Heck, Philipp Nicolai von 

Geburtsdatum/-ort: 22.07.1858; St. Petersburg (Russland)
Sterbedatum/-ort: 28.06.1943;  Tübingen
Beruf/Funktion:
  • Jurist, Hochschullehrer und Universitätsrektor in Tübingen
Kurzbiografie: 1877 Abitur am Königlichen Gymnasium Wiesbaden
1877-1878 Studium der Naturwissenschaften in Leipzig
1878-1881 Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg und Berlin, unterbrochen durch Wehrdienst (Einjährig-Freiwilliger) in Berlin; Abschluss mit preußischem Referendarexamen
1881-1885 preußisches Referendariat in Wiesbaden und Frankfurt am Main; Abschluss mit Assessorexamen
1886 Gerichtsassessor; juristischer Hilfsarbeiter am Amtsgericht Frankfurt am Main
1889 Promotion zum Dr. iur. in Berlin mit dem Thema: Zwei Beiträge zur Geschichte der Großen Haverei; Doktorvater Levin Goldschmidt. Im selben Jahr Habilitation für Deutsches Privatrecht, Handelsrecht und Deutsche Rechtsgeschichte in Berlin (Das Recht der Großen Haverei) bei Levin Goldschmidt und Otto von Gierke; anschließend Privatdozent in Berlin
1891 ordentlicher Prof. für Deutsches Privatrecht, Deutsche Reichs-und Rechtsgeschichte, Handels-, See-und Wechselrecht in Greifswald
1892 ordentlicher Prof. für Deutsche Rechtsgeschichte, Deutsches Privat- und Handelsrecht, Reichs- und Landesstaatsrecht und Kirchenrecht in Halle
1901 ordentlicher Prof. für Deutsches Recht, Handels- und Wechselrecht und Bürgerliches Recht in Tübingen
1904/05 Dekan der Juristischen Fakultät (erneut 1915/16, 1919/20, 1927/28)
1911/12 Rektor in Tübingen
1912 Ehrenkreuz des Württembergischen Kronenordens; Personaladel
1914-1915 Teilnahme am Ersten Weltkrieg als Reserveoffizier
1916 Wilhelmskreuz
1928 Emeritierung; Dr. rer. pol. h. c. (Universität Freiburg/Br.); Dr. phil. h. c. (Universität Tübingen)
1936 Mitglied der Akademie für Deutsches Recht
1938 Goethe-Medaille für Wissenschaft und Kunst
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.-ref.
Verheiratet: 1895 Helene, geb. Brückner, aus Dorpat (1873-1948)
Eltern: Vater: Johann Philipp Heck (1812-1883), Tischlermeister und Kaufmann, ursprünglich aus Birstein (Hessen), kam als Waisenkind zu Verwandten nach Russland, ab 1872 als Rentier in Wiesbaden ansässig
Mutter: Marie Luise, geb. Tuhr (1819-1897)
Geschwister: Karl (gest. 1884), 3 Schwestern, davon 2 unverheiratet verstorben
Kinder: Karl (1896-1997), Dr. iur., 1950 Präsident am Landgericht Tübingen, 1950-1954 Richter am Bundesgerichtshof, 1954-1965 Bundesverfassungsrichter
GND-ID: GND/118709429

Biografie: Martin Otto (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 101-104

Hecks Eltern lebten als deutsche Kaufmannsfamilie in St. Petersburg, wo es der aus kleinen Verhältnissen in Oberhessen stammende Vater zu Wohlstand gebracht hatte. Die Mutter stammte aus einer führenden deutschen Familie Russlands; zu ihr gehörte auch Hecks Onkel, der russische Senator Nikolaij von Thur, dessen Sohn Andreas (1864-1925), als Professor für Zivilrecht in Basel, Straßburg und Zürich Berühmtheit erlangte. Hecks Schwiegervater wurde der baltendeutsche Historiker Alexander Brückner (1835-1896); sein Sohn Karl heiratete die Tochter des Tübinger Fakultätskollegen Heinrich Stoll. Heck besuchte Schulen in St. Petersburg (Schule der Deutschreformierten Gemeinde), Würzburg (Privatunterricht) und schließlich (ab 1872) in Wiesbaden, wohin die Familie im selben Jahr, nicht zuletzt unter dem Eindruck der Reichsgründung, auch übergesiedelt war. Nachdem er zunächst ab 1878 in Leipzig Mathematik und Naturwissenschaften studierte, wechselte er im folgenden Jahr, unter dem Eindruck der Pandektenvorlesung von Bernhard Windscheid zur Rechtswissenschaft. Wechsel des Studienortes führten ihn zu Levin Goldschmidt (Heidelberg) sowie Otto von Gierke und Heinrich Brunner (Berlin). In Berlin leistete Heck als Einjährig-Freiwilliger in einem Gardedragonerregiment seinen Militärdienst. Dem vorwiegend in Hessen-Nassau verbrachten Referendardienst schlossen sich nach einer kurzen Zeit als Gerichtsassessor Promotion und Habilitation in Berlin an.
Die wissenschaftlichen Anfänge Hecks waren dem Handelsrecht und der deutschen Rechtsgeschichte gewidmet. Auf dem 21. Deutschen Juristentag 1891 in Köln hielt er als junger Professor das Referat „Wie ist den Missbräuchen, welche sich bei den Anzahlungsgeschäften herausgestellt haben, entgegen zu wirken?“ Als Rechtshistoriker fand er weder bei den Zeitgenossen noch später Anerkennung. Auch der rasche Wechsel an die Universität Halle (als Nachfolger von Eugen Huber) verschaffte ihm keine Bekanntheit über die Grenzen der Fakultät hinaus. Er gehörte aber zu den angesehenen Mitgliedern der Fakultät und befasste sich mit der altfriesischen Gerichtsverfassung und den karolingischen Volksrechten. Daneben befasste er sich mit dem Sachsenspiegel und suchte die Auseinandersetzung mit Fachkollegen wie Karl von Amira. Nicht zuletzt auf Vermittlung des Fakultätskollegen und Freundes Max Rümelin, der bereits 1895 von Halle nach Tübingen gewechselt war, gelang Heck 1901 der Wechsel auf das deutschrechtliche Ordinariat in Tübingen (als Nachfolger von Friedrich von Thudichum).
Seit 1902 gehörte Heck zu den Herausgebern des „Archivs für die civilistische Praxis.“ Nicht zuletzt wegen der geringen Professorenzahl der juristischen Fakultät (die Vertreter des Öffentlichen Rechts gehörten zur Staatswissenschaftlichen Fakultät) musste Heck verhältnismäßig oft das Dekanat bekleiden. Von 1911 bis 1912 hatte er das Rektorat inne. Zu seinen Verpflichtungen in diesem Amt gehörte es, eine Rede zum Geburtstag des Königs von Württemberg zu halten. Zum Geburtstag König Wilhelms II. am 25. Februar 1912 wählte Heck das Thema „Das Problem der Rechtsgewinnung.“ In dieser Rede umriss Heck erstmals die von ihm begründete „Interessenjurisprudenz.“ Es gelte bei der Rechtsgewinnung, die Rechtsgebote auf das Ineinandergreifen der im Leben hervortretenden Interessen“ abzustellen; insbesondere bei Gesetzeslücken sei auf die Interessen einzugehen. Jede richterliche Entscheidung sei letztlich eine „Abgrenzung einander gegenüberstehen der Interessen.“ Von der Begriffsjurisprudenz, darin teilweise an Ihering anknüpfend, wie auch von der aufkommenden Freirechtsschule grenzte sich Heck, teilweise auch in polemischer Form, entschieden ab. Über die Bekanntschaft mit dem teilweise gleichzeitig in Tübingen lehrenden Heinrich Triepel übte Heck wiederum auch die Dogmatik des öffentlichen Rechts aus; Einflüsse von Heck sind in der antipositivistischen „geisteswissenschaftlichen Richtung“ während des sogenannten „Methodenstreits“ deutlich zu erkennen. Das in der Geburtstagsrede umrissene Programm führte Heck dogmatisch in zahlreichen Aufsätzen und Monographien fort; am bedeutendsten sind die beiden Monographien „Gesetzesauslegungen und Interessenjurisprudenz“ (1914) sowie „Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz“. Zu der von Heck begründeten „Tübinger Schule der Interessenjurisprudenz“ gehörten ferner Max Rümelin und Heinrich Stoll (1891-1937), außerdem Rudolf Müller-Erzbach (1874-1959) und Ernst Stampe (1856-1941).
1928 wurde Heck emeritiert. Erst nach diesem Zeitpunkt betrat Heck mit seinen „Grundrissen zum Schuld- und Sachenrecht“ (1929/1930), die auf seiner Interessenjurisprudenz aufbauten, die Materie der Lehrbuchliteratur. An dem rechtswissenschaftlichen Diskurs nahm er weiterhin ungebrochen teil, insbesondere durch weitere Aufsätze zur Methodenlehre. Auch nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurde Heck geehrt, so durch die Verleihung der Goethemedaille 1936 und die Mitgliedschaft in der „Akademie für Deutsches Recht“.
Nach der Machtergreifung 1933 wurde die Interessenjurisprudenz von einer jüngeren Juristengeneration abgelehnt, darunter Carl Schmitt („Konkretes Ordnungsdenken“), Ernst Forsthoff („Totaler Staat“), Julius Binder (Rechtshegelianismus) und Karl Larenz (sogenannte „Kieler Schule“); sie beruhe auf überwundenen philosophischen und staatsrechtlichen Anschauungen und sei auf ein zu schaffendes nationalsozialistisches Recht nicht anwendbar. Heck setzte sich dagegen publizistisch mit Nachdruck zur Wehr und erklärte die Interessenjurisprudenz für eine nationalsozialistische Rechtserneuerung ausdrücklich geeignet. Zu seiner Verteidigung gehörten auch Verweise auf Hitler selbst („Wenn bei uns aus dem Rationalismus der Ausdrücke ein Schluss auf den Rationalismus der Weltanschauung gezogen wird, so ist dies ebenso unzulässig, wie es bei Hitler sein würde.“; AcP 136, 327). Auch dürfe der Richter die „Gesetze der Gegenwart“ nicht ablehnen, „sobald sie seinen Gefühlsurteilen widerstreben“; als beispielhaftes gegenwärtiges Gesetz nannte er „die Rassengesetzgebung“ (AcP 136, 331). Tatsächlich fehlte nach 1933 der Vorwurf nicht, die „Interessenjurisprudenz“ sei eine „jüdische“ Richtung (Rübke in: JW 1935, 1370); Heck entgegnete dem, er könne „den Ariernachweis erbringen“, die Freirechtsschule habe „auf Nichtarier anziehender gewirkt“ als „unsere gemäßigte und nüchterne Lehre“ (AcP 136, 151). Neuere Kritiker (U. Falk) sehen bei Heck ein „Andienen gegenüber den braunen Machthabern“ vorliegen.
Heck war politisch konservativ eingestellt und entstammte einem nationalliberalen Elternhaus. Er war Mitglied des Alldeutschen Verbandes, dessen Ortsvorsitzender er in Halle und Tübingen war. Seit 1901 eingeschriebener Nationalliberaler, gehörte er im Ersten Weltkrieg zu den Mitbegründern der Württembergischen Vaterlandspartei. 1918 orientierte er sich parteipolitisch zur DVP. Er war Ehrenmitglied der liberalen „Akademischen Verbindung Igel“ und bewohnte ein, auch für Studenten, gastfreundliches Haus auf der Neckarhalde 68 in Tübingen. Auf den nach seinem Rektorat verliehenen persönlichen Adel legte er wenig Wert. Auf einer öffentlichen Kundgebung in Tübingen zur Ermordung Rathenaus am 28. Juni 1922 bekannte sich Heck zur Weimarer Republik: „Ich halte die Republik für die zur Zeit einzig mögliche Staatsform. Ich beteilige mich nicht an Bestrebungen zu ihrer Umgestaltung und würde jeden Versuch gewaltsamer Änderung aufs schärfste verurteilen.“ Zudem stellte er sich hinter die Außenpolitik der Reichsregierung und die „Erfüllungspolitik“, obwohl er den Versailler Vertrag zutiefst ablehnte.
In seiner letzten Veröffentlichung von 1941 verteidigte er vehement den Allgemeinen Teil des Privatrechts gegen nationalsozialistische Reformbestrebungen. An nationalsozialistischen Aufrufen beteiligte sich Heck im Gegensatz zu zahlreichen Kollegen nicht. Hecks Konservatismus war vom 19. Jahrhundert geprägt; auch mit politisch liberaler denkenden Kollegen, etwa Wilhelm von Blume, war er freundschaftlich verbunden. Zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtergreifung stand Heck im 75. Lebensjahr; entschuldigen kann dies Äußerungen der letzten Jahre, die mehr als einen Schatten auf das beeindruckende Lebenswerk werfen, nicht.
Fast 85jährig verstarb Heck 1943 in Tübingen; die Trauerrede auf der Trauerfeier im Krematorium Reutlingen hielt Walter Schönfeld. Eine akademische Trauerfeier hatte sich Heck ausdrücklich verbeten. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Stadtfriedhof in Tübingen.
Methodische Kritiker halten Heck das Behaupten „unüberwindlicher Meinungsverschiedenheiten, wo es in Wirklichkeit um Nuancen der selben Bestrebungen ging“ (J. Esser) vor. Dabei darf nicht übersehen werden, dass sich die von Heck begründete Interessenjurisprudenz nicht als Rechtsphilosophie, „sondern als Unterweisung in der Kunst der Urteilsfindung“ verstand. „Eben als solche hat sie Vorzügliches geleistet“ (F. Wieacker).
Quellen: PA, UA Tübingen, (UAT 126).
Werke: (Auswahl) Diss. und Habilitation 1889 (wie oben); Der Sachsenspiegel und die Stände der Freien, 1905; Das Problem der Rechtsgewinnung, 1912; Grundriss des Schuldrechts, 1929; Grundriss des Sachenrechts, 1930; Übersetzungsprobleme im frühen Mittelalter, 1931; Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, 1932; Interessenjurisprudenz, 1932; Rechtserneuerung und juristische Methodenlehre, 1936; Das abstrakte dingliche Rechtsgeschäft, 1937; Zahlreiche Aufsätze im „Archiv für die civilistische Praxis“, dessen Hg. er von 1902 bis zu seinem Tode war.
Nachweis: Bildnachweise: Ölgemälde von M. Voigt (1910), im Besitz der Familie Heck, und Heck Lietzmann (1928), Univ. Tübingen, Abb. bei Elsener, Lebensbilder (vgl. Lit.); Porträtaufnahmen bei Engisch und Megías Quirós (vgl. Lit.).

Literatur: K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, 1956, 181 ff.; F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, 574 ff.; J. Esser, Nachwort, in: P. Heck, wichtigste methodische Schriften, hg. von W. Dubischar, 1968; W. Marschall von Bieberstein, in: NDB 8, 176 f.; F. Ebel u. a., Tübinger Dokumente zur Rechtsgeschichte (Ausstellungskataloge der Univ. Tübingen Nr. 1), 1974, 10; R. Dubischar, P. Heck 1858-1943, in: F. Elsener (Hg.), Lebensbilder zur Geschichte der Tübinger Juristenfakultät, 1977, 101-120; Y.-C. Shin, in: H.-B. Kim/W. Marschall von Bieberstein (Hg.), Zivilrechtslehrer deutscher Sprache. Lehrer-Schüler-Werke, 1988, 517; U. Falk, in: M. Stolleis (Hg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon, 1995, 275; J. Schröder, in: G. Kleinheyer/J. Schröder (Hg.), Deutsche und Europäische Juristen aus neun Jahrhunderten, 4. Aufl. 1996, 183-187; M. Wolf, P. Heck als Zivilrechtsdogmatiker. Studien zur dogmatischen Umsetzung seiner Methodenlehre, 1996; J. Oldag, Methode und Zivilrecht bei Heck (1858-1943), in: J. Rückert (Hg.), Fälle und Fallen in der neueren Methodik des Zivilrechts seit Savigny, 1997, 73-106; L. Jelowik, Tradition und Fortschritt. Die hallesche Juristenfakultät im 19. Jahrhundert, 1998, bes. 122 f.; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3, 1999, 275; U. M. Gassner, Heinrich Triepel. Leben und Werk, 1999, 59; G. Kotowski, Die öffentliche Univ., 1999, 90 ff.; Heck Schoppmeyer, Juristische Methode als Lebensaufgabe. Leben, Werk und Wirkungsgeschichte Hecks, 2001; J. J. Megías Quirós, in: Rafael Domingo (Hrsg.), Juristas universales, Volumen III, 2004, 706-711.
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