Speer, Eugen Friedrich 

Geburtsdatum/-ort: 22.01.1887;  Bruchsal
Sterbedatum/-ort: 07.10.1936;  Hagsfeld bei Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • NSDAP-Kreisleiter und Gauinspektor, Bürgermeister, MdL-NSDAP
Kurzbiografie: 1904–1918 Soldat bei d. Kaiserl. Marine, zuletzt: Feldwebel bei d. 4./I. Werft-Division in Kiel
1918 Aktiver u. führender Teilnehmer an d. Revolution in Kiel
1920 Entlassung aus d. Marine als Leutnant a. D.
1922 Mitglied d. NSDAP
1927/28 Versicherungsinspektor bei d. Bad. Landwirtschaftskammer
1929 Umzug nach Güttingen bei Radolfzell am Bodensee, dort auch Gemeinderat
1930 NSDAP-Kreisleiter von Konstanz, genannt „Feldmarschall vom Bodensee“
1933 MdL-NSDAP
1934–1935 Bürgermeister von Radolfzell
1935 Ausschluss aus d. NSDAP durch Beschluss des Gaugerichts in Karlsruhe
1936 Organisationsleiter d. Haftpflichtversicherungsanstalt d. Bad. Landwirtschaftskammer
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Auszeichnungen: Goldenes Parteiabzeichens d. NSDAP; Ehrenbürger von Radolfzell (1933) u. von Güttingen, Liggeringen, Langenrain, Markelfingen u. Wahlwies (1934)
Verheiratet: Magdalena, geb. Kall (* 1889)
Eltern: Vater: unbekannt
Mutter: Mina Speer aus Riechen (Amt Eppingen), ledig, ohne Beruf
Geschwister: keine
Kinder: 2; Annemarie (geb. 1909) u. Eugen Friedrich (* 1915)
GND-ID: GND/1018932461

Biografie: Jürgen Klöckler (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 382-384

Der gebürtige Bruchsaler kam unehelich zur Welt und wuchs offensichtlich in bescheidenen sozialen Verhältnissen auf. Mit 17 Jahren trat er als Soldat in die kaiserliche Marine ein, in der er auch während des I. Weltkriegs diente, allerdings im Heeresdienst und nicht zur See. An der Novemberrevolution hat Speer in Kiel führend teilgenommen und wurde von den Aufständischen in die Position eines Beigeordneten des Kommandeurs der Ersten Werft-Division gewählt. Hier zeigte sich schon ein wesentlicher Charakterzug: Ein unbedingter und gnadenloser Machtwille gepaart mit schier cholerischer Intransigenz. An die „rote“ Revolution glaubte er 1918/19 genauso inbrünstig wie er bald schon glühender Anhänger Adolf Hitlers werden sollte. Den Lebensunterhalt bestritt er für seine vierköpfige Familie aus den Erträgen einer gepachteten Marinekantine in Kiel. 1919 verzog die Familie nach Vaasbüttel bei Hohenwestedt in Schleswig-Holstein. Auch hier versuchte sich Speer als Gastronom, doch er wirtschaftete das gepachtete Lokal herunter. Überschuldet radikalisierte er sich in den Inflationsjahren in politisch diametral entgegengesetzter Richtung. Er trat dem Werwolf, dann der Deutsch-Völkischen Freiheitsbewegung und nach eigenen Angaben schließlich im Juni 1922 der NSDAP bei. Aus der wirtschaftlich drückenden Lage versuchte er sich ab 1927 als Versicherungsinspektor der Haftpflichtversicherungsanstalt der Bad. Landwirtschaftskammer zu befreien, was auch einen Umzug an den Bodensee nach sich ziehen sollte. Er ließ sich 1929 in dem kleinen Dorf Güttingen nahe Radolfzell nieder, wo er an seinem Anwesen als einer der ersten am Bodensee die Hakenkreuzfahne aufzog. Rasch arbeitete er sich rücksichtslos und brutal innerhalb der regionalen NSDAP nach vorne. Speer dränge – so das sozialdemokratische Konstanzer Volksblatt vom 29. August 1932 – „Unterbezirksführer für die Nationalsozialisten im Seekreis zu werden, natürlich gegen Bezahlung“. Agitatorisch „glänzte“ der als „Feldmarschall vom Bodensee“ titulierte NSDAP-Kreisleiter durch ehrenrührige verbale und publizistische Angriffe auf demokratische Politiker von Zentrum und SPD. Sein Sprachrohr war der in Karlsruhe erscheinende „Führer“, für dessen Beilage „Bodensee-Rundschau“ Speer verantwortlich zeichnete, bis im Herbst 1932 das NS-Blatt in Konstanz selbständig erscheinen konnte. Zu einem seiner Intimfeinde wurde ein sozialdemokratischer, kriegsinvalider Gemeinderat der Nachbargemeinde Liggeringen, mit dem er sich in der Presse – in der „Bodensee-Rundschau“ und in der Singener SPD-Tageszeitung „Der Volkswille“ – einen heftigen Schlagabtausch lieferte, der erst mit der „Machtergreifung“ endete. Als Kreisleiter war es Speer im Frühjahr 1933 eine Genugtuung, persönlich eine Vielzahl demokratisch gewählter Politiker „mit eisernem Besen“ aus den kommunalen Gremien zu entfernen.
Am 5. März 1933 wurde Speer für die NSDAP in den bad. Landtag gewählt, ohne allerdings irgendwie hervorzutreten – was angesichts seiner nicht ausgeprägten intellektuellen Fähigkeiten und seinem rhetorischem Unvermögen („knappe, markige Reden“) auch nicht verwundert. Als Konstanzer NSDAP-Kreisleiter, der in der Endphase der Weimarer Republik selbst vor öffentlicher Bedrohung von Richtern nicht zurückschreckte („Diese dort merkt euch für später“), erzwang er am 6. März 1933 das Ausbringen der Hakenkreuzfahne am Konstanzer Rathaus. Sein Einsatz wurde belohnt, als Mitte Mai 1933 Gauleiter Robert Wagner (➝ II 297) den geltungs- und prestigesüchtigen Speer zum Gauinspekteur für die Kreise Engen, Konstanz, Meßkirch, Pfullendorf, Stockach und Überlingen bestimmte.
Der unbezahlte NSDAP-Kreisleiter und Gauinspekteur Speer drängte nach der „Machtergreifung“ auf einen besoldeten Posten, den er nach einer mehrwöchigem „Nachschulung“ auf der Berliner Reichsführerschule als Bürgermeister von Radolfzell auch erhalten sollte. Am 12. Februar 1934 bemerkte die Tageszeitung „Freie Stimme“ über den neuen Bürgermeister: „Der Siegeszug der Hitlerbewegung in der Seegegend ist zu einem nicht geringen Teil seinem Einfluss und seiner überaus aktiven und energischen Förderung zu verdanken. So war es nur selbstverständlich, dass Herr Speer nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler im Kreis Konstanz auf führenden Posten stand und später auch zum Gauinspektor ernannt wurde.“ Gleichzeitig mit der Berufung von Speer wurde der Radolfzeller Gemeinderat umgebildet und ausschließlich mit Nationalsozialisten besetzt. Als Stadtoberhaupt und NSDAP-Kreisleiter trieb der neue Bürgermeister das Projekt eines Kasernenbaus für die SS-Verfügungstruppe III/Germania voran.
Doch wie viele „alte Kämpfer“ der Bewegung war auch der fanatische Agitator mit komplexen Verwaltungsaufgaben vollständig überfordert; der deutliche Machtzuwachs trübte seinen eingeschränkten Blick für die Realität noch mehr. Nach dem Zeugnis seines Amtsnachfolgers hat er „restlos versagt und böse Misswirtschaft getrieben“, als Kreisleiter habe er sich zudem „Verfehlungen über Geldbeträge“ zuschulden kommen lassen. Er schreckte beispielsweise auch nicht davor zurück, im März 1935 in Güttingen den NSDAP-Ortsgruppenleiter „öffentlich zu beschimpfen und zu ohrfeigen“. Zwangsläufig endete die Karriere mit dem Sturz des „alten Kämpfers“. Bereits im Sommer 1934 wurde er als Kreisleiter abgelöst – sein kommissarischer Nachfolger fand in einem Keller der Konstanzer Kreisleitung rund 2000 unerledigte Schriftstücke vor! Zum 30. Juni 1935 wurde Speer als Bürgermeister entlassen und schließlich durch das Gaugericht Karlsruhe aus der NSDAP ausgeschlossen. Der schleswig-holsteinische Gauleiter Hinrich Lohse, der Speer kannte, war wenig erstaunt, hatte er doch seinen Kollegen Wagner eindringlich gewarnt: „Persönlich kann ich nur noch bemerken, dass ich nicht darüber verwundert bin, dass Speer auch bei Ihnen gescheitert ist.“ Hoffnungslos überschuldet verließ Speer den Bodenseeraum und arbeitete erneut in der Versicherungsbranche, wo er freilich nicht mehr Fuß fasste. In Hagsfeld bei Karlsruhe verstarb der erst 49-jährige, auf ganzer Linie gescheiterte Nationalsozialist im Oktober 1936 an den Folgen einer Lungenentzündung – so lautete zumindest die in wortkargen Pressenotizen offiziell verbreitete Version der Todesursache.
Quellen: Weder eine Personalakte noch Akten d. Gaugerichtsverhandlung sind im GLA Karlsruhe vorhanden. Auch in d. NSDAP-Mitgliedskartei im BA Berlin-Lichterfelde kann Speer nicht nachgewiesen werden, die Einwohnermeldedaten in Karlsruhe sind durch Kriegseinwirkung verloren gegangen. Im Bestand d. Entnazifizierungsakten des StAF nur ein Hinweis, keine Akte zu Speer vorhanden. StadtA Radolfzell IV 2/97, Bürgermeister Personalakten; KreisA Konstanz, Spezialia Radolfzell VI/2; StAF A 96/1 Nr. 5244 u. 5245.
Werke: Diverse Zeitungsartikel im Karlsruher „Führer“ u. in d. „Bodensee-Rundschau. Nationalsozialistisches Kampfblatt für das Deutsche Bodensee-Gebiet“ 1932/33 (Pseudonym „Seehas“, eventuell auch „Trommler“).
Nachweis: Bildnachweise: StadtA Radolfzell, Bildsammlung; Burchardt u. a., 1990, 241 (vgl. Literatur).

Literatur: Karlsruher Tagblatt vom 8. 10. 1936; Bodensee-Rundschau vom 9.10. 1936; Peter Hirscher, Güttingen im Hegau. Dorf, Herrschaft, Kirche u. Gemeinde. 1989, 185 ff.; Lothar Burchardt/Dieter Schott/Werner Trapp, Konstanz im 20. Jh. Die Jahre 1914 bis 1945, Geschichte d. Stadt Konstanz, 5, 1990, 213, 226 u. 248 f.
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