Blankenhorn, Herbert 

Geburtsdatum/-ort: 15.12.1904; Mülhausen (Elsaß)
Sterbedatum/-ort: 10.08.1991;  Badenweiler
Beruf/Funktion:
  • Diplomat, CDU-Politiker
Kurzbiografie: 1913-1918 Schulzeit in Berlin, ab 1914 Bismarck-Gymnasium Wilmersdorf
1918-1919 „Pflegesohn“ in Familie Prof. Bernays, Karlsruhe
1920-1923 Bismarck-Gymnasium Karlsruhe, Abitur
1923-1924 Lehrzeit im Bankhaus Strauss&Co., Karlsruhe
1924-1928 Studium der Rechte in Heidelberg, München und Paris, unterbrochen 1925-1926 durch ein Studium an der London School of Economics, 1928 Referendarexamen
1929 Aufnahmeprüfung für den Eintritt in das Auswärtige Amt
1931 Legationssekretärs-Examen
1932-1935 Legationssekretär an der Gesandtschaft Athen, 1935-1939 an der Botschaft Washington
1939-1940 Gesandtschaft Helsinki, 1940 schwere Erkrankung
1940-1943 Gesandtschaft Bern, 1940 Gesandtschaftsrat, 1943 Legationsrat I. Klasse
1943-1945 Auswärtiges Amt Berlin, April/Mai 1945 Bad Wildungen
1945 Automatischer Arrest in einem amerikanischen Lager bei Paris
1946-1948 Mitarbeiter, später stellvertretender Leiter des Generalsekretariats des Zonenbeirats der Britischen Besatzungszone in Hamburg
1948-1949 Persönlicher Referent des Präsidenten des Parlamentarischen Rates in Bonn, Konrad Adenauer, Generalsekretär der CDU in der Britischen Zone, Verbindungsmann zu den alliierten Vertretungen
1949-1955 Ministerialdirigent, 1950 Ministerialdirektor im Bundeskanzleramt in Bonn, 1951 Leiter der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt
1955-1958 Botschafter, Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der NATO
1958-1963 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Paris
1963-1965 in Rom
1965-1970 Botschafter in London
1970 Ruhestand
1970-1976 Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Exekutivrat der Unesco, Vizepräsident des Rates
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Auszeichnungen: Großoffizierskreuz des Verdienstordens der Italienischen Republik (1954)
Großkreuz des Nationalordens „Kreuz des Südens“ der Vereinigten Staaten von Brasilien (1955)
Großes Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1955), mit Schulterband (1970)
Großoffizierskreuz der Ehrenlegion (1963)
Großkreuz des Verdienstordens der Italienischen Republik (1965)
Knight’s Grand Cross of the Victorian Order (1970)
Verheiratet: 1. 1934 Martha, geb. Michels (geschieden)
2. 1944 Gisela, geb. Krug
Eltern: Vater: Erich Blankenhorn, Oberst der Landespolizei
Mutter: Klara, geb. Dieckhoff
Geschwister: 2
Kinder: aus 1. Ehe Renate, Karin
aus 2. Ehe Bernhard, Thomas
GND-ID: GND/118511548

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 48-54

Blankenhorn war viele Jahre lang der engste und einflußreichste Berater Konrad Adenauers. Hans-Peter Schwarz nennt ihn den „eigentlichen Vordenker“ des Kanzlers, sein „Alter ego“. Wie unentbehrlich Blankenhorn für Adenauer besonders in der Entstehungszeit der Bundesrepublik Deutschland geworden war, geht etwa aus einer Bemerkung Adenauers zu Blankenhorn nach der Kanzlerwahl am 16.9.1949 hervor: er, Blankenhorn, trage die Verantwortung dafür, daß er, Adenauer, Kanzler geworden sei; nun müsse er alle Kraft daran setzen, sein, Adenauers, Leben zu erhalten, indem er ihm alle unnötige Arbeit abnehme. Vor der Berliner Außenministerkonferenz im Jahre 1954 – in der es dem sowjetrussischen Außenminister Molotow darum ging, die Bundesrepublik Deutschland aus der sich vollendenden Westbindung herauszulösen – lag Blankenhorn, an Gicht leidend, in einem Schweizer Krankenhaus. Adenauer schickte ihm durch Boten einen Brief, in dem es hieß: „Delegationsführer“ – der Beobachterdelegation bei dieser Konferenz – „ist Grewe – Sie kennen ihn. Sie wissen, daß er ein sehr kenntnisreicher, geschickter Mann ist, aber ich glaube, Sie müßten mit dabei sein, weil Sie ja politisch besonders erfahren und gewandt sind. Ich würde mir die Sache so denken, daß wir zwei Delegationsführer haben.“ Die Arbeit, die Blankenhorn in Berlin zu erledigen habe, könne er vom Krankenhaus oder einem guten Hotel aus erledigen. So geschah es, und Grewe und Blankenhorn konnten sich in dieser etwas heiklen Situation gut verständigen. Wie eng die Verbindung zwischen Kanzler und Berater war, konnten die Besucher der Bundestagsplenarsitzungen des öfteren optisch erkennen: Blankenhorn hatte auf der Regierungsbank seinen festen Platz hinter dem Kanzler, der sich, besonders bei kontroversen Debatten, häufig ratsuchend umwandte, Blankenhorn schob ihm dann eilig hingekritzelte Zettel zu.
Dies sind nur einige Belege für die Position Blankenhorns in den Aufbaujahren der Bundesrepublik Deutschland, die Reihe solcher Zeugnisse ließe sich leicht verlängern. In den großen Zusammenhängen und mit einer Fülle von Einzelbelegen hat erstmals H.-P. Schwarz in seiner Adenauer-Biographie (Lieratur) über den immensen Anteil Blankenhorns an der Entstehung und am Aufbau der Bundesrepublik Deutschland berichtet. Aus den Erinnerungen des Mannes, aus denen man am ehesten Aufschluß über den Aktionsradius Blankenhorns zu erhalten hofft, nämlich Konrad Adenauers (Literatur), erfährt man, daß der Kanzler Blankenhorn sehr oft irgendwohin schickte, daß er ihn da oder dort nachfragen oder berichten ließ, daß Blankenhorn das und das herausgefunden habe, aber zu einer umfassenden Würdigung der Leistungen Blankenhorns konnte sich Adenauer nicht entschließen. Freilich war zum Zeitpunkt der Entstehung der Adenauerschen Memoiren das Verhältnis zu Blankenhorn „abgekühlt“ (Blankenhorn), aus noch zu berichtenden Gründen. Aber immerhin, selbst im Zustand der „Abkühlung“ konnte Adenauer nicht umhin, an einer – einer einzigen – Stelle seiner zweitausendseitigen Erinnerungen ein, wenn auch etwas neutralisiertes, Lob für seinen früheren engsten Mitarbeiter auszusprechen: Als sich im Juli 1953 die drei westlichen Außenminister in Washington über das weitere Vorgehen in der Deutschlandfrage verständigten – noch in der Siegerpose; die Bundesregierung war nicht eingeladen –, schickte Adenauer Blankenhorn als „ungebetenen Gast bei Tische“ dorthin, um die drei Außenminister über die deutsche Ansicht zu unterrichten. Blankenhorn sträubte sich zwar, aber: „Es hilft nichts, Sie müssen hin.“ Die Außenminister waren über den uneingeladenen Boten indigniert, aber dem Verhandlungsgeschick Blankenhorns gelang es, die Minister – insbesondere John Foster Dulles – von der Berechtigung der Adenauerschen Wünsche hinsichtlich des weiteren Procedere in der Deutschlandfrage zu überzeugen, und Adenauer schrieb: „Blankenhorn hatte einen schwierigen Auftrag in geschickter und taktvoller Weise erfüllt; die Bundesregierung war ihm sehr dankbar.“ Bei den von Blankenhorn selbst veröffentlichten Memoiren „Verständnis und Verständigung“ handelt es sich um eine Reihe sorgfältig ausgewählter Momentaufnahmen, nicht um eine durchgehende Schilderung der deutschen Außenpolitik von 1949-1970. Eugen Gerstenmaier fand (1981), daß „der nach seinem Eindruck bedeutende persönliche Anteil Blankenhorns an der Konzeption der Adenauerschen Außenpolitik nicht angemessen gewürdigt worden“ sei; Blankenhorns eigene Darstellung in seinem Buch „Verständnis und Verständigung“ sei „zwar vornehm, aber gerade in diesem Punkt zu zurückhaltend“.
„Wir stammen aus Müllheim“, beginnt das persönliche Kapitel in den Erinnerungen Blankenhorns, und Johann Peter Hebels „Z’ Müllen an der Post“, das Markgräflerland und der Blauen, die von Willy Hellpach gepriesene „natürliche Demokratie“ der Badener, die „jeden Mitbürger in erster Linie menschlich sieht, wertet und behandelt, keinen demütigen Respekt vor ‚Geborenen‘ oder ‚Besitzenden‘ zur Schau trägt“, waren Blankenhorn von früher Kindheit an vertraute und die Persönlichkeit bestimmende Elemente, und nach Beendigung seiner aktiven Laufbahn ist er auch wieder in die geliebte Landschaft am Oberrhein zurückgekehrt. Geboren wurde er auf der anderen Seite des Rheins, im elsässischen Mülhausen, als Sohn eines später in badischen Landen bekannten Vaters und Enkel eines ebenso bekannten Großvaters, des Önologen Professor Dr. Adolph Blankenhorn. 1913 wurde der Vater in die Reichshauptstadt kommandiert, und Blankenhorn verbrachte die Weltkriegszeit in Berlin. Im Hause des Professors Ullrich Bernays (1918/19) und in der Schulzeit am Bismarck-Gymnasium in Karlsruhe erwachte das lebenslange Interesse am griechischen und römischen Altertum und an den Sprachen, gefordert durch vorzügliche Lehrer; an erster Stelle der Professoren, „für die die Arbeit nicht mit den Klassenstunden endete“ (Blankenhorn), nennt Blankenhorn Eugen Sachs. Nach sehr gut bestandenem Abitur vermittelte ihm die Lehrzeit in einem Karlsruher Bankhaus erste Eindrücke vom Wirtschaftsleben und der Arbeitswelt. Das Studium der Rechtswissenschaft unterbrach er, um – auf Anregung eines Onkels, der den Aufenthalt auch finanzierte – in der London School of Economics erste – unschätzbare – Erfahrungen im Ausland zu sammeln. Nach dem ersten Staatsexamen in Karlsruhe bestand er die Aufnahmeprüfung für den Auswärtigen Dienst; nur 9 Kandidaten von 600 waren bei diesem Examen erfolgreich. Erste interessante Aufgaben erhielt der junge Legationssekretär als Mitglied der deutschen Völkerbundsdelegation bei den Tagungen der Organisation in Genf im April/Mai 1932, ehe er den üblichen Dreijahresturnus zuerst in Athen und danach in Washington – wo ab 1938 der oben genannte Onkel Dieckhoff Botschafter war – absolvierte. Inzwischen hatte sich aber die politische Szene in Deutschland gründlich geändert; die „Machtübernahme“ hatte zwar am Ablauf der Geschäfte des Auswärtigen Amtes unter Leitung des konservativen Freiherrn Konstantin von Neurath (1873-1956) nicht viel geändert, aber mit der Übernahme des Ministeramtes durch Joachim von Ribbentrop (1893-1946) und der Unterwanderung des Amtes durch NS-Parteibuchbeamte ging ein grundlegender Wechsel vor sich, der die „Wilhelm-Straßenprägung“ des Ministeriums (Karl Georg Pfleiderer) bedenklich umstrukturierte. Unter dem Eindruck der außenpolitischen Erfolge Hitlers trat Blankenhorn, wie viele seiner Kollegen, am 1.12.1938 der NSDAP bei; ein erster Aufnahmeantrag war im Jahre 1934 wegen eines Zusammenstoßes Blankenhorns mit dem mecklenburgischen Gauleiter Hildebrandt abgewiesen worden, dem gegenüber Blankenhorn die Stellung der NSDAP zur Judenfrage grundsätzlich abgelehnt hatte. Aber der schon vom Elternhaus her begründete Skeptizismus gegenüber dem Nationalsozialismus – der Vater war als Leiter der badischen Polizei sofort nach der „Machtübernahme“ verhaftet worden – wandelte sich im Lauf des Krieges zu völliger Ablehnung. Während des Aufenthalts in Bern traf er einmal mit dem Konsistorialrat Gerstenmaier zusammen, dem er einen Plan zur Beseitigung Hitlers vorlegte; aber Gerstenmaier glaubte nicht an die Durchführbarkeit. Eine schwere Erkrankung Blankenhorns – Gelenkrheumatismus – hatte die frühzeitige Abberufung von dem Posten in Helsinki (1940) und die Versetzung nach Bern (1941) zur Folge. Kurz vor Kriegsende wurde er von Berlin aus nach Bad Wildungen beordert, um dort Ausweichquartiere für die in der Zeit der Auflösung des „Dritten Reiches“ Berlin verlassenden Diplomaten zu beschaffen. Die einrückenden Amerikaner „übernahmen“ (Blankenhorn) ihn, und einige Monate mußte er in dem – für deutsche Amtsträger in der NS-Zeit üblichen – automatischen Arrest, in seinem Falle in einem Lager bei Paris, zubringen, konnte aber seine Verbindung zu Männern des Widerstands nachweisen und wurde gegen Ende des Jahres 1945 entlassen.
„Herbst und Winter 1945/46 waren voller Ungewißheit ... So fuhr ich denn, wie Tausend andere, in übervollen Zügen von Norden nach Süden und wieder von Süden nach Norden, ... aus einem Hungergebiet in das andere, immer gewärtig, aus irgendwelchen Gründen festgesetzt zu werden“ (Blankenhorn). Im Frühjahr 1946 endlich fand er, dank der Fürsprache guter Freunde, Arbeit im Generalsekretariat des Zonenbeirats der Britischen Zone in Hamburg, eines deutschen Hilfsorgans der britischen Militärregierung. Am 1.3.1946 fand eine, für beide Beteiligte, schicksalhafte Begegnung statt, das erste Gespräch Blankenhorns mit dem Vorsitzenden der CDU der Britischen Zone, Konrad Adenauer. Die Gemeinsamkeit der Auffassungen, die sich bei diesem Gespräch ergab, führte zu der eingangs beschriebenen engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit über viele Jahre. Blankenhorn wurde bald darauf stellvertretender Generalsekretär des Zonenbeirats und folgte Adenauer, dessen „Sinn für Maß und Unbeirrbarkeit in der Verfolgung eines einmal als richtig erkannten Weges“ Blankenhorn faszinierten, nach Bonn, wo der Parlamentarische Rat am 1.9.1948 seine Beratungen über das Grundgesetz aufgenommen hatte. Zu dieser Zeit war Blankenhorn längst zum unentbehrlichen Berater Adenauers geworden, dessen ausschließliches Interesse sich schon früh auf die Außenpolitik richtete. Schwarz: „Blankenhorn ersetzt vom Mai 1948 bis September 1949 den fehlenden Auswärtigen Dienst.“ In Anbetracht dessen, daß Adenauer über so gut wie keine Auslandserfahrung verfügte, erwies sich der gelernte Diplomat Blankenhorn mit seinem Verhandlungsgeschick, seiner Kenntnis der Mechanik der Außenpolitik, seiner Kontaktfähigkeit und seinen glänzenden Sprachkenntnissen als ganz und gar unersetzlicher Helfer. Dazu kamen bei Blankenhorn Vision und politische Phantasie, während der zweite wichtige außenpolitische Berater Adenauers, Walter Hallstein, zuerst und zuletzt von Artikeln und Paragraphen, von dem „breiten Gürtel gemeinsamen Rechts“ (EG) ausging. Aber in der Zusammenarbeit mit dem Kanzler ergänzten sich beide aufs glücklichste. Blankenhorn war besonders beeindruckt von dem blitzschnellen intuitiven Erfassen komplizierter Sachverhalte durch Adenauer und dessen Fähigkeit, aus einem Bündel verworrener Probleme quasi aus dem Handgelenk einsichtige Lösungen zu filtern. „Reine Jasager waren ihm zuwider; er bildete seine Meinung in lebendiger Diskussion“ (Blankenhorn). Blankenhorn hat mehr als einmal, wenn auch immer in der ihm eigenen diplomatischen Verbindlichkeit, seine abweichende Meinung kundgetan, und eine schwerwiegende Meinungsverschiedenheit führte im Jahre 1963 wenn auch nicht zum Abbruch der Beziehungen – siehe unten –, aber doch zur Beendigung des langjährigen Vertrauensverhältnisses.
Wenigstens in Stichworten seien die entscheidenden Stationen jenes Prozesses, den man heute mit der Chiffre „Westbindung“ bezeichnet, aufgezählt: von vornherein übrigens, schon vor Gründung der Bundesrepublik, bestärkte Blankenhorn Adenauer in der Absicht der Westbindung. Dem Petersberg-Abkommen (22.11.1949) folgten die Unterzeichnung des Schuman-Plans (18.4.1951), der Beitritt zum Europarat (2.5.1951), die Unterzeichnung des Generalvertrags (Deutschlandvertrags) (26.5.1952), des – am 30.8.1954 gescheiterten – Vertrags über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) (27.5.1952) und der Beitritt zur Westeuropäischen Union (WEU) und zur NATO (23.10.1954). Bei all diesen den Platz der jungen Bundesrepublik im Reigen der westlichen Länder konstituierenden Ereignissen war Blankenhorn maßgeblich beteiligt. Er war z.B. der Hauptautor des den Hohen Kommissaren am 30.8.1950 übergebenen Sicherheitsmemorandums, des später berühmt gewordenen „Angebots“ Adenauers, deutsche Truppen aufzustellen, das dieser selbst seinen Kabinettskollegen vorenthielt. Dem Bundesminister Jakob Kaiser, der im Kabinett darum bat, das „Angebot“ zu verlesen, wurde folgende autokratische Antwort des Kanzlers zuteil: „Ich selbst besitze keine Abschrift. Es gibt nur ein Exemplar, und das liegt im Geldschrank bei Herrn Blankenhorn.“ Berühmt geworden ist auch der Antrittsbesuch des Bundeskanzlers bei den Hohen Kommissaren auf dem Petersberg am 21.9.1949, als Adenauer den nur den Kommissaren vorbehaltenen Teppich betrat. Weniger berühmt wurde das Nachspiel dieser sehr formellen Begegnung, vor der Adenauer – natürlich mit Hilfe Blankenhorns – durchgesetzt hatte, daß auf die feierliche Überreichung des Besatzungsstatuts verzichtet wurde: „Man drückte es mir beim Weggehen (in der Garderobe) stillschweigend in die Hand“ (Blankenhorn).
Von besonderer Bedeutung war im Zusammenhang mit der „Westbindung“ die Saarfrage. Auch hier lag Blankenhorn, im Gegensatz zu anderen Beratern Adenauers, völlig auf dessen Linie, die „Europäisierung“ der Saar zunächst einmal zu akzeptieren, aber: „Würde die Saarbevölkerung das Saarstatut ablehnen, nun: hier lag meine Hoffnung“ (Adenauer) – daß nämlich Frankreich über das Votum der Bevölkerung nicht hinweggehen könne. Das Vabanque-Spiel ging auf, am 1.9.1957 kehrte die Saar zu Deutschland zurück.
Ähnlich verhielt es sich bei einer weiteren entscheidenden Station deutscher Nachkriegspolitik, der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion im Jahre 1955. Während Außenminister von Brentano und Staatssekretär Hallstein unter allen Umständen dagegen waren, dem nur mündlich gegebenen Ehrenwort der sowjetrussischen Seite zu trauen – die die Entlassung der deutschen Kriegsgefangenen und Zivilinternierten gegen die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zugesagt hatte –, bestärkte Blankenhorn Adenauer in seiner Neigung, dem mündlichen Wort zu vertrauen. Der Erfolg gab ihm recht.
Auch in der Frage des am 10.9.1952 mit Israel geschlossenen Wiedergutmachungsabkommens stand Blankenhorn ganz auf der Seite Adenauers, dessen Bundestagsfraktion bei der Entscheidung über diese Frage – im Gegensatz zu den Sozialdemokraten – uneinheitlich abstimmte; 84 Jastimmen standen 5 Neinstimmen und 39 Enthaltungen gegenüber.
Zwei die deutsche Öffentlichkeit aufstörende Ereignisse sind weder in Blankenhorns Memoiren noch in seinen im Privatdruck erschienenen persönlichen Erinnerungen erwähnt: der Bericht eines Bundestagsuntersuchungsausschusses aus dem Jahre 1952 betreffend „Prüfung, ob durch die Personalpolitik Mißstände im Auswärtigen Amt eingetreten sind“ (Quellen), und der Strack-Prozeß.
Ein junger Journalist, Michael Heinze-Mansfeld, hatte in einer Artikelserie in der „Frankfurter Rundschau“ (1., 3., 4., 5. und 6. September 1951) unter dem Titel „Ihr naht euch wieder ...“ angeprangert, daß ein Großteil der Beamten des gerade etablierten Auswärtigen Amtes in Bonn aus dem früheren Ribbentrop-Ministerium stamme. Der Bundestag setzte auf Antrag der Sozialdemokratischen Fraktion einen Untersuchungsausschuß ein, der 21 Fälle – unter ihnen Blankenhorn – genauestens prüfte und Empfehlungen hinsichtlich der Verwendung der genannten Diplomaten aussprach. Blankenhorn wurde in der Debatte über die Einsetzung des Ausschusses vorgeworfen, daß er „die wesentlichen Personalfragen vorab bespreche und zum Teil auch ohne Auftrag vorab entscheide“ (Abgeordneter Fritz Erler, SPD). Der Untersuchungsausschuß hielt jedoch Blankenhorn für geeignet zur Weiterverwendung im Auswärtigen Dienst, seine Mitgliedschaft in der NSDAP sei rein formal und besitze in Anbetracht der festgestellten Tatsache, daß Blankenhorn zu den treibenden Kräften der Widerstandsgruppe des 20. Juli gehörte, kein Gewicht. Gegen die Führung seiner Dienstgeschäfte in Personalsachen sei nichts einzuwenden. Adenauer, während seiner ganzen Dienstzeit von großem Mißtrauen gegen das Auswärtige Amt erfüllt, kümmerte sich um dessen Behördenangelegenheiten so gut wie nicht. Der zweite spektakuläre Fall, in dem Blankenhorns Name immer und immer wieder in den bundesrepublikanischen Medien erschien: der Ministerialrat im Wirtschaftsministerium Strack hatte gegen Blankenhorn und Hallstein Klage wegen der ungeprüften Weiterleitung einer Denunziation erhoben, und die Erste Große Strafkammer des Landgerichts Bonn unter Vorsitz eines publizitäts- und machtbewußten Landgerichtsdirektors verurteilte Blankenhorn deswegen zu vier Monaten Gefängnis mit zweijähriger Bewährung und einer Geldbuße von 3000 DM an das Rote Kreuz; Hallstein wurde wegen Mangels an Beweisen freigesprochen. Die von Blankenhorn eingelegte Revision beim Bundesgerichtshof erbrachte einen Freispruch wegen erwiesener Unschuld.
Beide Fälle – Mansfeld und Strack – verursachten geradezu Stürme im Wasserglas der Medien; dabei kam Blankenhorn noch besser weg als Hallstein: er wirkte „sympathisch ... ein Mann, der wohl auch die schönen Seiten des Lebens zu schätzen weiß.“ Die Laufbahn Blankenhorns wurde durch beide Vorgänge nicht beeinflußt.
Im März 1955, nach sieben turbulenten Jahren in der engsten Nachbarschaft Adenauers, strebte Blankenhorn eine Veränderung seiner höchst einflußreichen, aber auch aufreibenden Büchsenspannerposition an. „Ich wollte mein eigener Herr sein.“ Auch hatte er wenig Neigung, unter dem Außenminister von Brentano, den er nicht sehr schätzte, zu dienen. Er bat Adenauer, ihm die Leitung der NATO-Botschaft in Paris zu übertragen. Der Kanzler nahm diesen Wunsch sehr ungnädig auf, aber als Blankenhorn darauf beharrte, stimmte er zu. Blankenhorn, wieder einmal mit einer Pionieraufgabe betraut, stellte in der Aufbauzeit der Bundeswehr die volle Integration der Bundesrepublik Deutschland in das Bündnis der 15 Staaten im Pariser Hauptquartier sicher. Aber selbstverständlich entsandte Adenauer Blankenhorn, nach wie vor seinen wichtigsten Vertrauten, als Beobachter oder Delegationsleiter zu wichtigen internationalen Konferenzen.
Indessen hatte sich in Frankreich die Lage infolge des Algerienkonflikts immer mehr zugespitzt, und die Übernahme der Präsidentschaft durch de Gaulle war nur noch eine Frage der Zeit. In dieser Situation hielt es der Bundeskanzler für erforderlich, „angesichts der anti-amerikanischen und antiatlantischen Einstellung des Generals einen Botschafter in Paris zu haben, der seine (Adenauers) atlantischen und europäischen Ziele genauestens kennte und entsprechend vertreten könnte“ (Blankenhorn). Blankenhorn verstand es, als Pariser Botschafter ein sehr gutes Verhältnis zu de Gaulle aufzubauen; in dem Maße jedoch, in dem sich der französische Staatschef und Adenauer einander annäherten, spürte Blankenhorn, daß seiner Arbeit in Paris der Boden entzogen wurde. Beim Rückblick auf diese Entwicklung verläßt den sonst immer zurückhaltenden Diplomaten Blankenhorn seine Gelassenheit: der Abschluß des deutsch-französischen Vertrags sei von ihm und vielen Europäern – Monnet, Hallstein, Brentano – „aufs heftigste bedauert“ – d.h. verabscheut – worden, weil der Eindruck entstehen konnte, daß Europa in Zukunft von einem deutsch-französischen Kondominium bestimmt werden sollte, und er trug Adenauer die dahingehenden schweren Bedenken ausführlich vor – ohne Erfolg. Der Vertrag wurde unterzeichnet, und ziemlich gleichzeitig wurden die EG-Beitrittsverhandlungen Großbritanniens auf Betreiben de Gaulles abgebrochen. Unter diesen Umständen verließ Blankenhorn die französische Hauptstadt nicht ungern, obwohl sich in der neuen Wirkungsstätte Rom viel weniger spannungs- und inhaltsreiche Perspektiven auftaten als in Paris. Aber der Strukturwandel Italiens vom Agrar- zum Industriestaat und die sich daraus ergebenden Folgen für die europäische Integration stellten auch hier anspruchsvolle Aufgaben. Auf der letzten Station seines langen Weges, in London, war wieder Pioniergeist verlangt: es galt, das im Jahre 1963 zerbrochene europäische Porzellan wieder zu kitten und den Weg für den Eintritt Großbritanniens in die EG neu zu bahnen: „Es ist mir gelungen, wichtige Teile der britischen Öffentlichkeit davon zu überzeugen, daß es der Bundesrepublik um die Teilnahme Englands am europäischen Einigungswerk wirklich ernst war“ (Blankenhorn).
Trotz der Entfremdung, die zwischen Blankenhorn und Adenauer eingetreten war, hat ihn Blankenhorn nach dessen Ausscheiden aus dem Amt im Jahre 1963 mehrfach besucht, so von Rom aus im Frühjahr 1964 am Comer-See, als Adenauer mit seinen Memoiren begann. Zwei Jahre später empfing ihn der neunzigjährige Altbundeskanzler in Rhöndorf „mit einer Herzlichkeit, wie ich sie nach all unseren kritischen Unterredungen der Vergangenheit nicht erwartet hätte“ (Blankenhorn).
Zu Beginn des Jahres 1970 erreichte Blankenhorn die Altersgrenze, er zögerte jedoch nicht, das Angebot der Bundesregierung Brandt/Scheel anzunehmen und dem Exekutivrat der Unesco volle sechs Jahre lang seine umfassenden Erfahrungen zur Verfügung zu stellen. 72jährig meinte er, daß nun Jüngere das Heft in die Hand nehmen sollten.
Als Blankenhorn Adenauer am Comer-See besuchte, empfahl er ihm als Modell für seine Erinnerungen die Memoiren Richelieus. Ebenderselbe französische Staatsmann schrieb in seinem Politischen Testament: „Einer der größten Vorteile, die man einem Staat verschaffen kann, ist der, einen jeden für das Amt zu bestimmen, für das er geeignet ist.“ Wenn irgendein Staatsdiener, dann war Blankenhorn für die hohen Ämter, die er während seiner Laufbahn in einer einzigartigen Vertrauensstellung bekleidete, geeignet. Bundeskanzler Willy Brandt schrieb ihm beim Abschied: „Ihr Wirken als engster Berater von Bundeskanzler Adenauer in den Jahren des Anfangs und des Aufbaues hat ganz wesentlich dazu beigetragen, daß die Deutschen wieder in die Gemeinschaft der Völker zurückkehren konnten.“
Quellen: Schriftlicher Bericht des Untersuchungsausschusses (47. Ausschuß) gemäß Antrag der Fraktion der SPD betreffend Prüfung, ob durch die Personalpolitik Mißstände im Auswärtigen Dienst eingetreten sind – Nr. 2680 der Drucksachen –, Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949; Personal-Akte Herbert Blankenhorn im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn; Herbert Blankenhorn, Beitrag zur Geschichte der Familie Blankenhorn 1900-1972, Privatdruck, 1972.
Werke: Discours francais (1960-1963), 1963; Verständnis und Verständigung, Blätter eines politischen Tagebuchs 1949-1979,1980.
Nachweis: Bildnachweise: in: Neske/Swiridoff a.a.O.

Literatur: (Auswahl) Günther Neske/Paul Swiridoff, Herbert Blankenhorn, in: Porträts aus dem politischen Deutschland, hg. von Günther Neske, 1968, 6/7; Alexander Drenker, Diplomaten ohne Nimbus! Beobachtungen und Meinungen eines deutschen Presseattachés, 1970; Georg Schröder, Er brachte den Hauch der weiten Welt nach Bonn (Zum 75. Geburtstag Herbert Blankenhorns), in: „Die Welt“ vom 15.12.1979; Eugen Gerstenmaier, Streit und Friede hat seine Zeit, Ein Lebensbericht, 1981; Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauer 1949-1957, in: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, hg. von Karl-Dietrich Bracher, Theodor Eschenburg, Joachim C. Fest, Eberhard Jäckel, 1981; Erich Mende, Die neue Freiheit 1945-1961, 2. Aufl. 1984; Herbert Blankenhorn zum 80. Geburtstag (ohne Verfasser), in: „Die Welt“ vom 15.12.1984; Konrad Adenauer, Erinnerungen 1945-1953, 6. Aufl. 1987; Erinnerungen 1953-1955, Stuttgart 4. Aufl. 1984; Erinnerungen 1955-1959, 4. Aufl. 1989; Erinnerungen 1959-1963, 3. Aufl. 1983; Hans-Peter Schwarz, Adenauer, Der Aufstieg 1876-1952, 2. Aufl. 1986; ders., Adenauer der Staatsmann: 1952-1967, 1991; Hans-Jürgen Döscher, Verschworene Gesellschaft – Das Auswärtige Amt unter Adenauer zwischen Neubeginn und Kontinuität, 1995; Hermann Kusterer, Der Kanzler und der General, 1995; Claus M. Müller, Relaunching German Diplomacy, The Auswärtiges Amt in the 1950s, 1996; Munz, A 38/91; Günter Diehl, Gedenken, in: Die Welt vom 03.01.1992 Nr. 2.
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