Clemm, Adolf 

Geburtsdatum/-ort: 1845-11-16; Gießen
Sterbedatum/-ort: 1922-11-28;  Mannheim
Beruf/Funktion:
  • Chemiker und Industrieller
Kurzbiografie: 1863 III. Abschluss des Gymnasiums in Gießen
1863 V.–1866 VII. Studium an d. Univ. Gießen
1866 VII. 19 Promotion „magna cum laude", ohne Dissertation
1867–1870 Aufenthalt in Zürich u. England
1870 X. Umzug nach Mannheim
1871–1893 Technischer Leiter d. Chemischen Fabrik Georg Carl Zimmer in Mannheim
1884 VI. Teilnahme an d. Gründung d. „Zellstofffabrik Waldhof AG“
1884 –1922 Mitglied, 1898–1910 Stellvertretender Vorsitzender, 1910–1919 Vorsitzender des Aufsichtsrats d. „Zellstofffabrik Waldhof“
1887–1895 Mitglied des Gemeinderats Mannheim- Nationalliberale Partei
1893–1920 Mitglied, ab 1895 Vorsitzender des Aufsichtsrats des Vereins chemischer Fabriken in Mannheim
1902 Kommerzienrat
1907 Geheimer Kommerzienrat
1915 Dr.-Ing. h. c. d. TH Darmstadt
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Mitgliedschaften: Mitglied der „Zellstofffabrik Waldhof“; Mitglied des Gemeinderats Mannheim - Nationalliberale Partei; Mitglied des Vereins chemischer Fabriken in Mannheim
Verheiratet: 1877 (Lenzkirch) Maria, geb. Trieschler (1857–1946)
Eltern: Vater: Friedrich (1804 –1889), Universitätskanzleirat in Gießen
Mutter: Luise, geb. Müller (1817–1881)
Geschwister: 5; Carl Friedrich (1836–1899), Chemiker u. Industrieller in Mannheim, August Ernst Karl Konrad (1837–1910), Chemiker u. Industrieller in Mannheim u. Ludwigshafen, Otto (1839–1840), Louis (1841–1842), Wilhelm (1843–1883), Prof. d. klassischen Philologie in Gießen, u. Anna (1848–1862)
Kinder: 5; Kurt Fritz Paul (1879– 1946), Dr. jur., Amtmann, Elisabeth (1880–1883), Wilhelm (1882–1954), Fabrikant in Mannheim, Maria (1884 –1957) verh. 1903 mit ihrem Vetter Hans Clemm, u. Carl Adolf (1886–1955), Chemiker u. Industrieller in Mannheim.
GND-ID: GND/117691380

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 61-63

Clemm gehört zu der beachtlichen Reihe von Persönlichkeiten, darunter Carl Reiss (vgl. S. 314), Carl Haas (vgl. S. 162) und August Röchling (vgl. S. 330), deren Wirken in besonderem Maße zum industriellen Aufblühen Mannheims um die Wende zum 20. Jh. beitrug, gleichzeitig aber auch verdeutlicht, welche Anziehungskraft die bad. Industriemetropole damals kennzeichnete. Clemm stammte einer alten wohlhabenden hessischen Familie. Sein Vater war juristischer Beamter und ständiges Mitglied im Kuratorium der Landesuniversität Gießen.
Nach seinem Abitur immatrikulierte sich Clemm an der Universität seiner Heimatstadt. Wie seine beiden älteren Brüder wählte er Chemie als Studienfach. Seit Justus von Liebig (1803–1873), der den Laboratoriumsunterricht in Gießen eingeführt hatte, bildete diese Universität für lange Zeit einen Anziehungspunkt für Chemiestudenten, weil sie dort ihr Fach durch eigenes Experimentieren kennenlernen konnten. Unter Clemms Lehrern sind Hermann Kopp (1817–1892) in der theoretischen Chemie und Heinrich Will (1812–1890) in der experimentellen, besonders der analytischen Chemie, zu nennen. Nur zu vermuten bleibt, dass die nicht obligatorischen Vorlesungen über Chemische Technologie, die damals der junge talentierte Privatdozent Alexander Naumann (1837–1922) hielt, für Clemms Ausbildung von Bedeutung waren. Nach drei Jahren promovierte Clemm, wofür er aber noch keine Arbeit einreichen musste. Im Kreise seiner Nachkommen wird zwar überliefert, dass er nach seiner Promotion ein Jahr lang am Zürcher Polytechnikum studiert habe, dies konnte jedoch nicht belegt werden. Er war dort zumindest nie immatrikuliert.
Nach dieser eher theoretischen Vorbereitung in der technischen Chemie folgte die praktische Weiterbildung, ein dreijähriger Aufenthalt in England, dessen chemische Industrie damals als die am weitesten fortgeschrittene galt. Clemm sammelte wertvolle Erfahrungen bei einigen chemischen Fabriken. Dort freundete er sich auch mit dem später berühmten technischen Chemiker Georg Lunge (1839–1923) an, der 1876 Professor in Zürich wurde und später Clemms Patente in seinen Handbüchern über chemische Technologie beschrieb.
Inzwischen hatte der technische Wandel auch Deutschland mit Macht erreicht und die chemische Industrie erlebte einen beispiellosen Aufschwung. Mannheim, eines der Zentren dieser Entwicklung, schien für Clemm besonders attraktiv, umso mehr, als sich seine Brüder Carl und August dort bereits niedergelassen hatten. So kam er 1870 nach Mannheim, wo er bei seinem Bruder August im Jungbusch wohnte.
Ein verwandter Fabrikant, Georg Carl Zimmer (1839–1895), betraute den jungen promovierten und bereits praktisch erfahrenen Chemiker mit der technischen Leitung seiner chemischen Fabrik in der Neckarstadt. Die 1855 durch Clemms Onkel Carl Clemm-Lennig (1817–1887) gegründete Fabrik war der erste große Düngemittelhersteller für Superphosphat in Südwestdeutschland. Clemms Anfangsarbeit gestaltete sich erfolgreich; insbesondere entwickelte er ein Verfahren zur Herstellung rauchender Schwefelsäure, die u. a. für die Darstellung von Superphosphat notwendig ist. Diese Leistung ist in die Geschichte der chemischen Technik eingegangen, insbesondere, weil sie das 80-jährige Monopol der böhmischen Firma Starck für die Fabrikation von rauchender Schwefelsäure erstmals durchbrach. Clemms Verfahren, das auf Erhitzen von Natriumbisulfat basierte, wurde erst nach zwanzig Jahren durch das effektivere Kontaktverfahren verdrängt.
Ganz vermochte die Beschäftigung bei Zimmer Clemms Drang nach beruflicher Verwirklichung offenbar nicht zu erfüllen. So beteiligte er sich als einer von neun Aktionären an der Gründung der neuen „Zellstofffabrik Waldhof“. Sein Bruder Carl sowie Carl Haas (vgl. S. 162) standen damals an der Spitze des Unternehmens. Clemm gehörte dann bis zu seinem Lebensende dem Aufsichtsrat der Fabrik an, 1910 bis 1919 als dessen Vorsitzender.
Als Fachmann in anorganischer Technologie wechselte Clemm 1893 von Zimmer zum „Verein chemischer Fabriken in Mannheim“. Dort wurde er 1893 in den Aufsichtsrat gewählt und übernahm zwei Jahre später den Vorsitz. Diese Funktion bekleidete er bis zur Fusion des „Vereins“ mit dem chemischen Unternehmen „Rhenania“ in Aachen im Jahr 1920.
Während dieser ganzen Zeit unterhielt Clemm ein Forschungslaboratorium mit mehreren Assistenten, in dem eine große Zahl von Patenten des Vereins entwickelt wurde. Nur wenige ließ Сlemm auf seinen Namen anmelden: neben einigen Patenten zur Darstellung von Chlor und Thiosulfaten stellt das Kontaktverfahren zur Darstellung des Schwefelsäureanhydrids mit einem Katalysator aus Eisenoxid den wohl wichtigsten Beitrag dar, ersetzte es doch den teuren Platinkontakt, eine weitere Erfindung Clemms, die in die Geschichte der chemischen Technik einging. Der „hervorragende Anteil“ des Vereins, so H. Caro, „an der neuesten Entwicklung des Schwefelsäurebetriebs“ wurde damit eingeleitet.
Aufgrund seiner Herkunft, vor allem aber der reichen Erfahrungen in der chemischen Industrie vereinigte Clemm in sich umfassende Kenntnisse der technischen Chemie mit kaufmännischem Weitblick. Das machte seinen Rat so wertvoll. Ein Übriges bewirkten seine hilfsbereite Persönlichkeit, die gewinnenden, liebeswürdigen Umgangsformen. Man wählte ihn in mehrere Gremien: den Aufsichtsrat der Papyrus AG Mannheim, einer Tochter der Zellstoff AG, der Bahngesellschaft Waldhof, der Immobiliengesellschaft Waldhof. Vorsitzender des Aufsichtsrates war Clemm bei der Bad. Holzstoff- und Pappenfabrik. Hinzu kam die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat der Rheinischen Kreditbank, dem er nahezu 20 Jahre angehörte.
Auch darin ganz standesgemäß war Clemm ein Mann von tiefer sozialer Verantwortung, „der sich auch um das Wohlergehen seiner Mitarbeiter und Untergebenen annahm“, wie es im Nachruf in „Der Papierfabrikant“ heißt, und es nimmt nicht wunder, dass Clemm sich auf dem Gebiet der Kommunalpolitik engagierte, das war gleichermaßen seiner Stellung geschuldet. 1887 wurde er als Kandidat der Nationalliberalen Partei, zu deren Mannheimer Gründern er gehörte, in den Gemeinderat gewählt und arbeitete in zahlreichen Kommissionen mit: in der Baukommission, der Finanzkommission, der Gas- und Wasserkommission, dem Ortsgesundheitsrat, der Städtischen Chemischen Untersuchungsanstalt, endlich in der Industriehafenkommission. Am 30. November 1922, zwei Tage nach seinem Tod also, wurde seinem Andenken eine Sitzung des Gemeinderats gewidmet, wobei der Oberbürgermeister Clemms Tätigkeit für die Stadt würdigte.
Als Beispiel der öffentlichen Tätigkeit Clemms ist überliefert, dass Clemm zum 80. Geburtstag Bismarcks am 31. März 1900 am Kaiserring ein Denkmal für den Reichsgründer enthüllte und als Vorsitzender des Denkmalausschusses die Festrede hielt bevor er das Monument dem Oberbürgermeister Paul Martin (➝ IV 198) übergab. Dem Bismarckplatz fühlte sich Clemm auch später besonders verbunden; denn dort ließ er 1907/1908 seine Villa erbauen.
Ein schweres Augenleiden, das schließlich zur fast völligen Erblindung führte, machte Clemms Engagement über den Beruf hinaus nach der Jahrhundertwende immer beschwerlicher, so dass er sich allmählich aus dem öffentlichen Leben zurückzog. Seine geschäftlichen und wissenschaftlichen Tätigkeiten aber führte er weiter. Wie viele seiner Generation und besonders seines Standes empfand er die Niederlage Deutschlands im
I. Weltkrieg und das Ende des Kaiserreiches als schweren Schlag, den er nicht zu überwinden vermochte. Er bemühte sich zwar, seinen Pflichten weiter nachzukommen, offensichtlich aber erdrückte ihn schließlich die Last einer neuen, ihm fremd gewordenen Zeit.
Quellen: StadtA Mannheim Familienbögen Clemm, S1, Nr. 1584, Biographische Sammlung Clemm; Auskünfte des UA Gießen vom 29. 1. 2010, des A d. ETH Zürich vom 1. u. 2. 2. 2010 u. des Stadt A Mannheim vom 12. 2. 2010.
Nachweis: Bildnachweise: E. Hintz, Werden u. Wirken des Vereins Chemischer Fabriken in Mannheim, 1904, zwischen 14 u. 15 u. zwischen 24 u. 25 (Gruppenfoto); 75 Jahre Zellstofffabrik Waldhof, 1954, 15.

Literatur: H. Caro, Über die Entwicklung d. chemischen Industrie von Mannheim-Ludwigshafen a. Rh., in: Zs. für angewandte Chemie 17, 1904, 1343–1362, bes. 1347 u. 1355; Geh. Kommerzienrat Dr. Adolf Clemm †, in: Der Papierfabrikant 20, 1922, 1788 f.; 75 Jahre Zellstofffabrik Waldhof, 1954, 15 f. u. 77 f.
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