Kallmorgen, Friedrich 

Geburtsdatum/-ort: 15.11.1856; Hamburg-Altona
Sterbedatum/-ort: 02.06.1924;  Grötzingen bei Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Maler, Graphiker
Kurzbiografie: 1862/63 Erster Zeichenunterricht bei seinem Onkel, dem Porträt- und Landschaftsmaler Theodor Küchel
1875/76 Schüler von Andreas Müller, Ernst Deger und Eugen Dücker an der Düsseldorfer Akademie
1877 Am 1. Oktober Übersiedlung nach Karlsruhe.
Mit Beginn des Studienjahres 1877/78 Schüler von Ernst Hildebrand an der Karlsruher Kunstschule
1878 Eintritt in die Klasse des norwegischen Landschaftsmalers Hans Frederik Gude
1881 Mietet sich in der Karlsruher Kunstschule ein Atelier. Erste Studienreise nach Holland (in den folgenden Jahren häufig wiederholt); trifft mit Gustav Schönleber zusammen
1886 Seit Herbst für ein Jahr Hilfslehrer in Schönlebers Stillebenklasse
1889 Am 2. Mai Bezug des neuen Hauses in Grötzingen
1891 Am 27. April Verleihung des Professorentitels ohne Geschäftsbereich
1893 Im Frühjahr Aufenthalt in Italien
1896-98 Präsident des Karlsruher Künstlerbundes
1898 Große Nordlandreise zur Vorbereitung der etwa 100 Blätter umfassenden Lithographienfolge „Ins Land der Mitternachtssonne. Tagebuch eines Malers“
1902 Am 1. Januar Übersiedlung nach Berlin, Übernahme – als Nachfolger Eugen Brachts – der Professur für Landschaftsmalerei an der Akademie
1904 Wahl zum Mitglied der Königlichen Akademie der Künste in Berlin
1911 Wahl zum Vorsitzenden der Genossenschaft bildender Künstler (bis 1918)
1918 Am 1. April Ende der Berliner Lehrtätigkeit und Übersiedlung nach Heidelberg
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1882 Margarethe, geb. Eber (Hormuth) (1857-1916), Malerin
Eltern: Vater: Friedrich Kallmorgen, Maurermeister, Bauunternehmer
Mutter: Christiane, geb. Boje
Geschwister: 5 Brüder, Georg und Willi (zwei weitere Brüder verstarben im Kindesalter)
Schwestern Mathilde, Helene und Anna
Kinder: 2:
Walter Wolfgang Friedrich (1883-1974), Dr. Ing., Regierungsbaurat
Helene Margarete Christine (1885-1968)
GND-ID: GND/118559591

Biografie: Rudolf Theilmann (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 3 (1990), 141-143

Als die Karlsruher Akademie in der letzten Dekade des vorigen Jahrhunderts weit über die Landesgrenzen hinaus in höchstem Ansehen stand und neben München als bedeutendstes Institut zur Ausbildung des künstlerischen Nachwuchses zitiert wurde, war dies nicht zuletzt auch ein Verdienst Kallmorgens. Obwohl er selbst in dieser Zeit kein Lehramt innehatte, lenkte sein früher Ruhm die Aufmerksamkeit der jungen Generation wie auch der Kunstkritik auf Karlsruhe. Jaro Springer, der für die Zeitschrift „Kunst für Alle“ Ausstellungen rezensierte, apostrophierte ihn im Jahre 1896 gar als denjenigen, „der in Karlsruhe am frühesten und energischsten modern malte.“
Bevor Kallmorgen 1877 nach Karlsruhe übersiedelte, war er Schüler des Landschaftsmalers Eugen Dücker an der Düsseldorfer Akademie. Dort lernte er auch Konrad Lessing, einen Sohn des damaligen Karlsruher Galeriedirektors Carl Friedrich Lessing, kennen, der ihm die Akademie der badischen Residenz zur künstlerischen Weiterbildung empfahl. Nachdem er ein Jahr die von Ernst Hildebrand geleitete Klasse für Genre-, Porträt- und Historienmalerei besucht hatte, wechselte er 1878 zu dem Landschafter Hans Frederik Gude. Seine damals in beiden Fachrichtungen – der Figuren- und der Landschaftskunst – gleichermaßen erworbenen technischen Kenntnisse befähigten ihn zu einer Reihe anspruchsvoller, erzählfreudiger Kompositionen, die ihm im Laufe der 1880er Jahre erste große Erfolge im In- und Ausland einbrachten (z. B. „Herbstsonne“, 1882; „Feierabend“, 1885; „Der Geschirrmarkt“, 1887; „Der blinde Geiger“, 1887; „Rheinüberschwemmung bei Karlsruhe“, 1888). Wenngleich in Kallmorgens Œuvre zahlreiche Landschaften ohne figürliches Beiwerk nachzuweisen sind, so kennzeichnet gerade die großformatig-repräsentativen Werke stets eine homogene Verbindung von Landschaft und Figur. In diesem anregenden Wechselspiel der Kräfte wurden die lebensnah aufgefaßten Staffagen gezielt als Stimmungsträger inszeniert. Die künstlerisch-ästhetische Überzeugungskraft dieser Kompositionen resultiert aus dem idealen Zusammenwirken von perfekter Zeichentechnik und geschmeidig modellierender Pinselführung. Die Gemälde sind jeweils das Ergebnis vielfältiger Landschafts- und Figurenstudien, wobei nichts dem Zufall überlassen blieb. Das unverkrampft-gelassene Arrangement verschiedenartiger Detailnotizen empfing vom Schaffen der gleichzeitig in Karlsruhe tätigen Akademieprofessoren Gustav Schönleber und Hermann Baisch wesentliche Impulse. Das künstlerische Credo dieser beiden angesehenen Lehrer hatte Kallmorgen zwangsläufig in ihre Nähe geführt, und sie waren es auch, die ihn 1881 erstmals mit der auch in späteren Jahren immer wieder aufgesuchten Landschaft Hollands bekannt machten.
Handelt es sich bei seinem gemalten Œuvre in der überwiegenden Mehrzahl um Darstellungen, die nach einem zuvor festgelegten Konzept im Atelier ausgeführt wurden, so befaßte er sich seit Ende der 1880er Jahre auch zunehmend mit der direkten Wiedergabe vorgefundener Wirklichkeit (z. B. „Maientag in Grötzingen“, 1889; „Pfinzwehr im Frühling“, um 1889/90; „Herbstlicher Wald“, um 1890; „Gewitterwolken über weiter Landschaft“, 1892; „Aufziehendes Gewitter“, um 1892; „Abend über Grötzingen“, um 1892). Diese thematisch anspruchslose Freilichtmalerei unterscheidet sich im künstlerischen Ansatz wesentlich von den inhaltsreichen, alle Schaffensphasen dominierenden Kompositionen: Die Bildformate sind intimer, die erzählende Figurenstaffage ist aufgegeben, die Palette bevorzugt eine helle, blühende Farbigkeit, die bislang fest umrissene Kontur verliert an Bestimmtheit und eine frisch zupackende Pinselführung mißachtet die penible Dingbeschreibung. In dieser Epoche, in der Kallmorgen einen wichtigen Beitrag zur Entfaltung impressionistischer Stiltendenzen in Deutschland leistete, war sein Interesse an der Schilderung heimatlicher Idyllen im Wandel der Jahreszeiten erwacht. Aus dieser Zeit datiert auch die Gründung der Grötzinger Malerkolonie, deren namhafteste Vertreter Kallmorgen und Gustav Kampmann waren.
Neben einer Vielzahl von Gemälden, in denen seit 1881 das von seinen Aufenthalten in Holland mitgebrachte reiche Studienmaterial verarbeitet wurde (z. B. „Holländischer Hafen“, 1884; „Rotterdam“, um 1885; „Schiffe im Hafen von Amsterdam“, 1889), entstand in den 1890er Jahren eine Reihe von Interieurs, die – zweifellos von inhaltlich verwandten Bildern Max Liebermanns angeregt – den in seiner häuslich-vertrauten Umgebung oder an seinem Arbeitsplatz beschäftigten Menschen zeigen (z. B. „Strickschule“, 1888; „Nähendes holländisches Mädchen“, vor 1894; „Flachsscheuer“, 1895). Gegen Ende des Jahrhunderts begann der Künstler mit den berühmt gewordenen Ansichten vom Hamburger Hafen, eine Bildserie, die er bis kurz vor seinem Tode in immer neuen Variationen – auch als Radierung und Lithographie – weiterführte. Die geschickt gewählten Bildausschnitte vermitteln eine lebendige Vorstellung von der emsigen Betriebsamkeit in den Hafenanlagen. Die Nachfrage nach diesen anschaulichen Milieuschilderungen scheint groß gewesen zu sein und Kallmorgen zu vermehrter und rascher Produktion gezwungen zu haben. Dieser fortgesetzte Leistungsdruck ist sicherlich eine wesentliche Ursache für das nach etwa 1910 zu beobachtende Abflauen des Qualitätsniveaus.
Kallmorgen war ein hochtalentierter, unermüdlicher Zeichner, der eine unübersehbare Zahl hervorragender Blätter hinterlassen hat. Es handelt sich dabei in erster Linie um Figuren- und Landschaftsstudien, die auf seinen häufigen Reisen in souveränem Zugriff entstanden sind und später vielen Gemälden als Arbeitsgrundlage dienten. Der spontan skizzierende, auch höchst effektvoll eingesetzte Bleistift, den er zeitlebens als Zeichenstift bevorzugte, notierte das ausgewählte Motiv mit sicherem, kontrastreichem Strich. Dabei interessierte ihn im Prinzip weniger das Detail als vielmehr die Verdeutlichung charakteristischer Wesenszüge.
Kallmorgens Œuvre ist geprägt von einer wirklichkeitsorientierten Kunstauffassung, die Erkenntnisse der Freilichtmalerei, wie sie vor der Jahrhundertwende vor allem von Fritz von Uhde und Liebermann entwickelt worden war, aufgreift und verarbeitet. Allerdings kritisierte er mit scharfen Worten Liebermanns einseitige „Propaganda“ für den französischen Impressionismus, da sie die gleichzeitige deutsche Malerei in unverantwortlicher Weise herabwürdige. Zeitgenössischen avantgardistischen Strömungen stand Kallmorgen ablehnend, ja betont feindselig gegenüber. In seinen (unveröffentlichten) Lebenserinnerungen definierte er sein Kunstverständnis unmißverständlich: „Ich bin immer noch überzeugt, daß die Natur und ihr Studium die Grundlage aller Kunst, daß Kunst von Können kommt und also Handwerk dazugehört und daß das, was die Leute Expressionismus, Futurismus, Kubismus usw. nennen, gar nichts, auch nicht das geringste mit Kunst zu tun hat.“
Gemälde Kallmorgens wurden auf zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland ausgezeichnet, so u. a. 1885 in Antwerpen (bronzene Medaille), 1887 in London (große goldene Medaille), Wien (zweite silberne Medaille) und Berlin (kleine goldene Medaille), 1888 in München (kleine goldene Medaille), 1889 in Melbourne (erste und zweite Medaille), 1890 in Bremen (goldener Eichenzweig), 1900 in Paris (bronzene Medaille für Lithographien), 1901 in Dresden (kleine goldene Medaille), 1904 in St. Louis/USA (zweite Medaille), 1905 in München (große goldene Medaille), 1908 in Berlin (große goldene Medaille) und 1909 in Wien (goldene Erzherzog Karl Ludwig-Medaille). 1906 wurde dem Künstler der Rote Adlerorden 4. Klasse sowie die österreichische goldene Staatsmedaille verliehen, 1911 erhielt er in Wien das Komturkreuz des Franz Joseph-Ordens.
Werke: Von Kallmorgens immensem malerischen und zeichnerischen Œuvre gelangten nur relativ wenige Beispiele in öffentlichen Besitz (z. B. Nationalgalerie Berlin West und Ost, Kunsthalle Bremen, Staatl. Kunstsammlungen Dresden, Museum Folkwang Essen, Städt. Galerie Frankfurt/M., Staatl. Galerie Moritzburg Halle, Altonaer Museum Hamburg, Hamburger Kunsthalle, Kestner-Museum Hannover, Staatl. Kunsthalle Karlsruhe, Städt. Galerie im Prinz Max-Palais Karlsruhe, Kunsthalle Kiel, Museum der bildenden Künste Leipzig, Kunsthalle Mannheim, Staatl. Graphische Sammlung München, Staatl. Kunstsammlungen Weimar). Der weitaus überwiegende Teil der Gemälde, Aquarelle und Handzeichnungen ging schon zu Lebzeiten des Künstlers in Privatsammlungen über.
Nachweis: Bildnachweise: Akat., Die Grötzinger Malerkolonie ..., Abb. S. 23.

Literatur: Akat., Die Grötzinger Malerkolonie. Die erste Generation, Staatl. Kunsthalle Karlsruhe, 1975/76, 13/14, 18, 20-24, 29, 44-55, 62-67, 87-101, 119, 121, 123, 170-196 (mit ausführlichen Angaben der bis 1975 erschienenen wichtigsten Literatur 94-96); Akat., F. Kallmorgen, Altonaer Museum Hamburg, 1975; NDB 11, 1977, 68/69; Beringer, Theilmann, 255 (mit Angaben der zwischen 1976 und 1979 erschienenen Literatur); Akat., Kunst in Karlsruhe 1900-1950, Staatl. Kunsthalle Karlsruhe, 1981, 21 ff., 154, Kat. Nr. 141, 142 mit Abb. 8,39; F.Kallmorgen, Ausstellung Galerie Herold, Hamburg 1981; P. Bussler, Malerparadies auf Zeit, Cuxhaven 1986, pass., mit Abb.; Aus der Mappe meines Großvaters. Bleistiftzeichnungen von F.Kallmorgen 1856-1924, ausgewählt und herausgegeben von H. Knab und G. Nehring-Knab, Karlsruhe o.J. (1989); I. Eder, F.Kallmorgen 18561924. Monografie und Werkverzeichnis, Diss. phil. Wien (in Vorbereitung).
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