Killian, Gustav Johann 

Geburtsdatum/-ort: 02.06.1860; Mainz
Sterbedatum/-ort: 24.02.1921; Berlin, begraben in Freiburg im Breisgau
Beruf/Funktion:
  • Rhino-Laryngologe, Begründer der Bronchoskopie
Kurzbiografie: 1866–1873 Volksschule, dann Gymnasium in Mainz
–1878 Gymnasium in Bensheim bis Abitur
1878–1884 Studium d. Medizin in Straßburg bis Physikum 1880, anschl. bis 1881 in Freiburg, dann bis 1882 in Berlin u. schließlich in Heidelberg bis zum Staatsexamen „summa cum laude“
1884 Anf. Mai prakt. klinische Tätigkeit am Allg. Krankenhaus in Mannheim; am 9. Dez. Promotion bei A. Hegar in Freiburg: „Zur Anatomie d. Parovarialzysten“
1884 X. 15–1920 Mit Unterbrechungen bis 15. Okt. 1886 Einjährig Freiwilliger beim 5. Bad. Infanterie Reg. 113 in Freiburg, ab 30. Juli 1885 Assistenzarzt d. Res. II. Klasse am dort. Lazarett; 1886 Assistenzarzt d. Res. I. Klasse, 1894 Stabsarzt
1885 Assistent am Bürgerspital in Frankfurt, vergebl. Versuch, eine chirurg. Assistentenstelle zu erhalten
1886 ab Mai Weiterbildung zum HNO-Spezialisten in Berlin bei Bernhard Fränkel (1836–1911), Hermann Krause (1848–1921) u. Arthur Hartmann (1849–1931)
1887–1911 ab Jan. 1887 eigene Praxis in Mannheim, Ende April Ruf nach Freiburg an die dort. Rhino-Laryngologie als Nachfolger von Wilhelm Hack (1851–1987), 1888 Habil. in Rhinologie u. Laryngologie: „Über die Bursa u. Tonsilla pharyngea“, 1892 ao.
Professor, 1900 etatmäß. ao. Professor, am 5. März 1907 Titel o. Honorarprofessor
1907 IV.–VI. Reise nach USA u. Kanada
1911–1921 Ruf an die Univ. Berlin, pers. Ordinarius u. Geh. Medizinalrat, 1920 o. Professor
1911 Präsident des Internat. Laryngologenkongresses in Berlin, 1921 Dekan d. Medizin. Fakultät; am 6. Okt. 1911 o. Honorarprofessor für Schlund-, Nasen u. Kehlkopfkrankheiten d. Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militär. Bildungswesen, tätig in d. Fortbildung aller Militärärzte bis nach dem I. Weltkrieg; Mitglied des Wiss. Senats d. Akademie
1914 „Felix-Semon Lection in Laryngology“ in London
1916 VI. 15 – 30 Reise an die Westfront zum Studium bes. von Schussverletzungen des Kehlkopfs, später Arbeit an dessen plastischer Rekonstruktion
1918 V. Reise nach Schweden
1921 Zum Nobelpreis für Medizin für dieses Jahr vorgeschlagen
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Ehrungen: Jahrespreis d. Wiener Klin. Wochenschr. „Die direkte Bronchoskopie […]“ als beste Arbeit (1900); Medaille des Großherzogs Friedrich I. anlässl. seines 50-jähr. Regierungsjubiläums u. Korrespond. Mitgl. d. Société Belge de Oto-Rhino-Laryngologie Brüssel (1902); Ehrenmitglied d. Laryngolog. Ges. London (1903); Korrespond. Mitgl. d. Oto-Laryngolog. Ges. München (1904); Ehrenmitglied d. Rhino-Laryngolog. Sektion d. Ungarischen Ärzteveinigg. in Budapest u. d. Ohren-, Nasen u. Halsärzte St. Petersburg (1906); Ehrenmitglied d. Amerikan. medizin. Ges., Sektion Laryngologie u. Otologie, u. Prägung einer „Gustav-Killian-Plakette“ zur Erinnerung an seinen Besuch durch die Amerik. HNO-Gesellschaft (1907); Ehrenmitglied d. Amerikan. laryngolog.-rhinolog. Ges. u.
d. Laryngolog. Medizin. Ges. in Wien (1908); Ritterkreuz I. Klasse des Ordens vom Zähr. Löwen u. Preis des Vereins Dt.er Laryngologen für besondere wiss. Leistungen, gestiftet von Bernhard Fränkel (1910); Sir Felix-Semon-Medaille (1914); EK II am weißen Bande durch Kaiser Wilhelm II. (1917); „Killian-Straße“ im Bereich d. Neuen Kliniken in Freiburg (1930)
Verheiratet: 1887 (Freiburg) Helene, geb. Hein (1863–1956, geb. in Buenos Aires)
Eltern: Vater: Johann Baptist Caesar (1820–1889), Dr. phil., Prof. am Großherzogl.-Hess. Gymnasium in Mainz, ab 1873 in Bensheim
Mutter: Apollonia, geb. Höpfel (1833–1865)
Geschwister: 4; Johann-August (Jean, 1853–1907), HNO-Arzt in Worms, u. 3 früh verstorbene Schwestern
Kinder: 5; Helene (* 1888), verh. Falley, Mimmi (* 1890), verh. mit. Prof. Dr. Carl Koch, Hans Franz Edmund (1892–1982), Dr. med., Professor für Chirurgie, Peter (1896–1918, gefallen) u. Lotte
(* 1898)
GND-ID: GND/11617157X

Biografie: Fred Ludwig Sepaintner (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 187-193

In der inhaltlichen Ausgestaltung seines Fachs, seiner Loslösung von der inneren Medizin und Entwicklung zur bis heute eigenständigen Disziplin darf die Bedeutung Killians als ausschlaggebend gelten. Es ist sogar zu beobachten, wie dieser Pionier seines Bereichs über die Grenzen der heutigen HNO-Heilkunde hinausging, indem er den gesamten Atmungstrakt und die oberen Speisewege einbezog. Nicht nur mit der Entwicklung der Bronchoskopie stieß Killian in ganz neue Bereiche vor, er wirkte innovativ auf die gesamte Medizin. Sein Wirken löste die überkommene Wiener Führung ab und brachte Deutschland international an die Spitzenposition in diesem Bereich. Killian galt am Ende seines Lebens in der Nachfolge des Berliners Sir Felix Semon (1849–1921) als der in der Welt führende Rhino-Laryngologe, was nicht zuletzt seine Nominierung zum Medizin-Nobelpreis verdeutlicht, über die er verstarb.
Killian kam als jüngstes von fünf Kindern zur Welt. Der Geburtsort Mainz, wo sein Vater als Gymnasialprofessor lehrte, bildete seine erste Lebensstation; dort besuchte der gute Schüler noch die Unterstufe des Gymnasiums. Inzwischen aber hatten sich Schatten auf das Familienleben gelegt: Killian war kaum 5-jährig als seine Mutter an der Cholera verstarb. Der Vater litt zeitlebens darunter, ergab sich nicht selten dem Trunk. Auch die drei Schwestern starben in früher Jugend, und zur Haushälterin und schließlich Stiefmutter baute sich nie ein gutes Verhältnis auf. Daran änderte sich auch nichts, als der Vater nach Bensheim an der Bergstraße versetzt wurde, wo Killian 1878 ein glänzendes Abitur ablegte.
Dass in dieser Situation nur der fünf Jahre ältere Bruder und spätere Fachkollege Halt und Orientierung bot, ist verständlich. Trotz künstlerischer Neigung sein Leben lang wählte Killian nicht die Architektur als Studienfach sondern eiferte dem Bruder als Mediziner nach. Mag der Grundgedanke bei diesem Entschluss auch gewesen sein, „rasch voranzukommen“ (Hans Killian, 1958, S. 23), Fleiss, Ausdauer, bald auch Neigung zum Fach und nicht selten ausgelassene Heiterkeit lässt der Studienverlauf erkennen, auch wenn die Umstände nie rosig und die Monatswechsel so bescheiden waren, dass manchmal selbst das Nötigste fehlte. Der Vater hatte für Killians Studium eigens ein Darlehen aufnehmen müssen, um es zu finanzieren. Der junge Student ging stets zielstrebig ans Werk; das beweist das Mitte Juli 1880, nach nur vier Semestern, abgelegte und ausgezeichnet benotete Physikum in Straßburg, dem ersten Studienort. Im Oktober 1880 wechselte Killian für zwei Semester nach Freiburg und anschließend studierte er ein Jahr in Berlin, wo damals eine ganze Reihe namhafter Mediziner lehrte. Die letzte Station war Heidelberg, wo Killian von August 1882 bis März 1884 studierte und sein Staatsexamen mit „summa cum laude“ ablegte. Mit der anschließenden Dissertation, einer pathologisch-anatomischen Studie, griff Killian auf Fälle des Freiburger Gynäkologen Alfred Hegar (1830–1914) zurück, weshalb er dort nach der praktisch-klinischen Tätigkeit auf der äußeren Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses in Mannheim von Anfang Mai bis Anfang Oktober und während seines Militärdiensts in Freiburg am 9. Dezember 1884 promoviert wurde. Damit war das Medizinstudium Killians abgeschlossen. Er wurde Assistent am Bürgerspital in Frankfurt am Main und erwarb erste chirurgische Fähigkeiten, indem er mit seinem Chef, Sanitätsrat Knoblauch, und seinem Bruder Jean operierte. Als dann aber der Plan Knoblauchs scheiterte, für Killian eine chirurgische Assistentenstelle schaffen zu lassen, begann sich das Ende dieser Phase abzuzeichnen. Wieder folgte Killian den Spuren seines älteren Bruders. Er wollte sich in Berlin zum HNO-Arzt weiterbilden, diesmal allerdings gegen dessen Rat. Jean riet zur sofortigen Niederlassung.
Sein nächster Berliner Lebensabschnitt von April bis zum Jahresende 1886 ist mit drei für die künftige Fachrichtung bedeutenden Namen verbunden: Professor B. Fränkel und Privatdozent Krause, bei denen Killian über Kehlkopf-, Hals- und Nasenkrankheiten lernen wollte, und Arthur Hartmann, damals noch auf Otologie spezialisierter praktischer Arzt, der später in Wien durch mehrere Veröffentlichungen von sich reden machte. Mit allen dreien gelang es Killian bald, gute persönliche Verhältnisse aufzubauen, in Assistentenfunktion zu treten, vor allem aber die erstrebten Spezialkenntnisse zu erwerben. Obwohl er täglich bei allen Dreien arbeitete fand er Zeit, Aufführungen des Deutschen Theaters und Operetten von Strauß und Millöcker zu besuchen, Kunst in Galerien zu bewundern, die Schlösser in der Berliner Umgebung zu besichtigen. Als seine Nachfolge in den bisherigen Funktionen geklärt, vor allem aber als er sich darüber klar geworden war, wo er sinnvollerweise eine Praxis eröffnen könnte, beendete er diesen Abschnitt. Er ließ sich in Mannheim nieder.
Obgleich es zu Anfang nicht danach aussah, wurde auch daraus nur eine kurze Durchgangsstation. Am 21. Januar 1887 hatte Killian die neue Praxis eröffnet und zu seiner eigenen Überraschung, wie er in einem Brief bekennt, kamen am ersten Tag bereits Patienten. Die Praxis setzte sich rasch durch; Killian fand Zuspruch, auch aus der linksrheinischen Umgebung. Das überraschende Ende aber war schon in den letzten Apriltagen mit dem Angebot aus Freiburg erreicht, die Nachfolge des gerade tödlich verunglückten Laryngologen und Dermatologen Wilhelm Hack anzutreten, die Chance des Lebens für den gerade 27-jährigen!
Mitte Mai begann die Freiburger Zeit Killians, die bis zu seinem Weggang nach Berlin im Herbst 1911 dauerte und mit Abstand den ertragreichsten Abschnitt in seinem Leben darstellte, beruflich wie privat. Keinen Monat nach seinem Dienstantritt heiratete der nun existentiell Gesicherte seine Freiburger Braut, eine Frau aus bestem Hause, die ihm zeitlebens die ideale Partnerin wurde. Auch beider fünf Kinder wurden an der Dreisam geboren.
Als noch getrennte universitäre Disziplinen bildeten Otologie und Rhino-Laryngologie damals in Freiburg nur einen kleinen Zweig der Inneren Medizin. Beide Fächer standen am Beginn ihrer Entwicklung und fast kein Laryngologe oder Otologe operierte selbst, anfangs auch Killian, der seine Patienten an den Chirurgen Paul Kraske (1851–1930) überwies. Formaliter bestand zwischen beiden nie ein Abhängigkeitsverhältnis, Killian aber hat damals von Kraske viel gelernt. Als er selbst zu operieren anfing war das der erste große Schritt, für Killian und sein Fach. Killian ersann viele neue, bald klassisch werdende Methoden. Das technische Geschick des dem Sohne nach praktischen Beidhänders, Killians umfassende naturwissenschaftlichen Kenntnisse und seine Geschwindigkeit, alles ergänzte einander.
Die ersten Monate war Killian nur provisorisch bestallt gewesen, nach der Habilitation 1888 in Rhinologie und Laryngologie, einer großangelegten, vergleichend anatomischen Untersuchung der Rachentonsillen von Ringelnatter, Eidechse, Blindschleiche, Schildkröte, Salamander und Krokodil, wurde er Privatdozent. Seine Praxis entwickelte sich gut, die Patientenzahl nahm zu und stationär wurde es besser, nachdem die großherzogliche Regierung zwei kleine Häuser in der Albertstraße angekauft hatte: in einem war die Ohrenstation untergebracht, im anderen kam die Rhino-Laryngologie Killians unter; die Otologie blieb es in Freiburg übrigens bis 1911 selbständig.
Wie viele seiner medizinischen Zeitgenossen beschäftigte sich der Wissenschaftler Killian damals intensiv mit der Anatomie und arbeitete oft im anatomischen Institut. Vergleichend anatomische Arbeiten entstanden. Das bei dieser Forschung vertiefte Wissen kam der zukünftigen Arbeit zugute. Erstmals Aufsehen erregte gegen Ende der 1880er Jahre eine von Killian entwickelte einfachere Methode der Spiegelung der Larynx-Hinterwand in der sog. „Killianschen Haltung“: der Patient stand mit nach vorn geneigtem Kopf, so dass der vor ihm kniende Untersucher einen Lichtstrahl über einen eingeführten Kehlkopfspiegel direkt auf die Untersuchungsfläche projizieren konnte. Das führte zu wesentlich besserer Sicht und optimierten Untersuchungsergebnissen, allein deshalb schon wichtig, weil damals die Larynx-Tuberkulose noch stark verbreitet war. Bei mehreren Veranstaltungen berichtete Killian darüber und ging daran, nicht nur seinen Namen zum Begriff zu machen, auch innerhalb seiner Universität festigte er seine Stellung. Schon 1892 wurde Killian Extraordinarius.
In diesem Jahr hatte er sich bereits einem anderen Krankheitsbild zugewandt, den Eiterungen der Kieferhöhlen. Killian erkannte die ganz verschiedenen Ursachen dieser Erkrankungen, vom Katarrh über Tumore bis zum perforierten Zahnabszess und dass entscheidend sei, ob die Schleimhaut beteiligt ist, wonach sich die Therapie deshalb richten müsse. Das nächste Thema seiner Forschung galt der Entwicklungsgeschichte der Nase basierend auf 239 Untersuchungen menschlicher Embryonen. Etwa um die gleiche Zeit, Mitte der 1890er Jahre, stellte er seine neue Methode der Rhinoscopia media durch Auseinanderdrängen der Wände von Riechspalte und mittlerem Nasengang mit Hilfe der üblichen gebogenen, jetzt aber verlängerten Nasenspekula vor. Je nach Ausrichtung dieses Instruments wird der hintere Teil der Nase, die vordere Wand der Keilbeinhöhle oder der mittlere Nasengang mit den Nebenhöhlen sichtbar, so dass Krankheitsherde besser eingegrenzt und behandelt werden konnten.
Generell lässt sich feststellen, dass Killian immer bestrebt war, das vorhandene Instrumentarium zweckorientiert weiterzuentwickeln. Seine dabei herausragenden Mitarbeiter waren Wilhelm Brünings in Freiburg und zuletzt in Berlin Alfred Seiffert. Genauso wollte Killian immer möglichst plastisch demonstrieren: mit Hilfe von Projektionen, vor allem aber mit eigens angefertigten anatomischen Präparaten. Das machte den Erfolg des akademischen Lehrers genauso aus wie seine unzähligen Vorträge seine Erkenntnisse in breite Fachkreise trugen.
Weltgeltung erreichte Killian in der zweiten Hälfte der 1890er Jahre. Ab 1896 setzte er sich die Bronchoskopie zum Ziel, wobei er anfangs auf Werkzeuge zurückgriff, die der berühmte Internist Kussmaul, Czernys (vgl. S. 66) Schwiegervater, entwickelt hatte und die, wie es scheint, in Deutschland dem Kriege zum Opfer fielen, in Japan aber zumindest teilweise noch vorhanden sind. Die Bronchialröhren sind elastisch, etwas dehnbar und, was das wichtigste ist, „verschieblich“, der Bronchialbaum ist also nicht „wie aus Erz gegossen“ starr: das war Killians Grunderkenntnis und er vermochte, anfangs immer unter Kokainanästhesie der Trachea, später auch im Scopolamin-Morphium-Dämmerschlaf, dann mit Äther- oder Chloroformnarkose seine speziell konstruierten Rohre bis in beide Äste der Hauptbronchien vorzudrängen und beide Bronchuswege sichtbar zu machen. Eine diagnostische Sensation! Dank seiner Geschicklichkeit gelang es ihm erstmals am 30. März 1897 ein verschlucktes Knochenteilchen von 11 zu 14 mm Länge und 3 mm Dicke, dann immer wieder beim Schlucken eingeatmete Fremdkörper wie Kerne, Früchte, selbst Münzen, Nägel und Steine aus den Atemwegen emporzuheben. Kurz darauf demonstrierte er die Bronchoskopie dem Freiburger Ärzteverein. Die Fälle häuften sich bald und die Statistik von 1911 bis 1921 belegt eine Erfolgsquote von 98,3%. Welches Echo diese neue Methode hatte, belegen Zahlen: über 400 ausländische Laryngologen aus mehr als 30 Ländern der Welt besuchten die Freiburger bronchoskopischen Kurse.
Dann gelang Killian nach vielen Anläufen um die Jahrhundertwende auch eine befriedigende, d. h. den Patienten nicht entstellende „Radikaloperation der Stirnhöhle“ durch das ein- oder doppelseitige Entfernen des Stirnhöhlenbodens von oben her durch die Sinus. Killian hatte entdeckt, dass dort der Knochen des Stirnhöhlenbodens besonders dünn, also verhältnismäßig leicht zu entfernen war. 1902 beschrieb er das Verfahren, das seither seinen Namen trug. Die Bedeutung des Vorgangs wird greifbar, wenn man bedenkt, wie viele Jahrzehnte vor der Entwicklung von Antibiotika sich dies zutrug.
Mit zahllosen Vorträgen und regelrechten Schau-Operationen unter nicht selten abenteuerlichen Umständen demonstrierte Killian im Verlauf seiner USA- und Kanada-Reise im Sommer 1907 in New York, Washington, Cincinnati, Chicago, dann in Montreal, Boston, wo er auch die Harvard-University besuchte, und schließlich in Albany und erneut New York all seine Spezialitäten. Er agierte höchst erfolgreich, erlaubte sich aber auch, wo ein Zuwarten angezeigt war, den Eingriff abzubrechen. Weltgeltung war erreicht. Killian empfing zahlreiche Ehrungen in diesen Wochen, bis zum Schluss, als eine Gedenkmünze mit Portrait und Text „In recognizing of his leadership in Laryngology and Rhinology […]“ geprägt wurde, wofür er einem französischen Künstler hatte Modell sitzen müssen. „Es war weiß Gott meine schwerste medizinische Prüfung in einem Lande, in dem nur der Erfolg gilt“, schrieb er am 2. Juni, und fügte bescheiden hinzu: „Ich hatte Glück, das gestehe ich gerne.“ Die Reise gestaltete sich zum persönlichen Triumph, zur nachgerade handgreiflichen Bestätigung des Erreichten.
Killian schien sich auf Dauer in Freiburg eingerichtet zu haben, war als Lehrer erfolgreich, hatte hervorragende Assistenten herangezogen, darunter Ino Kubo (1873–1939), der die Erkenntnisse der Killian-Schule nach Japan trug, und sein späterer Berliner Nachfolger Carl von Eicken (1873–1960). Er sah bereits seine Schule aufblühen. Unweit vom alten Friedhof in der Josefsstraße hatte er eine stattliche Villa gebaut. Er liebte die Stadt, ihre Kultur, Land und Leute, besonders im Schwarzwald, unterhielt einen großen Freundeskreis, darunter auch Emil Gött (vgl. S. 145), kurzum Killian verlebte die bedeutendste und schönste Phase seines Lebens. Dennoch, das wird aus seinen Berichten aus Amerika deutlich, er hatte damals bereits erkannt, dass er an die Grenzen dessen vorgestoßen war, was ihm Freiburg zu geben vermochte, dachte an Berlin als Krönung seiner Laufbahn.
Als 1911 in Fachkreisen durchgedrungen war, dass der bisherige Lehrstuhlinhaber und Direktor der 1901 gebauten neuen Laryngologischen Spezialklinik der Charité in Berlin, Bernhard Fränkel, sich zurückziehen würde, stand Killian vor dieser Wahl, und die Geschichte seiner Berufung ist so kompliziert, „dass man ein kleines Buch darüber schreiben könnte“, bekannte er später gegenüber seinem Freund Sir Felix Semon; denn aus seinem Fach kam tatsächlich kein Konkurrent. Nur der örtliche Otologe Karl Adolf Passow (1859–1926), ein guter Kliniker, in Berlin beim Militär und auch bei Hofe bestens verankert, machte sich Hoffnungen, wollte die drei Disziplinen unter seiner Leitung vereinen. Es entbrannte ein regelrechter Kampf, wobei alle namhaften Fachkollegen Killians sich in seltener Einmütigkeit hinter ihn stellten. Die Denkschrift der deutschen Laryngologen vom Juli 1911 „Die Stellung der Laryngologie an deutschen Universitäten“ markiert den Höhepunkt der Auseinandersetzung, stellte heraus, was das Fach ist, die Heilkunde, die die gesamten Luftwege und die oberen Speisewege bis zum Magenmund umfasst. Die Verfasser scheuten sich auch nicht, nachgerade ein Horrorszenario zu entwerfen. Die Verschmelzung der drei Fächer an der damals größten deutschen Universität ließe die deutsche Führungsposition wieder an Wien und Paris verlorengehen. Selbst Killians Freund, der führende Laryngologe Sir Felix Semon, ein gebürtiger Berliner, der über beste Kontakte zur Familie Bismarck und zum Kaiser verfügte, schaltete sich ein, schrieb direkt an den Kaiser und empfahl Killian als Nachfolger von Fränkel.
Was letztlich ausschlaggebend wirkte, mag offen bleiben. Killian jedenfalls reiste nach Berlin und man wurde handelseinig. Er sollte persönlicher Ordinarius und Geheimrat werden. Dabei musste er aber akzeptieren, dass sein otologischer Konkurrent einen Lehrauftrag auch für einen Teilbereich der Rhinologie erhielt, was in den kommenden Jahren immer wieder zu Verwicklungen führte und nicht selten Schatten auf das Berliner Jahrzehnt warf. Am 16. August war der Vertrag mit der Unterschrift des Kaisers bestätigt, zwei Tage später erfolgte die Ernennung durch das preußische Kultusministerium. Die Entlassung aus bad. Diensten durch den Großherzog zum 1. Oktober 1911 war nurmehr Formalität. Zu Killians Freiburger Nachfolger wurde Otto Kahler (1878–1946) aus Wien berufen.
Ende September traf Killian in Berlin ein und kündigte für das bevorstehende WS 1911/12 Kollegs über die Untersuchung der Luftwege und oberen Speiseröhre, die Klinik dieser Krankheiten sowie praktische laryngologisch-rhinologische Übungen an; er las auch ausgewählte Kapitel beider Fachbereiche. Zunächst aber präsidierte er dem Internationalen Laryngologenkongress und stellte erstmals sein neues Verfahren der Schwebelaryngoskopie vor, woran er dann weiterarbeitete.
Noch in Freiburg war Killian zufällig beim Umgang mit einer Leiche in Rückenlage, rekliniertem Kopf und weit geöffnetem Mund mit einem Spatel bis hinter den Kehlkopf vorgedrungen. Er befestigte den Spatel so, dass das Gewicht des Kopfes darauf lastete. So bot sich ihm beim Hineinleuchten ein überraschend tiefer Einblick in den Nasen-Rachenraum, das Innere des Kehlkopfes, in die Trachea und den Ösophagusmund. Nach der Neukonstruktion eines Schwebehakens konnte diese Untersuchungsmethode endlich auch an Lebenden vollzogen werden. Wiederum sind in den folgenden Jahren weltweit zahlreiche Entwicklungsstufen und Modifikationen dieser Methode zu beobachten.
Trotz vieler Spänne wusste sich Killian, nun eindeutig der Meister der Laryngologie, auch in Berlin zu behaupten. Der Zulauf an Hörern und Studenten war immens, die Privatpraxis gleichermaßen international frequentiert, was ihn zum sehr wohlhabenden Manne machte. Dennoch hielt er methodisch nie inne. Der Eindruck seines ausgedehnten Frontbesuchs im Sommer 1916, vor allem von Schussverletzungen des Kehlkopfes, ließ ihn später an dessen plastischen Rekonstruktionen arbeiten. Auch der Krebsbefall dieses Organs beschäftigte ihn, genauso wie zu beobachten ist, dass er in den letzten Jahren sich intensiver der Röntgentechnik, nach seinem Schwedenbesuch 1918 auch der Radiumbestrahlung bediente.
Im Sommer 1920 schien die Kraft des nunmehr 60-jährigen ungebrochen. Nach den Ferien setzten Ermüdungserscheinungen ein; Killian galt schon lange als magenempfindlich. Die Röntgenaufnahme ließ einen bereits fortgeschrittenen Magenkrebs erkennen, eine Operation wurde abgebrochen; auch das Pankreas war bereits befallen. Der Sohn beschreibt den Sterbenden: „Mit blassem, abgezehrtem Gesicht lag er auf seinem Lager, seine […] tiefblauen Augen erschienen vergrößert und strahlten einen überirdischen Glanz aus“ (Hans Killian, 1958, S. 249). Killian verabschiedete sich noch von seinen Assistenten und verschenkte seine angefangenen Arbeiten. Das der Fakultät zugeleitete Schreiben, in dem er zum Medizin-Nobelpreis für das Jahr 1921 vorgeschlagen war, mag ihm krönende Bestätigung seines Wirkens geworden sein, über die er verstarb.
Quellen: Nachlass Killian teilweise im II. Weltkrieg beim Sohn Hans in Breslau zerstört, Briefwechsel mit Killians Braut u. späterer Ehefrau u. sonst. Aufzeichnungen auszugsweise zit. von Hans Killian, 1958 (vgl. Literatur), passim; UA Freiburg B 24 1743, PA Gustav Killian, B 24 1742, PA H. Killian; UA Humboldt-Univ. Berlin UK K 104, Personalakte Killian; Auskünfte von Prof. Eduard Seidler u. Prof. Chlodwig Beck, beide Freiburg, sowie Dr. Andrea Reimsbach, Ludwigshafen, u. Dr. Alexander Kipnis, Mannheim, alle vom Nov. 2010.
Werke: Werkverzeichnisse bei W. Amann, 1956, 61–72, 151 (Doppelung von 38) Nummern, u. seines Sohnes Hans, 1958, 260–267, 153 Nummern (beide vgl. Literatur) – Auswahl: Zur Anatomie d. Parovarialzysten, Diss. Med. Freiburg, in: Archiv für Gynäkologie 26, 1885, 460– 478; Über die Bursa u. Tonsilla pharyngea, Habil. Freiburg, Morpholog. Jahrb. 14, Heft 4, 1888, 618–711; Vorläufige Mitt. über die morpholog. Bedeutung d. Ohrmuskeln, in: Archiv für Ohrenheilkunde 29, 1890, 129 f.; Die Untersuchung d. hinteren Larynxwand, 1890; Meine Erfahrungen über die Kieferhöhleneiterung, in: Münchner Medizin. Wochenschr. 39, 1892, 51–53, 70–74 u. 80–92; Die Demonstration laryngoskopischer Bilder vermittelst d. direkten Projektion, ebd. 40, 1893, 103–107; Zur Anatomie d. Nase menschl. Embryonen, in: Archiv für Laryngologie, 2. Bd., Heft 2, 1895, 234–249, 3. Bd. Heft 1 u. 2, 1895, 17–47, u. 4. Bd. Heft 1, 1896, 1–45; Über die Rhinoskopia media, in: Münchner Medizin. Wochenschr. 43, 1896, 768 f.; Über die direkte Bronchoskopie, ebd. 45, 1898, 844–847; Über die Leistungen d. direkten Bronchoskopie bei Fremdkörpern d. Lungen, ebd. 47, 1899, 723–726; Die direkte Bronchoskopie u. ihre Verwertung bei Fremdkörpern d. Lungen, in: Wiener Med. Wochenschr. 50, 1900, 14 f.; Die Erkrankungen d. Nebenhöhlen d. Nase, Einleitung, d. Kiefer- u. Stirnhöhlen, Handb. d. Laryngologie u. Rhinologie, hgg. von Heymann, 3. Bd. 2. Hälfte, 1900, 985–1172; Zur Gesch. d. Ösophago- u. Gastroskopie, in: Dt. Zs. für Chirurgie 58, 1901, 499–512; Meine Methode d. Radikaloperation chronischer Stirnhöhleneiterungen, in: Verhandll. d. dt. otolog. Gesellschaft, 1902, 90 f.; Die Tracheo-Bronchoskopie in diagnost. u. therapeut. Hinsicht, in: Archiv für klin. Chirurgie 77, 1905, 523–531; Nekrolog auf J. A. Killian, in: Münchner Medizin. Wochenschr. 54, 1907, 127, auch in: Internat. Zentralbl. für Laryngologie, Febr. 1907; (mit E. Goldmann) Zur Verwendung d. x-Strahlen für die Behandlung d. nasalen Nebenhöhlen u. ihrer Erkrankungen, in: Beiträge zur klin. Chirurgie, 54., 1907, 1–22; Die Radiographie im Dienste d. Rhinologie, Verhandll. des 1. internat. Laryngo-Rhinologen-Kongresses, 1908, 258–265; Die Laryngo-Rhinologie als Gegenstand des med. Unterrichts, in: Dt. Medizin. Wochenschr. 37, 1911, 2183–2186; Über die Schwebelaryngoskopie, in: Berliner klin. Wochenschr. 49, 1912, 581 f.; Die Kriegsverletzungen des Kehlkopfs. Zum Bericht d. Ausstellung d. Kriegsbeschädigtenfürsorge, 1917, 48–53; Ösophagoskopie, Bronchoskopie u. Schwebelaryngoskopie, Neubearb., in: Bier, Braun, Kümmel (Hgg.), Chirurg. Operationslehre 2, 1919; Die Schwebelaryngoskopie u. ihre prakt. Verwertung, 1920; Die Kriegsverletzungen des Kehlkopfs u. d. Luftröhre, in: Otto Schjerning, Ärztl. Erfahrungen im I. Weltkrieg, 1921, 242–275.
Nachweis: Bildnachweise: Bronzebüste von Hugo Lederer, 251, u. zahlreichr. Fotos aus allen Lebensabschnitten bei Hans Killian, passim (vgl. Literatur).

Literatur: G. von Eicken, G. Finder u. M. Weingaertner, FS Gustav Killian am 2.6.1920 zu seinem 60. Geburtstag, Archiv für Laryngologie u. Rhinologie, 36. Bd., 1920 (762 S.); G. Finder, Gustav Killian †, in: Internat. Zentralbl. für Laryngologie, Rhinologie u. verw. Wissenschaften 37, 1921, 67–74; Hermann Maschik, Gustav Killian †, in: Monatsschr. für Ohrenheilkunde u. Laryngo-Rhinologie 55, 1921, 187–195; Max. Weingärtner, Killian †, in: Dt. Medizin. Wochenschr. 47, 1921, 451 (mit Bildnachweis); K. von Eicken, Gustav Killian †, in: Berliner Klin. Wochenschr. 58, 1921, 370; H. Kohn, Die Selbständigkeit d. Laryngologie, ebd. 371; L. Rethi, Gustav Killian †, in: Wiener Medizin. Wochenschr. 71, 1921, 465; Killian, Gustav, in: I. Fischer, Biogr. Lexikon d. hervorragenden Ärzte d. letzten 50 Jahre Bd. 1, 1932, 158 f.; W. Amann, Gustav Killian, Leben u. Werk, Diss. Med. Freiburg 1956 (Masch., 72 S.); W. Kindler, Die Gesch. d. Oto-Rhino-Laryngologie, 1956; Hans Killian, Gustav Killian, sein Leben, sein Werk, 1958 (267 S.); H. D. Becker, Gustav Killian: A biographical sketch, in: Journal of Bronchology 2, 1995, 77–83; A. Breisinger u. a., Gustav Killian Gedächtnislesung: 100 Jahre Bronchoskopie, in: Pneumologie 51, 1997, 611–619 (mit Bildnachweis); Gustav Killian Centenary: The Celebration of a Century of Progress in Bronchology, in: Journal of Bronchology 4, 1997, 1 f.; R. Kopp, Die Erfindung d. modernen Bronchoskopie, in: Pneumologie 59, 2005, 725–729.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)