Mayer, Adolf Eduard 

Andere Namensformen:
  • Pseudonym Eduard Maydolf
Geburtsdatum/-ort: 09.08.1843; Oldenburg
Sterbedatum/-ort: 25.12.1942;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Agrikulturchemiker
Kurzbiografie: 1852 Okt.-1860 Apr. Lyzeum, ab 1859 Okt. Höhere Bürgerschule Mannheim; Abitur
1860-1862 Studium der Mathematik und der Chemie an der Technischen Hochschule Karlsruhe
1862 Okt.-1864 Feb. Studium an der Universität Heidelberg; Promotion zum Dr. phil. summa cum laude in den Fächern Chemie, Physik und Mathematik
1865 Nov.-1866 Dez. Arbeit am landwirtschaftlich-Chemischen Laboratorium der Universität Halle
1867 Jan.-1868 Mär. Assistent an der Landwirtschaftlichen Versuchsstation Karlsruhe
1868 21. Nov. Habilitation an der Universität Heidelberg: „Untersuchungen über die alkoholische Gährung, den Stoffbedarf und Stoffumsatz der Hefepflanze“; Probevorlesung: „Über den Einfluss der physikalischen und chemischen Beschaffenheit des Bodens auf die Vegetation“
1875 8. Jan. außerordentlicher Professor in Heidelberg
1876 1. Aug. Lehrer an der landwirtschaftlichen Hochschule Wageningen, Holland
1877 1. Feb. Professor und Direktor der Staatsversuchsstation Wageningen
1886 18. Sep. Mitglied der Staatlichen Kommission für die Untersuchung des Zustandes der Landwirtschaft in den Niederlanden
1903 1. Jan. Pensionierung
1905 15. Mär. Rückkehr nach Heidelberg
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Dr. h. c. der Hochschule für Bodenkultur Wien (1920); Dr. h. c. der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin (1923); Mitglied der Akademie der Wissenschaften Heidelberg (1924); Dr. h. c. der Landbouwhogeschool Wageningen (1926)
Verheiratet: 1872 (Heidelberg) Johanna Maria Sofie, geb. Rolligs (1853-1938)
Eltern: Vater: Karl August (1808-1894), Gymnasiallehrer
Mutter: Luise Julie, geb. Gmelin (1817-1896)
Geschwister: 2:
Mathilde (1842-1865)
Ida, verheiratete Deecke (1848-1935)
Kinder: 4:
Hugo (geb. 1873)
Ella Mathilde Luise, verheiratete Schönfeld (geb. 1881)
und weitere 2 Kinder
GND-ID: GND/117542210

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 5 (2005), 201-204

„Akademisches Milieu“ mag Mayer schon als Jungen früh beeinflusst haben. Der Sohn eines Gymnasiallehrers und der ältesten Tochter des berühmten Chemikers Leopold Gmelin wuchs seit 1849, als die Familie dorthin gezogen war, in Mannheim auf. Acht Jahre lang besuchte er das dortige Lyzeum, wurde als „gut befähigt“ beurteilt, wechselte dann aber auf die höhere Bürgerschule, die seiner Neigung zur Naturwissenschaft mehr entsprach. Dort bestand er das Abitur mit dem Prädikat „gut“.
Mayers Studien- und erste Arbeitsjahre zeigen sein ungeduldiges Suchen nach dem richtigen Weg, aber auch seine respektlose Einstellung zu den akademischen Traditionen. Im Herbst 1860 bezog er das Karlsruher Polytechnikum, „halb entschlossen [sich] einer technischen Berufsart zu widmen“. Nach einem Jahr allgemeinen Studiums traf seine Wahl auf das Fach Chemie bei C. Weltzien. Das Chemiestudium setzte Mayer an der Universität Heidelberg fort, promovierte dort – damals wurde keine Dissertation verlangt – summa cum laude nach drei Semestern. Sofort nach der Promotion ging Mayer nach Gent und im ganzen Sommersemester 1864 arbeitete er bei A. Kekulé. Anschließend „versuchte“ er sich während mehrerer Monate in Belgien „in der chemischen Technik“, jedoch erschien ihm die chemische Fabrik als „verleidet“. So kehrte er nach Deutschland zurück, um sich im Herbst 1865 an der Universität Halle, wo ihm eine Assistentenstelle am chemischen Laboratorium in Aussicht stand, zu immatrikulieren. Es war eine geradezu schicksalhafte Entscheidung, weil Mayer hier, besonders dank der Vorlesungen von J. Kühn, sich nun einem wenig erforschten Gebiet verschrieb, das zwischen Chemie, Biologie und Landwirtschaft lag: der Agrikulturchemie, die sich damals gerade in ihren Anfängen befand und 1862/63 gerade die erste Phase ihrer Institutionalisierung abgeschlossen hatte. Mayer konnte seine Fähigkeiten in die Entwicklung des neuen Faches einbringen.
Aus 12 Mitbewerbern ausgewählt wechselte Mayer danach an die Landwirtschaftlich-Chemische Versuchsstation Karlsruhe, wo er nun ein gutes Jahr lang als Assistent wirkte und eigene Forschungen über die „Produktion von organischer Pflanzensubstanz bei Ausschluss der Lichtstrahlen“ begann. Um eine größere wissenschaftliche Arbeit durchzuführen, verließ Mayer die Versuchsstation und schloss im chemischen Laboratorium der Technischen Hochschule Karlsruhe seine Untersuchungen über alkoholische Gärung ab, die er zusammen mit seinen früheren Arbeiten als Habilitationsschrift der Philosophischen Fakultät Heidelberg vorstellte. Gutachter waren der Chemiker Bunsen und der Pflanzenphysiologe Hofmeister. Der Habilitationsvorgang verlief nicht ohne Schwierigkeiten: Bei der Vorbereitung seiner Probevorlesung beging Mayer einen Verstoß gegen die geltenden Regeln. Er las die notwendige Literatur nicht in der Bibliothek, sondern zu Hause. Ein Skandal folgte, der damit endete, dass die Fakultät die Probevorlesung um zwei Wochen verschob und das Thema änderte. Diese Angelegenheit zeigt, wie die nonkonformistische Art von Mayer, jede Abweichung von der traditionellen Ordnung ihm Probleme mit der Fakultät schuf, besonders mit H. Kopp. So wurde er erst Anfang 1875 zum Außerordentlichen Professor befördert, sein Gesuch vom Januar 1873 war durch die Fakultät abgelehnt worden. Als Privatdozent las Mayer zu den Themen „Agrikulturchemie als naturwissenschaftliche Grundlage des gesamten landwirtschaftlichen Betriebes“, „Theorie der Gährungserscheinungen“, seit 1872/73 auch über „Landwirtschaftlich-chemische Gewerbe“. Seit Sommersemester 1872 leitete er die agrikulturchemischen Arbeiten im Landwirtschaftlichen Laboratorium. Vom Sommer 1870 an und 1871 war Mayer „außergewöhnlich beurlaubt“, um seine Forschung fortzuführen.
In diese erste Heidelberger Periode fallen außerordentlich wichtige Leistungen Mayers: In seiner Schrift über „Das Düngerkapital“ (1869) widerlegte Mayer die Liebigsche Raubbautheorie und entwickelte „durchaus modern anmutende dynamische ökonomische Modellvorstellungen, die aus heutiger Sicht nur um einige Faktoren ergänzt werden müssen“ (Dabbert 1997). „Bei der Düngung der Ackerfelder ist keine Rücksicht zu nehmen auf den vollständigen Wiederersatz der durch die Ernten hinweg genommenen anorganischen Bestandteile, sondern lediglich auf die Rentabilität des verwendeten Düngerkapitals“. Mayers Modell erklärte den Entwicklungsverlauf des Naturstoffzustandes der Böden in Abhängigkeit von volkswirtschaftlichen und physischen Parametern. Gleichzeitig wurde das Liebigsche „Gesetz vom Minimum“ auf alle Wachstumsfaktoren ausgedehnt. Noch bedeutender und repräsentativ für das ganze Fach wurde sein „Lehrbuch der Agrikulturchemie“ (1871), „eine Erweiterung der Agrikulturchemie bis zu ihrem natürlichen Umfang“, so der Verfasser im Alter. In sein Fach schloss Mayer erstmals auch die Agrikulturphysik und die ökonomischen Seiten des Ackerbaus mit ein. Das Buch brachte ihm starke Beachtung; es wurde bald ins Italienische und Russische übersetzt und neu aufgelegt. Als Mayer endlich zum außerordentlichen Professor ernannt wurde, sah er keine günstigen Perspektiven: durch seine Publikationen gegen die Liebigsche Agrikulturchemie waren ihm mächtige Gegner unter den deutschen Chemikern erwachsen, andererseits gab es für sein junges Fach auch kaum Lehrstühle in Deutschland. Deswegen folgte Mayer einem Ruf nach Wageningen, Holland. Sein Wechsel von der weltberühmten Universität an eine neu gegründete Schule in der holländischen Provinz war ein kühner, nachgerade aber erzwungener Schritt. Mit 42 Jahren fing Mayer ein neues Leben in den Niederlanden an, zuerst zwar „in der wissenschaftlichen Vereinsamung“. In der holländischen Naturwissenschaft aber herrschten damals Aufbruchstimmung und allgemein günstige Verhältnisse im Land. Mayer hatte auch persönlich das Glück, dazu beitragen zu können. Aus dem Lehrer an der landwirtschaftlichen Hochschule wurde 1877 bei der Eröffnung der ersten holländischen Versuchsstation in Wageningen deren Direktor; gleichzeitig wurde ihm der Titel Professor verliehen. An der Schule unterrichtete er Agrikulturchemie und Agrikulturtechnologie (Zuckerextraktion, Branntweinbrennerei, Bierbrauen) und an der durch ihn nach deutschem Muster eingerichteten Versuchsstation forschte er mit einigen Assistenten. Seine damaligen Pionierarbeiten über die Mosaikkrankheit des Tabaks (1882-1886) sind längst klassisch: sie bereiteten den Weg zur modernen Virologie vor. Mayers wichtigstes Werk in Holland war aber organisatorischer Art. Er stellte den Plan eines ganzen Netzes von staatlichen Versuchsstationen im Land auf. Als von der Regierung ernannter Vorsitzender des Kollegiums von Direktoren und als Mitglied des Aufsichtsrats der holländischen Staatsversuchsstationen konnte er seine Pläne im Wesentlichen umsetzen. Aus Anlass der Erweihung eines neuen Gebäude der Versuchsstation in Wageningen 1902 wurde eine Gedenktafel angebracht mit den Worten: „Für Adolf Mayer, den hervorragenden Agrikulturchemiker, den Organisator des Versuchsstationwesens in den Niederlanden“.
Nach 38 Jahren aktiver Arbeit schied Mayer aus und ging nach Heidelberg zurück. Sein Ruhestand dauerte weitere 39 Jahre und war durch große literarische Tätigkeit ausgefüllt. Mayer interessierte sich schon immer für allgemeine Probleme des Lebens, auf die er durch wirtschaftliche Fragestellungen gekommen war. Nun konnte er zu jenen Problemen zurückkehren. Dazu gehörten auch seine didaktischen Stücke, die er unter dem Pseudonym Eduard Maydolf publizierte. Diese Publikationen, einschließlich der Lobgedichte über Hitler, sind interessante Zeugnisse der Zeitgeschichte.
Der alte Mayer war insbesondere als Enkel Gmelins allmählich zum lebenden Denkmal geworden. „Noch als hoher Neunziger war er geistig sehr rege ..., und wenn auch seine starke Schwerhörigkeit das Gespräch nur mühsam fortschreiten ließ, so war es ein eigener Genuss, ihn über die Zeiten von Liebig, Kekulé, Bunsen, Helmholtz so lebendig zu hören, als habe er das alles erst kürzlich erlebt“ (Mittasch). Teile von Mayers Erinnerungen sind erschienen. Sein literarisches Erbe ist vielseitig. Er hatte eine stark geprägte Neigung zu Verallgemeinerungen und Zusammenfassungen. Von insgesamt etwa 220 Publikationen, die ausfindig gemacht werden konnten (die wahre Zahl ist wohl größer, da seine Artikel, zerstreut in deutschen und niederländischen Periodika, schwierig aufzufinden sind) beziehen sich ca. 120 auf allgemeine soziale, ökonomische, geschichtliche und philosophische Fragen, etwa 20 sind zusammenfassende Fachbücher und Broschüren, und 80 beschreiben konkrete Forschungen in der physiologischen Chemie, Pflanzenphysiologie, Bodenanalyse, Düngung u. a.
In Mayers Schriften floss natürlich auch viel Polemik ein, ein Ausfluss seiner Persönlichkeitsstruktur und seiner Erfahrung, die er 1925 in einem Brief folgendermaßen zusammenfasste: „...solange man im Aufstiege ist, kläfft die Meute einem jeden Neuerer entgegen, da ein solcher immer unbequem ist.“ Sein Hauptwerk aber, das „Lehrbuch der Agrikulturchemie“, ein Meilenstein in der Geschichte seines Fachgebiets, offenbart ihn als Wegbereiter für moderne interdisziplinäre Forschung und Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis. Auch als Klassiker der Phytopathologie nimmt Mayer einen Ehrenplatz in der Geschichte der Naturwissenschaft ein.
Quellen: StadtA Mannheim 12/1982, Nr. 151; 4/1977, Nr. 55, 65, 66; 68/1993, Nr. 2; StadtA Heidelberg, Aukünfte; UA Halle, Auskunft; UA Heidelberg H-IV-102/62; PA 1975, H-IV-102/70, Nr.2, H-IV-102/73, Rep. 14-875; GLA Karlsruhe 236/26648, 76/9996 a; 76/5184; A d. Akad. d. Wiss. Heidelberg 1.11 – Mayer; Historische Verzameling van de Landbouwuniversiteit Wageningen, Nederland; Rijksarchief Gelderland, Arnhem, Niederlande inv. 0740, nr. 435, 496, 501, 502.
Werke: Werkverzeichnisse bei Poggendorf, vgl. Lit. – (Auswahl) Das Düngerkapital u. d. Raubbau: Eine wirtschaftl. Betrachtung auf naturwiss. Grundlage, 1869; Lehrbuch d. Agrikulturchemie in 40 Vorlesungen, 2 Bde. 1871, 7. Aufl. 1914-1927; Lehrbuch d. Gährungschemie in 13 Vorlesungen, 1874, 1926 7. Aufl.; Karl Marx, d. Theoretiker des modernen Sozialismus, in: Deutsche Warte 8, 1875, 577-588; Der Sozialismus, seine Grundidee u. seine Irrtümer, ebd. 9, 1875, 641-689; Der Kapitalismus in d. Gelehrtenwelt, Sammlung von Vorträgen für das dt. Volk 6, 1882, 161-203; Die Lehre von den chem. Fermenten oder Enzymologie, 1882; Über die Mosaikkrankheit des Tabaks, in: Landwirtsch. Versuchsstation 32, 1886, 451-467 (Englisch in: Phytopatological Classics 7, 1942); Die landwirtschaftl. Versuchsstationen als Staats-Institut, 1896; Resultate d. Agrikulturchemie: Eine gedrängte Übersicht des für die Praxis Wissenswertesten, 1903; Holland u. die Holländer, in: Die Grenzboten 64, 1905, III, 505-514, 578-587, 694-704; Holland als Kolonialmacht, in: Dt. Rundschau Nov. 1906, 288-306; Los vom Materialismus! Bekenntnisse eines alten Naturwissenschaftlers, 1906; Nietzsche als Denker, Dichter u. – Verderber, 1907; Der Jude inmitten d. dt. Kultur, in: Der Volkserzieher 17, Nr. 9, 1913, 65-67; Die Grenzen d. Liebigschen Agrikulturchemie, in: Naturwissenschaften 12, 1924, 905-911; Erinnerungen an August Horstmann, ebd. 18, 1930, 261-264; Der Lehrstuhl d. Chemie in Heidelberg seit 1815, in: Neue Heidelberger Jbb. 1930, 112-131; Die Lösung des Rätsels d. Arbeitslosigkeit, 1933; Singsang für Volk u. Vaterland, 1940.
Nachweis: Bildnachweise: UB Heidelberg, Portraitsammlung; Landbouwuniversiteit Wageningen, Historische Verzameling; Netherl. J. Plant Pathology 87, 1981, 93, 106; Phytopatological Classics, 7, 1942, 8; Mitteilungen aus d. Biolog. Bundesanstalt für Land- u. Forstwirtschaft H. 196, 1980, 97; Basrelief von Jan Mensing, Amsterdam, 1902, an d. Gedenktafel in Wageningen, Rijksproefstation voor zoodcontrole.

Literatur: Karl August Mayer, in: BB V, 1906, 547-550; Poggendorfs Biogr.-literar. Handwörterb. Bd. III, 1898, 892; ebd. Bd. IV, 1904, 978; ebd. Bd. VI, 1938, 1679; ebd. Bd. VII a, Teil 3, 1959, 234 (alle Bde. mit Werkverzeichnissen); W. Böhm, A. Mayer in: NDB 17, 1990, 533 f.; ders., A. Mayer in: Biogr. Handb. zur Geschichte des Pflanzenbaus, 1997, 206; St. Dabbert, Ökonomik d. Bodenfruchtbarkeit, 1994, 81-90.
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