Baumann, Franz Ludwig von 

Geburtsdatum/-ort: 1846-06-08;  Leutkirch/Württemberg
Sterbedatum/-ort: 1915-10-02; Bad Adelholzen bei Traunstein
Beruf/Funktion:
  • Archivar, Historiker
Kurzbiografie: 1861-1866 Nach den Lateinschulen in Biberach und Ehingen Besuch des Gymnasiums in Kempten
1866-1871 Studium der Philosophie und Geschichte (bei Carl Adolf Cornelius) in München; Beitritt zur katholischen Studentenverbindung Ottonia
1871 Dr. phil. mit dem Thema „Die oberschwäbischen Bauern im März 1525 und die zwölf Artikel“
1871-1872 Mitarbeiter bei der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (Abteilung „Wittelsbacher Korrespondenzen“)
1872-1895 Archivar am Fürstenbergischen Hauptarchiv in Donaueschingen, seit 1883 Vorstand des Archivs, der Hofbibliothek und der fürstlichen Kunstsammlungen
1882 Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften in München
1883 Gründungsmitglied der Badischen Historischen Kommission, seit 1895 Ehrenmitglied
1887 Ritterkreuz 1. Klasse des großherzoglich-badischen Ordens vom Zähringer-Löwen
1891 Ritterkreuz 1. Klasse des Württembergischen Friedrichsordens
1895-1903 Assessor, seit 1896 Archivrat am Allgemeinen Reichsarchiv in München
1897 außerordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften in München
1899 Beirat der Kommission für die Herausgabe der Monumenta Boica
1903-1915 Direktor des Allgemeinen Reichsarchivs in München
1906 ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften in München
1908 Ritterkreuz des Verdienstordens der Krone Bayerns und persönlicher Adel
1912 Geheimrat
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1873 Silvanie, geb. Entres (1848-1924) in München, Tochter des Münchner Bildhauers und Kunstsammlers Otto Entres
Eltern: Vater: Lorenz Baumann, Gastwirt und Müller
Mutter: Genoveva, geb. Dorn
Geschwister: 6
Kinder: Heinrich (1874-1882)
GND-ID: GND/116088257

Biografie: Volker Dotterweich (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 3 (1990), 24-27

Zeitlebens blieb der Allgäuer Baumann ein einfacher, eckiger Schwabe und streng gläubiger Katholik, ein Mann aus dem Volk, der seine Arbeitskraft ganz der Erforschung seiner alemannisch-schwäbischen Heimat widmete.
Schon als Gymnasiast faßte Baumann eine besondere Zuneigung zur Geschichte. An der Universität in München führte ihn Carl Adolf Cornelius in die Methode der historisch-kritischen Forschung ein. Intime Ortskenntnis und methodische Sicherheit waren gewissermaßen die Voraussetzungen seiner überaus erfolgreichen archivarischen Laufbahn und historiographischen Wirksamkeit. Dabei ging es Baumann von Anfang an nicht um Lokalforschung um ihrer selbst willen; stets war er bestrebt, die alemannisch-schwäbische Landes- und Regionalgeschichte in den Rahmen der allgemeinen historischen Entwicklung zu stellen. Und wenn auch die Mehrzahl seiner Untersuchungen und quellenkritischen Analysen Späne seiner Tätigkeit am Fürstenbergischen Archiv in Donaueschingen waren, so hatte er doch einen sicheren Blick für die historischen Kernfragen der Region. Dies zeigen seine Abhandlungen und Quellenveröffentlichungen zur Geschichte des Bauernkriegs in Oberschwaben ebenso wie seine Untersuchungen zur Verfassungsgeschichte des frühen Mittelalters, in denen er seine für lange Zeit herrschende, durch die neuere Forschung indes überholte Auffassung über die schwäbischen „Gaugrafschaften“ als rein territoriale Verbände vortrug. Nicht minder verfügte er über die Fähigkeit zu zusammenfassender Synthese. Sein dreibändiges Hauptwerk „Geschichte des Allgäus“ (1883-1894) war zu seiner Zeit ein großartiger Wurf, der in der Verbindung von tiefgründender Gelehrsamkeit und volkstümlicher Darstellung jahrzehntelang als Musterbeispiel gelungener Landesgeschichtsschreibung galt. Zusammen mit den mehr als 70 Büchern und Zeitschriftenaufsätzen der Donaueschinger Jahre machte es Baumann zu einer anerkannten Autorität in allen Fragen der alemannisch-schwäbischen Stammes- und Territorialgeschichte. Die wichtigsten seiner kleineren Schriften faßte er 1899 unter dem Titel „Forschungen zur Schwäbischen Geschichte“ zusammen. Das Ergebnis seiner amtlichen Tätigkeit aber, die von Sigmund Riezler angeleitete Urkundenedition des Hauses Fürstenberg (Bände 5-7, 1885-1891), wurde zum Fundament für die Fürstenbergische Geschichte des Mittelalters. Darüber hinaus übernahm Baumann noch in Donaueschingen die Kärrnerarbeit, die schwäbischen Nekrologien der Monumenta Germaniae Historica (Necrologia Germaniae I: Dioeceses Augustensis, Constantiensis, Curiensis, 1888; III: Dioeceses Brixinensis, Frisingensis, Ratisbonensis, 1905) herauszugeben.
1883 berief ihn Großherzog Friedrich I. von Baden zum Gründungsmitglied der Badischen Historischen Kommission. Von 14 Anträgen, die der Donaueschinger Archivar der Kommission in ihrer ersten Plenarsitzung vorlegte, wurden drei – zur Siedlungsgeschichte, zum Bergbau sowie zur Holzflößerei und zum Holzhandel im Schwarzwald – zum Beschluß erhoben. Somit geht Eberhard Gotheins „Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes“ auf eine Anregung Baumanns zurück. Hauptsächlich aber machte er sich um die Pflege der Gemeinde-, Pfarr- und Privatarchive des Großherzogtums verdient, für deren Erhaltung und Erschließung er als ehrenamtlicher Bezirksdelegierter nachhaltig eintrat.
Nach dem Tode des Fürsten Karl Egon zu Fürstenberg bewarb sich Baumann um eine Stelle am Allgemeinen Reichsarchiv in München. Seine Anstellung löste eine heftige, aber ungerechtfertigte Pressekampagne aus, die ihn als „ultramontanen Agitator“ und Protegé seines Schwagers, des bayerischen Kammerpräsidenten Georg Ritter von Orterer, in Verruf brachte und bei seiner raschen Beförderung zum Archivrat (1896) und Direktor des Reichsarchivs (1903) erneut entfacht wurde. Tatsächlich verdankte Baumann seine Berufung in den bayerischen Archivdienst einer Empfehlung von Friedrich von Weech, dem Direktor des Generallandesarchivs in Karlsruhe, und dem Urteil des badischen Ministerpräsidenten Nokk, er sei „gut katholisch, aber kein Mann, der aktiv in Politik macht“. Archive waren für Baumann in erster Linie Instrumente der wissenschaftlichen Forschung. Sein Hauptaugenmerk galt daher der Repertorisierung und Registrierung der Urkunden des Reichsarchivs sowie der fachlich-wissenschaftlichen Ausbildung der jungen Archivare und der Erleichterung der Archivbenutzung. Unermüdlich darauf bedacht, die Archivbestände für die Benutzung zu erschließen, veranlaßte er die Anweisung des bayerischen Innenministers von 1898 über die Anfertigung von Urkundenregesten und Findbüchern. Durch seine praktischen Anleitungen hierzu, hauptsächlich aber durch seine persönliche Arbeitsleistung – dem von ihm erstellten Repertorium für das Fürststift Kempten, das 6 292 Urkunden verzeichnete, folgten solche für Reichenhall (1904), Eichstätt (1910) und Benediktbeuern (1912) – wurde er nachgerade zu einem „Klassiker“ der Methode, Urkunden durch knappe, exakt wissenschaftliche und zugleich umfassende Regesten zu erschließen. Insgesamt wurden unter seiner Amtsführung nicht weniger als 130 000 Urkunden neu registriert. Daneben wandte sich Baumann wie schon in Baden der Pflege der kommunalen und privaten Archive zu, ließ sich 1904 in den Ausschuß des Deutschen Archivtags wählen, übernahm vom selben Jahr an die Schriftleitung der Archivalischen Zeitschrift und beteiligte sich verantwortlich an der Mitherausgabe der Monumenta Boica (Neue Folge, Band 3, 1910). Dem Ziel, die zweckwidrig getrennten Reichs-, Staats- und Hausarchive zu vereinigen und in einem geeigneten Neubau unterzubringen, das er selbst nicht mehr erreichen sollte, hat er nach Kräften vorgearbeitet.
Seit seiner Donaueschinger Zeit hat Baumann als bienenfleißiger, scharfsinniger Gelehrter und vielseitiger Landeshistoriker wiederholt Anerkennung gefunden. Davon zeugen nicht zuletzt zahlreiche Ehrenmitgliedschaften in historischen Vereinen und gelehrten Gesellschaften (Schweiz 1878, St. Gallen 1884, Kempten 1885, Zürich 1886, Unterfranken 1893, Baden 1895, Münchner Akademie der Wissenschaften 1897). Gleichwohl erfüllten sich seine Hoffnungen auf akademische Wirksamkeit nicht. In den Jahren des Kulturkampfs versagte ihm der bayerische Kultusminister Lutz zunächst die Möglichkeit zur Habilitation, 1884 lehnte er die Berufung des „romtreuen“, mit dem Führer der Kammeropposition verschwägerten Historikers an die Universität München ab. 1896 und 1898 zerschlugen sich erneut Pläne, zunächst als Nachfolger Aloys Schuhes nach Freiburg und dann auf einen Lehrstuhl für bayerische Geschichte in München berufen zu werden. Baumann blieb Archivar. Aus der Doppelfunktion der Archive als Verwaltungsbehörden und als Forschungsstätten ergaben sich die Zielpunkte seiner Tätigkeit. Die erste Aufgabe verlangte administratives und organisatorisches Talent, die zweite wissenschaftliches Engagement. Baumann hat beide Eigenschaften in seltener Harmonie besessen. Er gilt daher bis heute nicht allein als Altmeister der Allgäuer Geschichtsschreibung, sondern auch und nicht minder als vorbildlicher und richtungweisender Heger und Hüter geschichtlicher Quellen.
Werke: (Auswahl) Schriftenverzeichnis: Georg Tumbült, in: ZGO 70 (1916) 122-129; Otto Geiger, in: Archival. Z. 35 (1925) 279-283 (beide ohne Rezensionen und Zeitungsartikel); Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges in Oberschwaben, Stuttgart 1876; Akten zur Geschichte des Bauernkriegs aus Oberschwaben, Freiburg 1877; Quellen zur Geschichte des Bauernkriegs aus Rotenburg o. d. T., Stuttgart 1878; Die Gaugrafschaften im Wirtembergischen Schwaben, Stuttgart 1879; Mitteilungen aus dem f. Fürstenbergischen Archiv, 2 Bde., Tübingen 1894-1902; Die zwölf Artikel der oberschwäbischen Bauern 1525, Kempten 1896; Der bayerische Geschichtsschreiber Karl Meichelbeck 1669-1734, München 1897; Erläuterungen zur Regesten-Instruktion des Kgl. Bayer. Allg. Reichsarchivs, in: Archival. Z. N.F. 15 (1909) 279-317; Die Benediktbeurer Urkunden bis 1270, in: Sitzungsberichte der Ak. d. Wiss. in München, Jg. 1912.
Nachweis: Bildnachweise: Geiger, 273; Rottenkolber, 116; Zittel, 180; Mößle, 4.

Literatur: Otto Riedner, in: Hist. Jb. 36 (1915) 929-931; Max Doeberl, in: Jb. der Bayer. Ak. d. Wiss. 1916, 158-161; Otto Riedner, in: Deutsche Geschichtsblätter 17 (1916) 29-47; Georg Tumbült, in: ZGO 70 (1916) 116-122; Eugen von Schneider, in: Württ. Nekrolog für das Jahr 1915, 1919, 159-162; Otto Geiger, in: Archival. Z. 35 (1925) 272-279; Josef Rottenkolber, Fr. L. Baumann, der Geschichtsschreiber des Allgäus, in: Allgäuer Geschichtsfreund 36 (1934) 110-126; NDB 1 (1953) 652; Bernhard Zittel, in: Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben, Bd. 6, München 1958, 468-494; Wolfgang Haberl, in: Die 7 Schwaben 25 (1975) 106-108; Wilhelm Mößle, Fr. L. v. Baumann u. d. bayer. Kulturkampf, in: Allgäuer Geschichtsfreund 75 (1975) 5-20.
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