Rauch, Moriz von 

Geburtsdatum/-ort: 21.12.1868;  Heilbronn
Sterbedatum/-ort: 17.07.1928;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Historiker, Privatgelehrter, Stadtarchivar
Kurzbiografie: 1887 Reifeprüfung am Heilbronner Karlsgymnasium, anschließend Einjähriges bei den gelben Dragonern in Ulm
1888 Beginn des Studiums, zunächst in München, ab 1889 in Berlin (Kunstgeschichte, Literatur, Geschichte, Nationalökonomie)
1889 Eintritt in das Rauchsche Kontor zur kaufmännischen Ausbildung. Im gleichen Jahr stirbt der Vater
1890 Abbruch der kaufmännischen Ausbildung, erneute Aufnahme des Studiums in Berlin (Geschichte), ab 1893 in Marburg
1897 Promotion zum Dr. phil.
ab 1898 Moriz von Rauch wird stiller Teilhaber an der Firma Gebrüder Rauch; Forschungs- und Publikationstätigkeit insbesondere zur Heilbronner Geschichte als Privatgelehrter
1899/1900 längere Weltreise nach Nord-, Mittel- und Südamerika, andere Reisen führten ihn nach Konstantinopel, Griechenland, Ägypten, Palästina und wiederholt nach Italien
ab 1901-1922 Erarbeitung von vier Bänden des Heilbronner Urkundenbuches als Privatgelehrter
ab 1913 zunächst außerordentliches, dann ordentliches Mitglied der Kommission für Württembergische Landesgeschichte
ab 1915 Vorsitzender des Historischen Vereins Heilbronn
1924-1928 Heilbronner Stadtarchivar
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1901 (Ellwangen) Anna, geb. von Baumbach (1879-1944)
Eltern: Vater: Fritz von Rauch (1824-1890), Papierfabrikant (Gebrüder Rauch) und Handelskammerpräsident in Heilbronn, Landtagsabgeordneter
Mutter: Anna, geb. Feyerabend (1839-1919)
Geschwister: keine
Kinder: Fritz (1903-1923), Banklehrling
Konrad (1905-1945), Diplom-Landwirt
Hans Moriz (1910-2001), Dr. med.
Luise (1908-2008)
GND-ID: GND/116364130

Biografie: Christhard Schrenk (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 203-205

Im 19. Jahrhundert wandelte sich die wohlsituierte ehemalige Reichsstadt Heilbronn in eine führende württembergische Industrie-Metropole. An dieser Entwicklung hatte die Familie von Rauch einen wesentlichen Anteil. Speziell waren es die Brüder Adolf und Moriz, die 1822 eine weitreichende Entscheidung trafen. Sie entschlossen sich, ihre traditionsreiche Kolonialwarenhandlung aufzugeben und in die maschinelle Papierfabrikation einzusteigen. Dies war für Deutschland und insbesondere für Württemberg ein revolutionärer Schritt. Außerhalb Englands arbeitete fast noch keine Papiermaschine. Der Papiersektor wurde zu einer der zentralen Industrialisierungsmotoren in Süddeutschland und speziell auch in Heilbronn.
In diese Papier-Industriellen-Familie wurde am 21. Dezember 1868 Moriz von Rauch hineingeboren. Er war das einzige Kind seiner Eltern Fritz und Anna von Rauch, und er wurde nach seinem bereits erwähnten Großvater Moriz benannt. Vater Fritz von Rauch war ein großzügiger, weltoffener und vielseitig interessierter Mann. Der Industrielle reiste viel, so besuchte er z. B. im Frühjahr 1877 mit seiner Frau und dem achtjährigen Moriz Bozen und Lugano.
Nach Abitur und Militärdienst musste entschieden werden, welche berufliche Richtung der junge Moriz einschlagen sollte. Natürlich war es der Wunsch von Fritz, dass sich sein Sohn auf eine spätere Geschäftsübernahme vorbereiten sollte. Trotzdem erlaubte er ihm ein freigewähltes, allgemeinbildendes Studium. In dessen Verlauf wandte sich der Sohn immer intensiver dem Fach Geschichte zu. Nach fünf Semestern in München und Wien kehrte Moriz nach Heilbronn zurück. Hier begann er sich im Kontor der Firma von Rauch auf den kaufmännischen Beruf vorzubereiten. Dieser Versuch verlief jedoch nicht sehr erfolgreich. Einerseits fehlte es an einer gründlichen Einführung in das für ihn so fremde Gebiet. Andererseits verspürte er eine Abneigung sowohl gegen das Kaufmännische als auch gegen alles Technische – und beides sah er bei der Leitung einer Papierfabrik als unvermeidlich an.
Bereits im Sommer 1890 starb Fritz von Rauch. Sein Sohn Moriz setzte seinen Versuch, in die Firma hinein zu wachsen, noch ein Jahr lang fort. Im August 1891 fasste er aber den Entschluss, sich beruflich anders zu orientieren und Geschichte zu studieren. Den letzten Anstoß dazu gab der Nationalökonom Gustav von Schmoller, der in Heilbronn aufgewachsen und mit Moriz' Mutter befreundet war.
So lernte er in Berlin und Marburg die Methoden und Strömungen der damaligen Geschichtswissenschaften kennen und promovierte schließlich nach sieben Jahren bei Albert Naudé mit einer Arbeit über die Politik Hessen-Kassels im österreichischen Erbfolgekrieg bis zum Dresdner Frieden 1745. Danach kehrte er nach Heilbronn zurück und wurde 1898 stiller Teilhaber der Firma Gebrüder Rauch. Er erhielt ein Viertel von deren Gewinn. Das machte ihn finanziell unabhängig und schuf ihm die Möglichkeit, im Bereich der württembergischen bzw. der Heilbronner Geschichte zu forschen und zu publizieren.
Im Mai 1900 bot ihm die Kommission für württembergische Landesgeschichte die Bearbeitung des Heilbronner Urkundenbuches an. Moriz von Rauch griff zu – damit war eine weitreichende Entscheidung über seine wissenschaftliche Zukunft gefallen. Und außerdem: Die Existenz des mehrbändigen Urkundenbuches ist nach den umfangreichen Quellenverlusten im Zweiten Weltkrieg heute die wichtigste Basis für die Heilbronner Stadtgeschichtsforschung vom Anbeginn der schriftlichen Überlieferung bis in die Reformationszeit.
Eugen Knupfer hatte das Heilbronner Urkundenbuch-Projekt begonnen. Sein Auftrag war es, die in verschiedenen Archiven liegenden Quellen zu sichten, zu erschließen und im Druck für die Forschung bequem zugänglich zu machen. Diese immense Aufgabe schritt jedoch nur langsam voran, da Knupfer trotz allem Fleiß nebenher zum Gelderwerb gezwungen war. Moriz von Rauch verfügte dagegen sowohl über Zeit und Geld als auch über Fähigkeit und Willen. So wohnte er z. B. neun Monate im Hotel Marquardt in Stuttgart, um von dort aus die Quellen im Stuttgarter Staatsarchiv zu erforschen. Auf diese Weise entstanden bis 1922 drei Bände eines Urkundenbuches, das in seiner Detailfülle und Überlieferungsdichte diejenigen der gleichzeitig erschienenen Urkundenbücher anderer ehemaliger Reichsstädte bei weitem übertraf. So hat Moriz von Rauch eine ebenso breite wie auch absolut zuverlässige Quellengrundlage für die mittelalterliche Heilbronner Geschichte geschaffen.
Natürlich hat Moriz von Rauch die Quellen nicht nur gesichtet und erfasst. Er hat auch daraus geschöpft. Er schrieb 35 Aufsätze, die sich großenteils mit Heilbronner Themen aus der Reichsstadtzeit befassen. Diese Arbeiten sind zumeist in den Veröffentlichungen des Historischen Vereins Heilbronn oder in überörtlichen Organen erschienen. Sie alle zeichnen sich durch die bis ins Detail präzise Forschung und durch eine absolut exakte Darstellung aus. Eine umfassende Heilbronner Geschichte – quasi als Gegenstück zu seinem Urkundenbuch – hat er jedoch nie verwirklicht.
Natürlich hat Moriz von Rauch auch verschiedene Ämter bekleidet. Er gehörte als ordentliches Mitglied der Kommission für württembergische Landesgeschichte an und saß im Ausschuss des Vereins für Württembergische Kirchengeschichte. Er fungierte im Auftrag des Amts für Denkmalpflege als Heilbronner Konservator und übernahm 1924 nebenamtlich die Leitung des Heilbronner Stadtarchivs. Außerdem stand er 13 Jahre lang dem Historischen Verein Heilbronn vor.
Moriz von Rauch war ein weitgereister Mann. Regelmäßig – fast systematisch – besuchte er die Länder Nord-, Mittel- und Südeuropas. Außerdem bereiste er Nord-Afrika und 1899/1900 acht Monate lang ganz Amerika. Besonders liebte der von der deutschen Sehnsucht nach dem Süden erfüllte Humanist aber Italien.
Moriz von Rauch war ein Mann von mittlerer Größe und eher zartem Wuchs. Seine Augen blickten meist ernst und zurückhaltend durch die dicken Brillengläser, sein Gesicht war durch einen Bart geprägt. Als dieser bescheiden auftretende Mann am 17. Juli 1928 nach längerem Klinikaufenthalt einem Herzschlag erlag, hatte Heilbronn und ganz Württemberg einen bedeutenden Geschichtsschreiber verloren.
Quellen: StadtA Heilbronn, Zeitgeschichtliche Sammlung.
Werke: Heilbronner Urkundenbücher, Bde 2-4, 1913-1922; Geschichte der Familie von Rauch in Heilbronn, 1919; zahlreiche Aufsätze.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos in der Fotosammlung des StadtA Heilbronn.

Literatur: Julius Wagner, Zur Erinnerung an Dr. M. von Rauch, in: Jb. des Historischen Vereins Heilbronn 16 (1929), 7-10 (mit Bibliographie); Kurt Bach, M. von Rauch, Zu seinem hundertsten Geburtstag, in: ebda. 25 (1966), 208-217.
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