Strienz, Wilhelm Georg 

Geburtsdatum/-ort: 02.09.1900;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 10.05.1987; Frankfurt a. M.
Beruf/Funktion:
  • Sänger
Kurzbiografie: 1906-1915 Volksschule und Gymnasium in Stuttgart, Mittlere Reife
1915-1917 Handelsschule, 1917-1918 Kaufmännischer Angestellter in der Firma Wilhelm Lauser, Stuttgart
1918 Kriegsfreiwilliger, Ausbildung bei der Kriegsmarine in Kiel-Wik und als Seekadett auf der Insel Alsen
1919-1920 Kaufmännischer Angestellter in Stuttgart, gleichzeitig Gesangsausbildung bei Oscar Schröter, Direktor des Stuttgarter Konservatoriums, und Kammersänger Theodor Scheidl
1921-1922 Volontär an der Deutschen Oper Berlin, Fortsetzung des Gesangs- und Partienstudiums bei Kammersängerin Luise Reuss-Belce
1922-1934 Gesangsstudium (mit Unterbrechungen) bei Louis Bachner
1922-1923 Engagement an der Deutschen Oper Berlin
1923-1924 Engagement am Hessischen Staatstheater in Wiesbaden und am Pfalztheater Kaiserslautern, 1924-1925 Wiesbaden (Generalmusikdirektor Otto Klemperer)
1925-1926 Engagement am Theater der Freien Hansestadt Bremen
1926-1933 Gesangssolist im Ensemble des Westdeutschen Rundfunks in Köln, zahlreiche Gastspiele, 1933 Entlassung, zweijährige Auftrittssperre für alle deutschen Sender
1933-1945 Freiberufliche Tätigkeit als Konzert- und Opernsänger (Wohnsitz: Berlin, bis 1945), Mitwirkung bei Rundfunkübertragungen von Opern und Oratorien; Gastspiele u. a. in London (Covent Garden) und Wien (Staatsoper); während des Krieges „dienstverpflichtet“ beim Reichsrundfunk, Mitwirkung bei Unterhaltungssendungen wie „Deutsches Volkskonzert“ und „Wehrmachtswunschkonzert“ und bei den Filmen „Wunschkonzert“ (1940) und „Fronttheater“ (1943), „Truppenbetreuung“ in den besetzten Gebieten
1945 Zerstörung der Berliner Wohnung, Umzug nach Innsbruck, im Oktober 1945 nach Traunstein
1947 Wohnsitz in Frankfurt am Main, Fortsetzung der Konzerttätigkeit (bis 1963)
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1. 1924 Wiesbaden, Serafima Simiona, geb. Rostin, gesch. (Köln) 1933
2. 1936 Berlin, Alwine Wilhelmine, gen. Hella, geb. Müller, gesch. 1936 (Berlin)
3. 1942 Berlin, Dr. Elfriede Elsa, geb. Richter, gesch. 1946 (Innsbruck)
4. 1955 Frankfurt a. M., Anneliese, geb. Härtl
Eltern: August Wilhelm Strienz (1855-1926), Kaufmann
Marie Emilie, geb. Müller (1863-1933)
Geschwister: Eugen Wilhelm (1883-1918)
August Friedrich (1884-1911)
Hugo Otto (1887-1915)
Marie (1897-1948)
Kinder: keine
GND-ID: GND/11731885X

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 446-448

Selten schwankte bei einer Persönlichkeit der Zeitgeschichte – denn als solche muß man Strienz bezeichnen – das Urteil der Nachwelt mehr als bei dem in seiner Glanzzeit populärsten Sänger seines Fachs in Deutschland. Dabei stand der Beginn seiner künstlerischen Laufbahn unter günstigen Vorzeichen: „Entdeckt“ wurde der Zwanzigjährige von der der Familie Strienz befreundeten Sängerin Marta Fuchs, die den Unterricht bei hervorragenden Meistern vermittelte, Oscar Schröter und Theodor Scheidl. Später bildeten ihn Luise Reuss-Belce, die noch unter Richard Wagner in Bayreuth („Parsifal“ 1882) gesungen hatte, und der Lehrer von Schlusnus, Louis Bachner, weiter; der letztere mußte 1934 emigrieren. 1922 schon debütierte Strienz als Eremit im „Freischütz“, und auf Engagements in Berlin, Wiesbaden, Kaiserslautern und Bremen – wo er sich, dem Rat Max von Schillings’ folgend, Bühnenpraxis und Repertoirekenntnis erwarb – folgte die erste – und einzige – feste längere Verpflichtung, als Solist beim Kölner Rundfunk („die sieben schönsten Jahre meiner Sängerlaufbahn“). In dieser Position, die für die damalige Zeit enorme Ausstrahlungsmöglichkeit besaß, wurde er zum bekannten Mann, wirkte bei Rundfunkaufführungen von Opern und Oratorien mit und vervollständigte seine Kenntnis der Liedliteratur, hier betreut von Michael Raucheisen. Ein Eklat ereignete sich nach der „Machtübernahme“, als ihm zugemutet wurde, bei einem Konzert in einer NS-Phantasieuniform zu singen; als ihm auch noch Koppel und Schulterriemen angepaßt werden sollten, weigerte er sich zu singen und wurde von dem neuen NS-Intendanten Glasmeier fristlos entlassen. Dabei verzichtete er auch noch – etwas vorschnell, aber in seinem Stolz tief getroffen – auf die erworbenen Pensionsansprüche. Der Aufbau einer neuen Karriere erwies sich als schwierig, aber nach Ablauf der zweijährigen Auftrittssperre, die gegen ihn verhängt worden war, wirkte die Zugkraft seines Namens wieder, und Tourneen mit Gesangsstars wie Marcel Wittrisch, Erna Sack und Aulikki Rautawaara verliefen höchst erfolgreich. 1937 kam es in Berlin zu der berühmt gewordenen Gesamtaufnahme der „Zauberflöte“ unter Leitung von Sir Thomas Beecham mit der damaligen deutschen Sängergarde: Tiana Lemnitz, Erna Berger, Irma Beilke, Helge Rosvaenge, Gerhard Hüsch – Strienz sang den Sarastro. „Sir Thomas zu Gast im Großdeutschen Reich, wo er sich auch gegen die Mitwirkung des Volkskonzert-Barden Wilhelm Strienz nicht wehrte, obwohl dessen öliges Pathos den Sarastro entwürdigt“ (Löbl/Werba, siehe Literatur). Die Geringschätzung, die sich in dem Etikett „Volkskonzert-Barde“ ausspricht, wird von vielen Rezensenten nicht geteilt und ist wohl eher auf die – vermeintliche – NS-Aura des Künstlers zurückzuführen als auf seine gesanglichen Leistungen. Die Fakten liegen ganz anders: Sir Thomas wehrte sich nicht nur nicht gegen die Mitwirkung des Sängers, sondern hatte ihn höchstpersönlich aus einer Reihe ihm anonym vorgelegter Plattenaufnahmen deutscher Bassisten ausgewählt. Und was das „ölige Pathos“ anlangt: Wenn es denn zutrifft, daß man bestimmten deutschen Stämmen bestimmte Eigenschaften zuordnen kann, dann drücken sich die urschwäbischen Eigenschaften der Gemütstiefe und Wärme, der Schlichtheit und gediegenen Solidität in der Gesangskunst von Strienz sehr markant aus. Darüber hinaus verfügte der Sänger über eine erstaunliche stimmliche Skalenbreite zwischen zartestem Pianissimo und volltönendem Forte und beherrschte sowohl die Spitzentöne des Osmin wie die schwarzen Baßtiefen des Sarastro. Von „Entwürdigung“ dieser Rolle kann auch keine Rede sein; hätte ihn dann, wenn dies der Fall wäre, Sir Thomas im folgenden Jahr (1938) nach Covent Garden eingeladen, um große Partien dort zu singen (Sarastro, König Heinrich – Lohengrin –, Fafner – Ring –, Rocco – Fidelio –, und Pogner – Meistersinger)? Dieses Londoner Gastspiel war wohl der äußere Höhepunkt der Karriere des Sängers. Die Kritiken waren allerdings nicht durchweg positiv, Michael Scott registrierte (im Beiheft der Schallplattenkassette „The Record of Singing, Volume Three“ Ex 29 0169 3) „unsatisfactory notices“, während die Sekretärin Beechams – und vorher Furtwänglers –, Dr. Bertha Geissmar, fand, daß „Mitwirkende und Zuhörer die unsterbliche Musik in gleicher Weise zu genießen schienen“ (Literatur).
In den Dreißigerjahren wandte sich Strienz mehr und mehr der gehobenen Unterhaltungsmusik, vor allem dem volkstümlichen Lied, zu, das während der Kriegszeit seine Domäne werden sollte. Auf Tourneen mit dem Orchester Barnabas von Géczy – an denen auch Werner Finck teilnahm – erwarb er sich einen Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad, der sich nach 1939 zu echter Volkstümlichkeit steigerte. Will man die Rolle des Sängers in den Kriegsjahren objektiv bewerten, muß man sich vergegenwärtigen, daß Musik im „Dritten Reich“ gleichbedeutend mit politischer Aktion war und daß der oberste Propagandist Joseph Goebbels und seine Helfershelfer es in raffinierter Weise verstanden, die dem verständlichen Bedürfnis der Menschen nach Ablenkung und Zerstreuung gewidmeten musikalischen Darbietungen in ihre ideologischen Kanäle zu lenken, d. h. in den Dienst ihrer Propaganda zu stellen. Das gilt ganz besonders für die „Deutschen Volkskonzerte“ und die Wehrmachtswunschkonzerte – und alle dort Mitwirkenden, außer Strienz z. B. Erna Berger, Tiana Lemnitz, Elisabeth Schwarzkopf, Peter Anders, Willi Domgraf-Fassbender, Rupert Glawitsch, Michael Raucheisen –, mit denen Goebbels, die Stimmungslage genau erfassend, eine „Erlebnisklammer zwischen Front und Heimat“, wie man das damals nannte, schmiedete und so, ob die Beteiligten wie Strienz es wollten oder nicht, den Durchhaltewillen der Deutschen im Kriege verstärkten. Bei den Strienz übertragenen Aufgaben gab es keine Alternative: „Dies ist ein dienstlicher Befehl, entweder – oder ...“ (Strienz). So sang er eben auch das gegen Churchill gerichtete Lied vom „Lügenlord“ und geriet in Zwielicht – aber er war weder Parteimitglied noch ein Anhänger des Nationalsozialismus, und nach dem 20. Juli 1944 leitete der Oberreichsanwalt beim „Volksgerichtshof nach verschiedenen unvorsichtigen Äußerungen des Sängers in den vorhergehenden Jahren ein Ermittlungsverfahren ein (Geschäftszeichen 5a J 624/44), das jedoch, offensichtlich wegen der Popularität des Künstlers, niedergeschlagen wurde. Aber der Textdichter der bekanntesten Strienz-Lieder, „Gute Nacht, Mutter“ und „Heimat, deine Sterne“, Erich Knauf, wurde als „Vaterlandsverräter“ zum Tode verurteilt und hingerichtet, trotz der mutigen Intervention des mit Knauf befreundeten Strienz bei Goebbels („Ich verbitte mir jede Einmischung, ein Landesverräter wird nicht begnadigt“).
Schon 1946 erhielt Strienz von den westlichen Besatzungsbehörden die Auftrittserlaubnis. Anfangs wurde er von einigen deutschen Veranstaltern boykottiert, setzte sich aber wieder durch und sang bis 1963 – als die Folgen einer schweren Operation seinen Aktivitäten ein Ziel setzten – in 862 Konzerten, wieder, wie früher, auf ausgedehnten Tourneen durch die Bundesrepublik Deutschland, Österreich und die Schweiz vor ausverkauften Sälen. Viele Plattenaufnahmen, die in dieser Zeit entstanden, bewahren die unverwechselbar sonore Kantabilität des Sängers, die suggestive Kraft seiner Persönlichkeit für die Zukunft. Man mag dem „Durchhaltesänger“ kritisch gegenüberstehen; Tatsache ist, daß er vielen bedrängten Menschen in schwerer Notzeit Trost und Hoffnung vermittelte.
Quellen: BDC-Akte Wilhelm Strienz; Heinz Boberach (Hg.), Meldungen aus dem Reich. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS 1938-1945, 1984 Bd. 16, 6196; Interview des Sängers mit Bernd Loebe im Hessischen Rundfunk am 04.01.1986
Werke: Viele Plattenaufnahmen bei Electrola (seit 1930), Polydor, HMV, HRE, DGG, Urania; die „Zauberflöte“ unter Sir Thomas Beecham: NI 7827/8 (CD)
Nachweis: Bildnachweise: in: NI 7827/8 (DC) (siehe Werke)

Literatur: Künstler im Rundfunk, ein Album der Zeitschrift Der Deutsche Rundfunk, 1932; Heinz Goedecke/Wilhelm Krug, Wir beginnen das Wunschkonzert für die Wehrmacht, 1940; Kurt B. Metzmacher, Statt Autogramme – Künstler grüßen Soldaten, 1944; Fred K. Prieberg, Musik im NS-Staat, 1982, 175, 337; Walter Legge/Elisabeth Schwarzkopf, Gehörtes, Ungehörtes, Memoiren, 1982, 157; Karl Löbl/Robert Werba, Hermes Handlexikon Opern auf Schallplatten, 1983 Band I 253; Fred K. Prieberg, Kraftprobe, Wilhelm Furtwängler im Dritten Reich, 1986, 332; G. R. Koch, Der Volkstümliche – Zum Tode des Bassisten Wilhelm Strienz, in: FAZ vom 18.05.1987; K. J. Kutsch/Leo Riemens, Großes Sängerlexikon, 1987, 2873-2874; Alan Jefferson, Elisabeth Schwarzkopf, 1996, 76 (die dort gegebene Darstellung des Engagements von Strienz bei der „Zauberflöte“ von 1937 – Beecham sei „gezwungen“ worden, Strienz zu engagieren – entspricht nicht dem tatsächlichen Hergang, siehe oben)
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