Schlenke, Manfred 

Geburtsdatum/-ort: 01.11.1927; Wuppertal
Sterbedatum/-ort: 15.11.1997; Bad Nauheim
Beruf/Funktion:
  • Historiker
Kurzbiografie: 1946-1951 Reifeprüfung, dann Studium an der Philipps-Universität Marburg
1953 Promotion an der Philosophischen Fakultät der Universität Marburg
1956-1962 Wissenschaftlicher Assistent am Seminar für Neuere Geschichte der Universität Marburg
1962 Habilitation für das Fach Mittlere und Neuere Geschichte
1963-1964 Universitätsdozent für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Marburg
1964-1965 Gastprofessur in Chicago
1965-1988 ordentlicher Professor für Neuere Geschichte an der Universität Mannheim
1969 Prorektor der Universität Mannheim
1973-1989 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft zur preußischen Geschichte e. V.
1976 Gastprofessur in London
1977-1992 Vorsitzender des Vereins zur Förderung des Britisch-Deutschen Historikerkreises und des Wissenschaftlichen Beirates des Deutschen Historischen Instituts London
1978 Gastprofessur in Tel Aviv
1979-1981 Wissenschaftlicher Leiter der Preußen-Ausstellung Berlin
1988 Emeritierung
1991 Fellow der Royal Historical Society London
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1956 (London) Irmtraud, geb. Paul (geb. 1927)
Eltern: Vater: Paul Ewald (1897-1973), Amtmann
Mutter: Emmy (1896-1978)
Geschwister: Ewald Horst (1924-2003)
Kinder: Michael Alfred (geb. 1957)
Dorothee (geb. 1961)
Berthold (1964-1982)
GND-ID: GND/1012787079

Biografie: Wilhelm Kreutz (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 322-324

Seine Kindheits- und Jugendjahre, die Arbeits- und Wehrdienst 1944 ebenso beendeten wie den Besuch der Carl-Duisberg-Oberschule, verlebte Schlenke in Wuppertal. Nachdem er 1946 in einem Lehrgang für Kriegsteilnehmer die Hochschulreife erworben hatte, begann er im selben Jahr sein Studium an der Philipps-Universität in Marburg. Die Studienfächer Geschichte, Anglistik, Latinistik und Wissenschaftliche Politik, zu denen ab 1949 Staats- und Völkerrecht hinzukamen, unterstreichen die Vielfalt und Breite seiner Interessen. Sie sollten sich jedoch bald auf die Geschichte der Neuzeit konzentrieren, wie seine 1953 von Fritz Wagner angenommene Dissertation über den schottischen Historiker der Aufklärung und Freund von Adam Smith, William Robertson (1721-1793), belegt. Diese Arbeit über die Anfänge der wissenschaftlichen Historiographie auf der britischen Insel markierte zugleich den Beginn seiner – 1955/56 während eines Englandaufenthalts als Stipendiat des British Council intensivierten – Auseinandersetzung mit der Geschichte Großbritanniens. In London bereitete er seine Habilitationsschrift vor, die er als Assistent am Seminar für Neuere Geschichte der Universität Marburg (ab 1956) 1962 abschloss und ein Jahr später publizierte.
Die Studie „England und das friderizianische Preußen 1740-1763. Ein Beitrag zum Verhältnis von Politik und öffentlicher Meinung im England des 18. Jahrhunderts“ wies nicht nur auf seinen späteren Preußen-Schwerpunkt voraus, sondern begründete vor allem seinen Ruf als Englandhistoriker. Denn methodisch betrat Schlenke Neuland, lenkte er den Blick doch weg von der Ereignis- oder Parlamentsgeschichte auf das Preußenbild in der englischen Öffentlichkeit, deren Debatten er anhand von Flugschriften, Predigten, Zeitungen oder Karikaturen differenziert analysierte. Mit dieser wegweisenden Studie zur Wahrnehmung Friedrichs und des friderizianischen Preußen in England antizipierte er die Fragestellungen der erst Jahre später sich durchsetzenden Perzeptionsforschung. Dies würdigten dann seine Mannheimer Kollegen und Schüler, die ihm zum 65. Geburtstag den Sammelband „Das kontinentale Europa und die britischen Inseln. Wahrnehmungsmuster und Wechselwirkungen seit der Antike“ widmeten.
Eine Gastprofessur in Chicago leitete das Ende der Marburger Jahre ein, denn noch in den USA erhielt Schlenke den Ruf auf eine ordentliche Professur für Neuere Geschichte an die im Um- und Ausbau begriffene Staatliche Wirtschaftshochschule Mannheim, die 1967 in Universität Mannheim umbenannt wurde. Die Gründungsphase und das erste Jahrzehnt der Universität Mannheim, die 1969 ihre erste Grundordnung erhielt, gestaltete Schlenke durch seine Mitarbeit in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung aktiv mit: als mehrfacher Dekan der Philosophischen Fakultät bzw. der Fakultät für Geschichte und Geographie, als Prorektor der Universität (1969), als Vorsitzender der Bibliothekskommission, als Vorstand des Studentenwerks, als Vorsitzender des Forschungsrats oder als stellvertretender Vorsitzender des Großen Senats. Er begründete sowohl das zunächst nur durch seinen Lehrstuhl vertretene Fach Geschichte als auch das Historische Institut, dem er als langjähriger Direktor – und fürsorglicher Patriarch – seinen Stempel aufdrückte.
Seine Dialogfähigkeit und sein Bemühen, Meinungsverschiedenheiten in sachlichen Gesprächen auszutragen und auszuräumen, bestimmten die Atmosphäre des Instituts. All dies sicherte Schlenke selbst in den Jahren des politischen Aufbegehrens die Anerkennung der Studenten. Gleichwohl, joviale Verbrüderungen waren ebenso wenig seine Sache wie scharfe Konfrontationen. Er war in gesellschaftlicher wie politischer Hinsicht ein „Mann der Mitte“, verwurzelt im Protestantismus und geprägt von der Bewunderung für britische Lebensart und demokratischen „common sense“. Trotz seines skrupulösen Wesens zog er sich nicht in den Elfenbeinturm sich selbst genügender Gelehrsamkeit zurück, für ihn war die Universität immer auch ein Ort der öffentlichen Diskussion.
So richtete er von Anfang an sein Augenmerk darauf, Fach wie Institut sowohl in der Universität als auch im Bewusstsein der städtischen wie wissenschaftlichen Öffentlichkeit zu verankern. Er begründete das interdisziplinäre Europa-Institut mit, in dem Historiker, Politologen, Juristen und Philologen gemeinsam forschten, er initiierte das von ihm 1967 erstmals herausgegebene Universitätsbuch und er schlug mit zahlreichen Vorträgen und Vortragsreihen die Brücke zwischen historischer Forschung und interessierten Bürgern. Die Ausrichtung des Deutschen Historikertags lenkte 1976 schließlich auch die Blicke der historischen Zunft auf das junge Historische Institut der Universität Mannheim.
Seine organisatorischen Fähigkeiten stellte Schlenke zudem als Mitbegründer des Deutschen Historischen Instituts in London (1975/76) unter Beweis, zu dessen erfolgreicher Arbeit er von 1977 bis 1992 als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates und des (Träger-)Vereins zur Förderung des Britisch-Deutschen Historikerkreises entscheidend beitrug. Am engsten verbunden blieb er bis zu seinem Tod freilich der 1973 von ihm mit aus der Taufe gehobenen Arbeitsgemeinschaft zur Preußischen Geschichte, die auf ihren jährlichen Arbeitstagungen und in ihren Publikationen für eine vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit der seit dem „Dritten Reich“ in Misskredit geratenen preußischen Geschichte eintrat. Mehr und mehr trieben ihn die Fragen nach der Ambivalenz des preußisch-deutschen Erbes und dessen Verhältnis zur demokratischen Tradition Westeuropas um. Neben die Geschichte Großbritanniens und die der internationalen Beziehungen im 20. Jahrhundert rückten nun Preußen, das „Dritte Reich“ und vor allem die propagandistische Indienstnahme Preußens durch die Nationalsozialisten in den Mittelpunkt von Lehre und Forschung.
Diesem Engagement verdankte Schlenke 1979 die Berufung zum wissenschaftlichen Leiter der von der Berliner Landesregierung und ihrem SPD-Bürgermeister, Dietrich Stobbe, geplanten Preußen-Ausstellung. Sie fand 1981 unter dem Titel „Preußen – Versuch einer Bilanz“ im In- und Ausland große Resonanz. Schlenkes kritischem Resümee der janusköpfigen preußischen Geschichte zollten – trotz Kritik von rechts wie links außen – die große Mehrzahl der Kritiker gerade auch aus dem westeuropäischen Ausland und die in den Berliner Gropiusbau strömenden Besucher ungeteilten Beifall.
Aber der Erfolg konnte die Verletzungen durch die publizistischen Attacken von Seiten altpreußischer Traditionalisten, selbsternannter borussischer Gralshüter und der Springer-Presse nicht völlig überdecken. Schlenke war – als Privatmann wie als Wissenschaftler – ein Mann des Ausgleichs, er suchte den Kompromiss, Polarisierungen waren ihm wesensfremd. Umso schutzloser war er polemischen Angriffen ausgeliefert, umso größeren Tribut musste er den Jahren des Berliner Meinungsstreits zollen. Gesundheitliche Probleme, die seine Aktivitäten schon in der Vergangenheit beeinträchtigt hatten, nahmen zu, familiäre Schicksalsschläge wie der Unfalltod seines jüngsten Sohns kamen hinzu, sodass Schlenke nach Vollendung seines sechzigsten Lebensjahrs um vorzeitige Emeritierung bat. Doch völlig ließ ihn auch in Bad Nauheim, seinem Alterssitz, die Geschichte nicht los. Neben der Arbeit an dem leider unvollendet gebliebenen Forschungsprojekt „Nationalsozialismus und Preußentum“ regte Schlenke 1989 beim Kulturamt der Stadt Bad Nauheim die Konstituierung einer „Arbeitsgemeinschaft Geschichte“ an. Seine persönlichen Kontakte zu Historikern des In- und Auslands bildeten die Basis erfolgreicher jährlicher Vortragsreihen, die über seinen Tod hinaus regen Zuspruch fanden und noch heute finden.
Am 1. November 1997 feierte Schlenke im Kreise seiner Familie seinen 70. Geburtstag, eine unumgängliche Herzoperation indes überlebte er einige Tage später nicht.
Werke: William Robertson als Geschichtsschreiber des europ. Staatensystems, Diss. phil. Marburg 1953, Masch.; (Mithg.) Geschichte in Quellen, 6 Bde., 1961 ff.; England u. das friderizianische Preußen 1740-1763, 1963; Das „preußische Beispiel“ in Propaganda u. Politik des Nationalsozialismus, in: Aus Politik u. Zeitgeschehen. Beilage zur Wochenzeitung „Das Parlament“ 27, 1968, 15 ff.; (Hg.) John Stuart Mill. Über die Freiheit, 1974. Die Westmächte u. das NS-Deutschland, in: Kriegsbeginn 1939, 1976, 285 ff.; England blickt nach Europa: Das konfessionelle Argument in d. englischen Politik um die Mitte des 18. Jh.s, in: Aspekte dt.-britischer Beziehungen im Laufe d. Jahrhunderte, 1978, 24 ff.; (Hg.) Preußen. Beiträge zu einer politischen Kultur, 1981; Nationalsozialismus u. Preußen/Preußentum, in: Das Preußenbild in d. Geschichte, 1981, 247 ff.; (Hg.) Preußen-Ploetz. Eine historische Bilanz in Daten u. Deutungen, 1983; (Mithg.) Friede u. Friedenssicherung in Vergangenheit u. Gegenwart, 1984; Die sog. Reichskristallnacht: Legende, Wirklichkeit, Mahnung, 1989. Nationalsozialismus u. Preußen, in: Potsdam. Märkische Kleinstadt – europäische Residenz, 1995, 307 ff.; Preußens Weg in die Moderne, in: Macht u. Kunst, Geist u. Macht in Brandenburg-Preußen, 1996, 4 ff.
Nachweis: Bildnachweise: Mitt. d. Gesellschaft d. Freunde d. Univ. Mannheim e. V. 37, 1, 1988, 63; Uni-Report Mannheim, Ausg. 4/1988, 7; Uni-Report Mannheim, Ausg. 5/1992, 6.

Literatur: Preußen: Berlin 1981. Ausstellung u. Preußenbild im Spiegel d. Medien. Red. K. Haetzel, 1982; Berlin, das kontinentale Europa u. die britischen Inseln. Wahrnehmungsmuster u. Wechselwirkungen seit der Antike. M. Schlenke zum 65. Geburtstag gewidmet, hg. von G. Niedhart, 1993; Briten u. Preußen. M. Schlenke wird 70, in: FAZ Nr. 254 vom 1.11.1997, 38; M. Erbe, M. Schlenke (1927-1997), in: Uni-Report Mannheim, Ausg. 1/1998, 10; Briten u. Preußen. M. Schlenke wird 70, in: FAZ Nr. 254 vom 1.11.1997, 38; L. Kettenacker, M. Schlenke (1927-1997), in: German Historical Institute London Bulletin Vol. XX, 1, 1998, 108 ff.; System u. Freiheit. Zum Tod von M. Schlenke, in: FAZ Nr. 270 vom 20.11.1997, 44.
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