Gentner, Wolfgang 

Geburtsdatum/-ort: 23.07.1906; Frankfurt/Main
Sterbedatum/-ort: 04.09.1980;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Kernphysiker
Kurzbiografie: 1916-1925 Kaiser-Wilhelm-Gymnasium, Frankfurt/Main
1925-1930 Studium der Physik, Erlangen und Frankfurt/Main
1930 Promotion bei Friedrich Dessauer: Untersuchungen an einer Lenard-Coolidge-Röhre
1931-1932 Assistent am Institut für Physikalische Grundlagen der Medizin, Frankfurt/Main
1933-1935 Stipendiat am Radium-Institut der Sorbonne, Paris, bei Marie Curie
1936-1946 Assistent am Institut für Physik im Kaiser-Wilhelm-Institut für medizinische Forschung, Heidelberg, bei Walther Bothe
1937 Habilitation an der Universität Frankfurt/Main
1938-1939 Radiation Laboratory University of California, Berkeley/USA
1946-1958 Ordentlicher Professor für Physik an der Universität Freiburg
1947-1949 Prorektor der Universität Freiburg
1955-1959 Direktor am CERN (Conseil Européenne pour la Recherche Nucleaire), Genf
1958-1974 Ordentlicher Professor für Physik an der Universität Heidelberg
1958-1972 Direktor des Max-Planck-Instituts für Kernphysik, Heidelberg
1964-1968 Präsident der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
1972-1978 Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft
1974 Mitglied des Ordens Pour le Mérite
1975 Mitglied des Board of Governors Weizmann-Institut, Rehovot, Israel; Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 25.11.1931 Solothurn, Alice, geb. Pfahler
Eltern: Karl Georg, Fabrikant
Luise Julie, geb. Klomp
Kinder: Ralph, Doris
GND-ID: GND/118538470

Biografie: Ulrich Schmidt-Rohr (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 153-156

Gentner ist in Frankfurt/Main aufgewachsen. Dort studierte er und dort begann seine wissenschaftliche Laufbahn im Institut von Friedrich Dessauer mit Arbeiten zur Biophysik. Das Thema seiner Doktorarbeit war: Untersuchungen an einer Lenard-Coolidge-Röhre. Die gemessenen praktischen Reichweiten der Elektronen mit Energien zwischen 80 keV und 220 keV füllten die Lücke zwischen den bekannten Reichweiten mittelschneller Kathodenstrahlen einerseits und β-Strahlen andererseits.
Auf Empfehlung von Dessauer wurde Gentner 1933 von Madame Curie als Stipendiat in das Radiuminstitut der Sorbonne aufgenommen. Zusammen mit Frederic Joliot und Irene Curie untersuchte er dort den Durchgang energiereicher γ-Strahlung durch Materie und die Photospaltung von Deuterium und Beryllium. Anfang 1936 holte ihn Walther Bothe in sein Heidelberger Institut. Durch Bau eines Bandgenerators nach Van De Graaff verschafften sich Bothe und Gentner eine intensive γ-Strahlungsquelle hoher Energie, mit der sie 1937 den Kernphotoeffekt an mittelschweren und schweren Kernen entdeckten.
Anschließend wurde der Bau eines Zyklotrons ins Auge gefaßt. Um Erfahrungen mit Zyklotrons zu sammeln, war Gentner 1938/39 Gastwissenschaftler bei E. O. Lawrence, dem Erfinder des Zyklotrons, im Radiation Laboratory in Berkeley. Nach Entdeckung der Kernspaltung und der Gründung des „Uranvereins“ durch das Heereswaffenamt wurde Gentner mit der Messung von Parametern der Kernspaltung beauftragt. Sein Van-De-Graaff-Generator war damals eine der intensivsten Neutronenquellen.
Im September 1940 erhielt er den offiziellen Auftrag, eine Gruppe deutscher Physiker und Techniker zusammenzustellen und das Pariser Zyklotron in Gang zu setzen. In Paris konnte er viel für seine französischen Kollegen tun. Es gelang ihm, sowohl Joliot wie auch Langevin aus dem Gefängnis zu befreien.
Im Frühjahr 1942, nach Inbetriebnahme des Zyklotrons, wurde Gentner nach Denunziation durch einen deutschen Kollegen aus Paris abkommandiert und nach Heidelberg zurückgeschickt. In Heidelberg begann er, zusammen mit Bothe, das Heidelberger Zyklotron, den ersten größeren deutschen Teilchenbeschleuniger, aufzubauen und Ende 1943 in Betrieb zu nehmen.
Nach Kriegsende erhielt Gentner mehrere Rufe. Er folgte dem auf das Ordinariat für Experimentalphysik an der Universität Freiburg und übernahm damit die Aufgabe, das zerstörte physikalische Institut in Freiburg wieder aufzubauen. Damals begannen seine Arbeiten zur geologischen Altersbestimmung mit Hilfe des Zerfalls von Kalium in Argon. Schon Anfang der 50er Jahre gehörte Gentner zu den wenigen Wissenschaftlern, die sich für ein europäisches Kernforschungszentrum einsetzten. Gentner war neben Heisenberg von Anfang an Vertreter der Bundesrepublik Deutschland und nahm seit 1951 an allen wichtigen Besprechungen teil. Nach der offiziellen Gründung des CERN-Laboratoriums in Genf im Jahre 1954 wurde er zum Direktor der Abteilung Synchrozyklotron und zum Direktor der Forschung des CERN ernannt. Sehr bald nach der Inbetriebnahme des Synchrozyklotrons im August 1957 erhielt er von der Max-Planck-Gesellschaft einen Ruf als Nachfolger von Bothe nach Heidelberg.
In der Max-Planck-Gesellschaft setzte Gentner 1958 die Gründung eines Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Heidelberg durch. Mit Hilfe des damaligen Atomministeriums konnte mit dem Bau dieses Instituts unverzüglich begonnen werden. Schon im Laufe der 60er Jahre wurden wesentliche Teile mit Beschleunigeranlagen und Speziallaboratorien für die kosmophysikalische Forschung in Betrieb genommen. Gentners wissenschaftliches Interesse war in diesen Jahren auf die Kosmophysik und die Arbeiten am CERN konzentriert. Von 1969-1971 war er Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses und von 1972-1974 Präsident des Rates des CERN.
Zusammen mit J. Zähringer und H. Fechtig befaßte er sich in erster Linie mit Meteoriten, Tektiten und Einschlagkratern. Mit der Kalium-Argon-Uhr konnte die Gruppe zeigen, daß das Alter der Moldavite, das sind Tektite aus Böhmen, die als reine Glasmasse keine Gitterstruktur besitzen, gleich alt sind wie Glasproben aus dem Ostrand des Nördlinger Ries. Um die Herkunft der Tektite aus Einschlagkratern von Meteoriten zweifelsfrei zu beweisen, unternahm er 1963 eine Expedition zum Bosumtwi-See 300 km landeinwärts von der Küste Ghanas. Nach den Apollo-Missionen wurden die über irdische Einschlagkrater gewonnenen Erkenntnisse auf die Mondkrater und später auch auf die Kraterbilder von Mars und Merkur angewandt.
Gentners letztes Arbeitsgebiet war die Archäometrie. Zusammen mit G. A. Wagner untersuchte er anfänglich mit kernphysikalischen Methoden Spurenelemente und isotopische Zusammensetzung in altgriechischen Silbermünzen. Der Vergleich mit Gesteinsproben aus alten Bergwerken zeigte die Herkunft des Silbers. Altersbestimmungen an Bergwerken ergaben das Alter des Bergbaus in Europa. Mit nahezu 5 000 Jahre alten Blei-Silber-Gruben wurde die früheste bis dahin bekannte Blei-Silber-Gewinnung entdeckt. Wie kaum ein anderer zeitgenössischer Wissenschaftler erhielt Gentner höchste Auszeichnungen und Ehrungen. Er war Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften seit 1957, der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, Halle, der Pontifikalakademie der Wissenschaften, Rom, und Korrespondierendes Mitglied der Bayerischen und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Für seinen mutigen Einsatz für französische Physiker während des Krieges wurde er 1965 zum Officier de la Légion d’Honneur ernannt. Er war Mitglied des Ordens Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste und Inhaber des Großen Verdienstkreuzes mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Die Stadt Frankfurt/Main verlieh ihm 1979 den Otto-Hahn-Preis.
Von der internationalen Gemeinschaft der Physiker ist besonders anerkannt worden, daß Gentner der erste gewesen ist, der eine Brücke zwischen der deutschen Wissenschaft und Instituten in Israel geschlagen hat. Er hatte zusammen mit Otto Hahn schon 1959 eine Einladung erhalten, das Weizmann-Institut in Rehovot zu besuchen. Mit Hilfe der Stiftung Volkswagenwerk gründete Gentner anschließend das MINERVA-Komitee für den Austausch junger Wissenschaftler aus Israel und Deutschland. Außerdem wurden regelmäßige Treffen in Israel und Deutschland organisiert. Das Weizmann-Institut ernannte ihn 1965 zum Ehrenmitglied und 1975 zum einzigen deutschen Mitglied des Board of Governors. Nach seinem Tod wurde ein Gentner-Lehrstuhl am Weizmann-Institut eingerichtet und die regelmäßigen MINERVA-Symposien erhielten den Namen Gentner-Symposien.
Quellen: Nachlaß im Archiv der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin-Dahlem
Werke: Die Größe der Streu- und Sekundärstrahlung harter γ-Strahlen. Zeitschrift für Physik 100 (1936) 445-455. Künstliche Radioaktivität durch γ-Strahlen (mit W. Bothe). Naturwissenschaften 25 (1937) 90. Die Erzeugung schneller Ionenstrahlen für Kernreaktionen. Ergebnisse der exakten Naturwissenschaften 19 (1940) 107-169. Die Energiegrenze der Spaltungsneutronen am Uran (mit W. Bothe) Zeitschrift für Physik 119 (1942) 586-574. Zur geologischen Altersbestimmung nach der Kalium-Argon-Methode (mit W. Kley) Zeitschrift für Naturforschung 10a (1955) 832-833. Das 600-MeV-Synchrozyklotron des CERN in Genf. Philips Technische Rundschau 3 (1960/61) 81-89. Individuum und Kollektiv in der Forschung. Bild der Wissenschaft 1 (1964) 42-49. Narben im Antlitz der Himmelskörper. Jahrbuch der Max-Planck-Gesellschaft (1974) 24-46. The long-term average of the galactic cosmic-ray iron group composition studied by the track method (mit W. Krätschmer) Geochemistry Cosmochemistry Acta suppl. 7 (1976) 501-511. Nachweis antiken Goldbergbaus auf Thasos: Bestätigung des Herodot (mit G. A. Wagner, E. Pernicka und H. Gropengiesser) Naturwissenschaften 6 (1979) 613
Nachweis: Bildnachweise: Ölgemälde im Foyer des Hörsaals des Max-Planck-Instituts für Kernphysik von Hans-Jürgen Kallmann von 1976 (80 cm x 95 cm)

Literatur: U. Schmidt-Rohr, Wolfgang Gentner, in: Physiker und Astronomen in Frankfurt, Geschichte der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität (1989) 181-193; Nachrufe: Gedenkfeier Wolfgang Gentner, Max-Planck-Gesellschaft. Berichte und Mitteilungen 2/81, 11-56; P. Brix, Physik in unserer Zeit 72 (1981) 1-2; P. Brix, Jahresbericht der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (1981) 48-51; A. Citron, Physikalische Blätter 36 (1980) 358-359; E. Hintsches, Max-Planck-Gesellschaft Spiegel 6/80 32-36; Hugo Fechtig, Wolfgang Gentner zum Gedenken, in: Freiburger Universitätsblätter 19, 1980, 5-7; V. A. Telegdi, V. F. Weisskopf, Physics Today 34/2 (1981) 91-92
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