Brühl, Julius Wilhelm 

Geburtsdatum/-ort: 13.02.1850; Warschau
Sterbedatum/-ort: 05.02.1911;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Schöpfer der organischen Spektrochemie
Kurzbiografie: 1859-1866 Herrnhuter Anstalt Gnadenberg, Schlesien
1866-1867 Handelsschule Berlin
1868-1873 Studium der Chemie am Polytechnikum Zürich bis 1870, dann auch Physik an der Universität Berlin
1873 Assistent im chemischen Laboratorium der Technischen Hochschule Aachen
1875 Promotion zum Dr. phil. an der Universität Göttingen
1879 19. Sep. Vortrag in Baden-Baden „Die chemische Constitution organischer Körper in Beziehung zu deren Dichte und ihrem Vermögen, das Licht fortzupflanzen“
1879 Dez. Stellvertreter des verstorbenen Professors der Chemie an der Technischen Hochschule Lemberg, ab
1880 Aug. ordentlicher Prof. der chemischen Technologie
1884 Umzug nach Freiburg i. Br.
1887 17. Nov. Honorarprofessor der Chemie an der Universität Heidelberg
1892 Ende der Vorlesungstätigkeit
1898 Ende der Leitung des chemischen Instituts
1899 Ende der Experimentalarbeit
1904 Mai Ehrenmitglied der Royal Institution of Great Britain
1904 Aug. Dr. sci. h. c. der Universität Cambridge
1907 Vorsitzender des Naturhistorisch-medizinischen Vereins Heidelberg
1908 21. Feb. Ordentlicher Honorarprofessor an der Universität Heidelberg
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr., später ev.
Verheiratet: 1880 (oder 1881) Elisabeth (Lili), geb. Bamberger (1857-1931)
Eltern: Vater: Ludwig (1821-1867), Industrieller
Mutter: Emma, geb. Bamberg
Geschwister: 4: Ariel (geb. 1851) und weitere 3
Kinder: 2:
eine Tochter (geb. 1882, im ersten Lebensjahr gestorben)
Felix Johann Rudolf Erich (1891-1938)
GND-ID: GND/116747781

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 31-33

Brühl war als erstes Kind einer wohlhabenden Familie geboren. Sein Vater wollte ihm sein Geschäft überlassen; Brühl hatte aber keine Neigung zu kaufmännischer Tätigkeit. Der frühe Tod seines Vaters änderte seinen Lebensweg: Auf den Rat seines Onkels, des Zuckerfabrikanten Theodor Bamberg, hin ging er nach Zürich, um Chemie zu studieren, wo er die Welt der Naturwissenschaft zum ersten Mal für sich entdeckte. Da noch russischer Staatsangehöriger, musste er nicht am Deutsch-Französischen Krieg teilnehmen. So konnte er ab Winter 1870 in Berlin weiter studieren und nun außer Chemie auch Vorlesungen in Physik bei G. Quincke und H. von Helmholtz hören. Später wurden Physikkenntnisse entscheidend für sein Lebenswirken. Schon Juli 1871 trug Brühl seine erste Arbeit der Deutschen Chemischen Gesellschaft vor. Sein Lehrer, der Organiker A. W. Hofmann, schätzte den begabten Jungen hoch, und als H. Landolt, damals Chemieprofessor an der 1870 eröffneten Technischen Hochschule Aachen, einen Assistenten suchte, der ihm nicht nur im Praktikum helfen, sondern auch selber Vorlesungen halten konnte, nannte Hofmann sofort Brühl. So ging Brühl nach Aachen und habilitierte sich dort noch ohne promoviert zu sein. Seine Dissertation, die er unter Hofmann begonnen hatte, beendete er später in Aachen in seiner „Freizeit“ und promovierte 1875 in Göttingen. Als Dozent leitete Brühl praktische Übungen zur analytischen Chemie und hielt außerdem Lehrveranstaltungen zur theoretischen organischen Chemie, in denen er u. a. die ersten, von ihm in Zusammenarbeit mit Landolt entwickelten Projektionsgeräte für den Chemieunterricht einsetzte. 1878 und 1879 las er ferner über „Theoretische Chemie“.
Die Jahre in Aachen wurden entscheidend für Brühls Lebensweg. Hier fand er in Landolt den Lehrer und Freund bis zu dessen Lebensende. Im Haus Landolts lernte er seine zukünftige Ehefrau kennen. Schließlich ging Brühl hier unter Landolts Einfluss von der reinen organischen Chemie über zur Erforschung der Beziehungen zwischen der Struktur und den physikalischen Eigenschaften, insbesondere der optischen bei organischen Verbindungen. Dies bestimmte seinen Weg in der Wissenschaft. Etwa 1878 machte Brühl seine wichtige Entdeckung, dass mehrfache Bindungen im Molekül auf die Molrefraktion (optische Eigenschaft der Stoffe, ausgeübt u. a. durch Dichte und Molekulargewicht) einen gesetzmäßigen Einfluss ausüben, so dass dies zur Ermittlung der chemischen Struktur organischer Körper benutzt werden kann. Dem experimentellen Ausbau dieser Erkenntnis war ein großer Teil seines Lebens gewidmet.
Brühls Vortrag vor der chemischen Sektion der 52. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Baden-Baden, in welchem er seine Ergebnisse zum ersten Mal bekannt machte, hatte Resonanz: Er bekam sofort einen Ruf an die Technische Hochschule Lemberg und wurde dort 1880 Ordinarius. Jetzt erlaubte er sich zu heiraten. Leider wirkten die hohen Anforderungen auf dieser Stelle zusammen mit dem rauhem Klima für seine Gesundheit fatal. Schon im Frühjahr 1882 warf ihn eine schwere Lungenblutung nieder, so dass man ihn bereits für verloren hielt. Brühl nahm einen langen Urlaub, zog von einem Kurort zum anderen, zuletzt in die Schweiz. 1884 bat er um Entlassung, zog nach Freiburg um, wo er sich langsam erholte und Schreibtischarbeit aufnahm. Ab 1886 konnte er wieder publizieren. Dank dem lebhaften Wirken Robert Bunsens nahm Brühl 1887 eine Stelle als Honorarprofessor an der Universität Heidelberg an und las nun abwechselnd organische und anorganische Experimentalchemie, unterrichtete in praktischen chemischen Übungen und führte eigene Experimentalarbeit im Privatlaboratorium durch, das er von August Bernthsen übernommen hatte. Er erweiterte seine Forschungen über Strukturbestimmung organischer Stoffe, insbesondere auf Benzol und auf sog. tautomere Verbindungen. Seine bahnbrechenden Arbeiten machten Brühl zu einem der Begründer der physikalischen organischen Chemie. Er trat auf W. Ostwalds Wunsch als einer der 22 Mitwirkenden der 1887 durch Ostwald begründeten internationalen „Zeitschrift für physikalische Chemie“ bei und publizierte fortan ständig in dieser Zeitschrift.
Der vielseitig begabte Mann mit leidenschaftlicher Natur und außerordentlicher Arbeitskraft hatte eine besondere Neigung zum Schreiben. Insgesamt publizierte er mehr als 160 Abhandlungen, vorwiegend über die Beziehungen zwischen dem „optischen Verhalten und der Struktur der organischen Stoffe, wie auch über verschiedene Probleme der organischen Chemie, über praktische Laboratoriumsapparate und -arbeitsmethoden, außerdem auch – in seinen Bibliographien fehlende – populäre Schriften über zeitgenössische Gelehrte. Von 1896 bis 1901 publizierte Brühl die Bände 5 bis 9 des großen Roscoe-Schorlemmer-Lehrbuchs der organischen Chemie und vollendete Schorlemmers „Lehrbuch der Kohlenstoffverbindungen“. Diese Lehrbücher, die teilweise auch als Monographien über die heterocyclischen Verbindungen und über die Pflanzen-Alkaloide erschienen, entstanden in Zusammenarbeit mit den finnischen Chemikern E. Hjelt und O. Aschan – ein Beispiel seiner weiten internationalen Kontakte, die er dank seiner Sprachkenntnisse pflegen konnte.
Seine emotionale Natur war jedoch die Ursache von häufiger scharfer wissenschaftlicher Polemik, die er anzettelte. Das verzögerte die Anerkennung seiner Pionierarbeiten, und erst später, zunächst in England, begann man ihre Bedeutung einzuschätzen.
Brühls Krankheiten verschlimmerten sich allmählich und zwangen ihn, zuerst Vorlesungen, später auch den praktischen Unterricht und schließlich seine eigene Experimentalarbeit aufzugeben. Trotz der Entfernung einer Niere im Winter 1908/1909 trat keine Besserung ein; er verstarb im Alter von 61 Jahren. Nekrologe, die weltweit, von Polen bis in die USA erschienen, zeigen seine Bedeutung als Schöpfer der organischen Spektrochemie.
Quellen: UA Berlin R/S, AZ v. J. Brühl, 1873; UB Heidelberg, Hs. 3833; Hs. 3628; UA Heidelberg (PA 1397; Rep. 27, Nr. 159; UA Göttingen, Dekanatsakte d. Philos. Fak. Nr. 161; Auskünfte des HochschulA d. Rheinisch-Westfälischen TH Aachen, des StadtA Freiburg u. des StadtA Heidelberg.
Werke: Die Constitution d. ganz substituirten Amido- u. Phosphido-Säuren u. Darstellung substituirter A-Amido-Propionsäuren (Diss. Göttingen), 1875; Die chemische Constitution organischer Körper in Beziehung zu deren Dichte u. ihrem Vermögen, das Licht fortzupflanzen, Ann. d. Chem. Pharm. Bd. 200, 1880, 139–231, Bd. 203, 1880, 1-63, 255-285, 363-368; Über den Zusammenhang zwischen den optischen u. den thermischen Eigenschaften flüssiger organischer Körper, Wiener Akad. Sitzberr. Bd. 84, 1882, Abt. 2, 817-875; Untersuchungen über die Molekularrefraction organ. flüssiger Körper von großem Farbenzerstreuungsvermögen, Ann. d. Chem. Pharm. Bd. 235, 1886, 1-106; Über die Einfluss d. einfachen u. d. sog. mehrfachen Bindung der Atome auf das Lichtbrechungsvermögen d. Körper, Zs. für physik. Chemie, 1887, Bd. 1, 307-361; A. W. v. Hofmann †, Die Nation Jg. 9, 1892, 498-500; Spektrochemie des Stickstoffs, Zs. für physik. Chemie Bd. 16, 1895, 193-241, 497-524 u. Bd. 22, 1897, 373-409; Die Rolle d. Medien im Lösungsvorgange, 1.c., ebd. Bd. 30, 1899, 1-63; Über tautomere Umwandlungen in Lösungen, 1.c., ebd. Bd. 34, 1900, 31-61; Die Entwicklung d. Spectrochemie, 1905; Hans Landolt. Eine Würdigung, Frankfurter Ztg. Jg. 54, Nr. 82, 1. Morgenblatt vom 24. 3. 1910, 1-2; Ohne Titel [über R. Bunsen], Zs. Elektroch., 1911, Bd. 17, 209.
Nachweis: Bildnachweise: UA Heidelberg; Ber. d. Dt. Chem. Ges. 44, 1911, 3758; Chemik Polski, 1911, 169 (vgl. Quellen u. Lit.).

Literatur: C. Liebermann, J. W. Brühl †, Ber. d. Dt. Chem. Ges. 1911, Bd. 44, 375-377; K. Auwers, J. W. Brühl, ebd., 3758-3794 (mit Bild u. Bibliogr.); O. Bütschli, E. Ebler, J. W. Brühl in: Verh. d. Naturhist.-med. Vereins Heidelberg, N. F. Bd. 11, 1910-1912, 330-351 (mit Bild); E. Philippi, J. W. Brühl, Biogr. Jb. u. Dt. Nekrolog 16 [für] 1911, 1914, 133-136; A. J. Goldsobl, J. W. Brühl, Chemik Polski Jg. 11, 1911, 169-178, 198-203 (mit Bild); W. Gerlach, J. W. Brühl, in: NDB, Bd. 2, 1955, 663.
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