Klett, Arnulf 

Geburtsdatum/-ort: 08.04.1905;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 14.08.1974;  Bühl (Baden)
Beruf/Funktion:
  • Oberbürgermeister von Stuttgart
Kurzbiografie: 1923 Abitur
1923-1927 Studium der Rechtswissenschaften in Tübingen und München
1928 Promotion zum Dr. jur. in Tübingen bei Prof. Dr. Schoetensack
1927-1930 Referendar in Herrenberg und Stuttgart
1933 zwei Monate Haft im Konzentrationslager Heuberg
1944 zum Bürgermeisteramt Stuttgart notdienstverpflichtet
1945-1974 Oberbürgermeister von Stuttgart
1959 Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1. 1934 Stuttgart, Gertrud Melanie, geb. Mebold
2. 1950 Stuttgart, Yvonne Marta, geb. Göhring
Eltern: Vater: Theodor Gottlieb Klett (1861-1942), evangelischer Pfarrer
Mutter: Marie Auguste, geb. Helferich (1862-1922)
Geschwister: keine
Kinder: 1 Sohn aus 1. Ehe
1 Sohn, 2 Töchter aus 2. Ehe
GND-ID: GND/11877736X

Biografie: Paul Sauer (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 186-189

Über 29 Jahre stand Klett als Oberbürgermeister an der Spitze der Stadtverwaltung Stuttgart. Er hat entscheidenden Anteil am Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg schwer zerstörten Stadt und an ihrem Aufstieg zur modernen Wirtschaftsmetropole im deutschen Südwesten. Einer alteingesessenen württembergischen Familie entstammend, wuchs er auf der Schwäbischen Alb auf. Sein Vater war Pfarrer in Hengen bei Urach und später in Frickenhausen bei Nürtingen. Er besuchte das Realprogymnasium in Nürtingen und anschließend das Dillmann-Realgymnasium in Stuttgart. Seiner Neigung folgend, studierte er von 1923 bis 1927 an den Universitäten Tübingen und München Rechtswissenschaften. In Tübingen trat er der Studentenverbindung Igel bei, aus der viele württembergische Beamte hervorgegangen sind. Auch promovierte er dort 1928 zum Dr. jur. Nach einer dreijährigen Referendarzeit in Herrenberg und Stuttgart ließ er sich im Jahr 1930 in der württembergischen Landeshauptstadt als Rechtsanwalt nieder. Als entschiedener Gegner des Hitler-Regimes trat er Übergriffen der NS-Machthaber unerschrocken entgegen. In einer Denkschrift wies er nach, daß der nationalsozialistische Gauleiter und Reichsstatthalter Murr seine Beteiligung an der NS-Presse dazu nutzte, um die bürgerlichen Zeitungen Württembergs zu unterdrücken. Murr schickte den jungen Rechtsanwalt, weil er für ihn peinliche Dinge beim Namen genannt hatte, Ende 1933 für zwei Monate ins Konzentrationslager auf den Heuberg. 1937 gelang es Klett, aus privatrechtlichen Gründen ein Verbot für das erst kurz zuvor mit dem Schwäbischen Dichterpreis ausgezeichnete Buch des NS-Schriftstellers Bürkle zu erwirken. Im Krieg bewahrte er zahlreiche Angehörige der politischen Opposition und Soldaten vor schlimmen Strafen, zum Teil vor der Todesstrafe. In Minsk, Berlin, München und Paris trat er als Zivilverteidiger vor Militärgerichten auf. Durch Dr. Rudolf Pechel fand er den Weg in den Widerstand. Die von Hitler angesichts des sich abzeichnenden militärischen Zusammenbruchs Deutschlands angewandte Taktik der verbrannten Erde veranlaßte ihn im Verein mit anderen Persönlichkeiten, unter ihnen der spätere baden-württembergische Justizminister Dr. Wolfgang Haußmann, eine Aktionsgruppe zu bilden, um im Stadtbereich Stuttgart die sinnlose Zerstörung lebenswichtiger Verkehrs- und Versorgungseinrichtungen sowie Wirtschaftsbetriebe zu verhindern. Zu diesem Zweck nahm er auch Kontakt zu Oberbürgermeister Dr. Karl Strölin auf, der, obschon alter Nationalsozialist, dem Regime längst lediglich noch äußerlichen Gerhorsam leistete und ähnliche Ziele verfolgte.
Am 23. April 1945 übertrugen die Franzosen, die am Vortag Stuttgart in ihre Gewalt gebracht hatten, auf Empfehlung von Strölin Klett das Amt des Oberbürgermeisters. Dem seit November 1944 bei der Stadtverwaltung, Feststellungsbehörde für Kriegsschäden, Notdienstverpflichteten fiel die Entscheidung nicht leicht, unter Besatzungsherrschaft die Verantwortung für eine großenteils zerstörte, in einem chaotischen Zustand befindliche Stadt zu übernehmen. Doch mit der ihm eigenen Tatkraft machte er sich ans Werk, an die solidarische Mithilfe der Bürgerschaft appellierend, Zuversicht und ansteckende Schaffensfreude ausstrahlend. Die Franzosen und die sie als Besatzungsmacht am 8. Juli 1945 ablösenden Amerikaner merkten rasch, daß das von ihnen eingesetzte provisorische Stadtoberhaupt Stuttgarts kein bequemer Mann war. Zum gefügigen Befehlsempfänger eignete er sich nicht. Klett ließ von Anfang an keinen Zweifel, daß er sich als Sachwalter der Interessen der Bürgerschaft verstand. Die US-Besatzungsmacht, die offensichtlich in dem seitherigen Rechtsanwalt nicht ihren Wunschkandidaten auf dem Stuttgarter OB-Sessel sah, ließ sich ein Vierteljahr Zeit, ehe sie den selbstbewußten und standhaften Chef der Verwaltung der württemberg-badischen Landeshauptstadt in seinem Amt bestätigte und vereidigte. Vielleicht war Klett den Amerikanern zunächst auch deshalb nicht sonderlich genehm, weil er bereits im Mai den Franzosen bei der Suche nach Persönlichkeiten für leitende Funktionen in einer vorläufigen württembergischen Landesverwaltung behilflich gewesen war.
Jedem Bürokratismus abhold, einen großzügigen Führungs- und Verwaltungsstil praktizierend, der allerdings gelegentlich auch mit Bedacht gezogene Grenzen außer acht ließ, schaffte er es, unter schwierigsten Bedingungen tragfähige Fundamente für den Wiederaufbau Stuttgarts zu legen. Trümmerräumung und Trümmerverwertung hieß eines der vorrangigen Ziele, die er sich gesetzt hatte. Schon am 11. Mai 1945 nahm die Straßenbahn in einem Teilbereich ihres Streckennetzes den Betrieb wieder auf; bis 1946 konnten die schlimmsten Engpässe bei der Versorgung mit Wasser, Strom und Gas beseitigt werden. Die leicht beschädigten Wohnungen wurden instandgesetzt, um den in die Stadt zurückströmenden Evakuierten wenigstens notdürftige Unterkünfte zu bieten. 1946 vermochten im Stadtgebiet rund 50 000 Räume wieder bewohnbar gemacht zu werden. Der Oberbürgermeister ermutigte und unterstützte jede Eigeninitiative der Bürgerschaft, griff bei der Trümmerbeseitigung an Wochenenden mitunter selbst zur Schippe. Stuttgart war übrigens die erste trümmerfreie Großstadt in Deutschland.
Seit Oktober 1945 stand dem Oberbürgermeister ein Gemeindebeirat, seit Frühsommer 1946 der aus der Wahl vom 26. Mai jenes Jahres hervorgegangene Gemeinderat zur Seite. Am 19. Juli 1946 erlangte Klett mit der Wahl durch das Stadtparlament die demokratische Legitimation für sein Amt. Er war nicht länger das von der Besatzungsmacht eingesetzte und gänzlich von deren Wohlwollen abhängige Stadtoberhaupt. Am 7. März 1948, am 10. Januar 1954 und am 30. Januar 1966 wurde er jeweils von der Bürgerschaft wiedergewählt. Bei der letzten Wahl war allerdings ein zweiter Urnengang erforderlich gewesen; ein Teil der Bürgerschaft hatte dem Oberbürgermeister ein „absolutistisches Regiment“ auf dem Rathaus vorgeworfen, und obgleich von einem solch selbstherrlichen Verwaltungsstil nur in einem eingeschränkten Maß die Rede sein konnte, gelobte dieser, künftig mehr auf die an ihn herangetragenen Wünsche der Bürger zu hören. Seine humorvolle Art, sein dem Bürger „aufs Maul Schauen“, sein bei vielen Gelegenheiten erprobtes Reimetalent, vor allem aber sein unentwegtes Engagement für die Belange Stuttgarts und dessen Einwohner, seine Umsicht, sein ungewöhnlicher Fleiß und seine bewundernswerte Schaffenskraft erwarben Klett, obwohl er mehrmals in Skandale verwickelt war, so 1954 in den Bürkle-Finanzskandal, in allen Bevölkerungskreisen Respekt und große Beliebtheit. Ohne selbst einer politischen Partei anzugehören, kam er mit den wechselnden Mehrheiten des Gemeinderates stets gut zurecht. Er hatte den Mut auch zu unpopulären Maßnahmen und Entscheidungen. Was ihm richtig und zweckmäßig erschien, vertrat er beredt und hartnäckig. Nie jedoch verließ er den Boden der sachlichen Argumentation. Keiner seiner Kontrahenten konnte ihm fehlenden Takt und mangelndes Fingerspitzengefühl zum Vorwurf machen. Zwischen 1945 und 1974 geschah in Stuttgart kaum etwas von Belang, an dem er nicht maßgeblich beteiligt war.
Seit der Währungsreform vom Juni 1948 ging sein vorrangiges Bestreben dahin, Stuttgart einen angemessenen Platz unter den westdeutschen Großstädten zu verschaffen. Er tat alles, um die Infrastruktur der Stadt zu verbessern und zeitgemäßen Bedürfnissen anzupassen. Nachhaltig förderte er den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Schon frühzeitig erkannte er die Vorteile eines leistungsfähigen S- und U-Bahn-Netzes. Daß am 31. März 1958 der Stuttgarter Neckarhafen eingeweiht werden konnte, war mit auf sein Konto zu verbuchen, ebenso die Modernisierung des Stuttgarter Flughafens. Er war die treibende Kraft bei der zukunftsweisenden Lösung der Wasserversorgung der Stadt.
Am 30. Juli 1953 wurde er zum Vorsitzenden des Zweckverbandes Bodenseewasserversorgung gewählt. Ein großer Tag war für ihn deshalb der 16. Oktober 1958, der Tag, an dem er das Seepumpwerk Sipplingen in Betrieb setzte: Stuttgart erhielt sein erstes Bodenseewasser. Auch der weitere Ausbau der Landeswasserversorgung war ihm ein Anliegen. Anfang 1949 brachte er Stuttgart als künftige Bundeshauptstadt ins Gespräch, und er fand hierbei die Unterstützung des Staatspräsidenten von Württemberg-Hohenzollern und nachmaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Dr. Gebhard Müller, nicht aber die der württemberg-badischen Landesregierung und die des Gemeinderats. Die Bedeutung nicht nur der Industrie, sondern auch die des Handels und Handwerks für Stuttgart und seinen Wirtschaftsraum stufte er stets sehr hoch ein und ließ beiden seine Förderung zukommen. Gerne nahm er zur Kenntnis, daß er der größte „Bauernschultes“ in der Bundesrepublik war, und daß man ihn als Freund der „Wengerter“ bezeichnete. Er wußte um die Sorgen und Nöte des sogenannten kleinen Mannes und nahm sich ihrer an.
Besonders am Herzen lag ihm die Aussöhnung mit Frankreich und mit den anderen Kriegsgegnern Deutschlands. 1948 zählte er zu den Gründungsmitgliedern der Internationalen Bürgermeisterunion, deren langjähriger Vizepräsident er dann war. Bereits im August 1948 konnte er mit St. Helens (Großbritannien) die erste Städtepartnerschaft schließen, im Mai 1962 die zweite mit Straßburg. Sein hohes Renommée als Kommunalpolitiker trug ihm nicht nur 1961 die Ehrenbürgerwürde von Kansas City und 1964 die von Baton Rouge in den USA ein, sondern im Lauf der Jahre auch eine Vielzahl hoher Auszeichnungen von Ländern, die mit der Bundesrepublik freundschaftlich verbunden waren, so 1958 das Ritterkreuz, 1962 das Komturkreuz des Ordens der Französischen Ehrenlegion, ferner hohe Orden Schwedens, Österreichs, Finnlands, Griechenlands, Belgiens, Jordaniens, Marokkos, Italiens, Senegals und der USA. Die Bundesrepublik honorierte sein herausragendes kommunalpolitisches Wirken 1959 durch die Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes mit Stern.
Kultur und Geistesleben, ebenso die wissenschaftliche Forschung besaßen in Klett einen tatkräftigen Förderer. Schon während der desolaten Situation der ersten Nachkriegsjahre unternahm er hier große Anstrengungen. Der langjährige Generalintendant der Württembergischen Staatstheater, Professor Dr. Walter Erich Schäfer, attestierte dem Oberbürgermeister, daß diesem für die Kunst nichts zu viel gewesen sei. Wenn das Stuttgarter Theater nach dem Zweiten Weltkrieg aufblühte und einen hohen künstlerischen Standard erlangte, wenn das Ballett, das Kammerorchester und die Philharmoniker weltweit Triumphe feierten, dann war dies mit sein Verdienst. Er hatte wesentlichen Anteil am Bau der Liederhalle und an dem des Kleinen Hauses der Württembergischen Staatstheater. 1963 ehrte ihn die Technische Hochschule, die heutige Universität Stuttgart, vier Jahre später die Universität Stuttgart-Hohenheim durch die Verleihung der Würde eines Ehrensenators. Viel Freude bereiteten ihm die Ernennung zum Ehrenmitglied der Mark-Twain-Gesellschaft (USA) 1964 und die Verleihung der Willy-Reichert-Plakette von der Bürgergemeinschaft „Stuttgart soll attraktiver werden“ im Jahr 1973. Andere Auszeichnungen würdigten sein Engagement im Bereich des Sports, des Kur- und Bäderwesens, des Fremdenverkehrs, der Feuerwehr.
Die Zahl der von ihm übernommenen und mit großem persönlichen Einsatz ausgeübten Ehrenämter war Legion. Lediglich „ein Schaffer, Wühler und Hemdsärmel-Aufkrempler“, wie Hermann G. Haufler ihn einmal charakterisierte, behielt bei einer solchen Überfülle von Verpflichtungen den Kopf über dem Wasser. Nur einige wenige Ehrenämter können hier genannt werden: Im März 1974 wurde Klett zum ersten Vorsitzenden des württemberg-badischen Städtetags gewählt, kurz darauf zum Präsidialmitglied des neugegründeten Deutschen Städtetags. Von 1963 bis 1965 stand er an der Spitze des Deutschen Städtetags. Seit 1966 war er Präsident des Verbandes kommunaler Unternehmen e. V. Von 1949 an nahm er das viel Ziel, Kraft und Verhandlungsgeschick erforderliche Amt des Vorsitzenden der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände wahr. In zahlreichen Tarifauseinandersetzungen rang er mit den Vertretern der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst um einen für beide Seiten annehmbaren Kompromiß. Der langjährige Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), Heinz Kluncker, erkannte das Bemühen Kletts hoch an. Er nannte ihn einen Anwalt sozialer Gerechtigkeit. Viele Jahre hatte Klett den Vorsitz der Aufsichtsräte u. a. der Technischen Werke der Stadt Stuttgart AG, der Stuttgarter Straßenbahnen AG, der Industriehof AG Stuttgart, der Stuttgarter Ausstellungs-GmbH, der Flughafen Stuttgart AG, der Gasversorgung Südwestdeutschland GmbH inne.
1966 erneut für zwölf Jahre zum Oberbürgermeister gewählt, wollte Klett trotz zunehmender gesundheitlicher Probleme auch diese, seine letzte Amtszeit durchstehen. Er hoffte, 1977 die zweite Stuttgarter Bundesgartenschau eröffnen zu können, nachdem die erste im Sommer 1961 mit 6,8 Millionen Besuchern für die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg ein großer Erfolg gewesen war. Doch während eines Kuraufenthaltes auf der Bühler Höhe erlag der 69jährige einem Herzversagen und einer Lungenembolie. Das Amtsblatt der Stadt Stuttgart überschrieb den ihm gewidmeten Nachruf: „Sein Herz schlug stets für Stuttgart“.
Quellen: Stadtarchiv Stuttgart: Unterlagen Oberbürgermeister Dr. Arnulf Klett, Diebstahl und Unterschlagung unter Berücksichtigung sämtlicher Entwürfe (Vorentwurf 1909 bis Entwurf 1927), Tübinger Juristische Dissertation 1927
Werke: Rechenschaftsbericht des Stuttgarter Oberbürgermeisters: Ein Jahr Arbeit nach dem Zusammenbruch (1946); Zwei Jahre Aufbauarbeit in Stuttgart (1947); Bürger, Gemeinde, Staat (1948)
Nachweis: Bildnachweise: Stadtarchiv Stuttgart (zahlreiche Fotos); Festschrift, vgl. Literatur; Plastik von Hanne Schorp-Pflum von 1974 im Rathaus der Stadt Stuttgart

Literatur: Fünfundzwanzig Jahre Oberbürgermeister. Festschrift für Dr. Arnulf Klett (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart 3. Sonderband. Hg. von Kurt Leipner) (1971); NDB 12 (1980), 52 f. – Weitere Beiträge in: LbBW 1 Nr. 6241-6251, 10 Nr. 6657
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