Maas, Hermann Ludwig 

Geburtsdatum/-ort: 1877-08-05;  Gengenbach
Sterbedatum/-ort: 1970-09-27;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • evangelischer Prälat, Philosemit
Kurzbiografie: 1896 Abitur in Mannheim
1896-1900 Studium der Theologie in Halle, Straßburg und Heidelberg
1899/1900 I. und II. theologische Prüfung
1900-1903 Vikar in Rheinbischofsheim, Weingarten, Pforzheim und Lörrach
1903 Pastorationsgeistlicher in St. Blasien und Laufen
1906 Pfarrer in Laufen
1915 Pfarrer in Heidelberg
1943 Auf Drängen des NS-Staates „auf eigenen Wunsch“ in den Ruhestand versetzt
1946 Kreisdiakon (Prälat) im Kirchenkreis Nordbaden
1947 Ehrendoktor der Universität Heidelberg
1950-1952 Einladungen nach Israel: „Hermann-Maas-Wald“ auf dem Berge Gilboa; Träger der Yad-Vashem-Medaille der 36 Gerechten
1952 Ehrenbürger der Stadt Heidelberg
1954 Großes Bundesverdienstkreuz
1965 Versetzung in den Ruhestand
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1904 Kornelia, geb. Hesselbacher (1879-?)
Eltern: Vater: Philipp Maas, Pfarrer
Mutter: Marie, geb. Goos
Geschwister: 4
Kinder: 3 Töchter
GND-ID: GND/118817825

Biografie: Hermann Rückleben (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 2 (1987), 196-198

Maas gewann schon frühzeitig Kontakt zu seiner späteren Berufung; der Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen und noch weitergehend zwischen Christentum und Judentum. Die erste Phase seiner Bekanntschaft, „heiter und unbelastet“, wie er selbst urteilte, reicht bis in seine Kindheit. In Gengenbach existierte eine große jüdische Gemeinde, die ausgezeichnete Beziehungen zu seinem Vater, dem pastor loci, unterhielt. Entscheidend wurde das Treffen mit Theodor Herzl anläßlich des 6. Zionistischen Weltkongresses 1903 in Basel. Obwohl seither Befürworter eines "jüdischen Nationalstaates" wirkte auch die Forderung Ascher Ginsburgs nach einem geistigen Zentrum für das Judentum auf ihn und schuf jene Synthese, die später u. a. von Chaim Weizmann vertreten wurde.
Unmittelbar nach seiner Rückkehr von einem Stipendienaufenthalt aus dem Heiligen Land geriet Maas Ostern 1933 mit der NSDAP in Konflikt. Die Vorwürfe gegen ihn reichten zum Teil weit zurück: Seine Tätigkeit als demokratischer Stadtverordneter, die Beerdigung des aus der katholischen Kirche ausgetretenen Reichspräsidenten Ebert, seine Zugehörigkeit zu einer Loge, die auch Juden aufnahm, seine Unterschrift gegen Hitler unter den Aufruf des Hindenburgausschusses, gesellschaftlicher Verkehr mit Juden, Besuche der hiesigen Synagoge, Teilnahme am Versöhnungstag in der Mannheimer Synagoge sowie sein Vortrag dort (1932) und nicht zuletzt seine Stellungnahme bei den Kirchenwahlen gegen den DC-Kandidaten Pfarrer Rößger (Ilvesheim).
Anfang Juni 1933 verlangte nun die Kreispropagandaleitung Heidelberg, Maas von seiner öffentlichen seelsorgerischen Tätigkeit zu entbinden. Dekanat und Landesbischof bescheinigten dem Bedrängten zwar untadelige Amtsführung, konzedierten jedoch, daß er den anstehenden Sonntagsgottesdienst nicht hielt. Danach schrieb Maas den geradezu prophetisch anmutenden Satz: „Soweit ich zu sehen vermag, brauche ich dabei für mich persönlich...nicht soviel zu befürchten, als ich für die Kirche selbst befürchten muß.“
Mitte September 1933 intervenierte der Landesbischof noch einmal beim badischen Innenministerium und bat, Propagandaleitung und Polizeibehörde „strikt anzuweisen“, Maas in seinem Dienst künftig nicht mehr zu behindern. Vielleicht war diese Vorstellung, verbunden mit der Anweisung an den Betroffenen, sich auf seine „gemeindepfarramtliche Tätigkeit“ zu beschränken, der Grund dafür, daß Maas noch volle acht Jahre in seiner Gemeinde wirken konnte.
In eben diese Zeit aber fallen seine Aktivitäten zur Rettung jüdischer Mitbürger etwa über das „Büro Grüber“. Gemeinsam mit dem Bischof von Chichester und der jüdischen Emigrantenzentrale in London bewirkte er die Anwerbung jüdischer Mädchen als Hausgehilfinnen. Englische Freunde waren es auch, mit deren Hilfe bedrängten jüdischen Akademikern die Ausreise ermöglicht wurde. Wie gefährlich diese Aktionen waren, geht daraus hervor, daß Maas mehrfach von der Gestapo verhört und Leibesvisitationen unterzogen wurde, oft entging er nur durch Zufall einer Entdeckung.
Dem zunehmenden inneren Terror und der allgegenwärtigen Gestapo freilich konnte Maas auf Dauer dennoch nicht entgehen: Im August 1940 wurde er ohne Begründung als Heidelberger Standortpfarrer abgelöst, und 18 Monate später wurde ihm die Befugnis, Religionsunterricht zu erteilen, mit der Begründung entzogen: Zugehörigkeit zu der Loge „Zur Wahrheit und Treue“ und zum „Pro Palästina Komitee“; ferner wurden angeführt ein seelsorgerlicher Brief an einen Judenchristen nach der Kristallnacht sowie offenkundiges Mitgefühl für die evakuierten Juden im Oktober 1940 und wiederholte Taufen von „Mischlingen und Juden“ bis 1941.
Wohl bekam er Gelegenheit zur Rechtfertigung vor dem Evangelischen Oberkirchenrat, doch mußte er sich sagen lassen, daß die Taufe von Juden aus anderen Gemeinden nicht seines Amtes wäre. Er erhielt daher offiziell eine wenn auch nur sehr milde „Warnung“ gemäß § 1, 5 und 6 der Disziplinarordnung der DEK. Das Ende seiner pfarramtlichen Tätigkeit bahnte sich für ihn im März 1943 an, als die Gestapo bei Frau Tana von Mettenheim, einer Volljüdin, in Frankfurt mehrere Briefe fand mit herber Kritik an der Behandlung jüdischer Mitbürger einerseits und Solidarität mit den Gepeinigten andererseits: Maas schrieb Anfang November 1940 nach Beginn der badischen Evakuierung: „Ich suche alles zusammen um den ersteren durch Freunde in der Schweiz helfen zu können. Einer, vielleicht der einzige Zielort für die 7 000 bis 9 000 Menschen ist wohl Camp de Gurs ... Dort ist schon ein Pfarrer eingetroffen. Jetzt geht es um die Wege zur Kommunikation mit ihnen ... Leider mußten einige Witwen, deren arische Männer tot sind, mit. Namenloses Herzeleid ist geschehen ... wenn ich noch eine Weile leben sollte, wollte ich ein Buch der Anfechtung schreiben, ... Heute quäle ich mich daß ich nicht gebeten habe, mitzudürfen und mit diesen armen Brüdern und Schwestern zu sterben ...“.
Dieses Material war eindeutig, wohl versuchte der Evangelische Oberkirchenrat zu retten, was noch möglich war – allein Kultusminister und Finanzabteilung blieben unerbittlich. Maas zog daher seine vorzeitige Pensionierung in Erwägung, nicht zuletzt, um der Kirche „keine weiteren Schwierigkeiten zu bereiten“. Am 1. Juli 1943 schied er aus dem aktiven Dienst aus, und Anfang Dezember räumte er das Pfarrhaus.
Über sein Schicksal im Jahre 1944 bis zur Kapitulation ist wenig bekannt. Fest steht jedoch, daß er als 67jähriger noch zu Zwangsarbeit verurteilt wurde. Der Anlaß ist unbekannt: „Nach Frankreich deportiert, mußte der ... Geistliche unter den Flüchen und Peitschenhieben der Naziaufseher Wassergräben ausheben“. Diese Leidenszeit endete erst mit dem Einmarsch der Amerikaner, die ihn nach Heidelberg zurückbrachten, wo er sogleich die Leitung eines Hilfsfonds für rassisch Verfolgte übernahm.
Im Zuge der Neuordnung der badischen Landeskirche wurde Maas 1946 zum Kreisdekan – heute Prälat – ernannt; danach begann für den nahezu Siebzigjährigen die eigentliche Berufungszeit – gleichsam auf höherer Ebene. Anfang 1950 erhielt er als erster Deutscher eine offizielle Einladung nach Israel. Nach seiner Landung heftete man ihm eine Plakette an: „Baruch ha ba“ – Gelobt sei, der da kommt (im Namen des Herrn, Psalm 118). Fünf Jahre nach Ausschwitz! Fortan häuften sich die Ehrungen: der „Hermann-Maas-Wald“ auf dem Berge Gilboa und die Verleihung der Yad-Vashem-Medaille der 36 Gerechten. 1967 durfte der Neunzigjährige seinen Baum in der Allee der Gerechten pflanzen – eine der glücklichsten Stunden seines Lebens (Levinson). Sichtbares Zeichen dieser ersten Nachkriegsreise war eine kleine Broschüre „Skizzen von einer Fahrt nach Israel“ Hier sind im Grunde alle jene auf Versöhnung gerichteten Gedanken, die sich in seiner Schrift „– und will Rachels Kinder wieder bringen in das Land“, seinem eigentlichen Vermächtnis, finden, vorgeprägt: „Wer heute (1952!) sagt, Israel sei unversöhnlich, der weiß nichts von diesem Volk. Sie klagen gar nicht an und sagen ihr tiefstes Leid nur dem, den sie liebhaben.“
Pfarrer Heinz Kappes, als „Religiöser Sozialist“ selbst Verfolgter des NS-Regimes, bekennt: Maas ist „der einzige Deutsche, der Vollmacht hat, unmittelbar aus der Seele Israels zur Seele Israels zu sprechen“; denn er führt seine Leser durch seelsorgliche Behutsamkeit zum Verständnis christlich-jüdischer Problematik und damit „zur Buße“.
Darüber hinaus verdanken wir Maas eine der besten Zionismus-Definitionen. In ihm „verbindet sich Hingabe und Opfer für das Land und Volk ... mit dem echten Humanismus ... Dieser Zionismus erschöpft sich nicht in patriotischen Gefühlen oder Nationalismus. Er ist Glaube, ist Politik aus dem Glauben und er ist Tat; er überbaut das kulturzionistische Ideal durch das chaluzische. Er ist Heimkehr aus dem Getto, aus der Verstümmelung des Lebens in seiner Totalität und das Heil. Wo sich Israel für Zion entscheidet, ist es gesegnet.“ („Rahels Kinder ...“, 47 f.). Alle dem Zionismus scheinbar anhaftenden Widersprüche finden ihre Lösung in der Hoffnung auf den „Maschiach“. Wo aber sollte er wiederkommen, wenn nicht im Lande der Verheißung? So ist die messianische Hoffnung mit dem konkreten Zion verbunden, in dem das konkrete Volk Israel wohnt und doch zugleich mit dem ewigen Zion „von dem einer sagte: 'Der Weg nach Zion führt nur über Zion'“. Ohne die Hoffnung auf den Gott der Verheißung hätte Israel seine zweieinhalbtausendjährige Leidensgeschichte nicht ertragen können. Nicht zufällig heißt das jüdische Nationallied „Hadikwah“ – Hoffnung, verbunden mit dem Verlangen nach der „Teschuwah“, der (inneren) Umkehr.
Der Religionsphilosoph Martin Buber, ein Freund von Maas, z. B. vergleicht Jesus von Nazareth mit einem „Pfeil, der dem Köcher entnommen ist, in den ihn Gott verborgen hat, und der als Knecht Gottes offenbar geworden sei.“ Ergibt sich von diesem Ansatz – so fragt Maas – nicht vielleicht eine gemeinsame Blickrichtung? Israel und der „Maschiach“ gehören untrennbar zusammen; aber nennen nicht auch wir uns Christus- bzw. Messiasleute? („Skizzen ...“, 77.)
„Die vorderasiatische Frage ist eine Frage der Wahrheit, der Moral und der Religion. Sie ist eine weltpolitische und nicht nur eine jüdisch-arabische Frage.“ Wie sein Freund Albert Schweitzer war auch Maas der Meinung, daß Christentum, Islam und Judentum autonome Teile einer Gesamtverkündigung sind. Angesichts dieser von religiöser Toleranz getragenen Gesamtschau wird man zwangsläufig an Lessings „Nathan den Weisen“ erinnert. Eben das Motiv der Ringparabel drängt sich auf, wenn Maas an einem Sabbath im Blick auf jüdisch-orthodoxe Beter schreibt: „Ein geheimnisvoller Strom trug sie, eine Welt der Mysterien ... Mich bewegte dies Ringen und Beten bis ins Tiefste. Braucht die Welt nicht solche Beter, die stellvertretend leidenden Gottesknechte? Mir verging das Lächeln oder das Kopfschütteln. Der ewige Gott wird dereinst darüber richten. Er hat das letzte Wort.“ („... Rahels Kinder ...“, 245)
Werke: Skizzen von einer Fahrt nach Israel, Karlsruhe 1950; – und will Rahels Kinder wieder bringen in das Land, Heilbronn 1955; Wer in Israel nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist, in: Dienende Kirche, Festschrift f. Julius Bender, Karlsruhe 1963; In England – Reisebriefe von H. Maas, Heidelberg 1928; Zur Erinnerung an die Konfirmation 1918 in der Heiliggeistkirche zu Heidelberg, Heidelberg 1936; Die Heiliggeistkirche zu Heidelberg - Geschichtliches und Erlebtes, Karlsruhe 1962.
Nachweis: Bildnachweise: Foto LkAK, PA 4350.

Literatur: M. Bosch und W. Niess (Hg.), Der Widerstand im deutschen Südwesten gegen das NS-Regime. Schriften zur politische Landeskunde Baden-Württemberg Bd. 10, Stuttgart 1984; H. Rückleben, Festvortrag zum 100. Geburtstag von D. H. L. Maas, Heidelberg 1977, unveröff. Ms. in: LkAK, PA 4350; Nathan P. Levinson, H. Maas, in: Juden in Baden 1809-1984 – 175 Jahre Oberrat der Israeliten Baden, Karlsruhe 1984, 213-216.
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