Probst, Emil Heinrich 

Geburtsdatum/-ort: 10.10.1877; Dobromil/Galizien
Sterbedatum/-ort: 27.01.1950; London
Beruf/Funktion:
  • Bauingenieur, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie: Bis 1895 Realgymnasium in Wien
1895–1896 Medizinstudium an d. Univ. Wien, dann 1896 bis 1903 Studium des Bauingenieurwesens an d. k. u. k. TH Wien
1899–1900 Einjährig-Freiwilliger in Wien
1903 Vertiefung seines Eisenbetonstudiums in Paris
1904 Ingenieurtätigkeit in den USA
1905–1906 Assistent an d. ETH Zürich bei Prof. Franz Schüle
1906–1908 Zivilingenieur in Berlin
1908 Promotion zum Dr.-Ing. an d. TH Berlin-Charlottenburg: „Einfluss d. Armatur u. d. Risse im Beton auf die Tragsicherheit“
1909–1915 Habilitation an d. TH Berlin-Charlottenburg: „Eine Kritik d. bestehenden Vorschriften für Eisenbetontragwerke“, Privatdozent; seit 1912 preuß Staatsbürger
1914–1918 Kriegsdienst bei den preuß. Landwehrpionieren
1916–1933 o. Professor für Eisenbetonbau an d. TH Karlsruhe, 1926/27 Rektor
1939 Emigration nach Großbritannien
1943–1945 Dozent an d. Univ. Bristol
Seit 1945 Selbstständiger Ingenieur; Mitarbeiter in d. Forschungsabteilung des britischen Arbeitsministeriums in London
1947 Emeritierung an d. TH Karlsruhe
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr., später ev.
Verheiratet: 1914 (Berlin) Elisabeth, geb. Leitholf (1892–1974)
Eltern: Vater: Samuel, Kaufmann
Mutter: Rachel
Geschwister: 3; 2 Schwestern, ein Bruder
Kinder: 4, Franziska (* 1915) verh. Damant, Käte (* 1916), Reimer (* 1919) u. Kläre Dorothea (* 1928) verh. (1.) Morrell, (2.) Schmidt
GND-ID: GND/117697532

Biografie: Tobias Seidl (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 306-309

Seine Kindheit und frühe Jugend verbrachte Probst unter materiell schwierigen Verhältnissen in seiner überwiegend von Polen bewohnten galizischen Heimatstadt Dobromil. Nach dem frühen Verlust beider Eltern wurde er von einer Tante in Wien aufgezogen. Zum Entsetzen seiner Verwandten konvertierte er dort zum Christentum und ließ sich taufen. Nach dem Beginn eines Medizinstudiums 1895 wechselte er kurze Zeit später in das Bauingenieursfach. Besonders faszinierten ihn die Möglichkeiten des Eisenbetonbaus, worin er sich 1903 in einem speziellen Studium in Paris vertiefte. Nach Abschluss des Studiums war Probst kurzzeitig als Ingenieur in der Privatwirtschaft in den USA tätig, bevor er seine akademische Laufbahn als Assistent bei Professor Franz Schüle (1860–1925) an der ETH Zürich fortsetzte. Anschließend ließ er sich als Zivilingenieur in Berlin nieder, wurde 1908 promoviert und 1911 an der TH Berlin-Charlottenburg habilitiert. Dort war er bis zu seiner Berufung auf den Lehrstuhl für Eisenbetonbau an der TH Karlsruhe 1916 als Privatdozent tätig. 1912 nahm Probst die preußische Staatsbürgerschaft an. Bei Kriegsausbruch meldete er sich freiwillig zu einer Landwehrpioniereinheit und war entsprechend seiner Qualifikation als Bauingenieur im Festungsbau an der Ostfront und der belgischen Küste eingesetzt. Für seine Leistungen im I. Weltkrieg wurde er mit dem EK II ausgezeichnet.
Seine Stelle als o. Professor für Ingenieurwissenschaften an der TH Karlsruhe konnte Probst erst nach Ende seines Kriegsdienstes 1918 antreten, da ihm eine frühere Freigabe durch die Heeresverwaltung verweigert worden war. Unter großem persönlichem Einsatz gründete er dort 1919 die bautechnische Versuchsanstalt, später Institut für Beton- und Eisenbetonbau, wo hauptsächlich Versuche im Auftrag der Wirtschaft und des Reichsverkehrsministeriums durchgeführt wurden.
Probst‘ wissenschaftlicher Ansatz beruhte primär auf der Beobachtung von Konstruktion und erst an zweiter Stelle auf Berechnungen, die im Eisenbetonbau zu dieser Zeit nur mit Näherungen erfassbar waren. So führte er z. B. Messungen an Staumauern oder Kuppelbauten durch, mit deren Hilfe er nachweisen konnte, dass vorwiegend Dehnungsmessungen Aufschluss über das Verhalten des Tragwerks geben und nicht mathematische Modelle. Die Forschungsarbeiten in seinem Institut befassten sich vor allem mit der Weiterentwicklung der Betontechnologie, Studien zur Wasserdichtigkeit und der Statik des Betons sowie über dessen Verwendung im Straßenbau. Damit zeigte sich Probst stets an der Front der zeitgenössischen Forschung. Aufgrund seiner wissenschaftlichen und persönlichen Qualitäten war Probst weit über die Grenzen Deutschlands hinaus als Wissenschaftler anerkannt. Als Repräsentant des VDI im Ausland reiste er nach China, Japan, Russland, Schweden und die USA. Für seine Leistungen erhielt er 1928 die Bronzemedaille der „Institution of Structural Engineering London“ und wurde 1929 Ehrenmitglied der „American Society of Arts and Science“, Boston.
Politisch stand Probst der DDP nahe und war Mitglied des Karlsruher Rotary Clubs. Er zeigte hohes Engagement in der akademischen Selbstverwaltung, in der er mehrere wichtige Ämter übernahm, und Interesse an der Lehr- und Wissenschaftsorganisation. In der Zeit seines Rektorats 1926 bis 1927 führte er mit Vertretern der Industrie intensive Beratungen über Studienreformen. Dabei forderte er eine Stärkung der praktischen Ausbildung, vermehrten interdisziplinären Austausch und eine breite Bildung der Hochschulabsolventen: „Die Notwendigkeit, über das Fachmenschentum emporzustreben, hat jeder erkannt, der es weiß, dass das Wesen des Ingenieurs sich nicht mit der Kenntnis der Formeln, Maschinen oder anderen Konstruktionen erschöpft, dass für ihn Weite des Blicks, schöpferische Fähigkeiten sowie Menschenbehandlungen zum notwendigen gehören“ (Aufgaben u. Ziele d. Techn. Hochschulen, S. 24). Zu seinen Studenten und Schülern pflegte er ein enges persönliches und vertrauensvolles Verhältnis. Besonders in den Notzeiten nach dem I. Weltkrieg bemühte sich Probst nach Möglichkeiten, die Studienbedingungen an der TH Karlsruhe zu verbessern. Viele Jahre war er Vertreter des Lehrkörpers im Karlsruher Studentenwerk und dank seiner Mithilfe konnten studentische Einrichtungen wie das Studentenhaus, die Mensa und ein neues Stadion realisiert werden.
Im April 1933 musste Probst seinen Senatssitz aufgrund einer hochschulinternen Hetzkampagne von NS-Gruppen gegen jüdische Hochschullehrer und antisemitischer Erlasse der bad. Gauleitung niederlegen. Wie damals nicht unüblich wurde der „Fall Probst“ im Juli im Rahmen der Durchführung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ eingehender geprüft. Probst‘ Einsatz im I. Weltkrieg wurde von den bad. Behörden nicht als Fronteinsatz eingestuft, da der Betonspezialist „nur“ im Festungsbau tätig gewesen sei. Auch Probst konnte der zwangsweisen Zurruhesetzung nicht entgehen, obwohl sich auswärtige Fachkollegen sowie Mitglieder des Karlsruher Lehrkörpers für seinen Verbleib an der Fridericiana einsetzten. So schrieb z. B. der Germanist Karl Holl (1886–1971) an das bad. Kultusministerium: „Probst ist einer der wenigen Kollegen an der TH, die wissenschaftlichen Weltruf haben, und menschlich ist er von absoluter Lauterkeit und Anständigkeit.“ (GLA 480/6105)
Als überzeugter Nationalist litt Probst sehr unter seiner erzwungenen Zurruhesetzung. 1934 verzichtete er auf die Herausgeberschaft der von ihm gegründeten Zeitschrift „Der Bauingenieur“. Erst auf Drängen von Freunden und Verwandten entschloss er sich 1939 zur Emigration zu einem seiner dort lebenden Kinder nach Großbritannien. Probst‘ „arische“ Frau und seine beiden jüngsten Kinder blieben infolge des Kriegsausbruches in Karlsruhe zurück. Aufgrund seines internationalen Rufes und persönlicher Kontakte konnte er auf Vermittlung seines Fachkollegen Sir Reginald Stradling (1891–1952) in Großbritannien in seinem Fachgebiet tätig bleiben, u. a. als Dozent an der Univ. Bristol und als Mitarbeiter der Forschungsabteilung des britischen Ministry of Works. Nach seiner Ausbürgerung in Deutschland 1942 wurde Probst britischer Staatsbürger.
Probst stellte bereits 1946 Überlegungen an, nach Deutschland zurückzukehren, die er jedoch nicht realisierte. 1947 wurde er formal als o. Professor an der TH Karlsruhe wiedereingesetzt und aus Altersgründen durch den Präsidenten des Landesbezirks Baden formaliter emeritiert. In einem Dankschreiben an die Abteilung Kultus des Präsidenten des Landesbezirks Baden wird sowohl Probst‘ Enttäuschung über die Vorgänge um seine erzwungene Zurruhesetzung als auch sein unermüdliches Engagement für die Belange der Studenten deutlich: „Seien Sie versichert, dass ich an dem Geschick der deutschen Jugend (nicht nur der akademischen) herzlichen Anteil nehme. Gerne werde ich meine Dienste zur Verfügung stellen, wenn ich gebraucht werde.“ (UA Karlsruhe 28002/373) Trotzdem kehrte Probst nicht mehr nach Karlsruhe zurück und verbrachte die restlichen vier Jahre bis zu seinem Tod als selbstständiger Ingenieur in London.
Quellen: GLA 466/20683, 480/6105; UA Karlsruhe 28002/373; UA d. TU Wien, Hörerkataloge 1896/97–1902/03.
Werke: Werksverzeichnis, in: Sächsische Akad. d. Wissenschaften zu Leipzig (Hg.), Poggendorffs Biograph.-Literar. Handwörterb. d. exakten Naturwissenschaften VIIa Teil 3, L-R, 1958, 635. – Auswahl: Das Zusammenwirken von Beton u. Eisen. Eine Abhandlung auf Grund von Laboratoriumsversuchen (= Forschungsarbeiten auf dem Gebiet des Eisenbetons 6), 1906; Einfluss d. Armatur u. d. Risse im Beton auf die Tragsicherheit, Mitteilungen aus dem Königl. Materialprüfungsamt zu Groß-Lichterfelde 1907, Ergebnisheft, 1907; Eine Kritik d. bestehenden Vorschriften für Eisenbetontragwerke, 1910; Vergangenheit u. Zukunft des Eisenbetonbaues, 1917; Vorlesungen über Eisenbeton, 1917–1922; (mit Hermann Goebel) Die Lehren d. Explosionskatastrophe in Oppau für das Bauwesen, 1923; (mit Alfred Hummel) Laboratoriumsarbeit im Dienste d. Ausbildung d. Bauingenieure u. Architekten, Mitteilungen des Instituts für Beton u. Eisenbeton an d. TH in Karlsruhe in Baden, 1926; Eindrücke einer Studienreise durch die Vereinigten Staaten von Amerika, in: Zs. des VDI, 1926, 181–186, 297–301, 361–364 u. 445–448; Aufgaben u. Ziele d. Techn. Hochschulen, 1927; Beton: Anregungen zur Verbesserung des Materials, 1927; Handb. d. Zementwaren- u. Kunststeinindustrie. Praxis u. Theorie d. Herstellung von Betonwaren jeder Art; Betonwerkstein u. Kunststein […] u. v. a., 1927; (mit Hans Brandt) Probleme des Betonstrassenbaues. Untersuchung im Laboratorium u. auf zwei Versuchsstrecken, 1928; Grundlagen des Beton- u. Eisenbetonbaues, 1935. – Hg. d. Zs. „Der Bauingenieur“ 1920 bis 1934 u. Mithg. d. Zs. „Armierter Beton“ 1908 bis 1919.
Nachweis: Bildnachweise: UA Karlsruhe 10001/2480, 27055/37, 27067/15, 28010/Pp 25–26; Robert Volz, Reichshandb., 1930–1931, 1448 (vgl. Literatur).

Literatur: Emil Probst, in: Robert Volz, Reichshandbuch d. dt. Gesellschaft, 1930–1931, 1448; Alfred Mehmel, Emil Probst, in: Der Bauingenieur 24, 1949, 64; Presseamt d. T.H. Karlsruhe, Prof. Dr.-Ing. Emil Probst †, in: Beton- u. Stahlbetonbau 45, 1950, 94; Emil Probst, in: Gerhard Oestreich/Friedrich Bertkau (Hgg.), Kürschners dt. Gelehrten-Kalender 7. Ausg., 1950, 1593; Emil Probst, in: Sächsische Akad. d. Wissenschaften zu Leipzig (Hg.), Poggendorffs Biograph.-Literar. Handwörterb. d. exakten Naturwissenschaften VIIa Teil 3, L–R, 1958, 635; Emil Probst, in: Herbert A. Strauss/Werner Röder (Hgg.), Biograph. Handb. d. deutschspr. Emigration nach 1933, 1980–1983, 930; Emil Probst, in: Klaus-Peter Hoepke, Hochschullehrer Biographien, in: Heinz Schmitt (Hg.): Juden in Karlsruhe. Beiträge zu ihrer Geschichte bis zur NS-Machtergreifung, 2. Aufl. 1990, 439–450, bes. 447 f.; Emil Probst, in: Dt. biogr. Enzyklopädie online, 2006, Dok-ID 8-6470.
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