Sieburg, Friedrich Carl Maria 

Geburtsdatum/-ort: 18.05.1893; Altena/Westfalen
Sterbedatum/-ort: 19.07.1964;  Gärtringen/ Landkreis Böblingen, beigesetzt Stuttgart (Waldfriedhof)
Beruf/Funktion:
  • Journalist, Schriftsteller, Literaturkritiker
Kurzbiografie: 1899-1912 Volksschule und Gymnasium Altena, seit 1904/05 Düsseldorf mit Abitur
1912-1919 Studium der Philosophie, germanische und romanische Philologie, Geschichte und Nationalökonomie (Heidelberg, München, Freiburg i. Br., Münster); seit 1914 zugleich Kriegsdienst (Frankreich), seit 1916 Geschwader Richthofen. Promotion zum Dr. phil. bei Prof. Julius Schwering (Münster): „Die Grade der lyrischen Formung. Beiträge zu einer Ästhetik des lyrischen Stils“ (1919)
1919-1923 Literarisch-journalistische Tätigkeit in Berlin
1924-1939 Auslandskorrespondent der Frankfurter Zeitung in Kopenhagen, 1926-1939 Paris (unterbrochen 1930/32, London-Aufenthalt)
1939-1945 Diplomatischer Dienst Brüssel (1939/40), Paris (1940/42 und 1943/45); Redakteur und Feuilletonist bei der FZ (1942/43)
1948-1963 Zeitweilig Mitherausgeber „Die Gegenwart“; Mitarbeiter an „Die Zeit“ und FAZ; seit 1956 Leiter des Literaturblattes der FAZ
1953-1963 Ernennung zum Professor durch das Land Baden-Württemberg (1953); Mitglied der Westberliner Akademie der Künste (1956); Großes Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (1959); Westfälischer Literaturpreis (= Anette von Droste-Hülshoff-Preis, 1963)
1942-1964 Wohnhaft in Rübgarten (1942-1944), Tübingen-Bebenhausen (1944-1945), Birkenfeld, Nahe (1945-1946), Tübingen (1947-1952), Stuttgart (1952-1957), Gärtringen (1957-1964)
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet: 1. 1920 Berlin, Beate, geb. Finkh, Schauspielerin, 1921 gesch.
2. ca. 1924/25 Kopenhagen, Ellinor, geb. Kielgast-Wissing (1887-1959), Kinderbuchautorin, ca. 1939/40 gesch
3. 1942 Paris, Dorothee, geb. von Bülow, verw. von Pückler (1911-1975), 1944 gesch
4. 1963 Gärtringen, Alwine (Winnie), geb. Stephan, verw. Senfft, verw. Kiefer (1907-1993)
Eltern: Carl Ernst (1848-1930), Eisenbahnbeamter, später leitender Angestellter des Deutschen Stahlwerkverbandes Düsseldorf („Güter-Expedient“)
Clara Therese Emilie, geb. Edle Slop von Cadenberg (1857-1932)
Geschwister: 1 Bruder, 1 Schwester, ferner 2 Halbbrüder; 4 weitere Halbgeschwister früh verstorben
Kinder: 1 nichtehelichen Sohn (geb. 1922)
GND-ID: GND/118765191

Biografie: Clemens Siebler (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 384-388

Über viele Jahre seiner publizistischen Tätigkeit hinweg war Sieburg ein vom Erfolg verwöhnter Schriftsteller und Journalist. Bereits als langjähriger Auslandskorrespondent der Frankfurter Zeitung erfuhr er jene allgemeine Beachtung und Anerkennung, die ihm aus einer erstaunlich großen Zahl von Bewunderern lebenslang entgegengebracht wurde. Gerühmt waren vornehmlich seine umfassende Bildung und seine bestechende Formulierungskunst; und mit einer unverkennbaren Affinität zu aristokratischen Lebens- und Umgangsformen verstand er es meisterhaft, sich auf Dauer Geltung zu verschaffen.
Zu diesem Erscheinungsbild eines erfolgreichen, mit beneidenswerten menschlichen und intellektuellen Zügen ausgestatteten Schriftstellers trat jedoch der alternde Sieburg in einen auffälligen Gegensatz. Der einstmals so weltoffene und gesellschaftlich gewandte Publizist verfiel zunehmend einem Leben voller Bitterkeit, und in wachsendem Maße spiegelten seine Veröffentlichungen unverkennbare Züge der Gereiztheit und Verdüsterung wider. Unübersehbar war, wie er zum literarischen Zeitgeschmack der Nachkriegsepoche in Opposition trat, somit zugleich aber seine eigene Entfremdung und Isolierung bewirkte. Die Gründe für diese tiefgreifende Veränderung einer so selbstbewußten Persönlichkeit wird man in erster Linie mit dem gegen Sieburg erhobenen Vorwurf in Verbindung bringen müssen, sich während des Dritten Reiches als offensichtlicher Parteigänger des NS-Regimes kompromittiert zu haben.
Seine Kindheit hatte Sieburg im westfälischen Altena verbracht, doch seiner Herkunft und Mentalität nach fühlte er sich immer als Rheinländer. Schon mit sechzehn Jahren veröffentlichte er seine ersten Feuilletons in den „Düsseldorfer Nachrichten“. Prägenden Einfluß auf ihn hatte die Studienzeit in Heidelberg. Dort kam er mit der soziologischen Schule Max Webers und durch Friedrich Gundolf mit dem George-Kreis in Verbindung. Fast vier Jahre lang leistete er Kriegsdienst, zunächst als Infanterist, dann zwei Jahre als Kampfflieger und Luftoffizier. Nach Kriegsende schloß er in Münster seine Studien mit der Promotion ab. Sieburgs ursprünglicher Plan, sich in Philosophie zu habilitieren, wurde durch die Inflation vereitelt. Von der Sprache des jungen J. R. Becher (1891-1958) beeinflußt, veröffentlichte er 1920 einen Gedichtband „Die Erlösung der Straße“, in dem u. a. ein revolutionärer „Aufruf an Berlin“ sowie eine dem Martyrium Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts dargebotene poetische Huldigung überraschen. Sieburg beteuerte in späteren Jahren, damals nicht auf dem Weg der Weisheit, sondern auf dem natürlichen Weg der Leidenschaften Gedichte verfaßt zu haben und stufte sie als „Manifestationen eines unausgegorenen Lebensgefühls“ ein.
Nach dem Erscheinen des Prosabändchens „Oktoberlegende“ (1922) gab Sieburg seinen dichterischen Ehrgeiz auf und wurde Journalist. Seine Tätigkeit als freier Schriftsteller in Berlin hatte sich in denkbar schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen gestaltet, und so begann er 1924 für die Presse zu arbeiten. Als Korrespondent der FZ berichtete er zunächst aus Kopenhagen. Zwei Jahre später ging er nach Paris, wo er, von einer kurzfristigen Anstellung in London abgesehen, bis 1939 blieb. Diese „schönste Zeit seines Lebens“ in der französischen Hauptstadt erfuhr eine zusätzliche Bereicherung durch eine Reihe größerer Reisen (Portugal, Polen, Japan, Nordafrika, Arktis). Bereits 1929 war ihm mit dem Essay „Gott in Frankreich?“ der große schriftstellerische Durchbruch gelungen. In kurzen Abständen folgten zwei weitere Frankreichbücher, zunächst eine Publikation über die Indianer in den französischen Kolonien Nordamerikas („Frankreichs rote Kinder“) und „Vendee“, eine Episode aus der Französischen Revolution (beide 1931).
Wechselhaft und in den Einzelheiten nicht rekonstruierbar verlief Sieburgs Leben zwischen 1939 und 1945. Kurz vor Kriegsausbruch war er nach Deutschland gekommen und mit einigen anderen renommierten Journalisten in die neugegründete Informationsabteilung des Auswärtigen Amtes eingetreten. Nach der französischen Kapitulation ging er jedoch, nunmehr im Rang eines Botschaftsrates, nach Paris zurück. Seit Jahresbeginn 1942 als Feuilleton-Redakteur bei der FZ tätig, stieß er nach ihrer Einstellung (1.9.1943) abermals zum Auswärtigen Amt. Ob seiner Weltkenntnis und gesellschaftlichen Gewandtheit von den Vorgesetzten geschätzt, reiste er mit nicht näher bekannten Sonderaufträgen u. a. nach Rom, Lissabon und Madrid. Von seinem damaligen Wohnsitz im schwäbischen Rübgarten (Bülow’sches Schloß) aus arbeitete er während der verbleibenden eineinhalb Jahre für die Börsenzeitung, war zugleich aber auch Ehrenbegleiter der nach Sigmaringen verbrachten Mitglieder der Vichy-Regierung und somit nochmals im Dienst des Auswärtigen Amtes tätig. Das Kriegsende erlebte er in Tübingen-Bebenhausen, wo er von den einrückenden Franzosen festgesetzt wurde. Zwar war er bei ihnen noch immer wegen seines Frankreichbuches geschätzt; aber man hielt ihm sein Wirken an der Deutschen Botschaft während der Okkupationsjahre vor. Daher wies ihm die Militärregierung das Städtchen Birkenfeld im Nahetal als Zwangsaufenthalt an (1945/46). Das gleichzeitig über ihn verhängte Publikationsverbot blieb bis 1948 in Kraft.
Gegenstand der Kritik in den Kreisen derjenigen, die bei Sieburg nach dem Zusammenbruch des Jahres 1945 an die Wunde der politischen Vergangenheit rührten, war u. a. das Anfang 1933 erschienene Buch „Es werde Deutschland“. Noch Ende 1932 abgeschlossen und vom Autor selbst als Beitrag zum „Aufbau der Neuen Linken“ angekündigt, war es jedoch weit mehr dem Geist der „Konservativen Revolution“ verpflichtet. Obwohl Sieburg damals die Machtübernahme Hitlers als nationale Wiedergeburt begrüßte, wollte er sein Buch nicht als ein „Dokument des Dritten Reiches“ verstanden wissen. Hingegen hat er es im Vorwort der englischen Ausgabe unter dem Titel „Germany: My country“ (1933) als Teil der deutschen Revolution bezeichnet, die für ihn ‚ein Akt nationaler Selbstbewußtwerdung' war. Dem Wort und Geist nach ist hier ein „politischer Anpassungsdrang“ vernehmbar, der „dem Nationalsozialismus ‚innere Wahrheit‘ oder den Rang einer ‚rettenden Idee‘ attestierte“ (J. Fest). Wenn ihm seine Freunde den für jene Jahre „charakteristischen Lavierstil“ nachsahen, sprachen seine Gegner schonungslos von „Sklavensprache“.
Es gehört zu den Widersprüchlichkeiten des NS-Staates, daß das Buch „Es werde Deutschland“ zusammen mit Sieburgs „Die rote Arktis: ‚Malygins‘ empfindsame Reise“ (1932) verboten wurde. Für den Expeditionsbericht war dies nicht verwunderlich, denn der Vorstoß in das Polargebiet war auf einem sowjetischen Eisbrecher durchgeführt worden; hingegen fiel das Deutschlandbuch einer Art Sammelverdikt für konservative Tagesschriftsteller zum Opfer. Mit Ausnahme der Biographie „Robespierre“ (1935) wandte sich Sieburg daher in den folgenden Jahren der politisch weniger verdächtigen Reiseschriftstellerei zu, darunter vier bedeutendere Titel zwischen 1934 und 1939. Erwähnung verdient, daß Sieburg nach seinem Japanbuch „Die stählerne Blume“ (1939) nahezu ein volles Jahrzehnt als Schriftsteller nicht mehr in Erscheinung getreten war.
Sieburgs Wechsel in das Auswärtige Amt hatte zu zahlreichen Vermutungen und Spekulationen Anlaß gegeben. Angeblich wollte er auf diese Weise einer vorgesehenen Dienstverpflichrung an das im Aufbau begriffene Presseorgan „Das Reich“ entgehen, das als „publizistisches Schaufenster der neuen europäischen Vormacht“ gedacht war. Dabei dürften auch gesellschaftliche Aspekte mit im Spiel gewesen sein. Im Genuß der besonderen Wertschätzung von Rippentrops Gattin sowie der Freundschaft des als Botschafter im besetzten Frankreich vorgesehenen O. Abetz bot sich ihm eine ungeahnte Chance, ein glanzloses Journalistendasein mit der Rolle des Diplomaten zu vertauschen. Denkbar ist auch, daß er diesen Schritt aus einem fragwürdigen Bedürfnis nach Teilhabe an der durch den Staat verkörperten Macht getan hat. Sieburg, der bereits im Laufe der 1930er Jahre auf innere Distanz zum Nationalsozialismus gegangen war, fühlte sich aufgrund seiner elitären Denkweise und liberalen Geisteshaltung von den damaligen Machthabern nicht akzeptiert, eine Meinung, die auch seine Freunde teilten. Immerhin wurde im November 1942 sein Gesuch um Aufnahme in die NSDAP abgelehnt. Dennoch war es ein verhängnisvoller Trugschluß, sollte er tatsächlich geglaubt haben, sich im diplomatischen Dienst der befürchteten Vereinnahmung durch das politische Regime langfristig entziehen zu können. Vor allem in einer Rede, die Sieburg 1941 vor dem profaschistischen ,Groupe Collaboration‘ in Paris gehalten hatte, sahen seine Gegner einen letztgültigen Beweis für sein Parteigängertum mit dem Hitler-Regime. „Hier, in Ihrer Douce France, ist mein Charakter hart geworden. Frankreich hat mich zum Kämpfer und Nationalsozialisten erzogen ...“ War Sieburg ob dieser Erklärung in ihren Augen mit dem Stigma des „hochfeinen Kollaborateurs“ (F. Schonauer) behaftet, nahm man im anderen Lager das „nicht angenehme Dokument, das jedoch, verglichen mit Verlautbarungen anderer deutscher Journalisten seiner Generation, eher mild anmutet“ (M. Reich-Ranicki) zur Kenntnis und man glaubte sogar, darin das für Sieburg charakteristische „häufig etwas seltsam Unverbindliche, Verschlüsselte, elegant Doppelbödige“ wiederzuerkennen (J. Fest). Sieburg sah sich tief verletzt, als seine Rede bekannt und 1961 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.
Als Erfolgsautor und intellektuelle Führungsfigur der Nachkriegszeit fand Sieburg allgemeine Zustimmung und Bewunderung, und wegen seiner außergewöhnlichen literarischen Vielseitigkeit gab man ihm gern die ehrenvolle Bezeichnung ‚homme de lettres‘. Daß er dennoch umstritten war, lag zu einem guten Teil in seiner menschlichen und charakterlichen Wesensart. Es war seinem Ansehen wenig förderlich, wenn er sich allzu aggresiv zur Wehr setzte, jedwede Kritik von sich wies, stets darauf bedacht, „mit schweigendem Hochmut die Vergangenheit da zu übergehen, wo es um seine eigene Person geht“ (W. Haas). Letztlich hat er damit nur bewirkt, daß die politisch-literarischen Gegner glaubten, seine vermeintliche Einstellung zum Nationalsozialismus zur eigentlichen Zielscheibe ihrer Angriffe benutzen zu können.
Sieburg, der nach den leidvollen Erfahrungen der Vergangenheit gänzlich auf Distanz zur Politik gegangen war, fand mehr und mehr die ihm adäquate publizistische Ausdrucksform in der Literaturkritik. Seit 1948 war er zeitweiliger Mitherausgeber der Halbmonatszeitschrift „Die Gegenwart“, des weiteren Mitarbeiter bei der FAZ und der Wochenzeitschrift „Die Zeit“, wo er sich vorwiegend als Rezensent und Essayist betätigte. Nach Übernahme der Leitung des FAZ-Literaturblattes (1956) war er nicht nur ein geschätzter, sondern – im Hinblick auf das publizistisch-literarische Renommee der Zeitung – auch ein gefürchteter Literaturkritiker. Zu den nur schwer begreiflichen Absonderlichkeiten Sieburgs gehört, daß er in dieser Funktion vielen talentierten Schriftstellern nicht nur mit Widerwillen begegnete, sondern sie regelrecht mit beharrlicher Nicht-Beachtung bestrafte, so z. B. nahezu die ganze „Gruppe 47“. Eine auf den Erfahrungen der Geschichte gegründete Literatur des politisch-sozialen Engagements lehnte Sieburg entschieden ab; wo er sie kommentierte, tat er es meist mit Ironie und Hohn. Somit aber bedingten sich im Konflikt zwischen dem Kritiker Sieburg und den von ihm ungeliebten Autoren die oft bis zu tiefen Ressentiments gesteigerten Vorbehalte wechselseitig.
Für Sieburg selbst überaus nachteilig war, daß er durch offenkundige Versäumnisse gegenüber dieser jüngeren Schriftstellergeneration seine eigene Vereinsamung eingeleitet und beschleunigt hat. Wie mächtig er auch war: indem er sich selbst isolierte und schließlich von seinen Gegnern ignoriert wurde, hat er auf die Literatur der Nachkriegsära kaum Einfluß ausgeübt, wenn auch sein journalistischer Rang unbestritten war und seine Reputation nie ernsthaft beschädigt wurde.
Von Sieburg ist bekannt, daß er sich, genaugenommen, nur schreibend offenbarte. Gerade weil er sich über wichtige Phasen und Umstände seines Lebens fast gänzlich ausschwieg, sind seine beiden späten Biographien, „Napoleon. Die Hundert Tage“, (1956) und wohl sein reifstes und schönstes Buch, „Chateaubriand. Romantik und Politik“, (1959) besonders geeignet, um in das Gemüts- und Seelenleben des Autors tiefer einzudringen. Vor allem aber sind die im letzten Lebensjahrzehnt verfaßten Rezensionen ein meist getreues Spiegelbild seines empfindlich gereizten Lebensgefühls. Die unter dem Titel „Lust am Untergang“ (1954) erschienene Sammlung kulturkritischer Essays, die „als analysierende Betrachtung von Symptomen und Hintergründen bundesdeutscher Mißgefühle gedacht“ war (J. Fest), beschrieb eher Stimmungen und Depressionen eines Autors, der sich allzu sehr mit seinen eigenen Wunden beschäftigte und die er nicht ohne Selbstmitleid der Öffentlichkeit vorwies. Sieburg, einstmals mit einer untrüglichen Wahrnehmungsfähigkeit ausgestattet, beurteilte mit einem zunehmend verstellten Blick für die tieferen Realitäten die Dinge aus der subjektiven Sicht des ihm angetanen Unrechts und der ihm widerfahrenen Zurücksetzung. Besonders schmerzlich für ihn war, daß sich die deutsch-französische Aussöhnung ohne ihn vollzog und er dabei von keiner Seite zur Mitarbeit gebeten wurde.
Seit den ersten Nachkriegsjahren hielt sich Sieburg von Tübingen und Stuttgart aus immer wieder im Hause des mit ihm befreundeten Industriellenehepaares Erich und Alwine Kiefer in Gärtringen auf, wo er 1957 seinen Hauptwohnsitz nahm. Er selbst hat jene Gegend als „einzigartige, innige Landschaft“ gerühmt, der er „so viel Sammlung und Arbeitsruhe verdanke“. Seiner großbürgerlich-aristokratischen Lebensart entsprach es, daß er es glänzend verstand, sein Heim zu einer repräsentativen Residenz ganz nach persönlichem Geschmack zu machen und dort die Geselligkeit mit Journalisten, Schriftstellern und alten Freunden wie z. B. Ernst Jünger, Golo Mann und Carlo Schmid zu pflegen. Seit seiner Heirat mit der Witwe E. Kiefers (1963) bewohnte er die Villa „Schwalbenhof.
Angesichts des vielseitigen und überaus erfolgreichen Lebenswerkes überraschen die zahlreichen Sieburg zuteil gewordenen Ehrungen keineswegs. Erwähnung verdient, daß im zeitlichen Umfeld seines 70. Geburtstages ernsthaft damit gerechnet wurde, daß er in die Academie Francaise aufgenommen werde (W. Haas, F. Berner). Der Einzug des ersten und bislang einzigen Deutschen in den Kreis der 40 „Unsterblichen“ wäre, noch keine zwei Jahrzehnte nach Kriegsende, einer kulturpolitischen Sensation höchsten Ranges gleichgekommen.
Nur wenige Gestalten der neueren deutschen Publizistik sind von den bundesrepublikanischen Linken so verkannt worden wie Sieburg, wobei für sie vornehmlich sein von ihnen mißverstandenes und überzeichnetes Arrangement mit dem Hitler-Regime zum eigentlichen Stein des Anstoßes geworden war. Für M. Reich-Ranicki Grund genug, bereits 1967 Gerechtigkeit für den „mächtigsten Literaturkritiker von gestern“ zu fordern, ohne dabei Sieburgs antidemokratisches Denken am Beginn der 1930er Jahre zu bagatellisieren. Nach den teilweise recht scharfen und emotionsgeladenen Anschuldigungen, die zumeist erst nach Sieburgs Tod erhoben wurden, liegt das Verdienst einiger neuerer Untersuchungen in dem Bemühen, zu einer unvoreingenommenen und differenzierteren Sicht seiner Person zu gelangen. Im umfassendsten Sinn trifft dies für die Sieburg -Biographie von T. Krause zu.
Werke: Friedrich Sieburg, Das literarische Werk. Eine bibliographische Übersicht, in: K. A. Horst, Schreiben ist Leben. Zum 70. Geburtstag von Friedrich Sieburg am 18.5.1963, o.J., 59-61 und 63; Kürschner, Deutscher Literatur-Kalender. Nekrolog 1936-1970, 1973, 632-633; BWG, Bd. 11, 430, Nr. 6204, 1974; Gesamtverzeichnis des deutschsprachigen Schrifttums (GV) 1911-1965, Bd. 122, 1980, 97-100; P. Raabe, Die Autoren und Bücher des literarischen Expressionismus. Ein bibliographisches Handbuch in Zusammenarbeit mit I. Hannich-Bode, 1985, 437-439; Das literarische Werk, in: Werkausgabe Friedrich Sieburg, Bd. 6 (Neuausgabe 1986, 413-415); T. Krause, Friedrich Sieburg. Ein deutscher Publizist auf der Suche nach nationaler Identität, 1990, 303-306; ders., Mit Frankreich gegen das deutsche Sonderbewußtsein. Friedrich Sieburgs Wege und Wandlungen in diesem Jahrhundert, 1993, 327-329
Nachweis: Bildnachweise: K. A. Horst, Schreiben ist Leben; T. Krause, Mit Frankreich ..., 1993, Anhang; Die Schwalben fliegen hoch, 1994 (siehe Werke)

Literatur: N. N., Friedrich Sieburg. Im Spiegel und am Fenster, in: Der Spiegel, 1954, Nr. 8, 24-29; M. Miehlnickel, Feuilletonistische Sprache bei Friedrich Sieburg und S. von Radecki, Diss. phil., 1962; W. Haas, Ein Literat mit großen Möglichkeiten. Friedrich Sieburg wird heute 70 Jahre alt, in: Die Welt, 1963, Nr. 115, 5; K. A. Horst, Schreiben ist Leben. Zum 70. Geburtstag von Friedrich Sieburg am 18.5.1963, o.J.; W. J. Siedler, Plädoyer für einen linksschreibenden Rechten. Friedrich Sieburg zum 70. Geburtstag, in: Die Zeit, 18. Jg., Nr. 20, 18; A. Günther, Friedrich Sieburg. Zum Tode des Schriftstellers und Publizisten, in: Stuttgarter Zeitung, 20. Jg., Nr. 164, 9; Munzinger Archiv der Verstorbenen vom 12.09.1964; F. Berner, Friedrich Sieburg, in: Jahresring 65/66. Beiträge zur deutschen Literatur und Kunst der Gegenwart, 1965, 311-317; N. Benckiser, Ein Hundeleben und das schönste Abenteuer. Friedrich Sieburg (1893-1964), in: Zeitungsschreiber. Politiker, Dichter und Denker schreiben für den Tag, 1966, 277-280; K. Harpprecht, Beschädigte Paradiese, 104-109 (Epitaph auf Friedrich Sieburg), 1966; H. Daiber, Vor Deutschland wird gewarnt. 17 exemplarische Lebensläufe, 1967, 78-82 und 149-155; W. Süskind, Gekannt, verehrt, geliebt. 50 Nekrologe aus unserer Zeit, 1969, 100-104; K. A. Horst, Innerer Dialog. Friedrich Sieburg wäre 80 geworden, in: FAZ, 1973, Nr. 116 (Ereignisse und Gestalten, 2); H. Bienek, Friedrich Sieburg, in: Werkstattgespräche mit Schriftstellern, 3. Aufl. 1976, 219-235; J. Fest, Über Friedrich Sieburg, in: Journalisten über Journalisten, hg. von H. J. Schultz, 1980, 259-272 und 322; F. Schonauer, Der Schöngeist als Kollaborateur oder Wer war Friedrich Sieburg?, in: Intellektuelle im Bann des Nationalsozialismus, hg. von K. Corino, 1980, 107-119; J. C. Fest, Aufgehobene Vergangenheit. Portraits und Betrachtungen, 1981, 70-95; M. Flügge, Friedrich Sieburg. Frankreichbild und Frankreichpolitik 1933-1945, in: Vermittler. Deutsch-französisches Jahrbuch 1, hg. von J. Sieß, 1981, 197-218; D. Grieser, Begegnungen mit literarischen Witwen. Winnie Sieburg und die Franzosen, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Nr. 37, 2380/81, 1981, ebenso in D. G., Musen leben länger. Begegnungen mit Dichterwitwen, 1981, 167-172; F. Raddatz, Schreiben ist Leben. Ein Porträt, in: Die Zeit, 36. Jg., 1981, Nr. 10, 60; ders., Schreiben ist Leben, (erweitert) Vorwort, in: Werkausgabe Friedrich Sieburg, Bd. 1, 11-45, 1981; C. von Buddenbrock, Friedrich Sieburg. Sein Frankreichbild und seine Pariser Korrespondentenjahre 1926-1933, Memoire de Maitrise, Universität Paris IV, 1983; P. Heusch, Friedrich Sieburg. Gott in Frankreich? – Dieu est-il Francais? La double evolution d’un livre. Memoire de Maitrise, Universität Paris III, 1984; G. Gillessen, Auf verlorenem Posten. Die FZ im Dritten Reich, 1986, 72-75, 410-414, 490-491; M. Taureck, Friedrich Sieburg, 1987; C. Wilkie, Friedrich Sieburg. 25 Jahre tot, in: Neue Deutsche Hefte, 36. Jg., 1989, H. 2, 344-345; T. Krause, Friedrich Sieburg. Ein deutscher Publizist auf der Suche nach nationaler Identität, Diss. phil., 1990; ders., Mit Frankreich gegen das deutsche Sonderbewußtsein. Friedrich Sieburgs Wege und Wandlungen in diesem Jahrhundert, 1993; Die Schwalben fliegen hoch. Erinnerungen an Friedrich Sieburg zum 100. Geburtstag, Hg. Gemeinde Gärtringen, 1994; M. Reich-Ranicki, Die Anwälte der Literatur, Friedrich Sieburg, 1994, 237-245 und 349; C. von Buddenbrock, Friedrich Sieburg 1893-1964. Un journaliste à l’épreuve du siècle, 1999; M. Reich-Ranicki, Mein Leben, 1999, 396 ff., 429 f., 479
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