Schneider, Gottlob 

Geburtsdatum/-ort: 04.01.1857;  Lauffen am Neckar
Sterbedatum/-ort: 19.10.1930;  Ettlingen
Beruf/Funktion:
  • Papiergroßhändler und -fabrikant
Kurzbiografie: 1863–1871 Volksschule in Lauffen am Neckar, dann zus. mit den Geschwistern in Mannheim u. Ludwigshafen; Ausbildung zum Handelskaufmann in einer Altstoffhandlung; bei Hadern-Lieferungen Kontakt mit d. Papierfabrik Buhl in Ettlingen
1874 Bürotätigkeit in d. Papierfabrik Buhl
1884 Kollektivprokura bei Buhl
1890 Einzelprokura bei Buhl
1902 Gründung eines Filzhandelsunternehmens, 1903 unter dem Namen des Schwagers Otto Rissel eingetragen, Söhne werden Teilhaber
1904 (1907?) Kündigung bei Buhl
1906 Nach Rissels Tod auch Übernahme des Einzelhandels
1907 Aufbau des Papiergroßhandels
1911 Papier-Lagerräume Hirschgasse 13
1919 „Gottlob Schneider&Söhne OHG“ ins Handelsregister eingetragen; Lager u. Büro in d. Karlsruher Str. 10
1922–1924 Umwandlung in eine GmbH u. Gründung d. Filiale in Frankfurt am Main, 1924 in Köln
1925 Übernahme d. Aktienmehrheit d. Papierfabrik Buhl
1928 Gelände d. Konservenfabrik Hansa erworben in d. Bulacher Str. 51, je 1/6 Eigentum zus. mit fünf Söhnen; Trennung von Papier- u. Filzgroßhandel, Umzug d. Papierabteilung in die Bulacher Straße
1986 „Gottlob-Schneider-Straße in Ettlingen
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1883 (Ettlingen) Emilie, geb. Rissel (1861–1932)
Eltern: Vater: Christian Friedrich (1805–1866), Seifensieder
Mutter: Christine Elisabeth (* 1814)
Geschwister: 10; 5 Geschwister u. 5 Halbgeschwister aus d. 1. Ehe des Vaters
Kinder: 8; Albert (1884–1961), Ehemann von Ria Schneider (vgl. BWB 5), Emil (* 1885), Hedwig (* 1887), Paul (* 1888), Walter (1890–1914, gefallen), Else (* 1892), Siegfried (* 1896) u. Rudolf (* 1899)
GND-ID: GND/1018929487

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 353-356

Es nimmt sich als beachtliche Karriere aus, wie aus Schneider, dem mittellosen Halbwaisen, einer der großen Unternehmer auf dem Papiersektor wurde. Schneider begann 17-jährig als einfacher Kaufmannsgehilfe bei der Ettlinger Traditionsfirma Buhl. Schon 16 Jahre später war er zum Einzelprokuristen dieses Unternehmens geworden. Inzwischen, die Anfänge liegen mit Sicherheit vor seinem Ausscheiden aus dieser Firma, gründete er, immer tatkräftig unterstützt von seiner Frau und den Söhnen, ein Filz- und Papierhandelsunternehmen und agierte so erfolgreich, dass es zum bedeutenden Großhandel heranwuchs und Schneider 1925 sogar in der Lage war, die Papierfabrik Buhl durch Übernahme der Aktienmehrheit vor dem Zusammenbruch zu retten. Der 68-jährige führte das Traditionsunternehmen weiter. Die Anteile verteilte er gleichmäßig auf seine fünf damals noch lebenden Söhne; seinem Altersgenossen Rudolf Buhl, mit dem er sich immer gut verstanden hatte, blieb ein „Anstandsrest“.
Viele Details und Motive dieses Lebens bleiben im Unklaren, vor allem wann genau und warum Schneider seine angesehene Stellung als Prokurist bei Buhl zugunsten einer unsicheren Zukunft als selbständiger Händler aufgegeben hat. Spärliche Quellen lassen viele Mutmaßungen zu. Abenteuerlust oder Risikofreude mögen es nicht gewesen sein; das passte kaum zu dem verlässlichen, ausgeglichenen Familienmenschen. Schneider war Vater von acht Kindern, glücklich verheiratet, dazu Ziehvater auch der Kinder seines Schwagers Otto Rissel, der 1906 vor der Geburt seines siebten Kindes verstarb. Beide Familien lebten unter einem Dach im Haus Rissel an der Alb. Schon eher mag Unzufriedenheit wegen zu geringer Innovationsbereitschaft der Buhlschen Firmenleitung bei Schneider bestanden haben. Der Firmenchronist Alfred Wagner (1921–2004) zumindest vermutet das. Vielleicht spielt auch die Zäsur in der Firmengeschichte eine Rolle: der Rückzug des Seniorchefs aus dem Geschäft 1902.
Sicher ist, dass Schneider auf wachsende Bedeutung des Großhandels gegenüber der Direktvermarktung gesetzt hat. Vielleicht sollte man dabei auch die Hilfestellung des Schwagers und Geschäftsmanns Otto Rissel bedenken, und auch den Einfluss der tüchtigen Ehefrau nicht vergessen, schreibt doch Wagner: Die Firmengeschichte begann, „als Mutter Emilie mit den schulpflichtigen Söhnen anfing, Altfilze in der Alb zu waschen, an der Böschung zu trocknen und anschließend als Kuhdecken zu verkaufen.“ (Wagner, 12. Fortsetzung)
Der Filzhandel jedenfalls war die Keimzelle des Schneiderschen Unternehmens. Firmenadresse war das Risselsche Anwesen in der Albstraße 19. 1907 erst kam der Papierhandel dazu, in enger Kooperation mit Buhl als Hauptlieferanten. Von Anfang an bezog Schneider damals bereits die erwachsenen Söhne als Teilhaber mit ein; die Ehefrau war vertraglich vor Abhängigkeit im Fall der Witwenschaft abgesichert. 1911 bot sich die Gelegenheit, den Papierhandel – Lager und Büro – in die ebenfalls in der Ettlinger Altstadt gelegene Hirschgasse 13 zu verlegen. Nach wie vor firmierten Filz- und Papierhandel unter dem Namen des Schwagers Otto Rissel, dessen Firma als „Einzelhandel für Kolonialwaren, Schuhe, Kohlen und Briketts“ eingetragen war.
In diesem Zusammenhang fällt ein Streiflicht auf die Schwierigkeiten der frühen Jahre des Schneiderschen Unternehmens. Ein konkurrierender Geschäftsmann aus Heilbronn forderte 1913 die Papierfabrik Koehler in Oberkirch dazu auf, den „Kolonialwarenhändler in Ettlingen“ (Wagner, 7. Fortsetzung) nicht zu beliefern. Schneider indessen zeigte Charakterstärke, hielt an der Firmengemeinschaft fest; denn er löste das Versprechen ein, das er dem Schwager vor dessen Tod gegeben hatte, die Firmen erst zu trennen, wenn dessen Kinder geschäftsfähig seien. Das trat 1919 ein.
Durch Professionalität, Fleiß, Disziplin und spartanische Einfachheit aller Familienmitglieder wuchs in den Jahren vor dem I. Weltkrieg gediegener Wohlstand im Hause Schneider, dessen Jahresumsatz Wagner 1913 auf 358 052 Mark beziffert. Als Beispiel für eine mutige unternehmerische Entscheidung und vorausschauende Einschätzung der Marktentwicklung angesichts der Kriegswirtschaft nennt Wagner den Ankauf von 50 t hochwertigen Papiers 1915 von der Kösliner Papierfabrik AG in Pommern, dem anderen wichtigen Handelspartner Schneiders neben Buhl. Das war ein riesiger Vorrat, der die Lagerkapazität in der Hirschgasse fast sprengte. Vorteilhaft für die Zukunft des Unternehmens waren auch die Geschäftsbeziehungen in die Schweiz, die der Ettlinger Stadtchronist Stemmermann erwähnt. Dadurch sei Kapital angewachsen, das im Krieg und vor allem danach hilfreich wirkte.
1919 konnte Schneider in der Karlsruher Straße jedenfalls neues Firmengelände erwerben. Da der wachsende Raumbedarf der Papier- und Filzgroßhandlung damit noch immer nicht gedeckt war, wurde zusätzlicher Lagerraum in den benachbarten Kasernen angemietet. Diese Räume mussten damals einer zivilen Verwendung zugeführt werden. Ettlingen lag in der entmilitarisierten Zone. Dieser Umzug markiert einen weiteren Einschnitt in der Firmengeschichte, verbunden nun mit dem Eintrag der Firma „Gottlob Schneider&Söhne OHG“ als eigenständigem Betrieb im Ettlinger Handelsregister. Persönlich haftende Gesellschafter waren Schneider und seine Söhne. Die Großhandelsumsätze beliefen sich 1919 bereits auf 756 349 Mark. Schneider meldete dem Hauptsteueramt Karlsruhe, dass ab 1920 für Rissel und die Firma Schneider getrennte Steuerklärungen eingereicht würden.
Der mittlerweile 62-jährige durchlief damals eine unruhige Zeit voller folgenreicher Maßnahmen. Die Geldentwertung war schon spürbar, wenn auch noch nicht als unabwendbar zu erkennen. Offensichtlich machte sich mittlerweile auch Schneiders Alter bemerkbar; denn die junge Generation scheint fortan den Gang der Dinge geprägt zu haben. Sie plädierte dafür, den Sparkurs aufzugeben, auch über Kredite zu investieren. Als der wichtige Handelspartner Köslin 1921 kurzfristig eine günstige Lieferung im Wert von 950 000 Mark anbot, hatten Albert und Siegfried Schneider, die späteren Leiter der Papierabteilung, Mühe, dem Vater die Zustimmung zum Kauf abzuringen. Wie hoch das Risiko war, lässt sich daran erkennen, dass der Wert des Schneiderschen Warenlagers damit auf rund 3,5 Mio. Mark anwuchs. Im selben Jahr musste der Senior auch seine Vorbehalte gegen die Motorisierung aufgeben. Fahrzeuge wurden angeschafft, der Schritt zum Aufbau einer eigenen Logistik war getan. 1922 stimmte Schneider dann der von den Söhnen angeregten Umwandlung der Gesellschaftsform in eine GmbH zu, was im Januar 1923 protokolliert wurde. Jeder der fünf Gesellschafter war mit 400 000 Mark am Firmenvermögen beteiligt. Das veranschaulicht den inzwischen erreichten Wohlstand der Familie. Erste Filialen wurden gegründet, in Frankfurt, dann in Köln, nach Schneiders Tod auch in Freiburg.
1925 erfüllte sich ein Lebenstraum für Schneider. Er konnte die Papierfabrik Buhl vor dem Zusammenbruch retten und übernehmen, die Produktion fortsetzen und die Arbeitsplätze erhalten. Den alten Namen Buhl behielt er bei. Stemmermann sieht den Grund für den Niedergang von Buhl in allzu ausgiebigem Zeichnen von Kriegsanleihen. Wagner hält die veralteten Produktionsanlagen für ausschlaggebend; beides mag zutreffen. Diese Übernahme jedenfalls war der Höhepunkt im Leben von Schneider, der mit seiner Frau noch immer bescheiden in der Albstraße wohnte; lediglich einmal im Jahr wurde in Badenweiler gekurt, später kamen zuweilen ein paar Urlaubstage auf der Bühler Höhe hinzu.
Den nächsten Expansionsschub erlebte Schneider noch, als sich am Vorabend der Weltwirtschaftskrise die Chance bot, die Ettlinger Filiale der „Hansa Konservenfabrik AG, Grünstadt/Pfalz“ an der Bulacher Straße zu übernehmen. Die Geschäftspartner erhielten folgende Nachricht: „In unserer neuen Anlage […] mit eigenem Gleisanschluss sind unserer Leistungsfähigkeit keine Grenzen gesetzt“. Eine knappe Firmengeschichte im Bild zeigte die bisherigen Standorte: 1907 bis 1911 die Albstraße, 1911 bis 1919 die Hirsch-, 1919 bis 1928 die Karlsruher- und nun die Bulacher Straße. Den Ursprung der Firma führte man damals also auf den Beginn des Papierhandels 1907 zurück. Später erst setzte sich 1902 als Gründungsjahr durch und wurde 2002 in einer Festschrift gewürdigt. Schneider, inzwischen liebevoll „Papa Schneider“ genannt, hatte um die Wende zum 20. Jh. schon die Funktion des Seniorchefs inne.
Zwei Jahre darauf verstarb er. Nachrufe berichten, wo er ehrenamtlich engagiert war: im Bürgerverein Ettlingen und ab 1879 als Vorstand im Turnverein. Fraglos wichtigstes Faktum aber blieb, dass Schneider der „Gründer einer der führenden Papiergroßhandlungen in Deutschland und dem angrenzenden Ausland“ und ein wichtiger Arbeitgeber am Ort war. 1986 wurde eine Ettlinger Straße nach ihm benannt.
Quellen: A d. heut. Nachfolgefirma „Papyrus“, Ettlingen, dort u. bei Christian Schneider, Ettlingen, auch Kopien des Ordners mit den Fortsetzungsbeiträgen von A. Wagner, „Werden u. Wachsen“ (vgl. Literatur); Auskünfte von Christian Schneider, Ettlingen, vom Sommer 2010.
Nachweis: Bildnachweise: Alfred Wagner, Fortsetzungen 3, 5, 13 f. u. 16; Sabine Lehmkühler, 2002, 11 (vgl. Literatur).

Literatur: Todesanzeigen u. Nachrufe in: „Der Bad. Landmann“ u. „Mittelbad. Kurier“ vom 20. 10. 1930 (abgedr. in: A. Wagner, siehe unten, 16. Fortsetzung); Rüdiger Stenzel, Ettlingen, kleine Industriestadt am Großstadtrand, in: Geogr. Rundschau 6, Juli 1963, 247; Hans Leopold Zollner, Neptun als Stadtchronist, Ettlingen in Wort u. Bild, 1966, 128–135 u. 152; Paul H. Stemmermann, Die bad.-pfälzische Familie Buhl. Biographie einer Familie von Industriepionieren u. liberalen Politikern, in: Oberrhein. Studien Bd. II, Hg. von Alfons Schäfer, 1973, 285–334; Alfred Wagner, Werden u. Wachsen von G. S.
&S., 27 Fortsetzungen von Aufsätzen zur Firmengeschichte, anfangs gedr. in: „G.S.&S. intern“, Firmenzs., später als Einzelfortsetzungen im gleichnamigen Ordner, ca. 1984–1998 (vgl. Quellen); Rüdiger Stenzel, Die raumwirksamen Kräfte in d. Ettlinger Landschaft, 1987, 69–72; Sabine Lehmkühler, 100 Jahre Schneidersöhne. People and Paper, 2002, 11–36.
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