Richter, Johanna 

Geburtsdatum/-ort: 17.03.1871;  Neckargemünd
Sterbedatum/-ort: 04.11.1943;  Konstanz
Beruf/Funktion:
  • Mitglied des Landtags – DNVP, Stadtverordnete in Heidelberg
Kurzbiografie: ca.1877-ca.1889 Volksschule in Achern und Neckargemünd Real- bzw. Bürgerschule in Achern, Privatunterricht in Neckargemünd, je ein Jahr Luisenschule und Frauenarbeitsschule, Jahr Seminar für Handarbeitslehrerinnen mit Examen in Karlsruhe
1906 Umzug nach Heidelberg
1918 Eintritt in die neugegründete DNVP
1919-1930 Stadtverordnete in Heidelberg
1921-1933 Mitglied des Landtags – DNVP
1922-1925 Schriftführerin des Landtags
1942 Umzug nach Pforzheim
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1906 August Richter (1860-1916)
Eltern: Vater: Johann Adam Laule, Steuereinnehmer
Mutter: Henriette, geb. Müller
Geschwister: nicht bekannt
Kinder: 2 Stiefkinder:
Auguste (geb. 1895)
Friedrich (geb. 1897)
GND-ID: GND/1012770605

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 237-238

Als 35-jährige heiratete Richter 1906 den zehn Jahre älteren Witwer August Richter, einen oberen Militärbeamten im Offiziersrang, der 1901 mit seinen beiden Kindern aus erster Ehe aus der Garnisonstadt Mülhausen im Elsass nach Heidelberg gezogen war. Als er 1916 starb, blieb sie „Frau Oberzahlmeister“, ein Titel, der den Zeitgenossen auch in den Jahren der Weimarer Republik respektvoll und geläufig über die Lippen ging. 1918 trat sie der eben neu gegründeten DNVP bei, einer Partei, die in Baden bei weitem nicht die Bedeutung hatte wie in Preußen. Der Gedanke liegt nahe, dass die Ehe mit einem Offizier preußischer Staatsangehörigkeit bei der Entscheidung für diese konservative, monarchistische und nationale Partei eine Rolle spielte. Richters Motiv, am politischen Leben der turbulenten Nachkriegsjahre aktiv teilzunehmen, darf man entsprechend der Zielsetzung ihrer Partei in der Wiederherstellung von Glanz und Größe der Kaiserzeit und des sozialen Friedens im Sinne der alten Ordnung suchen. Interessant ist, dass Richter auf die Mitgliedschaft im Deutschen Offiziersbund Wert legte und sie pflegte.
Als Mitglied des 84-köpfigen Heidelberger Bürgerausschusses setzte sie sich für den Schutz des Privateigentums ein. Kapitalaufnahmen der Stadt zu Gunsten der sozial Schwachen sah sie kritischer als ihre Kollegen weiter links. Für 1928 ist eine kleine Szene belegt: Vor vollem Haus und dicht besetzter Publikumstribüne ging ein Redebeitrag Richters „zum Teil bei dauernder Unruhe der Kommunisten verloren“. Die Ruppigkeiten und Pöbeleien in der politischen Auseinandersetzung, die damals nicht ungewöhnlich waren, hielten Richter nicht davon ab, 1930 erneut für den Bürgerausschuss zu kandidieren. Da ihre Partei nun aber durch die NSDAP rechts überholt wurde, reichte ihr Listenplatz Nr. 13 nicht mehr zum Einzug in das Gremium. Die DNVP erhielt nur noch zwei Sitze. Richter wurde bei den „Ersatzmännern“ geführt. Elf Jahre hatte sie als Stadtverordnete dem Bürgerausschuss angehört, von dem Zeitgenossen meinten, die Frauen seien darin gut vertreten: Nach 1926 waren es sechs, in der Wahlperiode davor immerhin neun. Bei der Wahl 1926 war die DNVP gemeinsam mit dem Landbund, der Aufwertungspartei und der Interessenvertretung des Einzelhandels als Bürgerliche Vereinigung angetreten und hatte nach der SPD das zweitbeste Ergebnis erzielt. Die Presse sprach von einem Sieg der „unpolitischen Wirtschaftsgruppen“.
Bemerkenswert scheint, dass Richter in der Ingrimstraße, zwischen Augustinergasse und Kornmarkt, nicht im eigenen Haus wohnte, sondern bei einem Steuereinnehmer zur Miete. Ihr Engagement für das besitzende Bürgertum war also wohl nicht in erster Linie durch eigene Interessen motiviert, vielleicht überhaupt nicht besonders kritisch reflektiert. Es entsprang viel eher einem traditionellen Gedankengebäude, worin Treue, Pflichterfüllung und Tradition tragende Teile waren. Als Richter 1921 für den Badischen Landtag kandidierte, erhielt sie ihr Mandat über die Landesliste der DNVP, 1925 über die der Bürgerlichen Vereinigung, 1929 wurde sie im Wahlkreis 13 (Karlsruhe-Stadt) gewählt. Dass sie 1922 in das vier-, später sechsköpfige Schriftführergremium berufen wurde, spricht für Zuverlässigkeit und Fleiß. Von 1921 bis 1928 gehörte sie dem Ausschuss „Gesuche und Beschwerden“ an. 1929 ist ihre Mitarbeit im interfraktionellen Ausschuss für Soziale Hygiene belegt. Themen in dieser Richtung hatten in ihren Redebeiträgen schon früher eine Rolle gespielt: Jugendschutz, Fürsorge für Kriegsbeschädigte, Notlage des Mittelstandes, Intensivierung des Turn- und Sportunterrichts, Rauchverbot an Schulen. Mit der Randbemerkung, Frauen sollte das Rauchen generell verboten werden, erregte sie Heiterkeit.
Als Schwerpunkt ihrer Abgeordnetentätigkeit lässt sich die Schulpolitik ausmachen. Wie die Liberalen war sie eine Verfechterin der in Baden längst eingeführten christlichen Gemeinschaftsschule, jedoch mit der für ihre Partei typischen Begründung, die Kinder des deutschen Vaterlandes sollten nicht konfessionell auseinanderdividiert, sondern als Volksgenossen erzogen werden. Expertin war sie auf dem Gebiet der Haushaltungsschulen und des Handarbeitsunterrichts für Mädchen an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen, den sie verbessert und intensiviert sehen wollte, nicht zuletzt durch eine anspruchsvollere Ausbildung der Lehrerinnen. Ihr Lieblingsthema war die Einführung eines Dienstjahres für Mädchen. Solange keine Möglichkeit bestehe, der „Jugend eine Wehrausbildung zu geben“, forderte sie auch das „Männliche Dienstjahr“. Während einer ihrer schulpolitischen Reden reagierte der kommunistische Abgeordnete Ritter, Metallarbeiter aus Mannheim, mit dem Zwischenruf: ,,Die Schulen in Kasernen umzuwandeln, das würde Ihnen passen!“
Die Rolle der Frau sah Richter ganz konservativ. Gute Bildung, auch berufliche Tätigkeit beurteilte sie positiv, wollte sie jedoch auf die traditionell weiblichen Bereiche beschränkt sehen. Keinesfalls sollten junge Frauen in Männerberufe hineindrängen. Mit der folgenden griffigen Beschreibung ihres Idealbildes erhielt sie Beifall von rechts: „Frauen und Mütter, von denen man sagen kann, dass Frauen Männer schaffen“. Der Impetus ihrer nationalen Gesinnung offenbarte sich, als sie den Antrag unterstützte, den badischen Schulabgängern ein Exemplar des Versailler Vertrages auszuhändigen. Die Jugend sollte erfahren, welche Fesseln und Sklavenketten sie behinderten und wie sie in nationalen Dingen „von außen her gehemmt“ sei. Wieder ist ein Kommunist als Zwischenrufer dokumentiert: „Immer ein bisschen hetzen!“ – Innerhalb ihrer Partei fungierte Richter als vierte Vorsitzende des Landesvorstands Baden, als Vorsitzende des Landes-Frauenausschusses, als Mitglied des Kreisvorstandes des Reichsfrauenausschusses und von 1929–1933 als Schriftführerin.
Die Lebensabschnitte vor und nach der Phase der politischen Aktivität sind nur dürftig belegt, vorrangig durch die Angaben in ihrem Personalbogen als Abgeordnete. Als Schülerin lebte Richter teils in Achern, teils in Neckargemünd, wohl den jeweiligen Dienstorten des Vaters, der im Finanzwesen tätig war. Dieser war Nationalliberaler und leitete – vermutlich zu Beginn der Kaiserzeit – die Ortsgruppe Neckargemünd. Auch der Großvater sei politisch aktiv gewesen als „Führer in der 1848er Bewegung“. Ihre Ausbildung in einer Frauenarbeitsschule, der Besuch eines Handarbeits-Lehrerinnen-Seminars sowie die Pflege der fremdsprachlichen Kenntnisse entsprachen dem damals Üblichen für eine „höhere Tochter“. Außergewöhnlicher hingegen war ihre intensive Sprachausbildung. Insgesamt hatte sie 5 Jahre in Frankreich und England zugebracht. Bei der Rückkehr in die Heimat war Richter Mitte 20, für die Suche nach einem standesgemäßen Ehepartner schon etwas verspätet. Sie heiratete denn auch erst zehn Jahre später. Vor der Eheschließung, die sie nach Heidelberg führte, hatte sie in Brötzingen bei Pforzheim gewohnt. 1942 zog sie wieder nach Pforzheim.
Quellen: StadtA Heidelberg, Meldeunterlagen; Adressbücher, Bestand AA 27/1-8; AA 26/1-6; GLA Karlsruhe 231/10957, fol. 99 f.; Meldeunterlagen Stadt Neckargemünd; Standesamt Konstanz, Sterbefall-Nr. 579/1943; Auskünfte des Standesamts Pforzheim u. des StadtA Neckargemünd.
Nachweis: Bildnachweise: bei Hochreuter (vgl. Lit.).

Literatur: Ina Hochreuter, Frauen im Parlament. Südwestdt. Abgeordnete seit 1919. Hg. v. Landtag B-W u. d. Landeszentrale f. polit. Bildung B-W, 1992, 61; Alfred Rapp, Bad. Landtag, 1929; Verhandlungen des Bad. Landtags, Protokollhefte d. amtl. Niederschriften Nr. 532-570.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)