Bassermann, Ernst 

Geburtsdatum/-ort: 26.07.1854;  Wolfach
Sterbedatum/-ort: 24.07.1917;  Baden-Baden
Beruf/Funktion:
  • nationalliberaler Parteiführer
Kurzbiografie: 1872-1876 Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg, Leipzig, Berlin, Straßburg und Freiburg
1880 Nach erster und zweiter Staatsprüfung Niederlassung als Rechtsanwalt in Mannheim
1887-1917 Stadtrat in Mannheim
1893-1917 Mitglied des Reichstags für verschiedene Wahlkreise
1893 Wahl in den Zentralvorstand der nationalliberalen Partei
1898 Wahl zum Vorsitzenden der nationalliberalen Reichstagsfraktion als Nachfolger und auf Vorschlag Rudolf von Bennigsens
1905 Wahl zum Vorsitzenden des Zentralvorstandes der nationalliberalen Partei
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1881 Julia, geb. Ladenburg
Eltern: Vater: Anton Bassermann, zuletzt Landgerichtspräsident in Mannheim
Mutter: Marie, geb. Eisenlohr
Kinder: 4, 1 Sohn, 3 Töchter
GND-ID: GND/118657526

Biografie: Lothar Gall (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 1 (1982), 28-29

Einer wohlhabenden Mannheimer Familie mit starker und sehr einheitlicher politischer Tradition entstammend – fast alle ihrer zahlreichen politisch aktiven Mitglieder standen auf dem rechten Flügel des Liberalismus und waren kleindeutsch-preußisch gesinnt – ist Bassermann ein typischer, wenn auch spätgeborener Vertreter des Nationalliberalismus der späten sechziger und frühen siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts gewesen. Wie dessen Mehrheit bejahte er, bei aller Kritik im einzelnen, die innere Struktur des Reiches und seines Verfassungssystems, sah er in Zentrum und Sozialdemokratie letztlich destruktive Kräfte, mit denen der Liberalismus niemals koalieren könne. Und wie bei den frühen Nationalliberalen war seine Politik wesentlich darauf ausgerichtet, die monarchische Regierung durch loyale Unterstützung zu Zugeständnissen im liberalen Sinne zu veranlassen und dem gebildeten und besitzenden Bürgertum auf diesem Weg eine seiner wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung entsprechende Stellung auch im staatlichen Leben zu verschaffen. An dieses enge, zunehmend weniger Spielraum lassende politische Koordinatensystem ist er Zeit seines Lebens gebunden geblieben, auch dann noch, als immer deutlicher wurde, daß die von ihm geführte Partei dadurch so oder so ins politische Abseits geriet, vor allem weil das stets bekämpfte Zentrum sich sowohl einer Rechts- wie auch, zumindest potentiell, einer Linkskoalition offenhielt und zudem dank seiner Stärke das Bündnis mit der Staatsmacht viel wirkungsvoller suchen, ja, erzwingen konnte als die Nationalliberalen.
Innerhalb der damit abgesteckten grundsätzlichen Grenzen seines politischen Programms und seiner politischen Taktik hat Bassermann allerdings dank seines politischen Geschicks, seines Augenmaßes für konkrete Situationen, seiner Flexibilität und nicht zuletzt dank seines hohen persönlichen Ansehens bei allen politischen Richtungen seiner Partei lange Zeit hindurch einen nicht unbeträchtlichen, über ihre tatsächliche Stärke hinausgehenden Einfluß zu sichern und eine ganze Reihe konkreter politischer Erfolge zu erringen vermocht. So hat er eine Wiederaufnahme der Repressionspolitik gegenüber der Linken auf gesetzlicher Grundlage (Umsturz- und Zuchthausvorlage), geleitet von festgegründeten rechtsstaatlichen Überzeugungen, erfolgreich bekämpft. So hat er sich einer Benachteiligung von Industrie und Handel durch die höchst einflußreiche Koalition der Agrarinteressenten, insbesondere in den entscheidenden Auseinandersetzungen um den Zolltarif im Jahre 1902, wirkungsvoll entgegengestellt. Und so hat er vor allem nach 1906 wesentlich zu der Auflösung der Koalition von Konservativen und Zentrum und der Errichtung eines die Regierung tragenden Bündnisses von Konservativen und Liberalen aller Schattierungen, des sogenannten Bülowblocks, beigetragen und alles darangesetzt, es zu stabilisieren. In diesem, freilich von Anfang an sehr lockeren und brüchigen Bündnis, auf dessen Entwicklung zu einem dauerhaften Kondominium agrarisch-konservativer und bürgerlich-liberaler Kräfte er vergeblich hoffte, sah er, in entschiedener Ablehnung des etwa von Friedrich Naumann propagierten Bündnisses von Liberalen und kooperationswilligen Sozialdemokraten, eines Blocks „von Bassermann bis Bebel“, das eigentliche Ziel seiner politischen Lebensarbeit. Von ihm erwartete er einen Ausgleich der inneren Spannungen des Reiches, vor allem auch auf sozial- und wirtschaftspolitischem Felde, und zugleich die Schaffung solider Grundlagen für die deutsche Außenpolitik im Sinne kolonialer Expansion und der Sicherung und des Ausbaus der Großmachtstellung – beides von ihm stets lebhaft befürwortete und unterstützte Ziele. Und nichts hat ihn denn auch so getroffen, wie die Auflösung dieses Bündnisses im Zuge der Auseinandersetzungen um die Reichsfinanzreform im Jahre 1909 und der darauf folgende Sturz seines Konstrukteurs, des Reichskanzlers Bülow. In diesem sah er, auch wenn er nicht blind war für dessen taktierende Oberflächlichkeit und Unzuverlässigkeit, den Mann, der den für den Nationalliberalismus so verhängnisvollen Kurswechsel von 1878/79 wieder rückgängig zu machen und der Partei und den von ihr vertretenen Gruppen ihren damaligen Einfluß zurückzugewinnen in der Lage sein würde. Daher hat er ihn über alle Mißgriffe hinweg, insbesondere auch in der berühmten Daily Telegraph-Affäre von 1908, unterstützt und ihn auch nach seinem Sturz immer wieder ins Spiel zu bringen versucht bis hin ins Jahr 1917, wo er ihn noch einmal als Nachfolger des von ihm leidenschaftlich bekämpften Bethmann Hollwegs zu präsentieren sich bemühte.
Bassermanns Politik ist in seiner eigenen Partei niemals unumstritten gewesen. Aber sie hatte die Macht der Parteitradition ebenso für sich wie die Tatsache, daß sie die stets auseinanderstrebenden Flügel zu integrieren vermochte, da sie ihrem Wesen nach auf den Kompromiß sowohl mit den Konservativen als auch mit den Linksliberalen hin angelegt war und zwischen diesen selber einen Ausgleich zu vermitteln suchte. So hat Bassermann Partei und Fraktion annähernd zwei Jahrzehnte über alle Veränderungen und Belastungen hinweg zusammenzuhalten und darüber hinaus eine bis dahin unbekannte Fraktionsdisziplin durchzusetzen vermocht. Ihre Wählerbasis zu erweitern ist ihm allerdings ebensowenig gelungen wie ihr eine dauerhafte interessenpolitische Fundierung zu verschaffen. Entsprechende Bemühungen seines Nachfolgers Stresemann hat er stets nur mit halbem Herzen unterstützt. Er blieb auch in dieser Hinsicht der liberale Parlamentarier älteren Stils, bewußtseinsmäßig Überzeugungen mehr verpflichtet als Interessen, auch wenn er letztere als Anwalt und als Aufsichtsrat großer Unternehmen durchaus geltend zu machen verstand und davon in konkreten wirtschaftspolitischen Einzelentscheidungen nicht unbeeinflußt blieb. Seine ganze Energie galt der Reichspolitik auf parlamentarischer Ebene. Ein staatliches Amt, von dem auf dem Höhepunkt seiner politischen Laufbahn, zur Zeit des Bülowblocks gelegentlich die Rede war – so sprach man etwa 1907 von seiner Betrauung mit dem Posten des Staatssekretärs des Reichsjustizamtes – hat er mit Rücksicht auf diese Verpflichtungen nie erstrebt. Auch eine zusätzliche Teilnahme am parlamentarischen Leben seiner engeren badischen Heimat, wo der Liberalismus eine ganz andere politische Stellung besaß, freilich mit der Annäherung an die Sozialdemokratie dann auch sehr andere Wege ging, hat er aus den gleichen Gründen stets abgelehnt. Nur in seiner Heimatstadt Mannheim blieb er bis zu seinem Tode als Stadtrat politisch tätig – auch in dieser Beziehung ein Liberaler alten Schlages, der stets zugleich ein mitverantwortlicher Bürger in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes zu bleiben suchte. Wie sehr er als solcher ein Mann des Kaiserreichs war, dessen Ende er nicht mehr erlebt hat, seiner Traditionen und Wertvorstellungen, zeigt geradezu symbolhaft die Tatsache, daß der damals sechzigjährige Parteiführer keinen Moment zögerte, sich im August 1914, nach Bewilligung der Kriegskredite, als Kriegsfreiwilliger zu melden: wenn es um das Reich ging, hatten die Parteien zurückzutreten, hatte „Burgfrieden“ zu herrschen; der Parteiführer war dann abkömmlich.
Werke: Die Nationalliberale Partei, in: Handbuch der Politik, 2 (1913), 25 ff.; Aus der Jugendzeit (1913).
Nachweis: Bildnachweise: Alte Mannheimer Familien. 4. Teil (1927), 160

Literatur: Ahnentafel des Rechtsanwalts und Stadtrats in Mannheim Ernst Bassermann, Mitglied des Deutschen Reichstags (1910); F. Mittelmann, Ernst Bassermann. Sein politisches Wirken. Reden und Aufsätze. Bd. 1: Zur auswärtigen Politik (1914); C. Bassermann, Ernst Bassermann. Das Lebensbild eines Parlamentariers aus Deutschlands glücklicher Zeit (1919); E. v. Roon-Bassermann, Ernst Bassermann. Eine politische Skizze (1925); G. Stresemann, Ernst Bassermann, in: ders., Reden und Schriften, 1 (1926), 140 ff.; H. Goldschmidt, Ernst Bassermann, in: Deutsches Biographisches Jahrbuch, Überleitungsbd. 2: 1917-1920 (1928), 13 ff.; Th. Eschenburg, Das Kaiserreich am Scheideweg. Bassermann, Bülow und der Block. Nach unveröffentlichten Papieren aus dem Nachlaß Ernst Bassermanns (1929); Th. Eschenburg, Ernst Bassermann, in: NDB, 1, 623.
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