Dietrich, Bernhard 

Geburtsdatum/-ort: 13.01.1897;  Lörrach
Sterbedatum/-ort: 15.08.1961;  Singen/Hohentwiel
Beruf/Funktion:
  • Arzt, Föderalist, Kommunalpolitiker, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1914 Abitur am Susogymnasium in Konstanz
1914-1918 Gebirgsartillerist im I. Weltkrieg
1918-1923 Studium der Medizin an der Universität Freiburg i. Br.
1923 Promotion zum Dr. med.
1923-1927 Mitglied der Bayerischen Volkspartei in Erlangen
1927 praktischer Arzt in Singen/Hohentwiel
1933 Emigration ins Elsaß
1934-1945 mehrmalige Verhaftungen durch Polizei und Gestapo
1945 Gründungsmitglied des „Aktionskomitees des Alpenländischen demokratischen Bundes“ in Bregenz
1945-1946 Bürgermeister von Singen/Hohentwiel
1946-1948 Mitglied der BCSV/CDU und des Stadtrats in Singen/Hohentwiel
1946-1949 Präsident des „Schwäbisch-Alemannischen Heimatbundes“
1960 Bundesverdienstkreuz 1. Klasse
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet: 1922 Dr. med. Hedda Emma Selma, geb. Weinholdt (1895-1993)
Eltern: Bernhard (1851-1929), gelernter Buchdrucker, Grenzaufseher
Theresia (1855-1918), geb. Nußberger
Geschwister: Eugen Alois (Pfarrer)
Theresia Maria (Pfarrhaushälterin)
Josef (Kaufmann)
Kinder: Cordula (geb. 1924)
Thomas (geb. 1926)
Prisca (geb. 1928)
Felicitas (geb. 1930)
Felix (geb. 1930)
Cosmas (geb. 1931)
Anselm (1935-1993)
Clemens (1936-1990)
GND-ID: GND/1012182754

Biografie: Jürgen Klöckler (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 28-30

Das politische Leben Dietrichs war geprägt von seinem Kampf für ein Deutschland, das föderalistisch auf der Grundlage der Stämme aufgebaut sein sollte. Schon während seiner Gymnasialzeit in Konstanz hatte er sich von dem allerorten vertretenen, kleindeutsch-bismarck’schen Geschichtsbild abgewandt. Der in seinem Elternhaus praktizierte und weitervermittelte Katholizismus bildete die Grundlage von Dietrichs politischer Überzeugung; als konsequenter Föderalist hieß sein Vorbild Konstantin Frantz, einst Bismarcks Gegenspieler.
Die Erfahrungen des 1. Weltkrieges bewirkten ein noch tieferes Abwenden von nationalstaatlichen Kategorien bei dem nun in Freiburg an der Medizinischen Fakultät Studierenden. Sein Engagement in der nichtschlagenden, katholischen Verbindung „Hohenstaufen“ brachte ihn zudem mit Persönlichkeiten zusammen, die andere Wege der staatlichen Organisation zu gehen gewillt waren. Nachdem Dietrich 1923 sowohl das Staatsexamen als auch die Promotion zum Dr. med. abgelegt hatte, fand er in Erlangen, Zittau und Mannheim als Assistenzarzt Anstellungen. In Erlangen schloß er sich der katholischen und antizentralistischen Bayerischen Volkspartei an und wirkte als Redner im Bezirksvorstand Mittelfranken. Beruflich ließ er sich 1927 mit seiner Frau Hedda, einer ebenfalls praktizierenden Ärztin, in Singen am Hohentwiel nieder. Dem „reichstreuen“ Zentrum blieb er zwar fern, wohl aber war sein Wirken in den katholischen Vereinen der jungen Industriestadt zu spüren. Seine kompromißlose, antichauvinistische Haltung veranlaßte ihn 1933, ins Elsaß zu emigrieren. Aus Sorge um die vielköpfige Familie kehrte er nach einigen Monaten zurück und bezahlte sein oppositionelles Auftreten mit mehrmaliger Verhaftung, zuletzt in Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944. Während des II. Weltkrieges war sein Ansehen nicht nur unter den zahlreich in Singen eingesetzten ausländischen Zwangsarbeitern groß, in seiner Praxis war ein ihn trefflich charakterisierender Leitspruch von Thomas More zu lesen: „Nie habe ich daran gedacht, einer Sache zuzustimmen, die gegen mein Gewissen gewesen wäre“.
Die einmarschierenden Franzosen ernannten Dietrich am 24. April 1945 zum ersten Nachkriegsbürgermeister von Singen. Tatkräftig und energisch versah der in Verwaltungsangelegenheiten Unerfahrene das heikle Amt, ohne jedoch zum bloßen Befehlsempfänger der Besatzungsmacht zu werden. Im Sommer 1945 erschien die von ihm verfaßte Broschüre „Alpenland“, in der er den Zusammenschluß der süddeutschen, katholischen Landschaften mit Österreich forderte. Zusammen mit Vorarlberger Politikern gründete Dietrich am 10. Oktober 1945 die Sammelbewegung für einen alpenländischen Staat, die allerdings sofort von der französischen Militärregierung verboten wurde. Ab August 1946 machte Dietrich dann mit dem Konstanzer Stadtarchivar Otto Feger und dem Rottweiler Bürgermeister Franz Mederle entschlossen Stimmung für einen weitgehend autonomen, schwäbisch-alemannischen Staat. Der dazu ins Leben gerufene „Schwäbisch-Alemannische Heimatbund“ propagierte die Einbettung des erhofften Stammesstaates in ein konföderiertes, abendländisch geprägtes Europa. Enttäuscht von der mangelnden Resonanz in breiten Schichten der Bevölkerung zog sich Dietrich im folgenden aus der Politik zurück und wandte sich wieder vollends seinem Beruf zu.
Maßgeblich war Dietrich nach 1945 beim Aufbau der Landesärztekammer beteiligt; er brachte seine ganze Berufserfahrung und Menschenkenntnis als Vorstand des Niederlassungsausschusses für Ärzte im Bezirk der Ärztekammer Konstanz ein. Zudem war er Mitglied der Entnazifizierungskammer im Landkreis Konstanz.
Im religiösen Bereich wirkte Dietrich als Stiftungsrat der Pfarrei Peter und Paul, er kämpfte in Singen für den Bau der Liebfrauenkirche und der Elisabethkirche und war Mitglied des Kirchensteuerparlaments der Erzdiözese Freiburg. Sein katholischer Glaube war zweifellos Rückgrat, Stütze und Grundlage seines gesamten Lebens.
Quellen: Nachlaß im Familienbesitz
Werke: Über Eukalyptol und Myrtol und über intravenöse Injektion ätherischer Öle, Diss. Freiburg, 1922; Artikel „Stamm“, in: Staatslexikon (5. Aufl.), Bd. 5, 1932; Alpenland. Vorschlag einer staatlichen Neubildung im kommenden Abendland, 1945; Separatisten, 1947
Nachweis: Bildnachweise: Fotos bei Diez, Kappes und Klöckler, Visionen, 1995, 131 (siehe Literatur)

Literatur: Hedda Dietrich, Lebenslauf von Dr. Bernhard Dietrich, in: Hegau 11/12 (1961), 168 f.; Theopont Diez, Dr. Bernhard Dietrich 1897-1961, in: Hegau 11/12 (1961), 167 f.; Reinhild Kappes, Singens Bürgermeister und Ehrenbürger von 1899 bis heute, in: Singener Stadtgeschichte, Bd. 3, 1994, 180-183; Jürgen Klöckler, Abendland – Alpenland – Alemannien. Frankreich und die Neugliederungsdiskussion in Südwestdeutschland, 1945-1947, 1998, 123-129; ders., Föderalistische Neugliederungskonzepte nach 1945: Vorarlberg als Teil der „Donau-Alpenkonföderation“ oder „Alemanniens“?, in: Montfort 47 (1995), 249-265; ders., „Was wir fordern ist die Gründung eines föderalistischen Staates ‚Alpenland‘“. Die politischen Visionen des ersten Singener Nachkriegsbürgermeisters Bernhard Dietrich, in: Singener Jahrbuch 1995/96, 131-136; ders., „Es wird mir übel, wenn ich vom ‚Wiederaufbau des Reiches‘ höre“, in: Beiträge zur Landeskunde (Beilage zum Staatsanzeiger für Baden-Württemberg) 1996
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