Schäfer, Klaus Wilhelm 

Geburtsdatum/-ort: 23.08.1910; Köln
Sterbedatum/-ort: 30.07.1984;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Physikochemiker
Kurzbiografie: 1929 Mär. Abschluss des humanistischen Gymnasiums in Wiesbaden
1929-1936 Mathematik-, Physik- und Chemiestudium an den Universitäten Frankfurt/M. (Sommersemester 1929), Göttingen (1929-1931), Marburg (1931/1932) und wieder Göttingen (1932-1936)
1934 Jun. Staatsexamen für das höhere Lehramt in Mathematik
1936 1. Jul. Dr. phil. der Universität Göttingen „mit Auszeichnung“: „Der zweite Virialkoeffizient der verschiedenen Modifikationen des leichten und schweren Wasserstoffs“
1939 17. Jul. Habilitation: „Zur Theorie der Rotationsumwandlungen“
1946 Jun.-1947 Mai Vertretung der Direktion des Physikalisch-Chemischen Instituts der Universität Heidelberg
1947 Jun.-1948 Nov. außerordentlicher Professor für physikalische Chemie
1948 Dez.-1950 Feb. Persönlicher Ordinarius
1950 Feb.-1978 Sep. ordentlicher Professor für physikalische Chemie
1955/1956 Rektor der Universität Heidelberg
1962 28 Jun. Übergabe des neuen Physikalisch-Chemischen Instituts an die Universität
1977 20. Mai Bunsen-Gedenkmünze für die Forschungen über die zwischenmolekularen Kräfte
1978 Okt.-1982 Sep. Lehrstuhlvertreter an der Universität Heidelberg
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1942 (Mainz) Liselotte Gabriele Käthe, geb. Thomas (geb. 1920)
Eltern: Vater: Otto (gest. 1945), Oberregierungsrat
Mutter: Adele (gest. 1959)
Geschwister: 2:
Heinz (ca. 1908-1944)
Margaret, verheiratete Stephan (1903-1978)
Kinder: Gisela, Dr. med., verheiratete Dittrich (geb. 1943)
GND-ID: GND/117098574

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 312-314

Schäfer verbrachte seine Kindheit und die ersten Schuljahre in Köln, wo er das humanistische Schillergymnasium besuchte. Des Vaters Dienst als Regierungsrat brachte die Familie zuerst nach Stade bei Hamburg, dort besuchte Schäfer das Athenäum (1920-1926), dann nach Wiesbaden, wo Schäfer seine humanistische Schulbildung abschloss. Bereits in der Schule trat bei ihm „eine außerordentliche mathematisch-logische und naturwissenschaftliche Begabung“ hervor. So begann er sein Studium auf diesem Gebiet, zuerst ein Semester in Frankfurt/M., dann in Göttingen, Marburg und wieder in Göttingen, dem Mittelpunkt der Mathematik und Physik im Deutschland vor 1933.
Die Zeit des „Dritten Reichs“ beeinflusste den wissenschaftlichen Weg Schäfers. Sein Schwerpunkt war zuerst die reine Mathematik. Da die Industrie damals noch kaum Mathematiker gebrauchen konnte, wählte er nun als Ausweg zu einer eventuell ideologisch verpflichteten Hochschulkarriere das industrieoffene Fach der physikalischen Chemie. Diese stand in Göttingen unter Leitung von A. Eucken, einem offenen, höchst produktiven Wissenschaftler und einer Persönlichkeit von „geradezu faszinierender Kraft“, wie Schäfer urteilte. So wurde Eucken Schäfers Lehrer und Doktorvater, der seinen „mathematisch und theoretisch-physikalisch ausgezeichnet geschulten Mitarbeiter“, so Eucken, zu schätzen wusste und effektiv einzusetzen verstand. Tatsächlich wurde Schäfer der ideale Mitarbeiter für Eucken und später sein Erbe in vielerlei Richtung.
Wie sein Lehrer verstand es auch Schäfer, während der NS-Zeit möglichst wenig aufzufallen. So konnte er sich kurz vor dem Kriegsausbruch habilitieren, wofür er sich als Anwärter der SA einschreiben lassen musste, die Mitgliedschaft vermied er aber, so dass er nicht zum außerordentlichen Professor befördert wurde. Zu Beginn des Krieges wurde Schäfer einberufen, aber nach vier Monaten des Soldatendienstes dank Euckens Bemühungen als „Kriegswichtiger“ freigestellt. 1940 erhielt er eine Dozentur bei Eucken. Die Kriegszeit benutzte Eucken für eine Neubearbeitung seines fundamentalen „Lehrbuchs der Chemischen Physik“, und Schäfer stand ihm zur Seite. Ohne Schäfers nachhaltigste Unterstützung hätte „das angestrebte Ziel vielleicht überhaupt nicht erreicht werden können“, bekannte Eucken.
Im Juni 1946 übernahm Schäfer zunächst kommissarisch die Leitung des Physikalisch-Chemischen Instituts der Universität Heidelberg. Hier sollte er dann mehr als 35 Jahre erfolgreich arbeiten und ein modernes Lehr- und Forschungszentrum schaffen. Schäfer, ein sehr gewissenhafter, gerecht urteilender Lehrer, las dauernd einen Grundkurs der physikalischen Chemie und prüfte selbst alle Studenten. Außerdem veranstaltete er jedes Jahr Spezialkurse für Fortgeschrittene. Seinen Doktoranden ließ er viel Freiheit, war aber für Rat und Empfehlung immer erreichbar.
Bald setzte sich Schäfer auch im allgemeinen akademischen Leben ein. 1949/1950 und wiederum 1976/77 war er Dekan, 1956/57 und 1964/65 Prorektor und 1955/56 Rektor. Schäfer war auch über lange Jahre Mitglied der Etatkommission. Besonders als Rektor trat Schäfer dafür ein, dass Gesellschaft und Staat die Notlage der damaligen Universität beseitigen müssten: „Stets eine vornehme akademische Zurückhaltung zu üben, ist ein Behandlungsverfahren, das leicht mit dem Tode des Patienten enden kann“, meinte er hierzu und unterstützte die seinerzeit größte Studentendemonstration vom 15. Mai 1956 gegen die Notlage ihrer Universität. Für sein Institut, das jahrzehntelang in der Dienstwohnung Bunsens hauste, konnte Schäfer später ein modernes, „in geradezu genialer Zweckmäßigkeit geplantes Gebäude“, so ein Zeuge, für erstaunlich niedrige Kosten realisieren. Dies zu erreichen, hatte er 1957 den Ruf nach Wien abgelehnt.
Schäfers wissenschaftliches Werk ist in etwa 140 Publikationen erfasst. Wie sein Lehrer Eucken war er kein enger Spezialist, sondern arbeitete aus der Sicht der Physik in fast allen Bereichen der physikalischen Chemie. Seine „Statistische Theorie der Materie“ gibt davon das beste Zeugnis. Mit Recht aber bezeichnete man als Schwerpunkt der Arbeit Schäfers und seiner Schule in Heidelberg den der zwischenmolekularen Kräfte, in der Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen und Wirkungen in Gasen, Flüssigkeiten und ihren Mischungen und an festen Oberflächen.
Sparsam-zweckdienliche Methoden des Experiments und der theoretischen Darstellung und der sachlich-nüchterne Stil seiner Publikationen sind charakteristisch. Schäfer neigte zu Systematisierung und Verallgemeinerung und es gelang ihm, dank tieferer Einsicht, fruchtbare Ordnung in die zunehmende Fülle der zufließenden Resultate zu bringen. Dieser Zug prägte seine immer inhaltsreichen Übersichtsvorträge oder -artikel über vielfältige Probleme der modernen physikalischen Chemie, seine Lehrbücher, die Standardwerke wurden, aber auch seine zahlreichen Rezensionen über Fachbücher. Dank dieser Fähigkeit bewährte er sich auch als ausgezeichneter Redaktor: jahrzehntelang war er Herausgeber oder Mitherausgeber der Reihe „Landolt-Börnstein-Tabellen“, einzelner Bücher und Sammlungen und Mitglied von Kuratorien mehrerer Zeitschriften. Außerdem leitete Schäfer 1961 bis 1965 die Thermodynamische Kommission in der Internationalen Union der Reinen und Angewandten Chemie (IUPAC).
Der Nachlass Schäfers zeigt anschaulich, welch riesige organisatorische Arbeit er nebenbei leistete. Besonders hervorzuheben ist seine Tätigkeit in der Bunsen-Gesellschaft, deren Mitglied er seit 1936 war. Schäfer gehörte zu der kleinen Gruppe, die die Wiedergeburt dieser Gesellschaft im Juni 1947 verwirklicht hatte. 1947 bis 1953 war er 2. Vorsitzender und Geschäftsführer und 1959 bis 1960 deren Erster Vorsitzender. Schäfer bereitete auch deren Hauptversammlungen 1948 über die Struktur der Flüssigkeiten und 1959 über Festkörpereigenschaften und ihre Anwendungen vor. Dabei war Schäfer kein Managertyp, seine organisatorischen Erfolge stützten sich eher auf die Logik eines Mathematikers, auf sein mächtiges Gedächtnis, seine enorme Arbeitskraft und sein Pflichtgefühl. „Schäfer war ein integrer Mensch“, so Prof. Bernhard Schramm, hilfsbereit und lebensfreudig, immer auf seine Arbeit konzentriert. Er stand täglich vor Sonnenaufgang auf und wanderte fast 20 km ins Büro, bereits um 6,30 Uhr. Weite Reisen mied er, verbrachte seinen Urlaub immer in Ronco, bei Alcon in der Schweiz. Und von dort kehrte er mit neuen Arbeitsideen zurück.
Quellen: UA Heidelberg Personalakte 2962, 8645 u. 8646, Rep. 14-231, 267, 491, 596 u. Rep. 69 Nachlass Schäfer; Auskünfte u. Informationen des StadtA Heidelberg, des A d. Heidelberger Akad. d. Wiss. 1.11 115 – Sch., von Lieselotte Schäfer u. von Prof. B. Schramm, Physikalisch-chemisches Institut Heidelberg.
Werke: (mit A. Eucken), Die Anreicherung schweren Wassers im Gletschereis u. das Schmelzdiagramm des Systems H2O-D2O, in: Nachrr. d. Ges. d. Wissenschaften zu Göttingen, Math.-physik. Kl., N.F. 1, 1935, 109-125, 138-146; (mit A. Eucken), Lehrbuch d. chemischen Physik Bd. 2, 1943 2. Aufl./44, 1948 3. Aufl./49; Physikalische Chemie. Ein Vorlesungskurs, 1951, 1964 2. Aufl.; Energieübertragungsmechanismus u. Reaktionsgeschwindigkeit an metallischen Oberflächen, in: Zs. für Elektrochemie 56, 1952, 398-403; Thermodynamik u. Statistik d. Grenzflächen, ebd. 59, 1955, 233-245; Denkmethoden u. Arbeitsmethoden d. modernen Naturwissenschaft, insbes. d. physikalischen Chemie, in: Ruperto Carola H. 20, 1956, 125-132; Zwischenmolekulare Kräfte, Temperatur- u. Druckabhängigkeit d. Diffusion von Gasen, in: Zs. für Elektrochemie 63, 1959, 111-117; Makroskopische Eigenschaften u. atomare Struktur d. Festkörper, ebd. 863-875; Statistische Theorie d. Materie, Bd. I: Allgemeine Grundlagen u. Anwendungen auf Gase, 1960; Festkörpereigenschaften u. zwischenmolekulare Kraftwirkungen, in: Angewandte Chemie 72, 1960, 503-513; Die Zeit u. die übrigen Dimensionen, in: Studium generale 20, 1967, 1-9; Thermodynamische Eigenschaften realer Gase u. Gasmischungen u. zwischenmolekulare Kraftwirkungen, in: Berr. d. Dt. Bunsen-Gesellschaft 81, 1977, 891-900; Arnold Eucken, Physikochemiker, in: Göttinger Jahrb. 1984, 263-266.
Nachweis: Bildnachweise: UA Heidelberg u. Ruperto Carola H. 18, 1955, 6; Heidelberger Tageblatt vom 30.6.1962, 17; W. Jaenicke, 100 Jahre Bunsengesellschaft, 1894-1994, 1994, 265.

Literatur: Poggendorfs Biogr.-literar. Handwörterb. VIIa, T. 4, 1961, 45 f. (mit Bibliographie); E. Wicke, K. Schäfer zum 65. Geburtstag, in: Berr. d. Dt. Bunsen-Gesellschaft 79, 1975, 645-647 (mit Bild); K. Ebert, K. Schäfer zum 65. Geburtstag, in: Ruperto Carola H. 55/56, 1975, 213 f.; P. Hess/B. Schramm, K. Schäfer zum 70. Geburtstag, ebd. H. 65/66, 1981, 201 f.; K. Ebert, Zum Tode von K. Schäfer, ebd. H. 71, 1984, 164 f.; E. U. Franck, K. Schäfer †, in: Jahrb. d. Heidelberger Akad. d. Wiss. für 1985, 112-114 (mit Bild).
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