Wurz, Camill 

Geburtsdatum/-ort: 26.09.1905;  Offenburg
Sterbedatum/-ort: 09.02.1986;  Ottersweier
Beruf/Funktion:
  • Rechtsanwalt, Mitglied des Landtags – CDU, Landtagspräsident
Kurzbiografie: 1924 Abitur am humanistischen Gymnasium Offenburg
1924-1928 Jura-Studium in Freiburg, Berlin und Heidelberg
1928 I. juristisches Staatsexamen, danach Vorbereitungsdienst
1931 II. jur. Staatsexamen, Assessor
1933 Staatsanwalt in Karlsruhe
1934 Amtsgerichtsrat in Bretten
1939-1945 Jan. Kriegsdienst bei der Flak: Afrikakorps, West- und Ostfront, Oberleutnant, Eisernes Kreuz II. Klasse, englische Kriegsgefangenschaft
1941 Oberamtsrichter-Planstelle in Bruchsal
1945 Oberamtsrichter in Donaueschingen
1947-1970 Rechtsanwalt in Baden-Baden
1952-1962 Kreisvorsitzender der CDU Baden-Baden
1956-1976 Mitglied des Landtags – CDU; Wahlkreis Baden-Baden/Bühl
1960-1968 Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion
1968-1976 Landtagspräsident
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern (1971); Schulterband dazu und Großkreuz des päpstlichen Gregoriusordens (1975); Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg (1976); Bürgermedaille in Gold der Stadt Baden-Baden (1979)
Verheiratet: 1929 (Waldkirch) Gertrud, geb. Just (geb. 1908)
Eltern: Vater: Emil (1874-1928), Uhrmacher
Mutter: Maria, geb. Schütz (1874-1959)
Geschwister: Oskar
Kinder: 3:
Hanns (geb. 1933)
Dieter (geb. 1937)
Helga (geb. 1938)
GND-ID: GND/1012387348

Biografie: Reiner Haehling von Lanzenauer (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 414-416

Im politisch bewegten Jahre 1968, als gewaltbereite Gruppen nach Gesellschaftsveränderung riefen, war der Baden-Badener Rechtsanwalt Wurz zum neuen Landtagspräsidenten gewählt worden. Entschlossen verteidigte er die bestehende Rechtsordnung, maßgeblich trug er bei, das Land Baden-Württemberg innerlich zu festigen und moderner zu strukturieren.
Wurz' berufliche Laufbahn hatte 40 Jahre zuvor mit der Referendarausbildung in den Stationen Staatsanwaltschaft, Bezirksamt, Notariat und Gericht begonnen. Vorzüglich benotet konnte er bei Abschluss des II. Staatsexamens in den Justizdienst eintreten. Bereits nach zweijähriger Verwendung als Gerichtsassessor hat man Wurz zum Staatsanwalt in Karlsruhe, ein Jahr später zum Amtsgerichtsrat in Bretten ernannt. Bei Kriegsbeginn wurde er zur Flak eingezogen und beim Afrikakorps, später als Oberleutnant an der West- und der Ostfront eingesetzt. Wurz wurde einmal verwundet. Im Mai 1945 geriet er in englische Kriegsgefangenschaft. Drei Monate später wurde er entlassen und kehrte zu seiner Familie nach Bruchsal zurück, wohin er während des Krieges versetzt worden war, ohne die Stelle antreten zu können.
Noch im Herbst 1945 konnte Wurz in Donaueschingen seine richterliche Tätigkeit wieder aufnehmen, nunmehr zum Oberamtsrichter befördert. Da Wurz im Jahre 1937 in die NSDAP eingetreten war, hat ihn die Spruchkammer Karlsruhe im September 1947 als Mitläufer eingestuft. In der Begründung ist festgehalten, dass Wurz sich weder politisch noch propagandistisch betätigt hat und auch kein Uniformträger war. Anfang 1947 wechselte Wurz zur Anwaltschaft und ließ sich in Baden-Baden nieder. Teils in Sozietät, zeitenweise allein, führte Wurz eine angesehene Kanzlei, bis er im Jahre 1970 angesichts der zunehmenden Last seiner öffentlichen Ämter die anwaltliche Tätigkeit aufgab.
Auf politischer Ebene hatte Wurz sich seit 1950 beim CDU-Kreisverband Baden-Baden engagiert, wo er alsbald zum Kreisvorsitzenden gewählt worden ist. Zugleich gehörte er dem engeren Landesvorstand der CDU in Südbaden an. Wurz ist seinerzeit mit klaren Worten für den Fortbestand des Landes Baden eingetreten, hat sich indes nach der Südweststaatwahl zu dem neu gebildeten Bundesland bekannt. 1956 zog er als Abgeordneter des Wahlkreises Baden-Baden/Bühl in den Stuttgarter Landtag ein, 1960 übernahm er den Vorsitz der CDU-Fraktion, den er insgesamt acht Jahre lang ausübte. Von den zahlreichen Aktivitäten, die Wurz in diesem Zeitraum entfaltete, seien die verbesserte verkehrsmäßige Erschließung des südbadischen Raumes durch Autobahnbau und Rheinübergänge angeführt sowie die Neugestaltung des Schulwesens im ganzen Lande durch das grundlegende Schulverwaltungsgesetz mit Einführung der Simultanschule.
Zu Beginn der 5. Legislaturperiode wählte der Landtag mit 116 von 121 Stimmen Wurz zu seinem neuen Präsidenten. In seiner Antrittsansprache forderte er, die gerade jetzt aufbrechenden gesellschaftlichen Konflikte mutig aufzugreifen und einer verfassungsmäßigen Lösung zuzuführen. Wurz drängte darauf, die Arbeit mehr als bisher auf die politisch bedeutsamen Themen auszurichten, Lokales nur bei allgemeinem Interesse auszubreiten. Das Ablesen vorbereiteter Texte sei zurückzustellen, die Abgeordneten sollten grundsätzlich frei sprechen, die Antragsflut müsse eingedämmt werden. Eine Kommission „Parlamentsreform“ hat sich anschließend mit diesen Fragen befasst. Schwerpunkt der Beratungen der 5. Legislaturperiode bildete das umfassende Werk der Kreis- und Gemeindereform, die neue Verwaltungsstrukturen im Lande gesetzt hat. Hinzu kamen die Errichtung der Landeskreditbank, das Kindergartengesetz und angesichts der fortschreitenden elektronischen Datenverarbeitung das Gesetz über die Landesdatenzentrale. Zu Beginn der 6. Wahlperiode wurde Wurz wiederum mit dem Parlamentsvorsitz betraut. Im Mittelpunkt der Arbeiten stand nun die Gemeindereform, verkündet wurden unter anderem die Herabsetzung des Wählbarkeitsalters, das Naturschutzgesetz, das Landeswaldgesetz mit seinem umstrittenen Betretungsrecht, Regelungen für Abwasser- und Abfallbeseitigung, die Gesundheitsvorsorge für die Bevölkerung durch das neue Krankenhausgesetz, das Gesetz über parlamentarische Untersuchungsausschüsse, die Einführung von arbeitssparenden Zweijahreshaushalten durch das Staatshaushaltsgesetz.
Im Jahre 1974 kam es zu einem öffentlich ausgetragenen Meinungsstreit zwischen dem Landtagspräsidenten und dem Regierungschef Dr. Hans Filbinger (CDU). Als Reaktion auf die bundesgesetzliche Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen hatten die Kreistage von Aalen, Biberach, Friedrichshafen und Ravensburg beschlossen, in den Krankenhäusern ihres Bereichs gleichwohl keine Abtreibungen zuzulassen. Der Ministerpräsident verlautbarte, dass er diese Beschlüsse für ungut, weder wünschenswert noch notwendig halte. Diese Äußerung wurde von einem Teil der CDU-Abgeordneten heftig kritisiert. Wurz machte sich zu deren Sprecher, indem er Filbinger tadelte, er habe sich unglaubwürdig gemacht, strenge doch die CDU gerade eben vor dem Bundesverfassungsgericht eine Klage gegen die Fristenlösung zur Schwangerschaftsunterbrechung an. Die Kreistagsbeschlüsse seien durchaus zu billigen, da sie den Ärzten Gewissenskonflikte ersparten. Filbinger wiederum wies die Vorwürfe des Landtagspräsidenten mit ungewöhnlicher Schärfe zurück. Es währte einige Zeit, bis die Parteifreunde sich wieder aussöhnten. Dieses Vorkommnis kann nur belegen, wie sehr Wurz sich in all seinen Entscheidungen von christlicher Gewissensüberzeugung leiten ließ.
Als Wurz im Jahre 1976 aus dem Landtag ausschied, haben die Abgeordneten über die Parteigrenzen hinweg seine Geradlinigkeit, seine faire objektive Verhandlungsleitung und seine ausgleichende menschliche Wesensart anerkannt. Am Rande der eigentlichen Parlamentsarbeit hatte Wurz zahlreiche Auslandskontakte geknüpft: Freundschaftliche Bande unterhielt er namentlich zu Parlamentariern in Jugoslawien, Österreich, der Schweiz und zu den französischen Nachbarn im Elsass. In seinem Wahlkreis, wo das Oberkommando der französischen Stationierungsstreitkräfte seinen Sitz hatte, hat Wurz immer wieder persönlich die deutsch-französische Verständigung bestärkt.
Über Jahre gehörte Wurz dem Rundfunkrat des Südwestfunks an. Ebenso war er Mitglied des anwaltlichen Ehrengerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Freiburg, ferner betätigte er sich in der Vereinigung für europäische Schiedsgerichtsbarkeit und europäisches Recht. Daneben wirkte Wurz in zahlreichen örtlichen Vereinen der mittelbadischen Region, viele haben ihn zu ihrem Ehrenmitglied gemacht. Seit dem Jahre 1956 amtierte Wurz als Präsident der Josef-Saier-Stiftung, die die Volksschauspiele in Ötigheim mitträgt. In seiner Heimatstadt förderte er namentlich das Theater, trat für den Ausbau des Flugplatzes im Stadtteil Baden-Oos ein. Zu einem Gutteil verdankt Baden-Baden Wurz den Erhalt verwaltungsmäßiger Selbständigkeit als Stadtkreis. In der Bäderstadt an der Oos verbrachte Wurz auch seinen Lebensabend. Auf dem Baden-Badener Hauptfriedhof hat er seine letzte Ruhestätte gefunden.
Quellen: GLA Karlsruhe 465a/51/68/309, 465c/1440; StAF D 75/1 Nr. 68, 111-121; Landtagsprotokoll 5/1968 vom 11.6.1968, 1 sowie 5/1972 vom 23.3.1972, 8947, 6/1976 vom 20.2.1976, 7739; Landtag von B-W, A, Vormappen Wurz, Nr. 1-4.
Werke: Die Freiburger Studentenschaft, in: Freiburger Universitätsführer, 1926, 116; Landtagsarbeit im Zeichen d. Parlamentsreform, in: Staatsanzeiger vom 14.1.1970; Der Landtag im Wandel des Bundesstaates, in: Staatsanzeiger vom 9.1.1971; Die Josef-Saier-Stiftung, in: Peter Selbach (Hg.), 75 Jahre Volksschauspiele Ötigheim, 1982, 75.
Nachweis: Bildnachweise: Porträtbüste von Sepp Jakob, Freiburg im Br., im Foyer des Landtags; A des Landtags von B-W, Fotodokumentation; Stadtmuseum Baden-Baden.

Literatur: Adolf Kühn, Volksschauspielgemeinde Ötigheim, 1964 2. Aufl., 210; Staatsanzeiger u. Stuttg. Nachr. vom 15.6.1968 u. 14.2.1969; Schwäb. Ztg. vom 17.7.1974; Stuttg. Ztg vom 18. u. 24.7.1974; Die Zeit vom 26.7.1974; FAZ vom 1.10.1975; Landkreisnachrichten aus B-W, 14. Jg. H. 4, vom 15.10.1975, 105; Kurt Haberer, B-W 23, 1976, 38; Karl Stiefel, Baden 1648-1952, 1977, 416; Die CDU in B-W u. ihre Geschichte, hg. von Paul-Ludwig Weinacht, 1978, 272, 285; Gerd Hepp, in: Josef Becker u. a., Bad. Geschichte, 1979, 271; BNN vom 26.9.1980; Paul Feuchte, Verfassungsgeschichte von B-W, Bd.1, 1983, 244; Heinz Steuber, Stuttg. Nachr. vom 26.9.1985 u. 10.2.1986; Stuttg. Ztg. vom 28.9.1985; Munzinger-A, Lfg. 11/86; BNN vom 10. u. 17.2.1986; Konradsblatt Nr. 8, Februar 1986; Reiner Haehling von Lanzenauer, Recht u. Gericht in Baden-Baden, 1987, 46; Josef Weik, Der Landtag von B-W u. seine Abgeordneten von 1952-1988, 1988 4. Aufl., 243; ders., Die Landtagsabgeordneten in B-W 1946-1997, 1997 6. Aufl., 142; Der Stadtkreis Baden-Baden, Kreisbeschreibungen des Landes B-W, hg. von d. Landesarchivdirektion B-W, 1995, 418; Angela Borgstedt, Entnazifizierung in Karlsruhe, 2001, 252; Michael Kißener, Zwischen Diktatur und Demokratie, 2003, 320; Fred Ludwig Sepaintner, Handbuch d. baden-württ. Geschichte, Bd. 4, 2003, 595.
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