Kiliani, Heinrich 

Geburtsdatum/-ort: 30.10.1855; Würzburg
Sterbedatum/-ort: 25.02.1945;  Freiburg i. Br.
Beruf/Funktion:
  • Chemiker
Kurzbiografie: 1873 Abschluss des humanistischen Gymnasiums Regensburg; Note 1
1873-1877 Studium der Chemie an der Technischen Hochschule München
1876 Okt. Prüfung für das Lehramt in Naturwissenschaften, München; Note 2
1877 1. Jan. Unterrichtsassistent an der Technischen Hochschule München
1877 Okt. Prüfung für das Lehramt in Chemie, München; Note 1
1879 1. Sep.-1884 1. Aug. Assistent für Chemie an der Industrieschule und Lehrer für chemische Technologie an der Baugewerkschule in München
1880 6. Feb. Promotion summa cum laude zum Dr. phil. an der Universität München: Über Inulin (Referent A. Baeyer)
1883 Jan. Privatdozent der allgemeinen und angewandten Chemie an der Technischen Hochschule München
1884 1. Okt. außerordentlicher Professor für analytische und angewandte Chemie
1892 1. Jun. ordentlicher Professor für analytische und angewandte Chemie
1895 9. Aug. Direktor der Chemisch-Technischen Abteilung
1897 1. Apr. ordentlicher Professor der Chemie an der medizinischen Fakultät der Universität Freiburg
1902 8. Feb. Laborunfall, danach progressive Taubheit
1903/1904 Dekan der medizinischen Fakultät
1908 23. Dez. Geheimer Hofrat
1920 1. Okt. Emeritierung; Dr. med. h. c. der Universität Freiburg
1932 Dez. Ende der Experimentalarbeiten
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1883 (München) Magdalena Maria Eleonora, geb. Wiedmann (1861-1947 oder später)
Eltern: Vater: Josef (1827-1893) Polizeiaktuar zu Würzburg, dann Gerichtssekretär zu München
Mutter: Marie, geb. Dietz (1825-nach 1885)
Geschwister: Martin (1858-1895)
Kinder: Martin Josef Eduard (1885-1911)
GND-ID: GND/116171472

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 143-145

Kiliani stammte aus einer Beamtenfamilie. Sein Vater, zuerst Landsgerichtsassessor in Höchstadt, dann Notar in Ebern, war 1854 nach Würzburg als „geprüfter Rechtspraktikant“ gekommen, wo er seine Familie gründete. Kiliani besuchte das Gymnasium in Regensburg, woher seine Mutter stammte. Der begabte Junge gab bereits als Gymnasiast schwächeren Schülern Unterricht und trug so zum sehr bescheidenen Einkommen der Familie bei. Diese engen finanziellen Umstände zwangen ihn, sich nicht an der Universität, sondern an der Technischen Hochschule München zu immatrikulieren, wobei er die Chemie als Grundlage für einen guten praktischen Beruf auswählte.
Dank seines Lehrers, des bekannten organischen Chemikers E. Erlenmeyer bekam Kiliani eine ausgezeichnete Schulung. Bis zum Ende seiner Tätigkeit blieb er ein Meister der akribischen Experimentalforschung in der organischen Chemie. Schon früh machte Erlenmeyer ihn zu seinem Unterrichtsassistenten. Während dieser ersten Jahre an der Technischen Hochschule München bestand Kiliani auch Prüfungen für das Lehramt in Naturwissenschaften und in der Chemie. Seinen Lebensunterhalt verdiente er als Lehrer an zwei Fachschulen in München.
Nach dem Ende seiner Studienzeit schlug Erlenmeyer vor, dass Kiliani folgende Preisaufgabe bearbeite: „Es sollen die chemischen und physikalischen Eigenschaften des Inulins [ein Kohlenhydrat] genauer untersucht und auch festgestellt werden, zu welchem der bekannten Kohlenhydrate dasselbe in nächster chemischer Beziehung steht“. So betrat Kiliani das Gebiet der Chemie der natürlichen Stoffe, insbesondere der Zuckerchemie, dem er künftig treu blieb. Krankheiten – er war bereits wegen schwacher Gesundheit für den Militärdienst untauglich gewesen – verzögerten diese schließlich als preiswürdig erkannte Arbeit, mit der Kiliani dann auch promoviert wurde, bis Anfang 1880. Da er „Fremder“ war, bestand Kiliani sein Doktorexamen vor einer strengen Kommission: Ad. von Baeyer (Chemie), Ph. Jolly (Physik), F. von Kobell (Mineralogie). Nach seiner Promotion arbeitete Kiliani in der Zuckerchemie weiter, und seine ersten Artikel aus den Jahren 1880 bis 1882 erlaubten ihm, sich an der Technischen Hochschule München zu habilitieren. Nach einem Jahre wurde er zum außerordentlichen Professor. Er las „Analytische Chemie“ und „Brennmaterialien und Feuerungsanlagen mit Einschluss der technischen Gasanalyse“, wofür er eigens das Labor für technische Gasanalyse eingerichtet hatte. Außerdem war er als Gutachter für Behörden und Unternehmen tätig, so verfaßte er z. B. den Beitrag „Lagerung von Kohlenvorräten“ für die 1. Armee von Bayern.
Sein Hauptinteresse lag aber bei eigenen Forschungen. So gab er Konstitutionsbeweise für Glukose, Fruktose und Arabinose. Von besonderer Bedeutung wurde die nach ihm benannte „Cyanhydrin-Synthese“ – eine Aufbaureaktion, die bis heute eine der wichtigsten Methoden der Zuckerchemie darstellt. Kiliani fand auch mehrere Abbauverfahren für Kohlenhydrate. Die Zuckerchemie wurde damals noch kaum bearbeitet, und Kilianis Ergebnisse hatten grundlegende Bedeutung, insbesondere für das Schaffen von E. Fischer, der diese Ergebnisse benutzte und verallgemeinerte.
1888 eröffnete sich Kiliani ein weiteres Forschungsgebiet. Fr. Engelhorn jr. bat ihn, auf A. von Baeyers Empfehlung, Untersuchungen über die Digitalisstoffe für die Firma „Boehringer&Söhne“ in Mannheim durchzuführen. Obwohl Kiliani zuerst schwankte, ein fremdes Gebiet zu bearbeiten, begeisterte das Problem ihn bald. Bereits nach zwei Jahren lag das praktische Ergebnis vor, ein einfaches Fabrikationsverfahren zur Herstellung von Digitalinum verum. Die Zusammenarbeit von Kiliani und „Boehringer“ dauerte bis 1914. Sie brachte keine weiteren unmittelbaren praktischen Erfolge, aber reiche wissenschaftliche Ernte: viele neue Erkenntnisse über Digitalisglykoside. Ein Nebenprodukt dieser Forschungen war die sogenannte „Kilianische Mischung“ – ein besonderes Gemisch von Chrom- und Schwefelsäuren zur Oxidation von organischen Verbindungen, das bis heute gebräuchlich ist. In München erweiterte Kiliani seine Forschungen auch auf eine dritte Gruppe von Naturstoffen, wozu der Leipziger Pharmakologe R. Boehm ihn angeregt hatte, und begann, die sogenannten Antiaris-Stoffe zu bearbeiten, die ein als Pfeilgift verwendetes pflanzliches Exkret bildeten. Seine mühsamen Forschungen – um einige Gramm reinen Stoffs zu erhalten, musste Kiliani mehrere Kilogramm von Milchsaft des Upas-Baumes verarbeiten – ergaben hier die Isolierung neuer Stoffe, wie die Glykosiden α- und β-Antiarin und den glykosidisch gebundenen Zucker Antiarose.
Dank seiner pharmakologisch wichtigen Ergebnisse wurde Kiliani 1897 als ordentlicher Professor und Direktor des chemischen Instituts der medizinischen Fakultät nach Freiburg berufen. Damals gab es in Freiburg zwei voneinander unabhängige chemische Institute, eines an der philosophischen, das andere an der medizinischen Fakultät. Hier las er anorganische und organische Experimentalchemie für Mediziner, daneben „Ausgewählte Kapitel aus der physiologischen Chemie“. Täglich führte er auch Arbeiten und Übungen im chemischen Laboratorium durch, die Kiliani für besonders wichtig hielt. Große Mühe verwandte er auch permanent auf die Modernisierung seines Labors. Als diese Arbeit nach einigen Jahren zum Ende kam, ereignete sich ein Unfall: Bei einer Demonstration explodierte der Löschapparat, so dass Kiliani „rücklings über eine 7-stufige Steintreppe flog und mit dem Kopfe auf einen Cementboden aufschlug“. Für einige Monate war Kiliani ans Bett gefesselt und sein Hörvermögen verschlechterte sich zusehends, was seine Kontakte mit anderen Menschen einschränkte, die einsame Arbeit im Labor aber stimulierte, weswegen er auch nur wenige Schüler hatte. Von etwa 110 Artikeln Kilianis wurden nur 17 gemeinsam mit Studenten publiziert; seine Forschungen führte er fast ausschließlich allein durch. Dies trug letztlich dazu bei, dass die Bedeutung seiner Arbeiten, selbst im Bereich der Zuckerchemie, gerne unterschätzt wurde. Als Kiliani 1920 emeritiert wurde, behielt er sich die Möglichkeit vor, weiter im Labor zu arbeiten. „Dabei“, so schrieb er in seinem Gesuch, „darf ich wohl als selbstverständlich annehmen, dass die im Institut befindlichen wissenschaftlichen Präparate meiner eigenen Forschung als mein persönliches Eigentum anerkannt werden.“ So beschritt er weiter den einsamen Weg eines allein arbeitenden Forschers und führte seine Experimentalarbeiten insbesondere über einzelne Probleme der Zuckerchemie fort. Sein Privatleben war ohnehin überschattet vom frühen Tod seines einzigen Sohnes, der – eben in Freiburg zum Dr. med. promoviert – 1911 im Alter von 26 Jahren verstorben war. Während der folgenden zehn Jahre publizierte er neun ausführliche Mitteilungen unter dem Titel „Neues aus der Zuckerchemie“. Kiliani arbeitete im Labor bis ins hohe Alter von fast 80 Jahren. Auch danach bewahrte er geistige Frische. Sein letzter Artikel, ebenfalls über Zuckerchemie, erschien 1943.
Quellen: StadtA Würzburg (Einwohnermeldebogen); StadtA München (Auskunft; PMB G 220); A d. TU München (PA, Kiliani; Auskunft); UA Freiburg (B24 Nr. 1709); StadtA Freiburg (Auskunft); FirmenA Roche Diagnostics [früher: Boehringer Mannheim] (Auskunft).
Werke: Verzeichnisse in: Poggendorffs Biogr.-literar. Handwörterbuch Bd. VII a u. bei Wolz 1960 (vgl. Lit.). – Auswahl: Ueber Inulin. Diss., München 1880; Über das Cyanhydrin d. Lävulose, Berr. d. Dt. Chem. Gesellschaft 18, 1885, 3066-3072; ebd. 19, 1886, 221-227; Über Arabinose, ebd. 3029-3036; Über die Zusammensetzung und Constitition d. Arabinosecarbosäure bzw. d. Arabinose, ebd. 20, 1887, 339-346; Über die Einwirkung von Blausäure auf Galactose, ebd. 21, 1888, 915-919; Digitalinum verum, A d. Pharmacie 230, 1892, 250-261; Über den Milchsaft von Antiaris toxicaria, ebd. 234, 1896, 438-451; (mit B. Merck), Über Digitogenin u. Digitogensäure, ebd. 34, 1901, 3562-3577; Über Digitalisglykoside, ebd. 254, 1916, 255-295; (mit W. v. Miller), Kurzes Lehrbuch d. analytischen Chemie 1894, 1909 6. Aufl.; Über den Löschapparat Excelsior (System Carré), Chem. Ztg. 26, 1902, 169, 421-422; Dem Andenken von Emil Erlenmeyer gewidmet, Zs. für angew. Chemie 22, 1909, 481-483; My life and work, Journal of Chem. Education 9, 1932, 1908-1914 (mit Bild); Zur Kenntnis d. Mannozuckersäuren, Berr. d. Dt. Chem. Ges. 76, 1943, 540-541.
Nachweis: Bildnachweise: Journal of Chem. Education 9 (vgl. Werke); Chem. Berr. 82 (vgl. Lit.).

Literatur: Poggendorffs Biogr.-literar. Handwörterbuch Bd. III, 1898, 717 f., ebd. Bd. IV, 1904, 747 f.; ebd. Bd. V, 1926, 628 f.; ebd. Bd. VI, 1937, 1315; ebd. Bd. VII a, 1958, 744 (mit Verzeichnis der Werke); W. Hückel, H. Kiliani, Chem. Berr. 82, Nr. 1, 1949, I-IX (mit Bild); A. Wankmüller, Kiliani H., in: NDB 11, 1977, 606; W. Wolz, Pharmazeutische Ausbildung an d. Univ. Freiburg i. Br. u. im Oberrheingebiet, 1960, 114-117 (mit Verzeichnis der Werke); J. R. Partington, A History of Chemistry, vol. IV, 1964, 822 f.
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