmann 1912 die Brunnenfigur in der Villa Schlößli am Zürichberg in Zürich. 1915 schuf Brüllmann die Bauplastik für das neue Postgebäude in St. Gallen: das Relief über dem Eingang und einen Postillon mit Pferd an der Vorhalle. Für das Zunfthaus der Gesellschaft zu Schmieden in Bern stellte Brüllmann um 1915 das neue Zunftwappen an der Fassade her. 1916 erhielt Brüllmann den Auftrag für das 1914/16 erbaute Bezirksgerichtsgebäude Außersihl (Badenerstr. 90) in Zürich, das Relief des Heiligen Georg mit dem Drachen im Giebelfeld an der Südseite zu gestalten. Als weitere Werke Brüllmanns in der Schweiz sind zu nennen: ein Brunnen im Garten der Schweizerischen Rückversicherungs-Gesellschaft in Zürich und ein allegorisches Sandstein-Portal an der Schweizer Bank-Gesellschaft in Zürich.
In den Jahren nach 1918 wurden überall in Deutschland Kriegsdenkmäler für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs errichtet: Als Werke entstanden in Stuttgart das Gefallenendenkmal auf dem Friedhof Gaisberg und das Gefallenendenkmal in Weil im Dorf (1922), eine Plastik für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs im Stadttor von Marbach, Gefallenendenkmäler in Ludwigsburg und in Maulbronn, eine Erinnerungstafel im Ulmer Münster für die gefallenen Ulanen.
Ein bedeutendes Werk Brüllmanns ist der Taufstein in der 1920/24 erbauten neuen reformierten Kirche in Arbon, der die Lebensalter in Reliefs im klassizistischen Stil darstellt: Die Kindheit, in der sich ein Elternpaar um die kleinen Kinder kümmert; die Jugend, in der ein Jüngling in die Fremde zieht, das Alter, das die Jugend ermahnt, und zuletzt der Kampf des Menschen mit dem Bösen, in dem ein Mann mit dem Schwert eine mehrköpfige Schlange abwehrt.
In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre sehen wir Brüllmann wieder in Stuttgart bei der Ausschmückung von Bauten tätig. 1925 stellte er einen geflügelten Merkur für die Seitenfassade der Spar- und Girokasse in Stuttgart (Königstr. 5) her. 1926 gestaltete er in der Neuen Aula der Universität Tübingen (Wilhelmstr. 5-9) das Portal für das Zimmer des Rektors. 1927 schuf Brüllmann den Kukkucksruf-Brunnen in der Schlossbergsiedlung Kaltental in Stuttgart, ebendort 1928 für das Seitenportal der Oberpostdirektion in Stuttgart das Relief des Knaben mit dem Posthorn.
Eines der bedeutenderen Werke Brüllmanns ist der Thomas-Bornhauser-Brunnen in Weinfelden im Dorfzentrum auf dem Rathausplatz vor dem Gasthaus „zum Trauben“. Der aus Rorschacher Sandstein zum Gedenken an den Dichter und demokratischen Staatsmann Thomas Bornhauser (1799-1856) gearbeitete und im Mai 1931 enthüllte Brunnen zeigt eine Mutter mit ihren Kindern. Damit soll an Bornhausers soziales Gefühl für das Volk erinnert werden, seine Bereitwilligkeit, den Bedrängten zu helfen. Brüllmann hatte bereits für den Rathaussaal seiner Vaterstadt Weinfelden Büsten von Thomas Bornhauser und Paul Reinhard, dem Führer der thurgauischen Freiheitsbewegung von 1798 geschaffen.
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten ging Brüllmann als Sieger in einem Wettbewerb hervor, am obersten Umgang des Westturms der Stiftskirche ein Zeichen der „neuen Zeit“ anzubringen. Es wurde eine Scheibe mit einem „Dreiklang“ (Komposition aus dem Stuttgarter Pferd, den württembergischen Hirschenstangen und dem Hakenkreuz) auf der Seite gegen die Königstraße eingefügt, die von dort gut sichtbar war.
Zu den letzten Arbeiten Brüllmanns gehört ein lebensgroßer Tellknabe in Bronze im Haus der Schweiz in Berlin (1937) und ein Lutherbild mit Christus in der neuen Martinskirche im Norden der Stadt Stuttgart (1938).
Arbeiten von Brüllmann waren nach dem Ersten Weltkrieg auch in verschiedenen Ausstellungen in der Schweiz präsent, so beispielsweise im Kunsthaus Zürich 1921 und 1931 oder in drei Ausstellungen zur Kunst der Gegenwart im Thurgau in Frauenfeld 1921 und 1923 und in Arbon 1926, wo Brüllmann mit einer prächtigen Hirschkuh vertreten war.
Brüllmann, der sich an zahlreichen Wettbewerben beteiligte, gewann viele Preise. Brüllmann gehörte viele Jahre dem Vorstand der Stuttgarter Sezession an. Er galt als ein weiser Berater und Lehrmeister der jungen Künstlergeneration. Brüllmann war ein feinsinniger Mensch, der sich in seiner Kritik anderer Künstler stets von einem feinen Taktgefühl leiten ließ. Brüllmann erlag am 28. Dezember 1938 einem schweren Herzleiden. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem stillen Waldfriedhof bei Stuttgart.
Quellen: NL, Statuetten von menschlichen Figuren und Tieren; WABW B 68, Nr. 218.
Werke: Schweizer Bauzeitung 56 (1910), 138 ff. (Abb.); 59 (1912), 151 f. (Abb.); 66 (1915), 7 (Abb.); 69 (1917), 17 (Abb.); 70 (1918), 74; Die Schweiz (1911), 485 f. (Abb.), (1912), 39 (Abb.); Chronik der Haupt- und Residenzstadt Stuttgart 1911, 195; Profanbau (1911), 471 f., 484, 499; Rheinlande (1912), 90 ff. (Abb.); O. Ingold, Das neue Volkshaus in Bern, in: Das Werk 2, 1915, 58 (Abb.); K. Hoffmann, in: Schwäbischer Merkur (1917), Nr. 289, 3; Schwäbisches Heimatbuch 1932, 129; Maria Zelzer, Stuttgart unter dem Hakenkreuz, 2. Aufl. 1984, 94; Thurgauer Beiträge zur vaterländischen Geschichte 71, 1934, 35; Kunst-Rundschau 1938, 15 (Abb.); Kunst und Kirche, 1940, 8 ff. (5 Abb.); Inventar der neueren Schweizer Architektur 3, 267.
Nachweis: Bildnachweise: Porträtfoto in: Thurgauer Jb. 16 (1940), 11.

Literatur: J. Baum, Die Stuttgarter Kunst der Gegenwart, 1913, 209, 294; Brun, Schweizer Künstler Lexikon 4, 1917, 484; Schwäbisches Heimatbuch (1932), 129; Schwäbischer Merkur 1 (1939) 10; Thurgauer Jb. 16 (1940), 11 f. (Abb.); Das Werk, 1940, 30 f. (Abb.); Vollmer, 1, 1953, 331; Plüss/Tavel, Künstler-Lexikon der Schweiz 1, 1958, 135; H. Jenny, Kunstführer durch die Schweiz, 6. Aufl. 1975; Inventar der neueren Schweizer Architektur 3 (1982), 267; 8 (1996), 108; F. Hofer/S. Hägeli, Zürcher Personenlexikon, 1986, 40; G. Dehio, Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, B-W 1-2, 1993/97; Saur, Allgemeines Künstler-Lexikon 14, 1996, 492; Biografisches Lexikon der Schweizer Kunst 1, 1998, 181.
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