Euler, August (August) Heinrich 

Geburtsdatum/-ort: 20.11.1868; Oelde
Sterbedatum/-ort: 01.07.1957;  Feldberg
Beruf/Funktion:
  • Luftfahrtpionier
Kurzbiografie: 1882 Konfirmation in Aachen, bis dahin Besuch einer evangelischen Schule
1882-1885 individuell gestaltete Weiterbildung u. a. in Graphik
1885-1888 Militärdienst
1888-1904 technischer Kaufmann erst bei Fahrrad-, dann bei Autofirmen in Köln, Einbeck, Brandenburg (Brennabor), Frankfurt a. M. und Dresden
1901 Namenswechsel von Euler-Reith zu Euler wegen seiner Abstammung von dem Mathematiker Leonhard Euler
1903 Übernahme der Bosch-Vertretung
1904-1908 selbständiger Unternehmer, Handelshaus für Automobilkonstruktionsmaterial in Frankfurt a. M.
1908 Gründung einer Flugzeugfabrik in Darmstadt
1909 Teilnahme an der ILA als Flieger und Flugzeugfabrikant, Prüfung als Flugzeugführer Nr. 1
1911 Initiator und Leiter des Vereins Deutscher Flugzeugindustrieller
1912 Eröffnung des Euler-Flugplatzes in Frankfurt a. M., dort auch die neuen Euler-Flugzeugwerke mit Fliegerschule
1912 Mitbegründer der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Flugtechnik und der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt
1919 Beschlagnahmung der Euler-Werke durch die Entente; Unterstaatssekretär im Reichsamt für Luft- und Kraftfahrwesen, dann im Reichsverkehrsministerium; Verleihung des Titels Dr. ing. e. h. durch die TH Braunschweig
1922 Privatier in Frankfurt
1932-1957 Wohnsitz auf dem Feldberg im Schwarzwald
1952 Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
1957 Ehrengrab auf dem Frankfurter Hauptfriedhof, Gedenkstein auf dem Darmstädter Flugplatz
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1900 Luise, geb. Ripperger
Eltern: Vater: Friedrich Wilhelm August Reith, Kaufmann
Mutter: Clara, geb. Euler
Geschwister: keine
Kinder: Berta, Hanns August, Lotte Luise, Clara Theodora, Kläre Malvine, Karl August
GND-ID: GND/11661076X

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 74-76

„Deutschland No 1“ steht auf Eulers Fliegerlizenz, die er durch einen Prüfungsflug am 31. Dezember 1909 kurz nach der amtlichen Bekanntgabe der Bedingungen erworben hat. Das Dokument wurde am 1. Februar 1910 vom Deutschen Luftschifferverband im Auftrag der Fédération Aéronautique Internationale ausgestellt. Die Franzosen waren damals im Experimentieren mit dem Flugzeug am erfolgreichsten. Unter den gefeierten Piloten der ersten Stunde waren Leute wie Blériot und Farman, die Euler vom Automobilsport her persönlich kannte. Er ließ sich für den neuen Sport begeistern und erkannte den damit verbundenen Bedarf an Material und Gerät. Er gründete eine Fabrik beim Exerzierplatz Darmstadt-Griesheim, den er als Fluggelände nutzen durfte, und beschaffte sich eine Lizenz zum Nachbau von französischen Voisin-Flugzeugen. Angesichts der gespannten politischen Lage vereitelte das französische Kriegsministerium jedoch die Zusammenarbeit. Euler hatte aber schon einen Voisin-Zweidecker erhalten, den er weiterentwickelte und mit dem er sich das Fliegen beibrachte. Auf der Internationalen Luftfahrtausstellung ILA in Frankfurt 1909 demonstrierte er seine Erfolge. Ein Zeitzeuge aus den Reihen der „Alten Adler“ formulierte folgendermaßen: „Nur ein Deutscher konnte bei den Wettflügen, die zwischen deutschen, französischen und belgischen ‚Aviateuren‘ ... ausgetragen wurden, wirklich fliegen: August Euler.“ Bei der ILA war Euler außerdem als Aussteller mit vier Motor- und drei Gleitflugzeugen aus eigener Produktion vertreten.
Zur selben Zeit wie Euler in Hessen experimentierte auch Hans Grade in der Mark Brandenburg mit dem Motorflug als Flieger, Fluglehrer, Konstrukteur und Fabrikant. In den Jahren des Dritten Reiches entspann sich, ausgehend von Darstellungen der Schriftsteller Italiaander und Supf, eine Diskussion, wer von beiden jeweils der erste war. Als Nummer 1 wurde damals Grade herausgestellt mit propagandistischem Unterton. Die Argumentation verstieg sich soweit, daß Eulers erste Flüge nicht zählen sollten, da sie nicht mit „rein deutschen“ Flugzeugen ausgeführt waren. Euler selbst hat zu dieser Streitfrage 1939 eine kleine Monographie herausgebracht, worin er sich gegen den Grade-Rummel wendet, allerdings mit einem kameradschaftlich versöhnlichen Schluß. Beide waren schließlich verdiente Pioniere. Geschäftlich war Grade keine echte Konkurrenz: Während Euler schon 1910 Lieferant der Heeresverwaltung war, gelang es Grade damals nicht, die Anerkennung der Kriegstauglichkeit seiner Apparate zu erhalten (Technikband Militärluftfahrt, siehe Literatur).
Wer in der Pionierzeit Flugzeuge verkaufen wollte, mußte Piloten ausbilden. Daher gründeten Euler, Grade und andere eigene Schulen. Auch die Heeresverwaltung nutzte die Ausbildungsmöglichkeiten durch die Industrie. Euler hatte in Militärkreisen ein vorzügliches Renommee. Bei ihm ließ sich 1910 der Generalinspekteur der Marine, Prinz Heinrich von Preußen, ausbilden. Seine Popularität bewirkte eine Sympathiewerbung für die zivile wie die militärische Luftfahrt und verhalf u. a. der Nationalflugspende zu einem breiten Echo. Für solche Zusammenhänge hatte Euler ein hervorragendes Gespür, was ihm ebenso zugute kam wie sein empirisches Talent als Konstrukteur und sein Wagemut. 1910 war wohl das beste Jahr in seiner Erfolgsbilanz: Er konnte der Heeresverwaltung eine leistungsfähige zweisitzige Maschine mit geschlossener Kanzel anbieten, und er meldete ein Patent an, das ihm viel Geld einbrachte: die starre Verbindung eines Maschinengewehrs mit dem Flugzeugrumpf, was dem Piloten erlaubte, mit der ganzen Maschine zu zielen. An manchen Stellen der Literatur wird vermerkt, Euler sei weder Militarist noch Nationalist gewesen. Beide Kriterien gehen an seinem Selbstverständnis vorbei. Er war ein gewandter Geschäftsmann und Unternehmer der Ära vor 1914, dessen Verbindungen an Staatsgrenzen nicht Halt machten. Dem Nationalsozialismus stand er ablehnend gegenüber.
Eine wichtige Basis für Eulers Erfolg als Pionier der Luftfahrt war seine günstige Vermögenslage: 1904 bis 1908 unterhielt er ein großes Handelshaus in Frankfurt, wo er Bauteile für die Automobilfabrikation, zum Beispiel Rahmen und Karossen aus französischem Stahl, anbot. Großen Erfolg erzielte er mit den Zündanlagen der Firma Bosch in Stuttgart, deren Vertrieb er von 1903 bis 1908 als Monopolist besorgte. Theodor Heuss schreibt dazu: „Bosch konnte, wenn es auch zu Reibungen kam, da Euler selbstbewußt, eigenwillig und reizbar war, mit dem rein geschäftlichen Erfolg zufrieden sein. Euler fuhr mit seinem Wagen durch das Land, überall hatte er aus seiner sportlichen Vergangenheit Freunde, er war Kavalier und Reisender in einem ... In Eulers Lebensweg drückt sich ein Stück deutscher Sportgeschichte mit technischem Einschlag aus. Er kam vom Fahrrad, wurde Radrennfahrer und hatte die Reichsteinschen ‚Brennaborwerke‘ in Brandenburg als Reisender vertreten. Dann wandte er Enthusiasmus und Spürsinn dem neuaufkommenden Automobil zu.“
Insgesamt produzierte Euler rund 500 Flugzeuge, die meisten während des Ersten Weltkriegs. 1919 wurden die Eulerwerke von der Entente beschlagnahmt. Der Prozeß über die Abfindung vor dem Reichswirtschaftsgericht zog sich bis 1926 hin. Das Fluggelände beim Werk, das Euler 1911 von der Stadt Frankfurt erworben hatte, verkaufte er an diese zurück. Es wird heute nicht mehr einschlägig genutzt, im Gegensatz zum Griesheimer Sand bei Darmstadt, der noch als Flugplatz besteht. Im Alter von 50 Jahren stellte sich Euler 1919 noch einmal einer neuen Aufgabe. Im Rang eines Unterstaatssekretärs übernahm er die Leitung des damals neugegründeten Reichsamtes für Luftfahrt und Kraftfahrzeugwesen, das bald dem Reichsverkehrsministerium zugeordnet wurde. In seiner Amtszeit wurden die Grundlagen zur gesetzlichen Regelung der zivilen Luftfahrt gelegt; außerdem nutzte er seinen Einfluß im Interesse der durch den Versailler Vertrag stark behinderten deutschen Flugzeugindustrie. Differenzen mit den jeweiligen Reichsverkehrsministern, vor allem offenbar mit Gustav Bauer (SPD), führten 1920 bis 1922 schrittweise zu Eulers Rückzug ins Privatleben.
Er lebte zunächst in seiner Villa in Frankfurt, die er später der dortigen Universität geschenkt hat. Wochen- und monatelang hielt er sich auf dem badischen Feldberg auf, wo er sich 1932 auf Dauer niederließ. Sein Haus in über 1000 m Höhe wurde zum Treffpunkt eines großen Bekanntenkreises. Die Namen von Falkenhayn, A. Mendelssohn-Bartholdy, von Opel, Junkers, Messerschmitt, Kienzle, Dinkelacker erscheinen im Gästebuch. Ernst Udet war ein guter Freund. Um 1930 erwog Euler, mit diesem noch einmal eine Flugzeugfabrik zu gründen. 1976 suchte die Gemeinschaft der „Alten Adler“ das Eulerhaus auf, wo von der Familie das Andenken des Erbauers gepflegt wird. Das Verhältnis Euler-Feldberg war nicht ganz reibungsfrei, denn auch hier entwickelte der ideenreiche Westfale kommerzielle Pläne, die zu Differenzen mit der einheimischen Gastronomie und dem Naturschutz führten. Im Rückblick überwiegt der Stolz auf den prominenten Einwohner, dessen Initiative es zuzuschreiben ist, daß der Feldberg 1939 eine selbständige Gebietskörperschaft wurde. 1989 gedachte die inzwischen erweiterte Gemeinde durch ein Volksfest mit fliegerischen Einlagen des Eulerfluges auf der ILA 1909 und ehrte so den Luftfahrtpionier. In der Erinnerung seiner Freunde lebt Euler fort als geselliger Grandseigneur, der fesselnd erzählen konnte, auch dichten und zur Laute singen, Ski laufen und Tennis spielen.
Quellen: Ungedrucktes Material: Julius Hatry, August Euler Man. für: Kurzbiographien aus der Luft- und Raumfahrt; Georg Belstler, Rede auf August Euler aus Anlaß seines 100. Geburtstages auf dem Feldberg 1968. – Im Familienbesitz: Dokumente aus dem Privat- und Geschäftsleben; BA Koblenz: Nachlaß August Euler
Werke: Der Fall Daimler. Denkschrift für die Geschichte der Luftfahrt. Frankfurt a. M. 1918; Luftfahrterinnerungen nach 30 Jahren. Frankfurt a. M. 1939
Nachweis: Bildnachweise: bei G. Philipp und A. Meyer (vgl. Literatur)

Literatur: G. Philipp, Deutschlands Flugzeugführer Nr. 1. In: Deutsche Luftwacht. Ausgabe Luftwelt. Jg. 5, Nr. 12. Berlin 1938; Peter Supf, Das Buch der deutschen Fluggeschichte. Bd. 1 und 2. Berlin 1935; Rolf Italiaander, Wegbereiter deutscher Luftgeltung. Berlin 1941; Willy Fisch, August Euler, in: NDB 4, 686; Karl Euler: Das Geschlecht Euler-Schölpi. Geschichte einer alten Familie. Gießen 1955; Alex Meyer, August Euler zum Gedächtnis, in: Jahrbuch der wissenschaftlichen Gesellschaft für Luftfahrt. Jg. 1957, 1958, 490 f.; Theodor Heuss, Robert Bosch. Leben und Leistung. Tübingen 1946 und Stuttgart 1986; Die Militärluftfahrt bis zum Beginn des Weltkriegs 1914. 3 Bände. Neuherausgabe durch das MGF (Militärgeschichtliches Forschungsamt) 1966; Willi Hackenberger, Die Alten Adler. Pioniere der deutschen Luftfahrt. München 1960; August Vetter, Der Feldberg im Schwarzwald. 1982; Helmut Bender, Der Feldberg. Freiburg 1983
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