Scheurlen, Paul Eugen Heinrich 

Geburtsdatum/-ort: 25.09.1877;  Königsbronn
Sterbedatum/-ort: 13.12.1947;  Biberach a. d. Riß
Beruf/Funktion:
  • Dekan in Biberach, Publizist
Kurzbiografie: 1891–1895 Ev.-theologische Seminare in Maulbronn und Blaubeuren
1895–1899 Theologiestudium in Tübingen
1896–1899 Stipendiat des Ev. Stifts Tübingen
1899 Ordination in der Stiftskirche Tübingen durch Dekan Karl August Elsässer
1899–1900 Privatlehrer bei Amtmann Budde in Tempelberg bei Münchberg in der Mark
1900–1902 Privatlehrer beim deutschen Generalkonsul Irmer in Genua
1902 Ausbildung zum „Irrenseelsorger“ in Zwiefalten
1902 Pfarrverweser in Holzheim (Dekanat Göppingen)
1902–1907 Vikar bzw. Parochialvikar in Tailfingen (Dekanat Balingen)
1907–1922 Pfarrer in Tailfingen
1922–1947 Dekan in Biberach
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Auszeichnungen: Charlottenkreuz (1917)
Verheiratet: Barbara Margarethe, geb. Gierich (1893–1983)
Eltern: Vater: Heinrich Scheurlen (1842–1921), Landgerichtskopist in Tübingen
Mutter: Friedericke, geb. Weber (1844–1920)
Geschwister: 8 (4 starben im Kleinkindalter); Christian Paul; Friedericke; Rosa Henriette Walpurga; Thekla Johanna Mina
Kinder: 1 Tochter, 1 Sohn
GND-ID: GND/117225460

Biografie: Claudius Kienzle (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 244-245

Der in Königsbronn (OA Heidenheim) geborene Scheurlen besuchte in Tübingen die Elementarschule sowie die unteren und mittleren Gymnasialklassen, bevor er nach bestandenem Landexamen 1891 ins Seminar Maulbronn eintrat, wo er sich mit Hermann Hesse befreundete. Im Seminar Blaubeuren legte er 1895 die Konkursprüfung ab, die ihm im selben Jahr die Aufnahme des Theologiestudiums in Tübingen ermöglichte. Dort studierte er zunächst von seinem pietistischen Elternhaus im Heimatort Lustnau aus. Wenig später erhielt er einen Stipendienplatz im Evangelischen Stift. Scheurlen hörte vor allem beim Alttestamentler und Orientalisten Julius Grill (1840–1930), einem Vertreter der Religionsgeschichtlichen Schule, sowie bei dem Praktologen Johannes Gottschick (1847–1907) und dem Systematiker Theodor Haering (1848–1928), beide Ritschlianer.
Nach seiner Ordination in der Tübinger Stiftskirche durch Dekan Karl August Elsässer, entschloss sich Scheurlen zunächst vom Eintritt in den Pfarrdienst abzusehen und eine Hauslehrerstelle in Tempelberg bei Berlin anzunehmen. Die Arbeit an einer philosophischen Dissertation bei Erich Schmidt brach er ein Jahr später ab und ging nach Genua, wo er die Söhne des deutschen Generalkonsuls unterrichtete. Dort vertrat er gelegentlich den Gesandtschaftsprediger, dessen Nachfolger er zunächst werden sollte. Nach einem Todesfall in der Familie und aus gesundheitlichen Gründen kehrte er jedoch 1902 nach Württemberg zurück, wo er Vikar in Tailfingen (Dekanat Balingen) wurde.
Erst 1907 bekam er die dortige zweite Pfarrstelle übertragen. Bereits während seiner Vikarzeit publizierte Scheurlen im Bereich der Jugendliteratur. In den Folgejahren verfasste er für die Evangelische Gesellschaft Stuttgart Flugblätter über die in Württemberg verbreiteten religiösen Gemeinschaften und Bewegungen, die er 1912 in einem in der zeitgenössischen Terminologie so benannten „Sektenbüchlein“ zusammenfasste. Weitere Publikationen zu heimatkundlichen, religiösen und pädagogischen Themen folgten. Vergleichsweise früh gab er ein örtliches Evangelisches Gemeindeblatt heraus. Als Vorsitzender des Evangelischen Arbeitervereins war er zudem um die Abgrenzung zur Sozialdemokratie und die gleichzeitige Integration von Fabrikarbeitern bemüht.
Scheurlen heiratete 1915 Margarethe Gierich, mit der er zwei Kinder hatte. Nach etlichen vergeblichen Bewerbungen um besser dotierte und prominentere Stellen erhielt er 1918 zunächst die geschäftsführende Pfarrstelle in Tailfingen und wurde 1922 zum Dekan von Biberach ernannt. Dort setzte er mit der Herausgabe des Evangelischen Diasporaboten seine publizistische Tätigkeit fort. Er nahm 1925 als Korrespondent für kirchliche Presseorgane an internationalen und interkonfessionellen Kirchenkonferenzen in Skandinavien teil.
In den Auseinandersetzungen zwischen der württembergischen Kirchenleitung um Landesbischof Theophil Wurm und der Reichskirche im Herbst 1934 stellte sich Scheurlen zunächst positiv zu den reichskirchlichen Einigungsversuchen und distanzierte sich von Wurms Widerständigkeit. Nicht zuletzt um in dem katholischen Umfeld seines Diasporabezirks den Eindruck innerprotestantischer Uneinigkeit zu vermeiden, akzeptierte der weltanschaulich konservative Theologe als einer der wenigen württembergischen Dekane die deutschchristliche kommissarische Landeskirchenregierung.
Nach der Behauptung der organisatorischen Selbständigkeit der württembergischen Landeskirche solidarisierte sich Scheurlen auf Druck der Kirchenleitung mit Wurm und verfolgte eine Strategie der „Befriedung“. Mit diesem Begriff umschrieb Scheurlen die Praxis, Veranstaltungen der aktiven Biberacher Gruppe der „Deutschen Christen“ in kirchlichen Räumen zu verbieten und gleichzeitig bekenntniskirchliche Kundgebungen zu dulden, ohne sich selbst kirchenpolitisch zu exponieren. Diese Haltung brachte ihn mehrfach in Konflikt mit nationalsozialistischen Stellen. Im September 1934 und im Juni 1938 erbrachte Scheurlen die geforderten Eidesleistungen auf Adolf Hitler. In den 1930er Jahren veröffentliche er volkstümliche Lebensbilder von deutschen Protestanten, die seiner Ansicht nach Vorbildcharakter haben sollten.
Obwohl seine Gesundheit während der Kriegszeit zunehmend abnahm, konnte er im Januar 1947 sein 25-jähriges Dienstjubiläum als Dekan feiern und trat im selben Jahr 70-jährig nur zögerlich in den Ruhestand. Scheurlen verunglückte wenige Monate später im Dezember 1947 auf einer Autofahrt, die er für das Evangelische Hilfswerk unternahm, tödlich.
Quellen: LKAS A 227, PA Paul Scheurlen; DLA, D: Hesse-Archiv, Cotta Br. J. B. Semmig; WLB, Cod. hist. 4" 624, VII, 173; UB Frankfurt/M., NL Friedrich Lienhard, EVSFL-D12.
Werke: Führer durch die Volks- und Jugendliteratur im Hinblick auf die Bedürfnisse ländlicher und städtischer Ortsbibliotheken, 1904; Prüfet die Geister: Blätter zur Abwehr gefährlicher Irrtümer (7 Nummern) ab 1910; Die Sekten der Gegenwart, 1912; Luther unser Hausfreund, 1917; Das kleine Sektenbüchlein, 1922; Du und Deine Kirche. Eine Handreichung für das ev. Kirchenvolk, 1925; Ev. Diasporabote. Monatsschrift zur Vertiefung im ev. Glaubensleben nebst ev. Rundschau, 1926–1947; Vom wahren Herzenstrost. Martin Luthers Trostbriefe, 1930. Unser Martin Luther. Eine Gabe für Jugend und Volk, 1933; Paul Gerhardt, der Sänger und Bekenner, 1935; Graf Ferdinand von Zeppelin. Ein Leben für das Vaterland, 1937.
Nachweis: Bildnachweise: Porträtfotografie in: 25 Jahre Dekan in Biberach (1922–1947). Arbeitsbericht nebst kurzem Lebensabriss, 1952.

Literatur: Nachrufe in: Ev. Diasporabote 18 (1947), 45–47; Hans-Otto Binder, Biberach in der Zeit der Weimarer Republik und der nationalsozialistischen Diktatur, in: Geschichte der Stadt Biberach, 1991, 553–601, 589; Gerhard Schäfer, Die Ev. Landeskirche in Württemberg und der Nationalsozialismus. Eine Dokumentation zum Kirchenkampf, Bd. 4., 1977, 134–137.
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