Simpfendörfer, Wilhelm Christian 

Andere Namensformen:
  • bis 1904: Kühner, Christian Wilhelm
Geburtsdatum/-ort: 25.05.1888; Neustadt an der Hardt (seit 1939: an der Weinstraße)
Sterbedatum/-ort: 04.03.1973;  Heilbronn
Beruf/Funktion:
  • Schulrektor, MdL u. MdR-CSVD und CDU, Kultusminister
Kurzbiografie: 1905–1910 Lehrerseminar in Lichtenstern
1910–1953 Mathematik- u. Physiklehrer an d. Knabenrealschule in Korntal, seit 1945 Schulleiter
1911–1913 Fortbildung durch Vorlesungsbesuch an d. TU Stuttgart u. Sprachkurs in Besançon
1916–1918 Kriegseinsatz an d. Westfront, Dolmetscherprüfung
1924 Mitbegründer u. Landesvorsitzender des CSVD
1929–1933 Reichsvorsitzender des CSVD
1930–1933 MdR, zugleich Fraktionsvorsitzender des CSVD
1946–1960 Mitglied u. Präsident d. Verfassunggebenden Landesversammlung, dann MdL Württ.-Baden, ab 1952 Baden-Württemberg
1946–1947 Kultusminister von Württemberg-Baden
1946/48–1958 Landesvorsitzender d. CDU in Nordwürttemberg
1953–1958 Kultusminister von Baden-Württemberg
1965 aus Protest gegen die CDU-Ostpolitik Niederlegung des Ehrenvorsitzes des CDU-Landesverbandes Nordwürttemberg
1971 Parteiaustritt nach d. Wahl Rainer Barzels zum CDU-Bundesvorsitzenden
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: Dr. med. h. c. d. Univ. Freiburg (1957); Großes Verdienstkreuz mit Stern u. Schulterband d. Bundesrepublik Deutschland u. Ehrenbürger d. Stadt Korntal (1958)
Verheiratet: 1918 (Korntal) Helene, geb. Kallenberger (1898–1985)
Eltern: Vater: Karl, Landwirt
Mutter: Louise Pauline, geb. Kühner
Geschwister: nicht ermittelt
Kinder: 4;
Gotthold (1919–1942, vermisst),
Jörg (geboren 1922),
Gerhard (geboren 1924),
Werner (1927–1997)
GND-ID: GND/117398543

Biografie: Michael Kitzing (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 464-469

Vorehelich geboren trug Simpfendörfer erst ab 1904 den väterlichen Namen. Warum Neustadt/Weinstraße sein Geburtsort war, ließ sich nicht ermitteln. Auch der Kindsvater wohnte in Brettach bei Neckarsulm. Er wuchs in Brettach bei Heilbronn auf, woher die Mutter kam, besuchte dort die Volksschule und anschließend das Lehrerseminar in Lichtenstern, das er 1910 erfolgreich abschloss. Noch im gleichen Jahr wurde Simpfendörfer Lehrer für Mathematik und Naturwissenschaften an der Höheren Knabenschule in Korntal bei Stuttgart. Seit 1945 war er Rektor dieser Schule, was er bis zu seiner Ernennung zum Kultusminister von Baden-Württemberg 1953 blieb. Neben seiner pädagogischen Tätigkeit hat sich Simpfendörfer früh weitergebildet. Zwischen 1911 und 1913 besuchte er Veranstaltungen an der TH Stuttgart und 1913 einen Sprachkurs an der Universität Besançon. Im I. Weltkrieg – Simpfendörfer war von 1916 bis 1918 Soldat an der Westfront – war eine Vertiefung seiner Studien kaum möglich; immerhin konnte er aber 1918 eine Dolmetscherprüfung für Französisch ablegen. Nach dem Ende des Kriegs begann sein Aufstieg zu einem der profiliertesten Politiker des deutschen Protestantismus in der Weimarer Republik.
Damals fehlte es an einer dezidiert protestantischen Partei, evangelische Christen hatten sich zunächst der Deutschnationalen Volkspartei, DNVP, angeschlossen, ohne den Kurs der Partei entscheidend prägen zu können. Schon im Umfeld der Reichstagswahl vom Mai 1924 stieß in evangelischen Kreisen die zunehmende Radikalisierung der DNVP auf Widerspruch. Unter Mitwirkung Simpfendörfers war es eine evangelische Freigemeinde in Korntal, „die sich zu einer Art Brüdergemeinde nach Art der Herrnhuter entwickelte“ (Methfessel, 1968, S. 259). Stark demokratisch- kleinbürgerlich geprägt fühlte man sich durch die DNVP politisch kaum repräsentiert. Es bedürfe einer Partei, die sich als Gewissen des Volkes verstehe, als „der evangelische Zeuge Christi im öffentlichen Leben, als der Führer zur Erneuerung und Erhebung unseres Volkes“ (zit. nach Buchheim, 1953, S. 396), hieß es. Aus diesem Sammlungsaufruf erfolgte unter Führung von Simpfendörfer und Paul Bausch die Gründung des Christlichen Volksdienstes, CVD, der ab 1927 festere organisatorische Strukturen erhielt und über eine Reichsgeschäftsstelle und einen Verlag in Korntal verfügte. Simpfendörfer war Schriftleiter der Wochenzeitschrift des CVD, Christlich-Soziale Blätter. 1928 nahm die Partei erstmals bei württembergischen Landtagswahlen teil und konnte drei Mandate erringen.
Ende Dezember 1929 schlossen sich CVD und Christlich-Soziale Reichsvereinigung, bekennende Protestanten in der Tradition Adolf Stoeckers (1835–1909), die noch in der DNVP organisiert waren und in scharfen Gegensatz zur neuen Parteispitze unter Alfred Hugenberg (1865–1951) standen, zum Christlich-Sozialen-Volksdienst, CSVD, zusammen. Als erster der drei gleichberechtigten Vorsitzenden hat Simpfendörfer über dreieinhalb Jahre die Geschicke der kleinen Partei geprägt, so auch deren Wahlaufruf vom 16. August 1930, in dem die Ziele umrissen waren: Für Gewissensüberzeugungen habe es bisher in der Politik keinen Platz gegeben. Jetzt wollten durch ihr Engagement evangelische Christen für eine dezidiert christliche „Politik des Glaubens und Gehorsams gegenüber Gott eintreten, eingedenk des Wortes, ‘Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben’“ (CVD Nr. 33 vom 16.8.1930, abgedr. in: Opitz, 1969, 333f.). Daraus wird das missionarische Selbstverständnis des CSVD deutlich. Kulturpolitisch hatte die Gruppe ein eher restauratives Weltbild: Ziele waren Schutz der Familie, die Neugestaltung des Eherechts im christlichen Sinn und die Bekämpfung von Schmutz und Schund. In sozialpolitischen Fragen näherte sich der CSVD der politischen Linken und kritisierte die kapitalistische Wirtschaft, die zum Dienst am Mammon entartet sei. Er betonte den verpflichtenden Charakter des Privateigentums, lehnte aber seine Abschaffung ab. Aktive Sozialpolitik solle Ergänzung zur Selbsthilfe sein.
Bei der Reichstagswahl 1930 gewann der CSVD 14 Mandate. Im Parlament wollte die Gruppe nun eine Politik führen, die abgesehen von Zentrum und Bayerischer Volkspartei alle politischen Kräfte links der DNVP und rechts der SPD auf die Linie von Reichskanzler Brüning (1885–1970) einschwor, und sie begrüßte die erste Präsidialregierung als „Kabinett der sachlichen Arbeit und des nationalen Dienstes“ (CVD Nr. 14 vom 5.4.1930, nach Opitz, 1969, S. 187). Im unbedingten Vertrauen auf Brüning und Reichspräsident von Hindenburg (1847–1934) trat der CSVD für den Gedanken einer starken Regierung ein, die möglichst unabhängig vom Parlament handeln sollte. Auch verfassungsrechtlich müsse, so Simpfendörfer, möglichst bald der „überspitzte Parlamentarismus“ (Tägliche Rundschau vom 1.3.1932, 2. Beilage) überwunden werden, wofür die Heraufsetzung des Wahlalters gut sei. Die Position des Reichspräsidenten müsse gestärkt, die Reichsregierung gegen „die wechselnden Launen der Parteien und des Parlaments“(ebd.) geschützt werden. Hierzu sollte das präsidiale Notverordnungsrecht im Artikel 48 der Verfassung ausgebaut oder Art. 54 geändert werden, der das Kabinett an das Vertrauen des Parlaments band.
Fast alle Maßnahmen Brünings fanden die Zustimmung des Volksdienstes, auch seine Notverordnungspolitik, jedoch sah es Simpfendörfer auch als seine Pflicht an, den Kanzler wiederholt auf soziale Härten aufmerksam zu machen. Er forderte eine stärkere Besteuerung von Spitzeneinkommen. Außenpolitisch wollte der CSVD die Revision des Versailler Vertrages und des Young-Plans. Nach Simpfendörfer müsse die deutsche Regierung den Mut zu „gewagten Entschlüssen“ aufbringen und „klipp und klar erklären, dass Deutschland nicht mehr zahlen kann“ (CVD Nr. 20 vom 9.1.1932, nach Opitz, 1969, S. 212). Wegen seiner relativ geringen Mandatszahl war der Einfluss des CSVD als evangelische Splitterpartei jedoch nur begrenzt. Ambivalent geriet die Haltung des Volksdienstes gegenüber der NSDAP, zumal der Volksdienst fürchten musste, dass eine Abwanderung seiner Wähler zur NSDAP stattfand. Darum führte der CSVD den Wählern die feindliche NS-Einstellung zum Christentum vor. Seit 1930 hatte Simpfendörfer mehrfach gefordert, die NSDAP in die Reichsregierung einzubinden. Er war davon überzeugt, dass die NS-Partei sich in der Macht abnutzen und schnell an Rückhalt beim Wähler verlieren werde. Mit diesem Argument suchte Simpfendörfer nach 1945 auch seine Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz zu rechtfertigen.
Nach dem Sturz Brünings und den anschließenden Reichstagswahlen kam es beim CSVD zu Auflösungserscheinungen. Unklar geriet das Verhältnis zur von-Papen-Regierung. Simpfendörfer selbst befürwortete weiter die starke, von den Parteien unabhängige Regierung, fürchtete aber deren sozialreaktionäre Gesinnung. Auch Angst vor einem Bündnis aus Nationalsozialisten und Zentrum kam damals auf. Das Kabinett Kurt von Schleicher (1882–1934) hatte dann wieder die uneingeschränkte Unterstützung des Volksdienstes. Bemerkenswert dabei Simpfendörfers Artikel „Schluss mit dem Narrenspiel negativer Mehrheiten“ (Der Volksdienst Nr. 4 vom 28.1.1933), in dem er die Einführung eines konstruktiven Misstrauensvotums forderte und so versuchte, Schleicher im Amt zu halten.
Unmittelbar nach der NS-„Machtergreifung“ schätzte auch Simpfendörfer die Kräfteverhältnisse zunächst falsch ein. Er hielt von Papen und Hugenberg noch immer für maßgebende Akteure der deutschen Politik, fürchtete weiterhin die Koalition aus NSDAP und Zentrum. Der „Tag von Potsdam“ führte dann aber zu einer grundlegenden Wende. Simpfendörfer passte sich den Nationalsozialisten an, stimmte für das Ermächtigungsgesetz und betonte ausdrücklich, dies ohne Vorbehalt zu tun, anders als Zentrum und Liberale. Diese Zustimmung läutete das Ende des Volksdienstes ein; er wurde am 30. Juni 1933 aufgelöst. Seine Abgeordneten hospitierten bereits bei der NSDAP. Dies allein habe den Abgeordneten die Möglichkeit geboten, weiter praktische parlamentarische Arbeit zu leisten, rechtfertigte Simpfendörfer nach Kriegsende. Tatsächlich aber habe nie ein rechtes Gästeverhältnis mit der NS-Fraktion bestanden. Gleichwohl hatte Simpfendörfer versucht, Abgeordnete des ehemaligen Volksdienstes bei der Reichstagswahl vom Oktober 1933 in die Einheitsliste der NSDAP zu lancieren. Das macht auch seine Aussagen über sein persönliches Schicksal fragwürdig: er sei im Herbst 1933 in einen langwierigen Prozess verwickelt worden, man habe ihm wegen nicht-arischer Abstammung nachgestellt, die Gestapo ihn als gefährlichen Gegner eingestuft und inhaftieren wollen. Auch als er aus der aktiven Politik ausgeschieden war, blieb er Lehrer in Korntal.
Nach Kriegsende war Simpfendörfer einer der Gründer der CDU in Nordwürttemberg. Bereits der Vorläufigen Volksvertretung für Württemberg-Baden gehörte er an. 1946 wurde er in die Verfassunggebende Landesversammlung gewählt und war schließlich deren Präsident. In der Vorläufigen Volksvertretung hat Simpfendörfer zu allen zentralen Fragen der neu entstehenden Verfassung Stellung genommen. Neben Wilhelm Keil und Carlo Schmid wurde Simpfendörfer einer der Väter der Verfassung des Landes Württemberg-Baden. Oftmals hat er damals die Mängel der Weimarer Verfassung analysiert und kritisiert, sie sei zu tolerant zu denen gewesen, die es letztlich auf die Zerstörung des Staates abgesehen hatten. Drum wollte er eine wehrhafte Demokratie, die durch das konstruktive Misstrauensvotum gestärkt werde. Intensiv hat sich Simpfendörfer dem Wahlrecht zugewandt und die fehlende Bindung zwischen Abgeordneten und Wählern in der Weimarer Zeit kritisiert, woran das 1919 eingeführte Proporzwahlrecht Schuld gewesen sei. Darum schlug er für das Land Württemberg-Baden 100 Wahlkreise vor; gewählt solle sein, wer im Wahlkreis die relative Stimmenmehrheit hatte.
Seltsam geradezu mag heutzutage Simpfendörfers andere Idee anmuten, zu einer Gepflogenheit der Zeit des Kaiserreichs zurückzukehren, um neuerliche Parteizersplitterung zu vermeiden, und den amtlichen Wahlzettel abzuschaffen. Der Bewerber selbst solle seine Stimmzettel austeilen. Größeres finanzielles Risiko sei gut. Dieser Vorschlag wurde genauso verworfen wie das Amt eines Staatspräsidenten oder die Einrichtung eines berufsständisch gegliederten Senates.
Neben seiner Rolle als Mitgestalter der Verfassung gründete Simpfendörfers Ansehen im Parlament darauf, dass er hervortrat, „wenn es galt, unbegründete Angriffe der Militärregierung gegen den Landtag abzuwehren“ (Keil, 1958, S. 12). Das führte letztlich dazu, dass Simpfendörfer im November 1946 Kultusminister in der ersten parlamentarisch gebildeten Regierung unter Reinhold Maier wurde. Schon kurze Zeit danach sah sich Simpfendörfer im Visier des Herausgebers der Stuttgarter Zeitung Franz Karl Maier. Unter der Überschrift „Eine traurige Geschichte“ wurden Ministerpräsident Maier und Simpfendörfer scharf angegriffen. Beide sollten Vorbildwirkung besitzen, hätten aber als Reichstagsabgeordnete für das Ermächtigungsgesetz gestimmt und so einen wesentlichen Beitrag zur Konsolidierung der NS-Diktatur geleistet. Auf Wunsch von CDU und DVP wurde ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, um den Sachverhalt vom März 1933 objektiv zu klären. Simpfendörfers Position wankte bald. Der Journalist, zugleich öffentlicher Kläger an der Stuttgarter Spruchkammer, hatte im Januar Simpfendörfers Einstufung als „hauptschuldig“ beantragt. Zwar wurde Franz Karl Maier wegen Kompetenzüberschreitung vom zuständigen Minister suspendiert, und das Verfahren sollte bis zum Ergebnis der Arbeit des Ausschusses ruhen, da tauchten neue Vorwürfe gegen den Kultusminister auf. Er musste zurücktreten, nachdem in der Stuttgarter Zeitung sein Artikel aus dem Jahr 1936 abgedruckt worden war, in dem Simpfendörfer zur Wahl Hitlers aufgerufen hatte. Dies und sein Brief vom 3. Juli 1933, worin er um die Aufnahme als Hospitant in die NSDAP Fraktion gebeten hatte, geriet ihm zum Verhängnis. Das Spruchkammerverfahren gegen Reinhold Maier wurde niedergeschlagen, Simpfendörfer im September 1947 als „minderbelastet“ verurteilt, wodurch er seine bürgerlichen Ehrenrechte für zwei Jahre verlor und 1000 RM zahlen musste. Sein Landtagsmandat ruhte; den Vorsitz im CDU-Landesverband Nordwürttemberg gab er ab. In der Berufung wurde Simpfendörfer im Februar 1948 dann freigesprochen. Er konnte 1951 als Vizepräsident des Landtages von Württemberg-Baden erneut in eine Spitzenposition gelangen. In der Allparteienregierung Gebhard Müllers im Herbst 1953 war Simpfendörfer wieder Kultusminister.
Damals war das Kultusministerium noch für sämtliche Schultypen, die Universitäten und die Förderung von Kunst und Kultur zuständig und für Fragen des Denkmal- und Landschaftsschutzes, Bereiche, in denen gerade wegweisende Gesetze entstanden, so das Denkmalsschutzgesetz von 1955. Innen- und Kultusministerium arbeiteten gemeinsam am Landesnaturschutzgesetz. Renommierten Institutionen galt es wieder aufzuhelfen: ein Neubau für die Württembergische Staatsgalerie entstand, im wieder aufgebauten Alten Schloss wurde das Württembergische, im restaurierten Karlsruher Schloss das Badische Landesmuseum untergebracht. Vorderhand freilich wurde der Kultusminister an seinem Engagement in der Schul- und Hochschulpolitik gemessen, wo nicht kleinere Herausforderungen anstanden. Lehrpläne für das neue Bundesland wurden beschlossen und über geeignete Lehrmittel musste entschieden werden. Das größte Problem freilich blieb die Schulraumnot. Dafür wurde ein Sonderprogramm aufgelegt.
Zwischen 1945 und 1957 waren erhebliche Investitionen zum Schulhausneubau nötig. Während dieses Zeitraums entstanden 10 855 Räume, so Simpfendörfers Rechenschaftsbericht 1957, für die allgemein bildenden Schulen und fast 4000 für berufsbildende. Dafür waren 780 Mio. DM nötig, wovon das Land knapp 144 Mio. trug. Dennoch konnte der Schichtunterricht erst allmählich abgebaut werden, noch immer kamen durchschnittlich 37 Schüler auf einen Lehrer. Noch in seinem letzten Rechenschaftsbericht räumte der Minister ein, dass die Klassenstärken an manchen Orten viel zu groß seien, auch wenn man inzwischen die niedrigste durchschnittliche Klassenstärke in der Bundesrepublik erreicht habe. Es gab auch ein Sonderprogramm zum Bau von Sportstätten, um den Mangel an Turn- und Sporthallen sowie Lehrschwimmbecken zu beseitigen.
Mehrere Schulgesetze wurden in der Amtszeit Simpfendörfers verabschiedet, etwa gleichzeitig 1955 das Privatschulgesetz und die Neuregelung des Sonderschulwesens sowie 1958 das Lehrerbildungsgesetz. Wegweisend wirkte die Einführung von Schulgeld- und Lernmittelfreiheit. Schon 1955 und 1956 war das Schulgeld ermäßigt worden, ab 1957 wurde auch an den Mittel- und Höheren Schulen unentgeltlich unterrichtet, Lehrmittelfreiheit aber mit Rücksicht auf die Finanzlage vieler Gemeinden schrittweise eingeführt. Noch in Simpfendörfers Amtszeit fällt auch die Diskussion über das 9. Volksschuljahr. Schon seit 1953 konnten Schüler von ihren Wohngemeinden zum Besuch des 9. Schuljahres verpflichtet werden. Die Kultusverwaltung hatte die Möglichkeit dazu geschaffen, der Minister aber blieb bei der Einführung eines 9. Volksschuljahres zurückhaltend, auch mit Blick auf die Raumsituation. Neue Wege schlug die Kultuspolitik Simpfendörfers bei der Einführung von Elternbeiräten oder der Schaffung eines Mittelschulzweiges an Volksschulen ein. Das Fach Gemeinschaftskunde fand damals Eingang in den Unterricht, genauso wie ein Lehreraustausch mit Frankreich und England ermöglicht wurde, um zum Verständnis zwischen diesen Völkern beizutragen.
Neben reger Bautätigkeit im Hochschulbereich galt unter Simpfendörfer der Besserung der dort besonders schlechten personellen Ausstattung große Aufmerksamkeit. Zwar wurde die Zahl der Professoren im neuen Bundesland zwischen 1939 und 1956 fast verdoppelt, die Stellenvermehrung konnte jedoch nicht mit dem Zuwachs der Studentenzahlen schritthalten. Besonders schlimm war die Heidelberger Situation, wo erst eine Lockerung der Regelungen des sogenannten 131er Gesetzes, das Beamte betraf, die kriegsbedingt ihre Stelle verloren hatten, alle Vakanzen beseitigen konnte. Geradezu katastrophal war die Situation im Pflegebereich der Universitätskliniken. Neueinstellungen minderten die Wochenarbeitszeit 1956 von 60 wenigstens auf 54 Stunden.
Die Förderung des technischen Nachwuchses wurde damals zum Schwerpunkt. Besonderen Bedarf an Ingenieuren weckte die permanent florierende Konjunktur. Darum sorgte das Ministerium Simpfendörfer für den Ausbau von Ingenieursschulen. Ein Fachbeirat der Wirtschaft wurde herangezogen, die Möglichkeit eröffnet, auf dem zweiten Bildungsweg über die Technische Oberschule Zugang zur Hochschule zu schaffen. Ein Weiterbildungsprogramm sollte Techniker fördern.
Im Oktober 1957 wurde von einem gesundheitlichen Zusammenbruch des Ministers berichtet. Erst zu Ostern 1958 nahm er seine Amtsgeschäfte wieder auf, musste sich jedoch kurz danach ganz aus dem politischen Leben zurückziehen. Simpfendörfers letzte Lebensjahre waren geprägt durch ein schwieriger werdendes Verhältnis zur CDU. Zwei Jahre vor seinem Tod trat er aus, was sachliche wie personelle Gründe hatte. Den damals Führenden in der CDU/CSU Politik – Rainer Barzel (1924–2006) und Franz Josef Strauß (1915–1988) – warf Simpfendörfer mangelnde Flexibilität zumal in der Ostpolitik vor. Das verhindere die erstrebenswerte Aussöhnung. Anlass für Simpfendörfers Parteiaustritt war dann Barzels Wahl zum CDU-Bundesvorsitzenden.
Auch ohne diesen Umstand bleibt das Bild des Politikers Simpfendörfer ambivalent. Den von ihm geprägten Christlichen Volksdienst der Weimarer Zeit hatte ein ausgeprägt missionarisches Selbstverständnis mit starkem sozialem Einschlag gekennzeichnet. Dennoch war der CSVD im Zusammenspiel mit Reichskanzler Brüning bereit, notwendige unpopuläre Maßnahmen zu tragen. Sein so häufiger wie lauter Ruf nach der starken Regierung und die Abneigung von Simpfendörfer samt Partei gegen den angeblich übersteigerten Weimarer Parlamentarismus leisteten fraglos autoritärem Gedankengut Vorschub. Darum erscheint die betont vorbehaltlose Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz, bei aller sichtbaren Distanz zum Nationalsozialismus, in einem durchaus eigentümlichen Licht und begründet die Unterbrechung von Simpfendörfers Nachkriegskarriere. Bald aber wirkte der erfolgreiche Nachkriegspolitiker wieder. Die Verfassung des Landes Württemberg-Baden hat Simpfendörfer mitgeprägt und als Kultusminister einen wichtigen Beitrag zum Aufbau des Bildungsbereichs im frühen Südweststaat geleistet.
Quellen: HStA Stuttgart Q 1/14, NL Wilhelm Simpfendörfer, Zeitgeschichtl. Sammlung Wilhelm Simpfendörfer, Kanzleiakte C VII Wilhelm Simpfendörfer; BA Koblenz R 43 I/2686, Akten d. Reichskanzlei über die Volkskonservative Vereinigung u. den Christlich Sozialen Volksdienst; Christlich-soziale Blätter Jgg. 1-3, 1924–1926; Christlicher Volksdienst Jgg. 4-8, 1928–1932; Stenographische Berichte d. Verhandll. des Reichstages, 5.-8. Wahlperiode, 1930–1933; Tägliche Rundschau Jg. 51, 1932; Verhandlungen d. Vorläufigen Volksvertretung für Württ.-Baden, 1946; Verhandlungen d. Verfassunggebenden Landesversammlung von Württ.-Baden, 1946; Verhandlungen des Landtags von Württ.-Baden 1946–1952; Verhandlungen d. Verfassunggebenden Landesversammlung u. des Landtags von B-W, I.-II. Legislaturperiode, 1952–1960; Franz Karl Maier, Eine traurige Geschichte, in: Stuttg. Ztg. vom 27.11.1946: Stuttg. Ztg. 1946–1948; Stuttg. Nachrichten 1946–1948; Ernst-Wolfgang Becker (Hg.), Politischer Irrtum im Zeugenstand, 2003.
Werke: Politik aus Glauben u. Gehorsam, 1930; Der Christlich-soziale Volksdienst im Reichstag, 1930; Der Christlich-soziale Volksdienst im Revisionskampf, 1931; Schluss mit dem Narrenspiel negativer Mehrheiten, in: Der Volksdienst Nr. 4 vom 28.1.1933; Erziehungswesen, Kunst u. Wissenschaft werden gefördert, in: Staatsanzeiger BW. Sonderbeil. zu Nr. 98 vom 29.12.1955, 3-4; Aus d. Arbeit des Kultusministers, in: Staatsanzeiger B-W Nr. 88 vom 14.11.1956, 2; Ausbildung, Kunstpflege, Förderung d. Wissenschaften, in: Staatsanzeiger B-W, Sonderbeil. zu Nr. 1 vom 5.1.1957, 4-5; Schule, Wissenschaft u. Förderung d. Kunst, in: Staatsanzeiger B-W, Sonderbeil. zu Nr. 3 vom 11.1.158, 9-10.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (o. J.), in: Baden-Württembergische Biographien 6, S. 461, StadtA Korntal-Münchingen. – Sauer, 1978, 191 (vgl. Literatur).

Literatur: Karl Buchheim, Geschichte d. christl. Parteien in Deutschland, 1953; Eugen Gerstenmaier (Hg.), Wirken solange es Tag ist, 1957; Wilhelm Keil, Begegnungen mit Wilhelm Simpfendörfer, ebd., 7-13; Minister Simpfendörfer erkrankt, in: Südkurier vom 23.10.1957; Kultusminister Dr. Simpfendörfer 70 Jahre alt, ebd. vom 24.5.1958; Simpfendörfer geht, ebd. vom 2.7.1958; Hans Georg Wieck, Christliche u. Freie Demokraten in Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden u. Württemberg 1945–1946, 1958; Werner Methfessel, Christlich-sozialer Volksdienst (CSVD) 1929–1933, in: Dieter Fricke (Hg.), Die bürgerl. Parteien in Deutschland, Bd. 1, 1968, 259-263; Justus Fürstenau, Entnazifizierung – Ein Kapitel dt. Nachkriegspolitik, 1969; Paul Bausch, Lebenserinnerungen u. Erkenntnisse eines schwäb. Abgeordneten, 1969; Günter Opitz, Der Christlichsoziale Volksdienst, 1969; Protest gegen Wahl Barzels, in: Südkurier vom 9.10.1971; Heinrich Brüning, Memoiren 1918–1932, 2 Bde. 1972; Conrad Jobst, Wilhelm Simpfendörfer: 25. Mai 1888–4.Mai 1973, 1973; Günther Bradler, Biographische Skizze von Wilhelm Simpfendörfer, 22.1.1974, auf: https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/einfueh.php?bestand=6715; Paul Sauer, Demokratischer Neubeginn in Not u. Elend, 1978; Paul-Ludwig Weinacht (Hg.), Die CDU in B-W u. ihre Geschichte, 1978; Paul Feuchte, Verfassungsgeschichte von B-W, 1983; Hartmut Lehmann, Christlichsoziale Politiker am Scheideweg, in: Pietismus u. Neuzeit 11, 1985, 277-295; Martin Schumacher (Hg.), M. d. R. Die Reichstagsabgeordneten d. Weimarer Republik in d. Zeit des Nationalsozialismus, 2. Aufl. 1992, Nr. 1496; Stefan Kursawe, Politische Kommentare bei Radio Stuttgart u. d. Stuttgarter Tagespresse 1945–1947, 1996; Ernst Wolfgang Becker, Ermächtigung zum politischen Irrtum, 2001; Frank Raberg, Wilhelm Simpfendörfer, in: Lexikon d. christl. Demokratie in Deutschland, 2002, 369; Frank Müller, Christlich-Sozialer Volksdienst, ebd., 468-469.
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