Längin, Theodor 

Geburtsdatum/-ort: 14.05.1867;  Karlsruhe
Sterbedatum/-ort: 29.05.1947;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Germanist, Bibliothekar
Kurzbiografie: 1873 ff. Privatunterricht (statt Volksschule)
1877-1886 Großherzogliches Gymnasium Karlsruhe
1886 Abitur ebenda
1886-1892 Studium der Germanistik, Geschichtswissenschaft und Philosophie in Heidelberg, Berlin, Bonn, Freiburg
1891 Promotion in Freiburg mit Dissertation über „Die Sprache des jungen Herder in ihrem Verhältnis zur Schriftsprache“
1892 Staatsexamen („Lehramtsprüfung“)
1892-1894 Volontär an der Badischen Hof- und Landesbibliothek in Karlsruhe
1894-1901 außerordentlicher wissenschaftlicher Hilfsarbeiter an der Universitätsbibliothek Freiburg
1896-1901 Nebenamtlich Bibliothekar der „Allgemeinen Volksbücherei Freiburg i. Br.“
1901-1904 Vorstand der Hochschulbibliothek zu Bern
1904 Ernennung zum Leiter der Druckschriftenabteilung der Badischen Hof- und Landesbibliothek, unter Verleihung des Titels Professor
1916-1932 Direktor der Badischen (Hof- und) Landesbibliothek
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1902 Ella, geb. von Sallwürk (1872-1972)
Eltern: Vater: Georg Längin (1827-1897), Stadtpfarrer in Karlsruhe
Mutter: Eugenie, geb. Bilharz
Geschwister: keine
Kinder: 2 Söhne:
Heinz (1903-1945)
Folkmar (geb. 1907), Musikdozent, lebt in Weßling/Oberbayern
1 Tochter:
Bernhilt (1904-1977)
GND-ID: GND/116644427

Biografie: Ulrich Weber (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 3 (1990), 169-171

Schüler, späterhin Amtsnachfolger von Wilhelm Brambach, gehörte Längin zu der zweiten deutschen Generation hauptamtlicher Bibliotheksfachleute. Ihre Chance war es, von den Vorgängern ein wohlgesetztes Fundament überkommen zu haben. Die wichtigsten Pioniertaten waren bereits vollbracht. Sie hießen: Verselbständigung des Berufs; Entwurf moderner Normen für die Erschließung und Benutzung des Bibliotheksguts; Liberalisierung, ja Popularisierung. Aufsehenerregende Neuerungen konnte es fortan nur noch vereinzelt geben. In der Hauptsache galt es, gewissenhaft und beharrlich weiterzubauen. Längin hat dies in einer Weise getan, die immer wieder beispielgebend wurde. Im übrigen wuchs nunmehr zwangsläufig die Schwierigkeit, zwischen wissenschaftlichen und administrativen Aufgaben zu einem ausgewogenen Kompromiß zu gelangen.
So ist denn bezeichnend, daß Längins beachtlichste Gelehrtenleistung, die Beschreibung von Handschriften der Badischen Landesbibliothek (in einer durch Brambach begründeten Veröffentlichungsreihe), in die früheste Phase seines fachlichen Werdegangs fällt, ins Karlsruher Volontariat der Jahre 1892-1894. Als Längin, nach seinem endgültigen Eintritt in die Landesbibliothek, dort erst an der Seite des Hofraths Dr. Alfred Theophil Holder, eines Chefs, der seinen paläographischen Elfenbeinturm nur im Notfall verließ, und, nach Holders Ableben, als Träger der Gesamtverantwortung, die volle Last der Verwaltungsgeschäfte zu fühlen bekam, konnte er an den wissenschaftlichen Aktivitäten des Instituts fast nur noch als Organisator teilnehmen. So ist er in dem, was unter seiner Leitung an Handschriftenkatalogen, Facsimilia u. ä. zustandekam, zumeist allein mit einem Geleitwort gegenwärtig, mit einigem mehr, z. B. dem Rückblick auf „50 Jahre Staatsverwaltung“, in den Zugangsverzeichnissen und Fachübersichten, die Brambachs gedruckten Gesamtkatalog periodisch ergänzten. Umfangreichere Arbeiten seiner Feder wie die Edition von Karlsruher Bruchstücken des mittelhochdeutschen Buchs der Märterer, von altalemannischen Sprachquellen der Reichenau, von Hebels hochdeutschen Rätselgedichten blieben die Ausnahme. Zu seinen Studien über den Catholicon-Hymnus Gutenbergs und über die Markgräflich Durlachische Schloßdruckerei zu Staffort fand Längin gar erst in Ruhestandstagen die Muße. Als umso gewichtiger erweist sich die Menge der Veröffentlichungen, mitunter auch nur aktenkundigen Verlautbarungen, die aus der Praxis von Längins Bibliotheksführung erwachsen sind. Sie bieten, neben vielem unvermeidlich Antiquierten, doch noch genug der Fakten, die nicht der Vergessenheit anheimfallen sollten. So Längins Festhalten an der vollen Gebührenfreiheit der Bibliotheksbenutzung (im Geist der mustergültig weitherzigen Direktiven von 1872); so sein Eintreten für geregelten Urlaub, durchgehende Arbeitszeit, Unfallversicherung; so sein Plädoyer für die Übernahme eines besonders befähigten Mitarbeiters aus dem gehobenen (damals mittleren) in den höheren Dienst (vom Ministerium abgelehnt); so schließlich sein fortgesetztes und zumeist auch erfolgreiches Bemühen, die Bibliothek durch den Erwerb geeigneter Privatsammlungen samt einer Blindenbücherei zu bereichern, wovon freilich so gut wie nichts der Zerstörung entgangen ist.
Mit Anteilnahme begleitete Längin von Anfang an das Projekt eines Zentralarchivs der nationalen Buchproduktion, das 1912 als Deutsche Bücherei zu Leipzig ins Leben gerufen wurde. Längin vertrat fortan in deren Verwaltungsrat die badischen Bibliotheken. Und noch einer neuen Institution galt, seitdem er 1896-1901 in Freiburg mit der Leitung der ersten reichsdeutschen Lesehalle betraut gewesen war, in Wort und Tat seine Aufmerksamkeit: dem Volksbüchereiwesen, das Paul Ladewig, dem andern namhaften Adepten Brambachs, initiale Impulse zu verdanken hatte. In einer stattlichen Reihe von Aufsätzen befaßte sich Längin mit dieser Einrichtung, versuchte unter anderem, deren Rechtsstellung zu umreißen, wie sie sich aus dem soeben eingeführten Bürgerlichen Gesetzbuch ergab.
Biograph Rolf Keppler rühmt dem Philologen und Bibliothekar Längin darum ein überraschendes Gespür für juristische Problematik nach. Dem fügt sich indessen eine Tatsache nur ungenügend: Längins Passivität angesichts der kapitalen Frage, wie nach dem Souveränitätsverzicht des badischen Fürstenhauses sich bei Beständen der Badischen Landesbibliothek, die den Besitzstempel der Hofbibliothek trugen, darunter die unschätzbaren Zimelien des Säkularisationsguts, künftig die Eigentumsverhältnisse gestalten sollten.
Fortschrittlichkeit und Konservatismus wohnten bei Längin Tür an Tür. So mutete er einerseits schon 1904 seinem Ministerium, zu Recht, das fait accompli zu, als erster Bibliothekar in deutschen Landen dem Anstellungsgesuch einer weiblichen Hilfskraft stattgegeben zu haben. Andererseits aber zeigte er sich harthörig, als, im Zeichen der jungen Demokratie, die vorgesetzte Dienstbehörde ihn aufforderte, seine Kollegen wie auch das Leserpublikum an der Erwerbungspolitik der Landesbibliothek teilhaben zu lassen.
Welcher Art manche der bislang alleinbestimmenden direktorialen Vorlieben gewesen seien, meinte ein Kritikus (H. Wolgemut) im Mai 1919 bereits aus der Thematik der im Lesesaal ausliegenden Zeitschriften erschließen zu können. Er sah hier „Antipazifismus, Allteutschtum und Vaterlandspartei-Standpunkt unter Dornen weiterblühen trotz Zusammenbruch und 9. November“. Geht ein Urteil von solch schmaler Beweisgrundlage aus, so sind ihm gegenüber selbstverständlich Vorbehalte am Platz. Man darf jedoch einräumen, daß die Tendenzen, auf die es abhebt, bei unserm Bildungsbürgertum dazumal keineswegs ungewöhnlich waren. Ihre kriminelle Übersteigerung, vorwiegend widerstandslos hingenommen, hat schließlich Folgen herbeibeschworen, von deren Tragik auch Längins Lebenswerk nicht verschont geblieben ist. Im Frühherbst 1942 mußte der Hochbetagte noch erleben, wie die Badische Landesbibliothek, die in der Finanzkrise um 1930 allein dank seines persönlichen Engagements, des letzten und vielleicht verdienstvollsten einer 28jährigen Amtszeit, ihr Eigendasein hatte bewahren können, im Verlauf eines von Deutschland entfesselten Kriegs unter britischen Brandbomben in Flammen aufging.
Werke: (Auswahl) Bibliographie bei Rolf Keppler, vgl.
Längin als Verfasser
Über Benutzungserleichterungen bei der BLB, in: Z(entralbl.) f. B(ibliothekswesen), 22, 1905, 47; Auslandsdeutsche Bibliotheken in Europa, W. Brambach zu s. 90. Geb. Khe 1931; Der Catholiconhymnus Gutenbergs, in: ZfB 55, 1938, 205-11; (Keine) Einführung der Bibliotheksgebühren, in: (ZfB 31, 1914, 267; Schweiz. Frauen an wiss. Bibliotheken in: ZfB 21, 1904; 134; Deutsche Handschriften der Großherzogl. Bad. Hof- u. Landesbibliothek. Khe 1894 (= Die Hss. d. Gr. Bad. Hof- u. LB, Beil. II, 2); Fünfundfünfzig Jahre Katalogdruck, in: FS f. G. Leidinger, München 1930, 145-156; Die Marktgräfl. Baden-Durlachische Schloßdruckerei Staffort 1599, in: Gutenberg-Jb., 1936. 161-164; Altalemannische Sprachquellen der Reichenau. Mit Anh.: Runen aus der Reichenau, in: K. Beyerle, Die Kultur der Abtei Reichenau. München 1925, Hbd 2, 684-702; Volksbibliotheken u. das BGB. in: BU. f. Volksbibliotheken u. Lesehallen, 1900, 84-94.
Längin als Herausgeber
Karlsruher Bruchstücke des mhd. Buchs der Märterer. Khe 1921; Hebel, J. P.: Hochdeutsche Rätselgedichte, nach den Urschriften hg. u. erg., in: Hebel: Werke, hg. v. W. Altwegg. Zürich usw. 1943, Bd. 3, 109 ff.
Längin als Geleitwort-Autor
Das Evangelistar des Speyerer Domes. Bilderhs. Einf. v. Karl Preisendanz u. a. Lpz 1930; Karl Preisendanz, Die Karlsruher Handschriften, Bd 2. Khe 1926 (= Die Hss. d. BLB in Khe. 8)
Nachweis: Bildnachweise: s. Literatur (R. Keppler), Foto StAF, Bildnissammlung.

Literatur: Rolf Keppler, T. Längin (1867-1947), wissenschaftl. Bibliothekar u. Verwaltungsfachmann ... (Mit Bildnis u. vollständiger Bibliographie). Köln 1973. (Masch.vervielf. Assessorarbeit in der Bad. Landesbibliothek u. d. S. 073 B 32); Folkmar Längin, T. Längin Ulm 1947; H. Wolgemut, Kritische Gänge durch öffentliche Anstalten. 3.: Die Bad. Landesbibliothek, in: Karlsruher Tagblatt Nr. 127 v. 8.5.1919.
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