Neinhaus, Carl Georg Hermann 

Geburtsdatum/-ort: 20.03.1888; Rheinhausen-Hoch-Emmerich, Landkreis Moers
Sterbedatum/-ort: 14.11.1965;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Oberbürgermeister von Heidelberg, seit 1950 CDU-Politiker, Präsident der Verfassunggebenden Landesversammlung von Baden-Württemberg, Landtagspräsident
Kurzbiografie: 1894-1905 Volksschule in Hoch-Emmerich, Gymnasium in Duisburg, Abitur
1905-1909 Studium der Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft in Heidelberg und Bonn, Referendarexamen in Köln
1909-1910 Einjährig-Freiwilliger im Mecklenburgischen Dragonerregiment in Colmar
1910-1914 Juristischer Vorbereitungsdienst in Straßburg, 1914 erster Teil des II. Staatsexamens in Straßburg
1914-1918 Teilnahme am I. Weltkrieg in einem Kavallerieregiment, Einsatz im Osten, Rittmeister der Reserve, Eisernes Kreuz I. und II. Klasse, Verwundetenabzeichen in Schwarz, Schlesischer Adlerorden II. Klasse, Hanseatenkreuz
1918 13.Nov. Zweiter Teil des II. Staatsexamens in Straßburg; (26.07.1919) Dr. jur. magna cum laude an der Universität Bonn (Dissertation „Das formelle Wahlprüfungsrecht des Deutschen Reichstags“)
1919 Juristischer Hilfsarbeiter bei der Stadt Homberg (Niederrhein), 1919-1920 Beigeordneter, 1920 Beigeordneter in der Zentrale des Deutschen und Preußischen Städtetages in Berlin, Geschäftsführer des Reichsarbeitgeberverbandes deutscher Gemeinden und Kommunalverbände
1920-1929 Beigeordneter der Stadt Barmen
1929-1945 Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg (ab 21.02.1929)
1933 01.05 Eintritt in die NSDAP, Mitgl.-Nr. 2558531, 1935-1938 Kreishauptstellenleiter
1933-1934 Leiter der Vertretung Badens beim Reich; 1938 für weitere 12 Jahre im Amt des Oberbürgermeisters bestätigt
1939-1940 Kurzzeitige Einberufung als Reserveoffizier zur Wehrmacht (21.08.1939-27.02.1940; 05.06.1940-15.10.1940), Spange zum Eisernes Kreuz II. Klasse
1945 02.05. Entlassung als Oberbürgermeister von Heidelberg durch die Besatzungsmacht, kurzzeitige Internierung; 1945-1950 Privatmann in Heidelberg
1947 30.05. Spruch der Heidelberger Spruchkammer: Mitläufer; 1949 (05.11.) Spruch der Zentralspruchkammer von Nordbaden: Entlasteter
1950-1952 CDU-Mitglied des 2. Landtags von Württemberg-Baden (Wahlkreis Heidelberg-Stadt)
1952-1958 wieder Oberbürgermeister dieser Stadt, Präsidialmitglied des Deutschen Städtetages, Vorsitzender des Städteverbandes Baden-Württemberg, des Fremdenverkehrsverbandes Nordbaden, der Kommunalen Arbeitsgemeinschaft Rhein-Neckar
1952-1953 Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung Baden-Württemberg (Landesliste), Präsident der Versammlung; 1953 und 1960 Präsident des 1. und 2. Landtags von Baden-Württemberg (Wahlkreis Heidelberg-Stadt)
1960-1965 Ruhestand in Stuttgart
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Auszeichnungen: Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1957)
Ehrensenator der Universität Heidelberg (1958)
Verfassungsmedaille des Landes Baden-Württemberg in Gold (1963)
Ehrenbürger von Heidelberg (1963)
Verheiratet: unverheiratet
Eltern: Karl Georg Cecil (1862-1931), Pfarrer
Luise, geb. Dommel (1866-1921)
Geschwister: Paul (1889-1915, gefallen)
Georg (1894-1969), Oberst
GND-ID: GND/116908513

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 274-280

„Suchet der Stadt Bestes!“ Dieses Wort des Propheten Jeremias zitierte Dekan Hermann Maas, Verfolgter des NS-Regimes und einer der 36 Gerechten Israels, in seiner Predigt bei der Beisetzung von Neinhaus am 19. November 1965 auf dem Heidelberger Bergfriedhof. Das Prophetenwort umschreibt die wichtigste Lebensbeziehung des früheren Oberbürgermeisters: „Er hatte sie lieb, unsere herrliche Stadt, er opferte für sie seine Kraft, den Reichtum seiner Gaben, seiner Phantasie, seiner Erfahrungen, seines Wissens.“ In dieser Liebe – in Neinhaus‘ Worten: „einer durchaus romantischen, ehrlichen, innerlichen Neigung und Verpflichtung“ – ließ sich Neinhaus durch nichts beirren, auch nicht durch den gleisnerischen Trug des „Dritten Reiches“. Es war wohl einer der beglückendsten Augenblicke seines Lebens, als ihn die Mehrheit der Heidelberger Bevölkerung 1952, nach Zusammenbruch und Elend, wieder in jenes Amt einsetzte, das ihm längst zum eigentlichen Lebensinhalt geworden war. Und es war einer der bittersten Momente, als er 70-jährig, 1958 in einer genauso demokratischen Entscheidung wie der des Jahres 1952, abgewählt wurde.
Dem in einem evangelischen Pfarrhaus am Niederrhein Heranwachsenden vermittelten die Eltern den festen Kanon religiöser und moralischer Werte, an denen er sein Leben lang festhielt. Er war ein guter Schüler; „Graf von Moers“ nannten ihn seine Mitschüler wegen seines schon damals aristokratischen Auftretens. Zu dem elterlichen Wertekanon gehörte im Kaiserreich ein ganz selbstverständlicher Patriotismus und die ebenso selbstverständliche Meldung des begeisterten Reiters zum Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger im Elsaß. Aber zuvor, während des Studiums in Heidelberg in den Jahren 1905 und 1909, erlebte er erstmals den Zauber der „Vaterlandsstädte ländlich schönsten“, jene Anziehungskraft der Neckarstadt, die ihn bis zum Ende seiner Tage nicht mehr loslassen sollte. Als Student gehörte er einer schlagenden Verbindung an; einmal wurde er wegen der Aufforderung zum Zweikampf „mit tödlichen Waffen“ zu drei Tagen Festungshaft verurteilt. Den juristischen Vorbereitungsdienst in Straßburg absolvierte er unter der Ägide des bedeutenden Oberbürgermeisters Dr. Rudolf Schwander.
Der I. Weltkrieg unterbrach die bis dahin planmäßig verlaufene Ausbildung des jungen Juristen, der erst 1918, als schon Dreißigjähriger, den zweiten Teil des Großen Staatsexamens ablegen und seine die Studien abschließende Dissertation vorlegen konnte. Das darauf folgende Jahrzehnt war das für seinen Lebenskompaß ausschlaggebende: als Beigeordneter in Homberg/Niederrhein, in gleicher Funktion beim Deutschen Städtetag in Berlin und in Barmen verschaffte er sich die festen Grundlagen für seine umfassende Kenntnis der kommunalen Strukturen. Er leitete die Dezernate für Fürsorge, Wohlfahrtspflege, Krankenanstalten, Straßenbahn und die Ämter für Kultur, Finanzen, Verkehr und Sport. Als er sich dann 1928 um die Stelle des Heidelberger Oberbürgermeisters bewarb, empfahl ihn der Duisburger Oberbürgermeister Karl Jarres (1874-1951) als eine „absolut zuverlässige und allen Anforderungen gewachsene, repräsentable Persönlichkeit“ und bescheinigte ihm „großes Verständnis“ für wirtschaftliche und kulturelle Fragen. Auf die Ausschreibung der Heidelberger Stelle meldeten sich 70 Bewerber. Neinhaus ging als Sieger durchs Ziel, nachdem sich alle Mitglieder des Bürgerausschusses mit Ausnahme der Kommunisten auf ihn geeinigt hatten.
Als er sein Amt antrat, gingen die wenigen „guten Jahre“ der Weimarer Republik gerade zu Ende; Wirtschaftsverfall und Arbeitslosigkeit, Zersplitterung der Parteien und allgemeine Richtungslosigkeit griffen Platz. Der Vierzigjährige ging mit der ihm eigenen Tatkraft ans Werk. Die Industrieansiedlung wurde gefördert, neue Wohngebiete wurden erschlossen, und mit einem großzügigen Arbeitsbeschaffungsprogramm konnte die Zahl der Erwerbslosen gesenkt werden. Während der Amtszeit Neinhaus‘ von 1929-1945 gingen die Schulden der Stadt von 53 Mio. Mark auf 17 zurück. Besonders aber lag ihm, dem Literaturkenner und Schöngeist, der seit seinen Studententagen in Heidelberg die „Einheit der Landschaft, Geschichte, Kultur und Architektur in einer fast einmaligen und einzigartigen Gestalt“ (Gerhart Hauptmann) zu schätzen wußte, die Pflege der Kultur am Herzen. Bei den 1926 begründeten glanzvollen Schloßfestspielen konnte Neinhaus im Sommer 1929 noch Gerhart Hauptmann und Thomas Mann begrüßen; die Spiele mußten aber wegen einer drückenden Schuldenlast eingestellt werden. Sie lebten erst 1934 als vom „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ geförderte „Reichsfestspiele“ wieder auf.
1933 war die Weimarer Republik am Ende. Seit den Wahlen von 1930, bei denen die NSDAP die Mehrheit im Heidelberger Bürgerausschuß erreicht hatte, hielt Neinhaus „einigermaßen Verbindung zur NS-Fraktion, so daß es nie zu Konflikten kam“, heißt es in einer Beurteilung des Kreisleiters Wilhelm Seiler vom 25. Oktober 1941. Am 1. Mai 1933 trat Neinhaus in die NSDAP ein, dazu bewogen durch vielfältige Bitten aus der Bevölkerung, die befürchtete, daß ein „alter Kämpfer“ Oberbürgermeister werden könnte. „Das Ja zu Hitler kam aus Notwehr gegen ‚Weimar‘. ‚Nationalsozialismus‘ war anfangs nicht Imperativ eines rassistischen Lebensraumkrieges, sondern Drogenvokabel. Wer damals Deutschlands Wiederaufstieg wollte, kam an Hitler nicht vorbei“ (Manfred Funke). Dementsprechend wurden Maßnahmen wie der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 nicht als erste Stationen eines nach Auschwitz führenden Weges erkannt, sondern als temporäre Übergriffe eines neuen Regimes verstanden, die sich mit der Zeit regulieren lassen würden. Das kann man heute im Rückblick „grobe Fehleinschätzung“ (Frank Moraw) nennen, aber dies Neinhaus anzulasten hieße, heute gewonnene Einsichten der Einsichtsfähigkeit damals Handelnder überzustülpen. Entsprechendes gilt für viele seiner Zeitgenossen.
Mitte Mai 1933 richtete Neinhaus ein Gesuch um einstweilige Beurlaubung an Reichsstatthalter Wagner. Am 9. Juni 1933 berichtete die Heidelberger NS-Postille „Volksgemeinschaft“ in einer „Erklärung der Kreisleitung der NSDAP zur Oberbürgermeisterfrage“: „Der Reichsstatthalter hat den Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg, Dr. Neinhaus, ersucht, das vor einigen Wochen eingereichte Urlaubsgesuch zurückzuziehen. Der Oberbürgermeister hat dem Gesuch entsprochen.“ Damit waren die Würfel gefallen, und Neinhaus war der einzige badische Oberbürgermeister, der bis zum Zusammenbruch 1945 im Amt blieb. Daß er sich dann zum „Dritten Reich“ bekannte – etwa in der „Volksgemeinschaft“ vom 20. Juni 1933: „Stärkste gegenseitige Durchdringung des NS-Denkens und Wollens einerseits, die sachliche Kommunalpolitik andererseits wird der Verwaltung unsrer Stadt auch in Zukunft ihren Stempel aufdrücken“ –, ist unter der Chriffre „Drogenvokabel“ zu verbuchen und entsprach der gefühlsgeladenen Atmosphäre des Jahres 1933. „Im Januar 1933 ... gab es in Deutschland 6 Millionen Arbeitslose. Drei kurze Jahre später, 1936, herrschte Vollbeschäftigung. Aus schreiender Not und Massenelend war allgemein ein bescheiden-behaglicher Wohlstand geworden. Fast ebenso wichtig: An die Stelle von Ratlosigkeit und Hoffnungslosigkeit waren Zuversicht und Selbstvertrauen getreten“ (Sebastian Haffner). In diesem Rahmen der neuerwachsenen Zuversicht sind auch die beiden großen Heidelberger Bauvorhaben in den ersten Jahren des „Dritten Reiches“ zu sehen: der Ehrenfriedhof und die Thingstätte. Der Stadtrat beschloß am 22. Mai 1933 die Errichtung eines Ehrenfriedhofs auf dem vom Oberbürgermeister bestimmten „Ameisenbuckel“ hoch über dem Bergfriedhof. Die Einweihung ging am 28. Oktober 1934 bei Fackelschein, Ehrensalven, Trommelwirbel und markigen Reden vor sich, und dieser pompöse Stil wurde am 22. Juni 1935 noch übertroffen, als die aus gewachsenem Fels herausgehauene Thingstätte auf dem Heiligenberg ihrer Bestimmung übergeben wurde. Goebbels erschien höchstselbst und bezeichnete den Bau als „steingewordenen Nationalsozialismus“. Die eigens komponierte Volkskantate „Heiliges Vaterland“ von Franz Philipp erklang, und 20000 Menschen hörten die Rede Neinhaus', in der er von einer „volksnahen Stätte neuen Schauens und Hörens“ sprach. Aber weder damals noch später wußte man mit dem klotzigen Koloß etwas Rechtes anzufangen.
Der Überschwang der „nationalen Erhebung“ wich jedoch bei Neinhaus bald nüchterneren Überlegungen. Mit der neuen Gemeindeordnung des Jahres 1935 war die Position des Oberbürgermeisters durch die Einführung des „Führerprinzips“ wesentlich verstärkt worden, und er wehrte sich energisch und erfolgreich gegen alle Einmischungen von seiten der Partei in die Kommunalpolitik. Dabei kam ihm zustatten, daß ihm sein Gegenüber, der Kreisleiter Seiler, weder fachlich noch intellektuell noch als Persönlichkeit gewachsen war. Bei den sich über viele Jahre hinziehenden Auseinandersetzungen zog Seiler immer den Kürzeren. 1941 schrieb er: „Neinhaus ist ein Mann, der seinen Standpunkt stark vertritt und die Autorität seiner Person zu wahren weiß.“ Während der NS-Herrschaft gab es nicht den geringsten Zweifel daran, wer Chef im Rathaus war. Natürlich war Neinhaus, der kultivierte Konservative, kein überzeugter Nationalsozialist – das diese „Bewegung“ kennzeichnende Gewalttätige und Volksverdummende blieb ihm fremd –, ebenso natürlich aber mußte er während des „Dritten Reiches“ gegenüber der Staatsgewalt mehrmals einlenken, was in „kühler Distanz“ (Erhard Becker) und niemals in opportunistischer Attitüde zugunsten seines persönlichen Machterhalts geschah, sondern immer nur zugunsten der von ihm geliebten Stadt. Während der ersten Amtsperiode Neinhaus‘ konnte das Fernheizwerk erbaut werden, die Stadt wurde an die Autobahn angeschlossen, das Thermalschwimmbad und der Tiergarten erstanden sowie das erste Heidelberger Kaiser-Wilhelm- (Max-Planck-) Institut und die Chirurgische Klinik. Heidelberg war bis zum Kriegsende von Zerstörungen verschont geblieben, aber in der Karwoche 1945 spitzte sich die Lage zu, als die Amerikaner auf die Stadt vorrückten. Bei den dann einsetzenden Bemühungen, ein Artilleriebombardement oder einen Luftangriff auf Heidelberg zu verhindern, liefen die Fäden bei Neinhaus zusammen, der im Korpsstab der Wehrmacht in Gaiberg verhandelte mit dem Ziel, die beabsichtigte Verlegung der Hauptkampflinie an den Neckar zu verhindern und die zurückflutenden Truppen an Heidelberg vorbei zu dirigieren. Dies gelang, war aber gleichbedeutend mit einer Befehlsverweigerung gegenüber den „Führerbefehlen“ und daher lebensgefährlich. Nach der Besetzung Heidelbergs wurde über den Rundfunk bekannt, daß Neinhaus von Himmler zum Tod verurteilt worden sei. Neinhaus entsandte eine Gruppe von Parlamentären zu den amerikanischen Truppen, die diese davon überzeugte, daß gewissermaßen ganz Heidelberg ein Lazarett war. Die Amerikaner sagten den Parlamentären zu, die Stadt nicht zu beschießen, wenn sie selbst nicht beschossen würden. „Sollte ein amerikanischer Soldat beim Einmarsch getötet werden, werden wir Ihre Stadt erbarmungslos vernichten.“ Mittlerweile versuchte Neinhaus, die Sprengung der Neckarbrücken zu verhindern; dies mißlang infolge einer unglücklichen Verkettung von Umständen. Am Morgen des 30. März 1945 zogen die Amerikaner kampflos in Heidelberg ein. Neinhaus stellte sich ihnen auf dem Bismarckplatz, wurde zwei Tage danach als Oberbürgermeister abgesetzt und im Heidelberger Gefängnis arretiert. Dreizehn Tage später war er wieder frei, und zwar auf Grund von zwei Petitionen, die der jüdische Privatgelehrte Dr. Paul Hirsch mit weiteren 70 Petenten sowie Dr. Richard Benz, Philipp Schellmann, Dekan Maas und die Professoren Hoepke und Frommel beim amerikanischen CIC eingereicht hatten. Neinhaus zog sich als „Privatmann“ in sein kleines Haus auf dem Kohlhof zurück und widmete sich – nach eigenen Angaben – „dem Ackerbau und wissenschaftlicher Arbeit“, später allerdings auch seinen beiden Entnazifizierungsverfahren. Mit dem Mitläufer-Spruch von 1947 fand er sich nicht ab und hatte mit seinem Einspruch bei der Zentralspruchkammer von Nordbaden 1949 Erfolg. Die Kammer bescheinigte ihm, daß er „nach dem Maß seiner Kräfte Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft“ geleistet habe, und begründete diese Entscheidung mit Neinhaus‘ in der letzten Phase des Krieges getroffenen Maßnahmen, durch die Heidelberg vor der Zerstörung bewahrt worden sei, aber auch mit der während dessen ganzer Amtszeit im „Dritten Reich“ bewiesenen Gegnerschaft zur NSDAP. In der vielseitigen Begründung der Entscheidung der Kammer werden die von ihr als Widerstand bewerteten Aktivitäten Neinhaus‘ im Detail beschrieben.
1948 bemühte er sich um die Anerkennung als Pensionär der Stadt. Dagegen erhob sich im Stadtrat Widerstand; es wurde nur ein geringer Vorschuß auf die möglicherweise zu zahlende Pension bewilligt. Im gleichen Jahr 1948 erwog die Heidelberger DVP eine Kandidatur Neinhaus‘ für das Amt des zweiten Bürgermeisters, aber auch dagegen erhob sich Widerspruch. Wie auch immer, das dem Ackerbau und der Kontemplation gewidmete Dasein auf dem Kohlhof war für Neinhaus keine Lebensform auf Dauer. Er trat in die CDU ein, die ihn 1950 als Landtagskandidaten für den Wahlkreis Heidelberg-Stadt aufstellte. Er rückte in den 2. Landtag von Württemberg-Baden ein, in dem er sich in kurzer Zeit großes Ansehen erwarb. Ursächlich dafür waren sein gewandtes Auftreten, ein weltmännischer Wesenszug, seine Heiterkeit, die „aus den Kammern der Weisheit und Gelassenheit“ kam, vor allem aber seine überlegene Rhetorik. Karl Stauder (Lit.) beschrieb das „immer gewinnende Lächeln“ Neinhaus‘: „Wir erinnern uns aber auch an das Aufblitzen eines rasch unterdrückten Triumphes, wenn man nach einer Redeschlacht glaubte, der Gegner müsse auf einer Bahre aus dem Saal getragen werden“. Neinhaus wußte natürlich um diese seine in Jahrzehnten gewachsene und in strenger Selbstdisziplin erarbeitete Fähigkeit. „Er war von sich eingenommen, gelegentlich stolz“ (Hermann Hoepke); nicht uneitel darf er wohl genannt werden. Jedenfalls stand ihm das Wort zu Gebote wie keinem anderen, und damit ist zu erklären, daß er am 25. März 1952 nach nur zwei Jahren im Parlament zum Präsidenten der Verfassunggebenden Landesversammlung gewählt wurde. Er war wie auch bei der folgenden Präsidentenwahl der einzige Kandidat und erhielt am 19. November 1953 82 von 121 Stimmen, bei der Wahl zum Präsidenten des 1. Landtags von Baden-Württemberg 98 von 114 und bei der Präsidentenwahl am 11. April 1956 93 von 119. Als er 1960 ausschied, rühmte der Nachfolger Franz Gurk das „vorbildliche, menschlich gütige und würdige Wirken“ seines Vorgängers. Die Freude an der Repräsentation, dem Zeremoniell und dem würdevollen Auftreten machten ihn zum ‚geborenen Präsidenten‘“, sagte Gurk.
Auf diese Eigenschaften kam es auch sehr an, als er das Präsidentenamt in der Verfassunggebenden Versammlung übernahm. Der erbitterte jahrelange Streit um die Bildung des neuen Bundeslandes hatte allerorten, auch in Neinhaus‘ badischer Heimat, unverheilte Narben hinterlassen, und in dieser Situation bedurfte es der vielfach erprobten glänzenden Diplomatie des Präsidenten Neinhaus, um die besonders nach der sonderbaren Bildung der ersten Regierung des Landes – bei der die stärkste Fraktion auf die Oppositionsbänke verbannt wurde – oft stürmischen Wogen der parlamentarischen Auseinandersetzung zu glätten und das vor allem wegen der weltanschaulich beeinflußten Fragen schwierige Werk der Verfassunggebung erfolgreich abzuschließen. „Der Werdegang des neuen Bundeslandes ist mit keiner Person so unumstritten und überzeugend verknüpft wie mit der seinen“ (Franz Hermann).
Der Erfolg bei der Landtagswahl 1950 ermutigte Neinhaus, sich 1952 um die freigewordene Stelle des Heidelberger Oberbürgermeisters zu bewerben. Er war schon im ersten Wahlgang mit 50,94 % der Stimmen erfolgreich. Friederike Reutter (Lit.), Autorin einer Studie über die Heidelberger Nachkriegsjahre, erteilte den „Heidelberger Bürgern“ für diese Wahl Neinhaus‘ schlechte Zensuren. „Seine Konzessionsbereitschaft gegenüber dem Nationalsozialismus hatten sie längst vergessen oder verdrängt.“ Einen Beleg für diese Behauptung weiß die Autorin dieser im übrigen quellenmäßig gut gestützten Studie nicht anzubieten. Mit demselben Recht oder Unrecht hätte sie behaupten können, daß die Mehrheit der Heidelberger Bevölkerung die mit persönlicher Lebensgefahr verbundenen Aktionen Neinhaus‘ zugunsten der Rettung der Stadt vor der Zerstörung im Jahre 1945 nicht vergessen habe.
Die neuerliche Amtsperiode Neinhaus‘ ist durch das Wachsen der Stadt in die Ebene hinaus im Rahmen des neuen Flächennutzungsplans gekennzeichnet. Die Verlegung des Bahnhofs in den Westen der Stadt und die Erschließung neuer Wohngebiete waren schon während der früheren Amtsperiode Neinhaus‘ ins Auge gefaßte Projekte; sie konnten nun verwirklicht werden. Wie früher galt seine besondere Sorge dem kulturellen Sektor: den Heidelberger Musikfesten, den Ausstellungen im Schloß und den Schloßfestspielen. Bei der 1958 fälligen Oberbürgermeisterwahl verzichtete Neinhaus anfangs, zur großen Enttäuschung seiner Ortspartei, auf eine Kandidatur. Im zweiten Wahlgang am 22. Juni 1958 bewarb er sich, aber Sieger und neuer Oberbürgermeister wurde Landgerichtspräsident Robert Weber (SPD) mit 26 266 Stimmen. Neinhaus erhielt 21 107 und verstand die Welt nicht mehr. Grollend und tief betrübt zog er sich in sein Stuttgarter Haus zurück. Ein neues Band zwischen ihm und „seiner“ Stadt wurde erst wieder 1963 geknüpft, als er an seinem 75. Geburtstag auf einstimmigen Beschluß des Stadtrats mit der Ehrenbürgerwürde ausgezeichnet wurde. Bei der Überreichung des Ehrenbürgerbriefes am 22. März 1963 äußerte sich Oberbürgermeister Weber auch zu dem immer wieder gegenüber Neinhaus erhobenen Vorwurf der „Konzessionsbereitschaft“ während des „Dritten Reiches“. Anhänger des NS-Regimes hätten damals ohne Rücksicht auf fachliches Können die Macht in allen Lebensbereichen erhalten, sagte er. „Um so wichtiger war es, daß die Persönlichkeiten, die in ihren Ämtern geblieben waren, diejenigen, denen die Politik der demokratischen Republik vielleicht nicht immer in allen Punkten zugesagt haben mochte, die aber auf der anderen Seite auch nicht gewillt waren, aus innerer Überzeugung den Fahnen der neuen Machthaber nachzueilen, auch in dieser Zeit entgegen der Einflußnahme der Staatspartei das Gebot der sachlichen Arbeit für die Allgemeinheit nachhaltig vertraten.“
Nur kurze Jahre des erzwungenen Ruhestandes waren dem „letzten Kurfürsten von Heidelberg“ beschieden. Am 31. Dezember 1964 erlitt er einen Herzinfarkt, von dem er sich nicht mehr erholte. Am 14. November 1965 starb er im Stuttgarter Katharinen-Krankenhaus. In den Trauerfeiern der Stadt, des Landtags und bei der Beisetzung würdigten die berufenen Vertreter der Stadt, des Landes und der Kirche die Leistungen Neinhaus‘, für die er schon zu Lebzeiten mit hohen Auszeichnungen bedacht worden war. „Er hat sich um Heimat, Volk und Vaterland, er hat sich um den Staat verdient gemacht“ (Franz Gurk). Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger bezeichnete ihn als „einen der großen deutschen Landtagspräsidenten“.
Quellen: Mitteilungen von Dr. med. Beate Nabein, geb. Henn, Heidelberg, Erich-Wolfgang Nies, Studiendirektor i. R., Heidelberg, Dr. med. Klaus-Peter Schulz, Berlin, SPD-Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung und des 1. Landtags von Baden-Württemberg, und Dr. phil. Bruno Schwalbach, Oberstudiendirektor i. R., Bruchsal; Personalakten Carl Neinhaus (Personalamt Nr. 2298) des Stadtarchiv Heidelberg und des Archivs des Landtags von Baden-Württemberg, Stuttgart (Abt. II/4); Mitteilungen des UA Bonn und des BA Berlin; Entnazifizierungsakten Carl Neinhaus des GLA Karlsruhe, 465a/59/1/13754; Verhandlungen der Verfassunggebenden Versammlung, 1. Sitzung, Stuttgart, 25.03.1952; Verhandlungen des Landtags von Baden-Württemberg, 1. Sitzung, Stuttgart 19.11.1953; Verhandlungen des Landtags von Baden-Württemberg, 1. Sitzung, Stuttgart 11.04.1956
Nachweis: Bildnachweise: u. a. in Josef Weik, Der Landtag von Baden-Württemberg (Literatur), 57; Büste in der Ehrenhalle des Landtags von Baden-Württemberg

Literatur: (Auswahl) Carl Neinhaus, Heidelberg, „Vermächtnis und Aufgabe“; Hans Christoph Scholl, Der Heidelberger Ehrenfriedhof; ders., Die Thingstätte auf dem Heiligen Berg, in: BH, Jahresband 1939; Rudolf Goldschmidt-Jentner, Bildnis eines Oberbürgermeisters, in: Heidelberger Fremdenblatt IV/58; Adolf Gängel, Dr. Carl Neinhaus 75 Jahre, in: Heidelberger Fremdenblatt III/63; Oberbürgermeister Robert Weber, Nachruf auf Carl Neinhaus in der Trauerfeier für Oberbürgermeister i. R. Dr. Carl Neinhaus am 9.12.1965 im Großen Rathaussaal, Manuskript im Stadtarchiv Heidelberg (Nr. 22 Fasc. 24); Hermann Hoepke, Gedenkrede bei der Trauerfeier für Oberbürgermeister i. R. Dr. Carl Neinhaus, Landtagspräsident i. R., Ehrenbürger von Heidelberg, Ehrensenator der Universität Heidelberg am 9.12.1965 im Großen Rathaussaal, in: Ruperto Carola Jg. XVII Bd. 38, Dezember 1965, Anlage; Ansprache bei der Beerdigung des Herrn Oberbürgermeisters Dr. Carl Neinhaus auf dem Bergfriedhof, Heidelberg, durch Prälat Dr. h. c. H. Maas am 19.11.1965, Manuskript im Besitz von Erich-Wolfgang Nies, Heidelberg; Ansprache des Landtagspräsidenten Dr. Franz Gurk in der Trauerfeier für den früheren Landtagspräsidenten Dr. Carl Neinhaus, Stuttgart, 18.11.1965, Haus des Landtags, hg. vom 4. Landtag von Baden-Württemberg (Sonderdruck); Erhard Becker, Carl Neinhaus, Ehrensenator der Universität Heidelberg, Ehrenbürger der Stadt Heidelberg, in: Ruperto Carola, Jg. XVIII Bd. 38, Dezember 1966; Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler, 1978; Johnpeter Horst Grill, The Nazi Movement in Baden, 1920-1945, 1978; J. Schadt, M. Caroli (Hg.), Heidelberg unter dem Nationalsozialismus, Studien zu Verfolgung, Widerstand und Anpassung, 1985; Josef Weik, Der Landtag von Baden-Württemberg und seine Abgeordneten von 1952-1988, hg. vom Landtag von Baden-Württemberg, 4. Aufl. 1988; Michael Buselmeier, Literarische Führungen durch Heidelberg – eine Kulturgeschichte, 1991; Friederike Reutter, Heidelberg 1945-1949, Zur politischen Geschichte einer Stadt in der Nachkriegszeit, 1994 (dort ausführliches Literaturverzeichnis); Frank Moraw, „Ich gestatte mir die Anfrage an den Herrn Oberbürgermeister ...“. Carl Neinhaus – Stadtoberhaupt in drei politischen Systemen, in: verführt und verraten, Jugend im Nationalsozialismus, hg. vom Kurpfälzischen Museum und der Stadt Heidelberg, 1995; Zusammenbruch 1945 und Aufbruch, eine Dokumentation der letzten Kriegstage vom Neckar zum Odenwald, hg. von der RNZ, Red.: Dieter Haas, 1995; Frank Moraw, Die nationalsozialistische Diktatur, in: Peter Blum (Hg.), Geschichte der Juden in Heidelberg, 1996; Dieter Haas, Heidelberg 1918-1945, Eine Chronik, in: Heidelberg, Geschichte und Gestalt, hg. von Elmar Mittler, 1996; Hubert Roser, Parteistarthalter in Badens NS-Kaderschmiede – Wilhelm Seiler, NSDAP-Kreisleiter von Heidelberg, in: Die Führer der Provinz, NS-Biographien aus Baden und Württemberg, hg. von Michael Kißener und Joachim Scholtyseck, 1997; Horst Ferdinand, Carl Neinhaus (1888-1965), Aspekte einer umstrittenen Biographie, 2002. Absolute Mehrheit für Dr. Neinhaus ..., in: RNZ vom 14.07.1952 (ohne Verfasser); Oberbürgermeister Dr. Neinhaus tritt sein Amt an – Zur feierlichen Amtseinführung und Vereidigung am 29. Juli, in: Heidelberger Amtsanzeiger vom 01.08.1952 (ohne Verfasser); Werner Bollmann, Der Diplomat auf dem Präsidentensessel – Dr. Carl Neinhaus vollendet sein siebzigstes Lebensjahr, in: Stuttgarter Nachrichten vom 19.03.1958; Robert Weber Oberbürgermeister ..., in: RNZ vom 23.06.1958 (ohne Verfasser); Landtagspräsident Dr. Carl Neinhaus 70 Jahre alt – Glückwünsche des Ministerpräsidenten und des Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion, in: Staatsanzeiger für das Land Baden-Württemberg vom 08.01.1960; Karl Stauder, Dr. Carl Neinhaus 75 Jahre ..., in: RNZ vom 20.03.1963; Die Stadt zum Besten verwaltet und gestaltet – Ehrenbürgerbrief für Dr. Carl Neinhaus ..., in: RNZ vom 23.03.1963 (ohne Verfasser); Altlandtagspräsident Neinhaus gestorben, in: RNZ vom 15.11.1965 (ohne Verfasser); Heinrich Weber, Sein Wirken gehört nun der Geschichte an ..., in: Heidelberger Tagblatt vom 05.11.1965; Karl Stauder, Dr. Carl Neinhaus +, in: RNZ vom 15.11.1965; Erhard Becker, Ein philosophischer Konservativer – Zum Tod des früheren Landtagspräsidenten Dr. Carl Neinhaus, in: Stuttgarter Zeitung vom 15.11.1965; L. W., „Er hat sich um den Staat verdient gemacht“ – Trauerfeier des Landtags für Dr. Neinhaus ..., in: RNZ vom 19.11.1965: Dr. Carl Neinhaus, in: Staatsanzeiger für Baden-Württemberg vom 16.12.1965; ho, Letzter Dank an Dr. Carl Neinhaus – Trauerfeier im Rathaussaal ..., in: RNZ vom 10.12.1965; ca, Auf der Suche nach der „verbrannten Zeit“ – Heidelberger Geschichtsverein: Werkstattgespräch über Carl Neinhaus, in: RNZ vom 12.01.1995; Dieter Haas, Vor 40 Jahren wurde der neue Heidelberger Hauptbahnhof seiner Bestimmung übergeben ..., in: RNZ vom 05.05.1995; Erich-Wolfgang Nies, Retter der Stadt mit Straßennamen ehren, in: RNZ vom 08.05.1995; Dr. Norbert Giovannini/Dr. Frank Moraw, Wir brauchen keine Carl Neinhaus-Straße, in RNZ vom 19.05.1995; Erich-Wolfgang Nies, „Gelebte und erlebte Wirklichkeit“, in: RNZ vom 08.06.1995; Alexander M. Böhm, 50 Jahre CDU in Heidelberg ..., in: CDU INTERN, Mitgliedermagazin Heidelberg, hg. von CDU-Kreisverband Heidelberg 11/1995; Lt 8, 50248. Munzinger Archiv 08/66; Frank Moraw, Carl Neinhaus, in: NDB Bd. 19
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