Bucher, Ewald 

Geburtsdatum/-ort: 19.07.1914;  Rottenburg (Neckar)
Sterbedatum/-ort: 31.10.1991;  Mutlangen (Württemberg)
Beruf/Funktion:
  • Rechtsanwalt, FDP (DVP)-, seit 1984 CDU-Politiker, Bundesminister der Justiz und für Wohnungswesen und Städtebau
Kurzbiografie: 1921-1933 Volksschule und Progymnasium in Rottenburg, Realgymnasium in Schwäbisch Gmünd, 1933 Abitur
1933-1937 Studium der Rechte in Tübingen und München, unterbrochen durch einjährigen freiwilligen Wehrdienst, 1937 1. juristische Staatsprüfung
1938-1940 Referendar am Amtsgericht Schwäbisch Gmünd und am Landgericht München II
1940-1945 Kriegsdienst im Westen und Osten, Eisernes Kreuz I. Klasse, Eisernes Kreuz II. Klasse, Sturmabzeichen, Verwundung, zuletzt Leutnant und Batteriechef; 1941 Arbeitsurlaub zum Abschluß der Ausbildung, 2. juristische Staatsprüfung, Dr. jur. summa cum laude (Dissertation: „Die Juristen in der Frankfurter Nationalversammlung“ bei Prof. Claudius von Schwerin in München)
1945 Amerikanische Gefangenschaft in Ulm, Niederlassung als Rechtsanwalt in Schwäbisch Gmünd
1950 FDP (DVP)-Mitglied, 1952 Vorsitzender des Kreisverbandes Schwäbisch Gmünd, 1956 Mitglied des Bundesvorstandes der FDP, 1964 Stellvertretender Parteivorsitzender
1951-1956 Nebenberuflich Geschäftsführer des Landesverbandes der württembergischen Gewerbe- und Handelsvereine, 1956 Vorstandsmitglied
1953-1969 MdB, 1956-1962 Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, 1961-1962 deren stellvertretender Vorsitzender, 1962-1966 Mitglied des Fraktionsvorstands kraft Amtes; 1957-1961 Stellvertretender Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages
1962-1965 Bundesminister der Justiz (im fünften Kabinett Adenauer), 1965-1966 für Wohnungswesen und Städtebau (im zweiten Kabinett Erhard)
1964 Aachener „Orden wider den tierischen Ernst“
1964 Kandidat der FDP für das Amt des Bundespräsidenten bei der 4. Bundesversammlung in Berlin/Ostpreußenhalle (Ergebnis: 710 Stimmen für H. Lübke, 123 für Ewald Bucher)
1967-1991 Vorstandstätigkeit in städtebaulichen und wohnungswirtschaftlichen Verbänden
1972 Austritt aus der FDP
1984 Eintritt in die CDU
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet: 1940 (Westhausen) Ruth, geb. Haas
Eltern: Vater: Josef Bucher, Studienrat
Mutter: Frida, geb. Fischer
Geschwister: 2 Brüder, 1 Stiefschwester
Kinder: 1
GND-ID: GND/11866428X

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 75-80

Als sich der neunzehnjährige Abiturient zum Studium der Rechte entschloß, war dies alles andere als eine Verlegenheitslösung; von Neigung und Talent her hätte der hochbegabte Studiosus ebensogut Philosophie, Sprachen, Literatur oder Musik wählen können. Aber den jungen Mann faszinierten die als verbindlich anerkannten Nonnen des menschlichen Zusammenlebens, die Idee der Gerechtigkeit, die ihn lebenslang als tragender Grundsatz begleiten sollte. Der Gerichtsreferendar, der nach der kürzestmöglichen Semesterzahl die erste Staatsprüfung abgelegt hatte, gewann erste praktische Eindrücke vom juristischen Alltag in der in sich selbst ruhenden Behäbigkeit eines kleinen schwäbischen Amtsgerichts – eine Art von Behäbigkeit, die indessen nicht mit Ineffizienz verwechselt werden darf. Als der Vizepräsident des Stuttgarter Oberlandesgerichts einmal zu einer unangemeldeten Gerichtsvisite erschien und gegen 11 Uhr einen der Richter nicht in seinem Dienstzimmer antraf, wurde ihm von einem Angestellten des Gerichts bedeutet: „Wisset Se, der schafft in oiner Stund, was andere in sechs.“ Unter solchen Umständen blieb auch der Einfluß der braunen Machthaber auf die schwäbische Rechtspflege relativ gering.
1940 mußte Bucher einrücken, nahm am Frankreichfeldzug teil und erhielt danach den beantragten Arbeitsurlaub zum Abschluß seiner Ausbildung. Wieder stellte er sich nach der kürzestmöglichen Vorbereitungszeit den Prüfern im zweiten Staatsexamen, und zusätzlich legte er noch eine hervorragend beurteilte Dissertation vor. Dann aber hatte ihn der Krieg wieder in seinen Fängen. Bei einer Küstenartillerieabteilung am Kanal hatte er nicht viel auszustehen, aber an der Ostfront lernte er Unmenschlichkeit und Grausamkeit des Krieges in ihrem ganzen Ausmaß kennen. Am 17.7.1944 wurde er am Ladoga-See durch einen Granatsplitter in den rechten Oberschenkel verwundet, hatte sonst aber das unwahrscheinliche Glück aller, die das Inferno der Ostfront überlebten. In Schlesien war der Krieg für Bucher zu Ende, und er schlug sich im Mai 1945 auf abenteuerlichen Wegen und immer in der Gefahr, von den jeweiligen Besatzungstruppen aufgegriffen zu werden, über Riesen- und Erzgebirge in Richtung Heimat durch, erst mit Auto, dann zu Fuß – aber ausgerechnet eine einzige Tagesetappe vor der Heimkehr, in Oettingen bei Nördlingen, erwischten ihn die Amerikaner und setzten ihn sechs Wochen hinter Stacheldraht.
Nach der Entlassung nahm er die berufliche Tätigkeit auf und wurde 1945 in Schwäbisch Gmünd und Aalen als Rechtsanwalt zugelassen. Dann aber hatte er die schwierige Hürde des Entnazifizierungsverfahrens zu überwinden, in dem läßliche Jugendsünden zur Sprache kamen: 1931-1933 gehörte er dem NS-Schülerbund an, der 1933 aufgelöst wurde, aber die Mitgliedschaft wurde mit der in der HJ gleichgestellt, und so wurde ihm das goldene HJ-Abzeichen verliehen, obwohl er der HJ nie angehörte. Außerdem war er – formelles – Mitglied der NSDAP. Das über ihn verhängte 18monatige Berufsverbot (1947/48) überbrückte er durch Mitarbeit in der Praxis eines befreundeten Kollegen, bevor er dann im Sommer 1948 die endgültige Zulassung als Rechtsanwalt erhielt. Eigentliches Berufsziel wäre das Richteramt gewesen, aber dies verbot sich unter den damaligen Voraussetzungen.
Nun ließ sich eine Persönlichkeit wie Bucher mit so weitgespannten Interessen, für sein damaliges Lebensalter umfassenden Erfahrungen – auch bitteren – und einer selbstverständlichen Hinwendung zum öffentlichen Leben nicht auf das Anwaltsbüro einer schwäbischen Kleinstadt beschränken. Er wurde Mitglied der DVP, der württembergischen Partei mit einer großen liberal-demokratischen Tradition, und rückte nach nur drei Jahren Anlaufzeit im Jahre 1953 in den 2. Deutschen Bundestag ein, wo er durch seine immer geschliffenen Diskussionsbeiträge, seine Schlagfertigkeit und seine gründlichen juristischen Fachkenntnisse schnell bekannt wurde. Mehr oder weniger zwangsläufig fiel ihm im Jahre 1956 eine der Schlüsselpositionen des parlamentarischen Betriebs zu, eine der Durchgangsstationen zu höheren Ehren: er wurde Geschäftsführer seiner Fraktion. Ein Jahr später übernahm er das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden eines der zentralen Ausschüsse des Hauses, des Rechtsausschusses. Das Amt des Geschäftsführers – des „Whips“ (Einpeitschers), wie er im Unterhaus genannt wird –, des für den reibungslosen Ablauf der Fraktionsgeschäfte Verantwortlichen, entsprach in vieler Hinsicht den persönlichen Eigenschaften Buchers. Hier konnten sich seine Kontaktfähigkeit und sein Diskussionstalent mit einem immer wohldosierten Schuß Humors, aber auch die auf unumstrittener Fachkompetenz beruhende Autorität voll entfalten, auch bei der Wahrnehmung der politischen Chancen der Fraktion im Ältestenrat des Hauses. Nur ein einziges Beispiel für den weitreichenden Aktionsradius des politischen Managers der Fraktion – und zugleich eine entscheidende Etappe in Buchers parlamentarischer Laufbahn –: Im Zuge der Regierungsumbildung nach der „Spiegel“-Affäre erschienen Bucher, der „ausgezeichnete Geschäftsführer der FDP“, wie ihn Eugen Gerstenmaier in seinen Erinnerungen bezeichnete, und dessen Kollege Siegfried Zoglmann bei dem damaligen Bundestagspräsidenten mit einem kühnen, natürlich von der FDP-Fraktion autorisierten Plan: sie wollten Gerstenmaier als Kandidaten für ein konstruktives Mißtrauensvotum gegen Adenauer gewinnen, in der Hoffnung, daß die SPD und Teile der CDU/CSU in geheimer Abstimmung gegen Adenauer – der den Zenit seiner Popularität lange überschritten hatte – votieren würden. Aber Gerstenmaier lehnte ab, da er sich gegenüber Ludwig Erhard im Wort fühlte: „Er sollte seine Chance haben“, schreibt Gerstenmaier. „Es war eine ehrbare, aber falsche Entscheidung.“
Und nun schlug Ewald Buchers Stunde. Eine Woche nach dem schicksalhaften Gespräch mit Gerstenmaier wurde er im fünften und letzten Kabinett Adenauer Bundesjustizminister, gegen heftigen Widerstand vieler CDU/CSU-Abgeordneter, die ihn für zu „links-liberal“ hielten. Die bedeutenden Gesetzesvorhaben, die er während seiner Amtszeit verwirklichte, können hier nur in Stichworten angedeutet werden: er legte den Entwurf der viele Jahre hindurch hin- und hergeschobenen Großen Strafrechtsreform vor, schuf ein verbessertes Urheberrecht und trat bei vielen Gelegenheiten als beredter Streiter für die Meinungs- und Pressefreiheit auf, denen er einen höheren verfassungsmäßigen Rang als dem Staatsschutz zuordnete. Bei zwei Anlässen geriet der Justizminister Bucher während seiner Amtszeit in das grelle Scheinwerferlicht der Medien:
Die FDP lehnte die Wiederwahl des Bundespräsidenten Lübke für eine zweite Amtsperiode (1964-1969) ab und stellte einen eigenen Kandidaten, Bucher, auf, nachdem sich CDU/CSU und SPD auf Lübke festgelegt hatten. Der Langzeitstratege Herbert Wehner (SPD) wußte, daß Lübke für die von ihm, Wehner, seit langem angestrebte große Koalition eintrat, und mit der Wahl Lübkes durch die SPD und die Ablehnung des FDP-Kandidaten hoffte er einen weiterwuchernden Spaltpilz in die Koalition CDU/CSU-FDP einzupflanzen. Die Rechnung ging auf; zwei Jahre später brach die Koalition CDU/CSU-FDP auseinander, als man sich nicht auf den Haushalt 1967 einigen konnte; die große Koalition hatte ihren erst- und einmaligen Auftritt (1966-1969), und die FDP nahm auf den harten Bänken der Opposition Platz. Unter diesen Umständen war Buchers Kandidatur eine reine Zählkandidatur, ein „Opfer“ (Erich Mende), bei dem er sich noch dadurch zusätzlichen Ärger einhandelte, daß viele Zeitungen in wenig fairer Form sein Entnazifizierungsverfahren aufgriffen.
Das zweite Ereignis, das in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit dem Namen Buchers verbunden ist und das die deutsche Öffentlichkeit und darüber hinaus das Ausland viele Monate lang in Atem hielt und in zwei Lager spaltete, war die Auseinandersetzung über die Verjährung nationalsozialistischer Verbrechen. Die FDP-Fraktion hatte beschlossen, aus Gründen der Rechtssicherheit eine Änderung der zwanzigjährigen Verjährungsfrist für Mord abzulehnen. Dann hätten, wie CDU/CSU und SPD befürchteten, NS-Verbrecher nach 1965 in Deutschland spazierengehen können, ohne daß sie für ihre Untaten zur Rechenschaft gezogen werden könnten. In den Debatten des Deutschen Bundestages am 10. und 25. März 1965, die wegen ihres Niveaus und der Sachlichkeit der Diskussionsbeiträge von vielen zu den eindrucksvollsten Höhepunkten in der über vierzigjährigen Geschichte des Bundestages gerechnet werden, standen sich die gegensätzlichen Standpunkte unüberbrückbar gegenüber. Bucher und der frühere Justizminister Thomas Dehler wiesen darauf hin, daß eine Tat nur dann bestraft werden könne, wenn die Strafbarkeit vor Begehung der Tat gesetzlich festgelegt worden sei; eine Verlängerung der Verjährung verletze diesen fundamentalen rechtsstaatlichen Grundsatz. Die moralisch-politisch argumentierende Gegenseite erklärte, das deutsche Volk dürfe nicht mit den NS-Mördern identifiziert werden, es müsse „sich selber von diesen Mördern befreien“ können (Ernst Benda). Der Bundestag stimmte schließlich mit 364 gegen 96 Stimmen bei 4 Enthaltungen einem – auch von dem Altbundeskanzler Adenauer befürworteten – Kompromiß zu, auf Grund dessen der Beginn der strafrechtlichen Verjährungsfrist vom 8. Mai 1945 auf den 1. Januar 1950 verlegt wurde, da ja bis zur Entstehung der Bundesrepublik Deutschland keine Verfahren gegen NS-Täter hätten eingeleitet werden können. Die FDP-Fraktion lehnte diesen Kompromiß geschlossen ab, und am folgenden Tag – dem 26. März 1965 – trat Justizminister Bucher zurück. Aber schon nach einem halben Jahr gehörte er dem Kabinett wieder an, das Vertrauen seiner Fraktion berief ihn am 26.10.1965 in das Amt des Wohnungsbauministers, aber als sich – siehe oben – ein Jahr später die Meinungsverschiedenheiten über den Haushalt innerhalb der Koalition nicht ausgleichen ließen, traten die FDP-Minister, unter ihnen Bucher, am 27.10.1966 zurück. Erhard wurde gestürzt, und Herbert Wehner konnte sich am Zwischenziel seiner Politik, der großen Koalition, sehen. In der restlichen Zeit der 4. Wahlperiode, bis 1969, gehörte Bucher wieder dem Rechtsausschuß an.
1969 kehrte er ins Privatleben zurück und leistete Angeboten aus der Wirtschaft Folge: Er wurde Generalbevollmächtigter der Firma Dr. Koppe&Co KG in Mainz und wurde zum Vorsitzenden des Instituts für Städtebau, Wohnungswirtschaft und Bausparwesen (Arnold-Knoblauch-Institut) in Bonn gewählt. Auch der Verbandsrat des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumplanung e.V. in Köln wählte ihn zu seinem Vorsitzenden. Vor allem aber widmete er sich nun seinen philosophischen und schriftstellerischen Neigungen. Nachdem er schon im Jahre 1959 – erstaunlicherweise während seiner Tätigkeit als Fraktionsgeschäftsführer – Zeit und Muße gefunden hatte, über „Adalbert Stifters Witiko“ (Wiesbaden 1959) zu schreiben, ging er in der Stuttgarter Zeitung vom 6.8.1970 unbarmherzig mit dem berühmten Landsmann Hegel ins Gericht: „Ketzerisches im Hegel-Jahr“. Der Philosoph habe „in Hekatomben von Worten schlicht und einfach – nichts“ gelehrt; hätte er Falsches geschrieben, hätte man sich wenigstens damit auseinandersetzen können ... Die ungeteilte Zuneigung Buchers, des Vizepräsidenten der Schopenhauer-Gesellschaft, gehörte dem Autor von „Die Welt als Wille und Vorstellung“, dem er sich schon durch dessen Einstufung der Musik als Gipfels der Kunst verbunden wußte. „Schopenhauers Lebensweisheit heute“ erschien im 55. Schopenhauer-Jahrbuch 1974. Viele prominente Politiker der Bundesrepublik haben Erinnerungen und Memoiren hinterlassen; aber Bucher ist der einzige, der die Lebensgeschichte eines Dackels publiziert hat: „Dackeleien, Philosophische und auch sonst nützliche Betrachtungen anhand eines Dackels“, Mainz 1973. Dieser Rauhhaardackel, der unter anderem ein volles Weinglas auf seinem Kopf balancieren konnte, wurde berühmt und ging durch die Presse, und die in diesem Büchlein enthaltenen liebevollen Detailschilderungen und anhand des Dackelverhaltens angestellten Betrachtungen – etwa der etwas spitze Vergleich zwischen der bedeutend höheren Zahl von Ausdrucksmöglichkeiten des Hundes und dem Wortschatz eines bekannten Politikers – sind in gleicher Weise gescheit und belustigend. Bucher dürfte auch insofern ein Solitär unter den Bundesministern sein, als er während seiner Ministerzeit Unterrichtsstunden auf der von ihm sehr geliebten Querflöte nahm. Der Humor war eines der wichtigsten Lebenselixiere Buchers, der, etwas abweichend von seinem Mentor Schopenhauer, das Leben nicht für eine gar so mißliche Sache hielt, sondern die Dinge eben so ernst nahm, wie sie es verdienten – aber nicht ernster. Beleg: „Der blaue Spiegelbericht“ (Stuttgarter Zeitung vom 26.2.1963), eine dem „Grünen Bericht“ der Bundesregierung nachempfundene Eulenspiegelei, die zwar anonym erschien, aber eindeutig auf Bucher als federführenden Verfasser hinwies. Humor und Ironie kommen auch in den vom Deutschen Bundestag herausgegebenen Lebenserinnerungen „Aus Vor- und Hinterhöfen der Politik“ (Boppard am Rhein, 1990) voll zu ihrem Recht. Man wird lange suchen müssen, um ein in vergleichbarer Dichte, aber auch mit ebenso eleganter und lockerer Feder und menschlicher Wärme geschriebenes Stück Zeitgeschichte zu finden. Gerade deshalb wird man bedauern, daß der Verfasser, ein geistvoller Causeur und glänzender Stilist, „um die großen Hallen der Politik herumgegangen“ ist und sich bei der Beschreibung seines politischen Lebensabschnitts auf das natürlich auch hochinteressante Umfeld beschränkt hat. Auch sind seine Reisebilder – „Latein-Amerikanisches“, „Balkanesisches, insbesondere Böhmisches“, „Südtirol, die italienische Großfamilie und das Nationalgefühl“ – nicht nur vergnüglich zu lesen, sondern vermitteln auch kluge und zuweilen entlarvende Einblicke in die Mentalität und politische Problematik der bereisten Länder; natürlich sind die Porträts von Thomas Dehler und Reinhold Maier meisterhaft gezeichnet – schade, daß es nicht mehr sind –; aber die „Große Halle der Politik“, wie sie Bucher nennt, fehlt, sie sollte einem zweiten Band vorbehalten bleiben – „wenn es je einen geben sollte“ (Bucher) –, der leider nie erschien. Dafür aber hat Bucher in vielen größeren Aufsätzen und Abhandlungen zu den großen Zeitfragen der Politik Stellung genommen – Strafrechtsreform, Verjährung, Wohnungspolitik etc. – und in 77 großen Reden im Plenum des Deutschen Bundestages – neben vielen kürzeren Interventionen in Fragestunden usw. – die Grundzüge seiner politischen Entscheidungen erschöpfend dargelegt. Auf der Grundlage dieses reichen Materials ließe sich eine – bis jetzt noch nicht vorliegende – Gesamtbiographie des Menschen und Politikers Ewald Bucher aufbauen, in der sein hier notwendigerweise nur in kurzen Zügen geschilderter unverzichtbarer Beitrag zum Werden und Wachsen des Staates Bundesrepublik Deutschland im einzelnen dargestellt werden könnte.
In späteren Jahren hat Bucher nicht ohne weiteres erwartete politische Schwenkungen vollzogen: im Jahre 1972 trat er aus der FDP aus, da er die Festlegung der Partei auf das Regierungsbündnis mit den Sozialdemokraten für zu starr hielt. Die Protestformen der Nachrüstungsgegner, die er seit Beginn der achtziger Jahre in seinem Heimatort Mutlangen oft vor Augen hatte, verurteilte er als einen unerträglichen Bruch des Rechtsstaatsprinzips. Da könne man nicht abseits stehen und müsse Farbe bekennen, meinte er. 1984 schloß er sich der CDU an.
Quellen: Mitteilungen von Frau Ruth Bucher, Mutlangen; Deutscher Bundestag, Stenographische Berichte von der 170. Sitzung am 10. März 1965 (4. Wahlperiode) und der 175. Sitzung am 25. März 1965 (4. Wahlperiode); Verhandlungen des Bundesrates, Stenographische Berichte, 278. Sitzung, Bonn 1965.
Werke: Sechs Veröffentlichungen, zum Teil in Buchform, sind im Text erwähnt. In „Aus Vor- und Hinterhöfen der Politik“, 1990, 205-207, ist eine Auswahl von 27 Veröffentlichungen in Zeitschriften etc. enthalten, die um folgende weitere Aufsätze zu ergänzen ist: Abgeordnete antworten dem „Bürger im Staat“, in: Der Bürger im Staat, Heft 4/5, 1957; Die Situation der Bundesanwaltschaft, in: Deutsche Richterzeitung, Heft 6, 1963; Der Aufstand des Gewissens, in: Gehört – Gelesen, die interessantesten Sendungen des Bayerischen Rundfunks, 8/1964; Zivilprozeßreform, in: Deutsche Richterzeitung, Heft 11, 1964; Grußwort zur Eröffnung des 68. Deutschen Ärztetages am 21. Mai 1965 in Berlin, in: Deutsches Ärzteblatt, Heft 23, Köln 1965; Das Bild des Richters und Staatsanwalts, in: Deutsche Richterzeitung, Heft 8, 1965; Der liberale und soziale Rechtsstaat, in: Zeitschrift für Sozialreform 6/1965; Hochwertige Wohnungen zum günstigsten Preis, in: Bundesbankblatt Heft 6, 1966; Licht und Schatten bei der öffentlichen Subvention, in: Der langfristige Kredit, 1966; Gesetz, Exekutive, gute Sitten, in: liberal 9/1966; Fragen der künftigen Wohnungsbaufinanzierung, 1966; Die Sparförderung muß erhalten bleiben, in: Raiffeisen-Rundschau, Heft 5, 1966; Das Unbehagen über die Bodenpreissteigerungen. Wo ist der Ausweg?, in: Bundesbaublatt Heft 10, 1968; Politik im Bund, in: Christliche Verantwortung, hg. von Volker Hochgrebe, 1968; Mieterhöhungen für nicht preisgebundenen Wohnraum, in NJW 15/1972; Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft, in: Juristenzeitung 4/1975; Wie Tagespostleser das Kriegsende erlebten: Ewald Bucher, Die schönste und längste Wanderung meines Lebens, in: Gmünder Tagespost vom 03.05.1985.
Nachweis: Bildnachweise: in: Aus Vor- und Hinterhöfen der Politik (vgl. Werke) 9; Das Parlament vom 08.11.1991.

Literatur: (Auswahl) FDP-Abgeordneter übt scharfe Kritik an Adenauer-Rede, Die hohen Renten sind ein Betrug – Nato gegen Wiedervereinigung, in: Donauwörther Zeitung vom 27.10.1958; Ein Interview des Abgeordneten Dr. Bucher: Eindrücke seiner Reise nach Südtirol, in: Dolomiten vom 14.04.1959; Kritik am Parlamentarischen Stil, MdB Dr. Bucher warnt vor Versuchen, an den Grundfesten des Rechtsstaates zu rütteln, in: Oberhessische Presse vom 16.12.1959; Theo Sommer, Leidenschaft für das Recht, Ewald Buchers steile Karriere – Justizminister mit Prinzipientreue und Witz, in: Die Zeit vom 01.02.1963; Walter Henkels, Der Linksaußen der Freien Demokraten, Bonner Köpfe: Bundesjustizminister Dr. Ewald Bucher, in: FAZ vom 01.08.1963; Bertram Otto, Ewald Bucher, in: Kennen Sie eigentlich den? Persönlichkeiten des politischen Lebens Deutschlands, Bonn 1964; Justizminister Bucher vor dem Bundestag: Keine Revolution im neuen Strafrecht, in: Deutsche Zeitung mit Wirtschaftszeitung vom 28.03.1964; Ewald Bucher, in: Wirtschafts- und Sozialpolitik, Informationsdienst für die deutsche Wirtschaft, Redaktion Dr. Walter Bökel, vom 02.01.1965; Eduard Beaucamp, Schopenhauer, der Staatsphilosoph, Ewald Bucher vor der Schopenhauergesellschaft in Frankfurt, in: FAZ vom 05.01.1967; Kurt Gayer, Die Schwaben in Bonn, 1968; Eugen Gerstenmaier, Streit und Friede hat seine Zeit, Ein Lebensbericht, 1981; Johann Georg Reissmüller, Etwas anderes aus Mutlangen, eines früheren Ministers später Entschluß, in: FAZ vom 23.12.1983; Friedl Volgger, Mit Südtirol am Scheideweg. Erlebte Geschichte, 1984; Klaus Hildebrand, Von Erhard zur Großen Koalition, 1963-1969, in: Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, hg. von Karl-Dietrich Bracher, Theodor Eschenburg, Hans-Peter Schwarz, Joachim C. Fest, Eberhard Jäckel, 1984; Erich Mende, Von Wende zu Wende, 1962-1982, 1986; Hans-Peter Schwarz, Adenauer, Der Staatsmann, 1952-1967, 1991; Peter Juling, Erfolgreicher liberaler Justizminister. Zum Tode von Ewald Bucher, in: Das Parlament vom 08.11.1991; Munzinger Archiv 11/1992.
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