Büchner, Franz 

Geburtsdatum/-ort: 20.01.1895; Boppard am Rhein
Sterbedatum/-ort: 09.03.1991;  Freiburg im Br.
Beruf/Funktion:
  • Pathologe, Hauptinitiator der Christlichen Arbeitsgemeinschaft in Freiburg
Kurzbiografie: 1915-1917 Unteroffizier im I. Weltkrieg, nach Verwundung in den Champagne-Schlachten des Spätsommers 1916 schwer kriegsbeschädigt
1917-1921 Studium der Medizin an den Universitäten Münster, Heidelberg und Gießen
1922 Dissertation in Gießen bei Prof. Stepp: „Die Bedingungen der Gallenabsonderung, insbesondere unter dem Einfluss von Wasser“
1922-1933 Assistent von Ludwig Aschoff im Pathologischen Institut der Universität Freiburg
1927 Habilitation bei Ludwig Aschoff: „Die Histologie der peptischen Veränderungen und ihre Beziehungen zum Magenkarzinom“
1933-1936 Mitglied der medizinischen Fakultät Berlin als Direktor des Pathologischen Instituts des Krankenhauses am Friedrichshain
1936-1963 Inhaber des Lehrstuhles für Allgemeine und Spezielle Pathologie; zugleich Leiter des Pathologischen Instituts der Universität Freiburg
1938 Ernennung zum Beratenden Pathologen in der Sanitätsinspektion der Luftwaffe
1940 Einrichtung des „Instituts für Luftfahrtmedizinische Pathologie“ als Forschungseinrichtung des Sanitätswesens der Luftwaffe
1941 Vortrag „Der Eid des Hippokrates. Grundgesetze der ärztlichen Ethik“ – Protest gegen die Ermordung geistig Behinderter durch die Nationalsozialisten
1945 17. Jul. Zusammen mit Constantin von Dietze Hauptinitiator und Mitgründer der Christlichen Arbeitsgemeinschaft, aus der die BCSV/CDU hervorgegangen ist; zugleich Repräsentant für deren katholischen Flügel
1950-1969 Veröffentlichung des grundlegenden Lehrbuches „Allgemeine Pathologie – Pathologie als Biologie und als Beitrag der Lehre vom Menschen“
1963 1. Apr. Emeritierung
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: (Auswahl): Ehrenmitgliedschaft der Société d'Anatomie de Paris (1954); Stadtsiegel der Stadt Boppard (1960); Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (1965); Paracelsus-Medaille des Deutschen Ärztetages (1971); Romano-Guardini-Preis der Bayerischen Katholischen Akademie (1975); Rudolf von Virchow Medaille der Deutschen Gesellschaft für Pathologie (1981); Ehrenbürger der Stadt Freiburg im Br. 1985; Großes Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (1990)
Verheiratet: 1926 (Beuron) Elisabeth, geb. Nölke (1899-1995)
Eltern: Vater: Michael (1865-1928), Volksschullehrer
Mutter: Anna, geb. Pagés (1861-1943)
Geschwister: 4:
Anna Margarete (1891-1968)
Helene (1897-1950)
Karl (1898-1925)
Johannes (1902-1973)
Kinder: 6:
Franz Michael (geb. 1926)
Elisabeth (geb. 1928)
Christoph (geb. 1930)
Georg (geb. 1931)
Thomas (geb. 1934)
Bernward (geb. 1937)
GND-ID: GND/118664484

Biografie: Michael Kitzing (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 35-38

Zunächst sollte Büchner Gymnasiallehrer werden und studierte Philosophie und Philologie in Straßburg; nach einer schweren Verwundung im I. Weltkrieg setzte jedoch das erlebte Vorbild lebensrettender und selbst in Kriegszeiten seelisch betreuender Sanitätsoffiziere den Wendepunkt und er begann 1918 in Münster Medizin zu studieren; im Wintersemester 1919/20 bestand er das Physikum in Heidelberg und im Januar 1921 legte er das Staatsexamen in Gießen ab. Prägend während der Heidelberger Studienzeit waren die Vorlesungen des Pathologen Paul Ernst und das intensive Studium des Aschoffschen Lehrbuches „Allgemeine und Spezielle Pathologie“. Im Oktober 1922 fand Büchner als Assistent den Weg zu seinem Lehrer Ludwig Aschoff und somit in das Pathologische Institut der Universität Freiburg, wo er 1927 habilitiert wurde. In den Jahren 1933 bis 1936 übernahm Büchner dann die Leitung des Pathologischen Instituts des Krankenhauses am Friedrichshain der Stadt Berlin, bis er auf den Lehrstuhl seines Lehrers nach Freiburg berufen wurde.
Wie schon das Thema seiner Habilitationsschrift zeigt, hat sich Büchner mit den Ursachen der Ulcusbildung im Magen befasst und die Bedeutung der peptischen Belastung der Magenschleimhaut im Gegensatz zur damals häufig vertretenen Theorie von einer primären Ulcusbildung durch Zirkulationsströmungen erkannt. Diese Forschungen brachten grundlegende Erkenntnisse über normale und gestörte sekretorische Funktionen der Magenschleimhaut und des Zwölffingerdarmes. Neben einer Beschäftigung mit diversen Themen, wie der Kropfentstehung oder später den bahnbrechenden Studien zur Virushepatitis trat in den 1930er Jahren die Erforschung der Folgen der Hypoxie (Sauerstoffmangel in den Geweben), dann noch allgemeiner des Energiemangels in den Vordergrund. Besonders beschäftigte sich Büchner mit der Hypoxie des Herzens; seinen systematischen Forschungen ist die endgültige Aufklärung des Angina-pectoris-Schmerzes als Folge der Koronarsklerose und der hierbei auftretenden, zunächst kleinen ischämischen Myokardnekrosen zu verdanken, die dem eigentlichen Herzinfarkt vorausgehen. Die auch auf andere Organe (Leber, Niere) ausgedehnte Hypoxieforschung machte Büchner zum Experten für kriegsbedingte Probleme der Luftfahrtmedizin. So geriet er bald in die Rolle des „Beratenden Pathologen beim Sanitätsinspektor der Luftwaffe“, und in weiterer Konsequenz wurde beim Pathologischen Institut der Universität Freiburg ein „Institut für Luftfahrtmedizinische Pathologie“ eingerichtet, das seinem Leiter auch während des Kriegs Ressourcen für seine Forschungen, aber auch Freiraum in der Wahl seiner Mitarbeiter und einen gewissen Schutz vor parteipolitischer Knebelung gewähren sollte.
Auch der hohe militärische Rang ermöglichte es Büchner ausgehend von seinem christlich geprägten, humanistischen Wertvorstellungen öffentlich Kritik am NS-System zu formulieren. Am 18. November 1941 sprach er in der Aula der Universität vor mehreren hundert Zuhörern zum Thema „Der Eid des Hippokrates“ und protestierte dabei nachdrücklich gegen die „Euthanasie“, den seit Herbst 1939 staatlicherseits ins Werk gesetzten Mord an geistig Behinderten: „Jeder hippokratisch denkende Arzt wird sich dagegen verwahren, dass man das Leben seiner unheilbar Kranken als ein lebensunwertes Leben bezeichnet. ... Würde man aber dem Arzt zumuten, die Tötung unheilbar erkrankter anzuregen und durchzuführen, so hieße das, ihn zu einem Pakt mit dem Tode zu zwingen. Paktiert er aber mit dem Tod, so hört er auf, Arzt zu sein.“ Für die Griechen sei die Natur göttlichen Wesens gewesen und es habe als Hybris gegolten, sich das Recht der Gottheit anzumaßen, über Leben und Tod zu entscheiden. Aus genau diesem Grund sei auch im 20. Jahrhundert für den Christen, soweit er ernst mit seinem Christentum mache, die Entscheidung im Sinne des Hippokrates gegeben. Während des Vortrages verstand es Büchner geschickt, sein mutiges öffentliches Bekenntnis in ein historisches Gewand zu kleiden, indem er vorgeblich nur die 1920 erschienene Schrift der Freiburger Professoren Binding und Hoche „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form“ widerlegte. Mit keinem Wort ging Büchner auf die NS-Praxis der Krankenmorde ein, aber jeder der Zuhörer verstand, was gemeint war.
Trotz seines Protestes gegen die „Euthanasie“ legte Büchner sein Amt als Universitätsprofessor und Institutsleiter gleichwohl nicht nieder; als „Beratender Pathologe der Luftwaffe“ erlangte er Kenntnis von den medizinischen Verbrechen, die 1946/47 Gegenstand des Nürnberger Ärzteprozesses werden sollten. Dass Büchner gegen die tödlichen Versuche an Menschen von NS-Ärzten nicht öffentlich protestiert hatte, wurde ihm wie auch anderen bekannten Medizinern bereits 1947 erstmals vorgehalten; die Kontroverse um Büchner pflanzte sich in der Forschungsliteratur fort und mündete wenige Jahre nach seinem Tod in eine öffentliche Debatte um Büchners vermeintliche oder tatsächliche Verstrickung in das NS-Regime. Unbestritten ist jedoch, dass Büchner seinen Einfluss nutzte, um gegen Menschenversuche, wenn auch nicht immer öffentlich, Einspruch zu erheben.
Büchner zeigt also durchaus auch das ambivalente Bild eines deutschen Hochschullehrers, der einerseits tapfer, mutig und klug gegen Verbrechen des NS-Regimes protestierte, andererseits aber ein Teil des Systems blieb. Diesen Kurs hat Büchner selbst ausdrücklich als „Gratwanderung“ bezeichnet. Andere Professoren, die wie Büchner anerkannte Wissenschaftler waren, wollten nachträglich ihr angepasstes Mitläufertum als eine Form von Widerstand verstanden wissen. Dagegen hat Büchner den ihm zur Verfügung stehenden Handlungsspielraum tatsächlich für Widerstand im Sinne einer öffentlichen Stellungnahme gegen die „Euthanasie“ genutzt.
In der Nachkriegszeit gilt es neben den Verdiensten Büchners um den Wiederaufbau des im II. Weltkrieg durch Bomben fast völlig zerstörten Pathologischen Instituts vor allem die Rolle Büchners während der ersten Monate des demokratischen Neubeginnes zu würdigen: Bereits am 11. Mai 1945 brachte Büchner in einer Unterredung mit Erzbischof Gröber seine Auffassung zum Ausdruck, dass im künftigen Aufbau Deutschlands die christlichen Kräfte beider Konfessionen unter Vermeidung der Neuentwicklung konfessioneller Parteien sich zusammenfinden sollten. Zugleich setzte er sich für die Herausgabe der Schriftenreihe „Das christliche Deutschland 1933-1945“ ein. Ziel der Schriftenreihe sollte es sein, das christliche Selbstbewusstsein der Deutschen zu heben und den Siegermächten zu beweisen, dass es trotz allen Terrors noch ein sehr verantwortungs- und sich seiner Werte bewusstes christliches Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus gegeben hat. Die Herausgabe der Schriftenreihe wurde von Christen beider Konfessionen übernommen. Mit beiden Gedanken stieß Büchner sofort auf die lebhafte Zustimmung Gröbers; bezeichnenderweise ließ der Erzbischof den am gleichen Tage bei ihm gemeldeten Prälaten Föhr, der sich für die Neugründung der badischen Zentrumspartei einsetzen wollte, demonstrativ warten.
Schließlich erfolgte am 17. Juli 1945 in der Wohnung Büchners die Gründung der Christlichen Arbeitsgemeinschaft. Diese erstrebte unter der Leitung von Constantin von Dietze und Büchner die alsbaldige Errichtung einer christlichen Partei aus Angehörigen beider Bekenntnisse und bekämpfte systematisch die Wiedererrichtung der früheren bad. Zentrumspartei. Ohne selbst die Führung zu übernehmen, bereitete die christliche Arbeitsgemeinschaft vieles durch Gespräche mit Politikern christlicher Orientierung vor, die sich ihrerseits zu einer Parteigründung für die Angehörigen beider christlichen Kirchen vorbereiteten. Dabei bildeten die wöchentlich gehaltenen Referate zu Themen aus den Bereichen Wirtschaft, Politik und Soziales den Kern der weiteren Überlegungen. Die Christliche Arbeitsgemeinschaft wurde nicht zuletzt dank der Unterstützung durch den Erzbischof zur Keimzelle für die Gründung der BCSV/CDU.
Büchner hat als Sprecher der katholischen Mitglieder der Christlichen Arbeitsgemeinschaft durch sein rhetorisches und organisatorisches Talent überaus wichtige Vorarbeiten für die Gründung der BCSV/CDU geleistet und dies zu einem Zeitpunkt, als noch jede Parteigründung durch die französische Besatzungsmacht untersagt war. Ein politisches Amt hat Büchner jedoch nicht angestrebt – vielmehr hatte er als Ideengeber und Initiator wirken wollen. Aus diesem Grund hat er sich nach der erfolgten Gründung auch wieder aus der aktiven Politik zurückgezogen.
In der Folgezeit wandte sich Büchner wieder seinen wissenschaftlichen Studien zu und veröffentlichte in den Jahren 1950 bis 1969 das grundlegende Lehrbuch „Allgemeine Pathologie – Pathologie als Biologie und Beitrag zur Lehre vom Menschen“. Im Rahmen dieses Werkes stellte Büchner den Charakter der Allgemeinen Pathologie als Grundlagenwissenschaft bereits in der Einleitung heraus: „Mehr als alle besonderen Fragen der Medizin, sollten den Arzt drei Fragen nicht zur Ruhe kommen lassen: die Frage nach dem Wesen des Lebendigen, die Frage nach dem Wesen der Krankheit und die Frage nach dem Wesen des Menschen.“ Ausgehend von diesen drei Fragen hat Büchner auch nach seiner Emeritierung in zahlreichen Schriften von grundsätzlicher medizinphilosophischer Bedeutung sowohl die Stellung der Allgemeinen Pathologie als Grundlagenwissenschaft der Medizin, als auch den Standort der modernen Medizin in der Zivilisation unserer Tage beleuchtet.
Quellen: FamilienA Büchner Nachlass; StAF D180/2 Entnazifizierungs-Einzelfallakten, F. Büchner, C 25/2-71, Bad. Ministerium des Kultus u. Unterrichts (1945-1952), Pathologie; UA Freiburg B 24/ 4316, Personalakten des Rektorats, F. Büchner, B53/301, Personalakte Büchner, F., B 53/775, Büchner, F. 1927, B 53/ 8, Nachfolge Aschoff 1936, B 53/7, Medizin. Fakultät, Dekanat April 1945, B1/40, Rektorat, Neukonstituierung d. Universität 1945.
Werke: (Auswahl) Koronarinfarkt u. koronare Insuffizienz, 1939; Der Eid des Hippokrates, 1945; Allgemeine Pathologie – Pathologie als Biologie u. als Beitrag d. Lehre vom Menschen, 1950-1969; Vom geistigen Standort d. modernen Medizin, 1957; Von d. Größe u. Gefährdung d. modernen Medizin, 1961; Pläne u. Fügungen, 1965; Der Mensch in d. Sicht d. modernen Medizin, 1985; Die „Christliche Arbeitsgemeinschaft“ (1945) als Wegbereiterin einer christl. Partei beider Bekenntnisse, in: Paul Ludwig Weinacht (Hg.): Gelb-rot-gelbe Regierungsjahre, 1988, 89-96.
Nachweis: Bildnachweise: Pläne u. Fügungen, 1965, nach 48 (vgl. Werke).

Literatur: Eduard Seidler, Freiburger Professoren in d. Kritik: Paul Uhlenhut – F. Büchner, in: Freiburger Universitätsbll. H. 136, 1997, 11-22; Karl-Heinz Leven, Der Freiburger Pathologe F. Büchner 1941 – Widerstand mit u. ohne Hippokrates, in: Ulrich Tröhler/Karl-Heinz Leven: Medizin u. Nationalsozialismus, 2002, 362-395; Alexander Neumann, Medizin u. Krieg: Freiburger Ordinarien im Dienst d. Wehrmacht, ebd. 397-417; Karl-Heinz Leven, F. Büchner, in: Freiburger Biographien, 2002, 286 f.
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