Herberger, Josef 

Andere Namensformen:
  • „Sepp“
Geburtsdatum/-ort: 28.03.1897;  Mannheim
Sterbedatum/-ort: 28.04.1977;  Mannheim
Beruf/Funktion:
  • Trainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft
Kurzbiografie: Nach Besuch der Volksschule und (bis zum Tode des Vaters 1912) des Gymnasiums dreijährige, erfolgreich abgeschlossene Banklehre
1921-1925 als Spieler des SV Waldhof Mannheim bzw. VFR Mannheim Absolvierung von drei Fußball-Länderspielen
1927-1930 Studium an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen in Berlin
1930 Abschlußprüfung als Diplom-Turn- und Sportlehrer, Verleihung der „August-Bier-Plakette“ als bestem Studenten des Prüfungssemesters Sommer 1930
1931-1936 Verbandstrainer Westdeutscher Fußball-Verband
1938 Reichsfußballtrainer (tatsächlich verantwortlich schon seit Anfang 1937)
1947-1951 Hochschulsportlehrer für Fußball an der Sporthochschule Köln
1951-1953 Nebenamtlich Sportlehrbeauftragter an der Sporthochschule Köln
1950-1964 Bundestrainer
1954 Gewinn der Fußball-Weltmeisterschaft
1954 Silberne Sportplakette Stadt München; Gold. Ehrennadel DFB (Deutscher Fußballbund); Silbernes Lorbeerblatt Bundespräsident
1957 Goldene Verdienstnadel DFB
1960 Goldene Ehrennadel Verband Berliner Ballspiel-Vereine
1967 Großes Bundesverdienstkreuz
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1921 Eva, geb. Müller
Eltern: Vater: Josef Herberger, Arbeiter
Mutter: Lina, geb. Kretzler
GND-ID: GND/118549464

Biografie: Hans-Georg Merz (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 2 (1987), 128-130

Als Josef („Sepp“) Herberger sich im Jahre 1964 als Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft verabschiedete, konnte er auf eine bislang beispiellose Erfolgsbilanz zurückblicken. Den von ihm betreuten Mannschaften gelangen in 162 Länderspielen 92 Siege; 26 internationale Begegnungen endeten unentschieden, nur 44 gingen verloren. Mit je einem vierten Platz erreichten unter seiner Leitung die Amateure des DFB bei den olympischen Spielen in Helsinki 1952 und die A-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 1958 in Schweden hervorragende Plazierungen. Den absoluten Höhepunkt der Laufbahn Herbergers aber bildete der erste Gewinn einer Weltmeisterschaft für den DFB im Jahre 1954 – ein Triumph, der um so höher bewertet wurde, als er für den größten Teil der interessierten Öffentlichkeit völlig überraschend eintrat, und der, wie sich zeigen sollte, mehr als nur ein sportlich bedeutsames Ereignis war. Der wenig glückliche Ausgang der WM 1962 in Chile, als Herbergers Team, erstmals bei einem WM-Turnier nach dem Krieg ohne des Bundestrainers Lieblingsschüler Fritz Walter, vorzeitig ausschied, verschonte auch den bisher Erfolgreichen nicht vor – teils ungerechter, teils sogar verletzender – Kritik. An seiner fortdauernden Popularität änderte dies nichts, so wie der Pensionär für Kollegen und Sportöffentlichkeit weiterhin ein geschätzter Gesprächspartner und Ratgeber blieb. Daß die Deutsche Bundespost ihm anläßlich des 80. Geburtstages einen Sonderstempel widmete – zu Lebzeiten der dritte Deutsche nach den ehemaligen Bundeskanzlern Konrad Adenauer und Willy Brandt – bewies die gleichsam zeitgeschichtliche Prominenz des so Geehrten.
Herbergers sportliche Ambitionen zielten schon früh auf den Trainerberuf. Nachdem er bereits im Jahre 1925 vertretungsweise einen vierwöchigen Trainerlehrgang des DFB an der Hochschule für Leibesübungen in Berlin geleitet hatte, siedelte der Mannheimer Nationalspieler bald darauf, seinem bisherigen Trainer Dr. Otto Nerz folgend, in die Reichshauptstadt über. Hier spielte er aktiv für den neuen Verein Tennis-Borussia und die Berliner Stadtmannschaft, widmete sich aber vornehmlich dem Studium an der Hochschule für Leibesübungen, das er, da ohne Abitur, aufgrund einer Ausnahmeregelung für besonders Begabte aufnahm und im Jahre 1930 mit der bestmöglichen Bewertung für seine Diplomarbeit über den „Weg zur Höchstleistung im Fußballsport“ abschloß. Mehr ein Kuriosum als ein ernsthaftes Studienversagen stellte das Nichtbestehen einer Vorprüfung im Fach Psychologie dar. Die aus finanziellen Gründen notwendige nebenamtliche Trainertätigkeit bei zwei Vereinen verhinderte eine angemessene Vorbereitung, so daß er diese Hürde erst beim zweiten Anlauf überwand. Herbergers späterem Ruf eines „guten Seelenarztes“ für die ihm anvertrauten Spieler tat diese Episode keinen Abbruch.
Schon die erste berufliche Station beim Westdeutschen Fußball-Verband in Duisburg brachte den jungen Diplomsportlehrer in näheren Kontakt mit der Trainingsarbeit der Nationalmannschaft. Einerseits wurden besonders viele seiner Zöglinge bei Länderspielen eingesetzt, andererseits bezog ihn Dr. Nerz, sein inzwischen zum Reichstrainer avancierter früherer Förderer und Mentor, immer stärker als Assistenten in die DFB-Lehrgänge ein. Noch ahnte Herberger damals nicht, daß er selbst nach wenigen Jahren, ohne daß er dies erstrebt hätte, die volle Verantwortung für den deutschen Spitzenfußball tragen würde. Das schlechte Abschneiden der Olympiamannschaft 1936 vor den Augen Hitlers führte zur schrittweisen Ablösung des Reichstrainers und zu einer Nachfolgeregelung, die nach einem Zwischenstadium (nur) noch nomineller Zuständigkeit von Nerz – im Jahre 1938 mit der Berufung Herbergers zum Cheftrainer endete. Politische Entwicklungen und Einwirkungen erschwerten freilich diesem „Vollblutfußballer auch als Trainer“ (Helmut Schön) schon bald die Arbeit. Die Annexion Österreichs zwang ihn, „auf Weisung von ganz oben“, zu einer Neuformation der Nationalmannschaft in Gestalt einer Kombination von Spielern aus dem „Altreich“ und der „Ostmark“ – mit dem Ergebnis eines frühzeitigen Ausscheidens bei der WM 1938 in Frankreich. Während des Krieges galt Herbergers große Sorge dem Wohl „seiner“ Spieler: Offensichtlich mit Hilfe einer Kontaktperson im Oberkommando der Wehrmacht, z. B. aber auch durch die Zuteilung von „Fach-Statisten-Rollen“ für Aufnahmen zu einem Sportfilm, versuchte er das Kriegsrisiko der Nationalmannschaftsmitglieder so weit wie möglich zu verringern. Auch ausländische Sportler, die nationalsozialistischen Verfolgungen ausgesetzt waren, konnten auf seine Unterstützung hoffen.
Im Jahre 1950 mit der Aufgabe des Bundestrainers betraut, bedeutete es für Herberger keine Schwierigkeit, an seine früheren langjährigen Erfahrungen anzuknüpfen. In spieltaktischer Hinsicht fanden bewährte Erkenntnisse und Methoden ihre Fortsetzung und Vertiefung: eine auf die Förderung spielerischer Phantasie zielende Variation des von Nerz in Deutschland eingeführten WM-Systems, in der Experten eine Vorform der moderneren 4-2-4-Spielweise erkannten; die Bevorzugung sogenannter „Vereinsblöcke“ in der Nationalmannschaft, wobei Herberger hauptsächlich auf Spieler des 1. FC Kaiserslautern zurückgriff; unter Berufung auf Rousseaus Maxime „Zurück zur Natur“ das Bemühen, nicht in jedem Fall der Abwehr eine Vorrangstellung einzuräumen, sondern vor allem durch eine Betonung der Mittelfeldpositionen eine „Plattform“ für das Angriffsspiel zu schaffen; schließlich das Offenhalten des Spielsystems für die Improvisationskunst hochbegabter Individualisten und Sportlerpersönlichkeiten wie des Nationalmannschaftskapitäns Fritz Walter. Auch auf dem psychologischen Felde entfaltete Herberger wieder seine alte Meisterschaft. Dazu gehörte die „Individualbetreuung bis zur Exklusivität“ (Jürgen Werner) ebenso wie die Fähigkeit, durch die Pflege eines unverfälschten Kameradschafts- und Freundschaftsgedankens das Bewußtsein mannschaftlicher Zusammengehörigkeit zu wecken. Herberger, ein in jeder Lage zu Augenmaß und Realitätssinn neigender Teamchef, kannte die Grenzen des Traineramtes und wußte, wie sehr jeder Erfolg von den Leistungen und dem Können der Spieler abhing; so versteht es sich, weshalb er einem Weltklassespieler wie Fritz Walter bedenkenlos die „Prokura auf dem Spielfeld“ überließ. Auf den drei Säulen der Topform der wichtigsten Spielgestalter, des psychologischen Einfühlungsvermögens des Bundestrainers, das im sogenannten „Geist von Spiez“ seinen legendären Ausdruck fand, und taktischer Meisterleistungen desselben beruhte auch der von langer Hand vorbereitete Erfolg beim WM-Turnier 1954 in der Schweiz. Unter geschickter Ausnutzung des komplizierten Austragungsmodus (und bei zunächst beinahe völligem Unverständnis der deutschen Fußballanhänger) führte er am 4. Juli 1954 die Nationalmannschaft nicht nur in das Berner Endspiel; mit dem 3:2-Sieg gegen den jahrelang ungeschlagenen Favoriten Ungarn riefen Herberger und seine Spieler weniger als zehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges eine nationale Hochstimmung hervor, die zuvor kaum denkbar zu sein schien. Nach den Worten von Bundespräsident Heuss hatten die Sportler „sehr viel für das Ansehen dieser jungen Bundesrepublik getan“. Für jüngere Interpreten waren, in einem gewiß problematischen Vergleich, die Weltmeistermannschaft und ihr „Chef“ Sepp Herberger sogar „die Heroen der Deutschen in den fünfziger Jahren“, die ähnlich gefeiert wurden „wie 10 und 15 Jahre zuvor die Jagdflieger-Asse und die erfolgreichen U-Boot-Kommandanten“ (Hans-Peter Schwarz). In Ungarn aber folgte der Niederlage im Berner Finale eine nationale Desillusionierung. die in der Form von Demonstrationen und Gewalttätigkeiten auch lautstarken Ausdruck fand. Unabhängige ungarische Historiker sehen deshalb, sicher nicht ohne Grund, in dem Ereignis vom 4. Juli 1954 eine der Wurzeln für den ungarischen Volksaufstand im Herbst 1956.
Werke: Fußball kann man nur durch Spielen lernen. Moderne Trainingsmethoden, in: Gewinnen im Fußball. Die berühmtesten Fußballtrainer der Welt geben ihr Erfolgsrezept. Mit einem Vorwort von Bundestrainer Helmut Schön. München 1967, 33-61; Fußballweltmeisterschaft. Von den Anfängen der Ballspiele bis Mexiko 1970, Kemnat 1973 (Hg.).
Nachweis: Bildnachweise: in Literatur.

Literatur: Gerhard Bahr (Hg.) Fußball-Weltmeisterschaft 1954 (Offizielles Erinnerungswerk Coupe Jules Rimet), Offenburg/ Nürnberg 1954; August H. Esser, Deutschland Weltmeister im Fußball 1954 (Schriftenreihe des Deutschen Fußball-Bundes, Band I), Frankfurt/M. o. J. (1954); Heribert Faßbender (Hg.), Sporttagebuch des 20. Jahrhunderts, Düsseldorf-Wien 1984, 392 ff., 398 ff., 410 f., 433; Wolfgang Friedrich, Anekdoten um S. Herberger. Ein Leben für den Fußball, München-Esslingen 1967; Karl Heinz Huba (Hg.), Fußball-Weltgeschichte, München 4. Aufl. 1983, 168 ff., 190 ff., 395 ff.; Ludwig Maibohm, S. Herberger: Fußball – sein Leben, hg. von Heinz Maegerlein, Frankfurt/M. 1973; H. G. Martin, Deutschlands Fußball macht Karriere. Vereine, Spieler, Trainer, Tore seit 1945, Düsseldorf 1985; Munzinger-Archiv/lnt. Biograph. Archiv, Lieferung 29/77, 16. 7. 1977; Helmut Schön, Fußball, Frankfurt/M. u. a. 1978, 113 ff., 150 ff, 172 ff.; Fritz Walter, 3:2. Die Spiele zur Weltmeisterschaft, München 2. Aufl. 1954; ders., So war es. Fußballweltmeisterschaft in Schweden, München 1958; ders., Die Spiele in Chile. Fußball-Weltmeisterschaft 1962, München 1962; ders., Der Chef – S. Herberger, München 2. Aufl. 1964.
Zusätzliche Informationen: Interviews mit Bundestrainer a. D. Helmut Schön (23.9.1983) und Ehrenspielführer Fritz Walter (29. 2. 1984).
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