Aschoff, Jürgen Walther Ludwig 

Geburtsdatum/-ort: 25.1.1913;  Freiburg im Breisgau
Sterbedatum/-ort: 12.10.1998;  Freiburg im Breisgau
Beruf/Funktion:
  • Mediziner, Physiologe, Pionier der Chronobiologie
Kurzbiografie:

1931 Abitur

1931 – 1938 Studium der Medizin in Bonn und Freiburg, Promotion 1938 mit der Arbeit über „Blutalkoholkurve und Gewöhnung“

1939 Kriegseinsatz in Polen

1939 – 1945 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Physiologie der Universität Göttingen

1944 Habilitation mit einer Schrift über „Grundlagen der physikalischen Temperatur-Regulation unter besonderer Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedeutung der einzelnen Oberflächengebiete für den Wärmehaushalt des Menschen“

1945 Erlangung der universitären Lehrbefugnis

1947 – 1949 Dozentur u. kommissarische Leitung des Physiologischen Instituts der Universität Würzburg

1949 – 1952 Professur für Physiologie an der Universität Göttingen

1952 – 1960 Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für medizinische Forschung in Heidelberg und apl. Professor in Göttingen

1958 – 1961 Wissenschaftliches Mitglied des Max-Planck- Institutes für Verhaltensphysiologie in Seewiesen

1960 Umhabilitation an die Ludwig-Maximilians-Universität München u. apl. Professur

1961 – 1967 Leitung des Standortes Andechs am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen

1967 – 1981 Direktor des Max-Planck-Institutes für Verhaltensphysiologie in Seewiesen

1981 Emeritierung

1986 – 1998 Ruhestand in Freiburg

Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Auszeichnungen: Ehrungen: Wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft (1958); Ehrenmitglied der italienischen Gesellschaft für experimentelle Biologie (1976); Dr. phil. h. c., Universität Umea, Schweden (1977); Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher „Leopoldina“ (1978); Ehrenmitglied der American Ornithologists’ Union (1981); Dr. med. h. c., Justus-Liebig-Universität Gießen (1982); Ehrenmitglied der British Ornithologists’ Union (1983); Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (1984); Ehrenmitglied der Deutschen Physiologischen Gesellschaft (1984); Ehrenmitglied der European Society for Chronobiology (1986); Stiftung des Aschoff-Honma-Prize durch Universität Sapporo, Japan (1986); Ehrenmitglied der Deutschen Ornithologen- Gesellschaft (1991); Stiftung des Aschoff‘s Rule(r)-Prize durch die European Biological Rhythm’s Society (1991); Dr. med. h. c., Universität Sapporo, Japan (1994); G. J. Mendel-Medaille, Tschechische Akademie der Wissenschaft (1994); Aschoff-Pittendrigh-Lecture der Society for Research of Biological Rhythms (1998).
Verheiratet:

Hilde, geb. Jung (1918 – 1997)


Eltern:

Vater: Ludwig (1866 – 1942), Pathologe, Professor der Medizin

Mutter: Clara, geb. Dieterichs (1876 – 1950)


Geschwister:

ein Bruder, drei Schwestern


Kinder:

drei Söhne, drei Töchter

GND-ID: GND/104631406

Biografie: Nicolas Weber/Birgit Nemec (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 8 (2022), 9-12

Aschoff wuchs im bildungsbürgerlich-elitären und nationalkonservativ geprägten Milieu seines Vaters Ludwig Aschoff auf. Dieser hatte sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit seiner teils bahnbrechenden pathologischen Forschung einen Namen in der Wissenschaft gemacht und bekleidete von 1906 bis 1936 den Lehrstuhl für Pathologie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Er sollte zum Vorbild für Aschoffs. wissenschaftliche und berufliche Laufbahn werden.

Nach Erlangung der Hochschulreife in Freiburg im Jahr 1931 entschied sich Aschoff für ein Medizinstudium in Bonn, wo Jahre zuvor schon sein Vater studiert hatte. Außerdem trat er wie dieser der schlagenden Studentenverbindung „Alemannia“ bei. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 wurde Aschoff Mitglied der SA und unterbrach sein Studium nach Bestehen der ärztlichen Vorprüfung, um von November 1934 bis Oktober 1935 als Freiwilliger in einem Verband der sogenannten „Schwarzen Reichswehr“ zu dienen. Aschoff führte sein Studium anschließend an der medizinischen Fakultät Freiburg fort und entwickelte zunehmend Interesse an medizinischer Forschung, insbesondere im Bereich der Physiologie. 1936 begann er mit der Arbeit an seiner Promotionsschrift, die er 1937 fertigstellte und im folgenden Jahr publizierte. Dank der zahlreichen Kontakte seines Vaters in die Wissenschaft gelang es Aschoff, das abschließende Praktische Jahr bei renommierten Medizinern zu absolvieren, unter anderem bei Hermann Rein, der in Göttingen das Institut für Physiologie leitete. Dieser bot Aschoff nach dessen 1938 erfolgter Promotion eine Stelle an, weshalb Aschoff im Frühjahr 1939 nach Göttingen umzog. Nur wenige Monate später unterbrach er seine Mitarbeit am Göttinger Institut jedoch, um freiwillig am Überfall auf Polen teilzunehmen. Aschoff, der sich in dieser Zeit stark für Krieg und Militärwesen begeisterte, strebte kurzzeitig eine militärische Laufbahn in der Wehrmacht an, welche ihm als Arzt jedoch verwehrt blieb. Auf Intervention Hermann Reins wurde Aschoff im Winter 1939 zurück nach Göttingen versetzt. Dort forschte er bis 1945 in UK-Stellung am Institut für Physiologie, welches sowohl als universitäres Institut als auch als Außenstelle des Luftfahrtmedizinischen Institutes des Reichsluftfahrtministeriums diente und eine umfangreiche staatliche Förderung genoss. Aschoff beteiligte sich als Assistent Reins an zahlreichen wehrmedizinischen Versuchen und wirkte auch in der Lehre mit. Gleichzeitig begann er mit eigenständigen Forschungen auf dem Gebiet der Thermoregulation. Erste wehrmedizinisch bedeutsame Resultate stellte Aschoff 1942 auf der von der Luftwaffe organisierten Tagung „Seenot und Winternot“ vor, auf der unter anderem über tödliche Menschenversuche im KZ Dachau referiert wurde. Im selben Jahr trat er dem nationalsozialistischen Dozentenbund bei. Ab 1943 veröffentlichte Aschoff die Ergebnisse seiner Forschung in der von Rein herausgegebenen physiologischen Fachzeitschrift „Pflügers Archiv“. Aschoff habilitierte sich 1944 und erlangte 1945 die Lehrbefugnis.

Nach Kriegsende wurde er gemeinsam mit seinen Kollegen kurzzeitig durch die US-Streitkräfte interniert, jedoch wenige Monate später entlassen. Nachdem er 1947 als politisch unbelastet eingestuft worden war, nahm er seine Forschungstätigkeit in Göttingen wieder auf. Aschoff widmete sich nun zunehmend der Untersuchung des 24-Stunden-Rhythmus der Körpertemperatur, welchen er bei seinen thermoregulatorischen Versuchen beobachtet hatte. 1947 übernahm Aschoff die kommissarische Leitung des Physiologischen Institutes der Universität Würzburg, kehrte aber schon 1949 nach Göttingen zurück, wo er zum außerplanmäßigen Professor für Physiologie ernannt wurde. In der Folgezeit beschäftigte er sich zwar weiter mit grundlegenden Fragen der Temperaturregulation, seine Begeisterung galt jedoch der Untersuchung physiologischer Rhythmen. Er setzte seine Arbeit auf diesem Gebiet fort, indem er bei Vögeln und Menschen die Einflüsse verschiedener exogener Stimuli auf das circadiane System untersuchte. 1952 folgte Aschoff Rein nach Heidelberg, wo dieser die Leitung des Max-Planck-Instituts für Medizinische Forschung und Physiologie übernommen hatte. Aschoff blieb auch nach dem Tod Reins 1953 als stellvertretender Direktor am Heidelberger Forschungsinstitut. Gemeinsam mit dem Physiker Rutger Wever forschte er auf dem Gebiet der Wärme- und Kreislaufregulation, bemühte sich jedoch gleichzeitig um Kontakte zu anderen Wissenschaftlern, die sich in den 1950er Jahren biorhythmischen Fragestellungen widmeten. Aschoff nahm an namhaften Kongressen teil, knüpfte wichtige Kontakte und präsentierte seine Forschungsergebnisse der internationalen Fachgemeinschaft. Der von ihm eingeführte Begriff des „Zeitgebers“ etablierte sich in der chronobiologischen Forschung als Bezeichnung für exogene Einflüsse auf den biologischen Rhythmus. 1958 wurde Aschoff zum wissenschaftlichen Mitglied des Max-Planck-Institutes für Verhaltensphysiologie (MPIV) ernannt, setzte seine Forschung jedoch zunächst in Heidelberg fort. Im selben Jahr lernte Aschoff Colin Pittendrigh kennen, der ebenfalls zu biologischen Rhythmen forschte. Die beiden Wissenschaftler verband eine lebenslange Freundschaft. Ebenfalls 1958 besuchte Keizo Honma Aschoff in Heidelberg. Die Begegnung markierte den Beginn von Aschoffs langjähriger Kooperation mit japanischen Medizinern und Biologen, insbesondere von der Universität Sapporo. Zwei Jahre später veranstaltete Aschoff gemeinsam mit Pittendrigh und Erwin Bünning das Cold Spring Harbour-Symposium, an dem Wissenschaftler aus aller Welt teilnahmen. Im Jahr 1960 wechselte Aschoff an das Max-Planck- Institut für Verhaltensphysiologie (MPIV) nach Seewiesen, wo er in Erling-Andechs einen eigenen Forschungsstandort für Rhythmusforschung leitete. Zahlreiche Heidelberger Mitarbeiter, darunter Rutger Wever, folgten ihm. Da das Andechser Institut über keine geeigneten Räumlichkeiten zur Erforschung des menschlichen 24-Stunden-Rhythmus verfügte, führten Aschoff und seine Mitarbeiter erste Isolationsversuche mit menschlichen Probanden in Luftschutzräumen der Ludwigs-Maximilians-Universität durch. Auf Basis dieser Experimente veröffentlichte er 1962 gemeinsam mit Rutger Wever erste Ergebnisse zum circadianen Rhythmus des Menschen. Gleichzeitig begann in Erling-Andechs der Bau einer großen chronobiologischen Versuchsanlage. Diese sogenannte „Bunkeranlage“ wurde 1964 fertiggestellt und ermöglichte die umfangreiche Erforschung menschlicher Biorhythmen. Die Experimente an insgesamt über 400 Versuchspersonen, die wenige Stunden bis mehrere Monate in völliger Isolation verbrachten, lieferten entscheidende wissenschaftliche Erkenntnisse und erfuhren große mediale Beachtung. Forscher aus aller Welt besuchten Aschoffs Institut, dessen „Bunkeranlage“ zum Vorbild für eine Reihe ähnlicher Einrichtungen wurde. 1967 übernahm Aschoff die Leitung des gesamten Instituts und widmete sich in den 1970er Jahren zahlreichen Aufgaben in der Max-Planck-Gesellschaft, 1972 bis 1976 sogar als Senator. Die Leitung der sogenannten „Bunker- Versuche“ übernahmen daher, neben Wever, zunehmend Schüler und Schülerinnen Aschoffs. Er selbst wandte sich nun, oft in Zusammenarbeit mit Vertretern ganz unterschiedlicher Disziplinen, der Anwendung und Vertiefung seiner grundlegenden chronobiologischen Erkenntnisse zu. Er untersuchte unter anderem den Zusammenhang von Schlafphasen und circadianen Rhythmen, den Prozess der Resynchronisation biologischer Rhythmen sowie die subjektive Zeitwahrnehmung des Menschen. Im Jahr 1981 wurde Aschoff emeritiert, setzte jedoch noch bis 1985 als Professor emeritus seine Forschungsarbeit fort. Bis ins hohe Alter veröffentlichte Aschoff zahlreiche wissenschaftliche Beiträge und stand in engem Kontakt zu einer Vielzahl von Wissenschaftlern, darunter zahlreichen ehemaligen Studenten und Mitarbeitern auf der ganzen Welt. 1986 zog sich Aschoff in sein Elternhaus nach Freiburg zurück. Er starb 1998 im Alter von 85 Jahren.

Quellen:

Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, III. Abt., Rep. 155, NL Jürgen Aschoff; Archiv der Deutschen Akademie der Naturforscher „Leopoldina“, Halle, M1/ 5980; BA Berlin-Lichterfelde/ Berlin Document Center, R4901/24140, Dokumente im Bestand des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung; UA Göttingen, Kur. 9926, Bd. 1 und Bd. 2 sowie Med. Pers. 56.

Werke: (Auswahl) Blutalkoholkurve und Gewöhnung, in: Zeitschrift für die gesamte experimentelle Medizin einschließlich experimentelle Chirurgie 103 (1938), 350 – 368; Einige allgemeine Gesetzmäßigkeiten physikalischer Temperaturregulation. Erste Mitteilung zur physikalischen Temperaturregulation, in: Pflüger’s Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere 249 (1947), 125 – 136; Zur Regulationsbreite der physikalischen Temperaturregulation. Zweite Mitteilung zur physikalischen Temperaturregulation, in: Pflüger’s Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere 249 (1947), 137 – 147; Die obere Extremität im Dienst der physikalischen Temperaturregulation. Dritte Mitteilung zur physikalischen Temperaturregulation, in: Pflüger’s Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere 249 (1947), 148 – 166; (mit F. Kaempffer), Über den Wärmedurchgang durch die Haut und seine Änderung bei Vasokonstriktion, in: Pflüger’s Archiv für die gesamte Physiologie des Menschen und der Tiere 249 (1947), 112 – 124; Die 24-Stunden-Periodik der Maus unter konstanten Umgebungsbedingungen, in: Naturwissenschaften 38 (1951), 506 f.; Zeitgeber der tierischen Tagesperiodik, in: Naturwissenschaften 41 (1954), 54 – 56; Exogenous and endogenous components in circadian rhythms, in: Cold Spring Harbour Symposia on Quantitative Biology 25 (1960), 11 – 28; (mit R. Wever), Beginn und Ende der täglichen Aktivität freilebender Vögel, in: Journal of Ornithology 103 (1962), 2 – 21; Resynchronisation der Tagesperiodik von Vögeln nach Phasensprung des Zeitgebers, in: Zeitschrift für vergleichende Physiologie 46 (1963), 321 – 335; Survival value of diurnal rhythms, in: Symposia of the Zoological Society London 13 (1964), 79 – 98; Circadian rhythms in man, in: Science 148 (1965), 1427 – 1432; Desynchronization and resynchronization of human circadian rhythms, in: Aerospace Medicine 40 (1969), 844 – 849; (mit anderen), Human circadian rhythms in continous darkness. Entrainment by social clues, in: Science 171 (1971), 213 – 215; Features of circadian rhythms relevant for the design of shift schedules, in: Ergonomics 21 (1978), 739 – 754; Circadian rhythms. General features and endocrinological aspects, in: D. T. Krieger (Hg.), Endocrine Rhythms, 1979, 1 – 61; (mit R. Wever), Über Reproduzierbarkeit circadianer Rhythmen beim Menschen, in: Klinische Wochenschrift 58 (1980), 323 – 335; als Hg., Biological Rhythms (Handbook of Behavioral Biology, Bd. 4), 1981; (mit S. Daan/G. A. Gross) (Hgg.), Vertebrate Circadian Systems. Structure and Physiology, 1982; On the perception of time during prolonged temporal isolation,in: Human Neurobiology 4 (1985), 41 – 52; (mit anderen), Die Zeit. Dauer und Augenblick, 1989.
Nachweis: Bildnachweise: Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem, Aschoff I/4 (Foto undatiert, Fotograf unbekannt).

Literatur:

U. Beushausen u. a., Die medizinische Fakultät im Dritten Reich, in: H. Becker/H.-J. Dahms/C. Wegeler (Hgg.), Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus, 1998, 183 – 286; M. K. Chandrashekaran, Jürgen Aschoff – An obituary, in: Current Science 75/12 (1998), 1420 f.; S. Daan/E. Gwinner, Obituary. Jürgen Aschoff (1913 – 98). Pioneer in biological rhythms, in: Nature 396 (1998), 418; der Schneider, Jürgen Aschoff, in: Jahrbuch der Bayrischen Akademie der Wissenschaft 1998, 1999, 252 – 256; der v. Engelhard, Art. „Aschoff, Jürgen“ in: ders. (Hg.), Biographische Enzyklopädie deutschsprachiger Mediziner, Bd. 1 (2002), 21; S. Daan, Die innere Uhr des Menschen. Jürgen Aschoff 1913 – 1998, Wissenschaftler in einem bewegten Jahrhundert, 2017; K. Trittel, Hermann Rein und die Flugmedizin. Erkenntnisstreben und Entgrenzung, 2018.

Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)