Wunderlich, Fritz Karl Otto 

Andere Namensformen:
  • eigentlich Friedrich Wunderlich
Geburtsdatum/-ort: 26.09.1930; Kusel (Pfalz)
Sterbedatum/-ort: 17.09.1966;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Sänger
Kurzbiografie: 1937-1948 Volks- und Oberschule Kusel
1948-1950 Pädagogische Akademie Kusel
1950-1955 Staatliche Hochschule für Musik in Freiburg i. Br., Hauptfächer Gesang (Margarethe von Winterfeldt) und Waldhorn (Lothar Leonards)
1955-1960 Württembergisches Staatstheater Stuttgart (Generalintendant Walter Erich Schäfer, Generalmusikdirektor Ferdinand Leitner)
1960-1963 Bayerische Staatsoper München (Staatsintendant Rudolf Hartmann, Generalmusikdirektor Joseph Keilberth)
1962 Bayerischer Kammersänger
1963-1966 Staatsoper Wien (künstlerische Leitung: Herbert von Karajan), gleichzeitig Gastspiele in allen europäischen Musikzentren, Tourneen nach Süd- und Nordamerika
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1956 Stuttgart, Eva, geb. Jungnitsch
Eltern: Paul Edmund Wunderlich (1892-1935), Kapellmeister
Anna, geb. Malz (1888-1963), Geigerin
Geschwister: 2
Kinder: 3
GND-ID: GND/11893869X

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 502-504

Opernkundige Leserinnen und Leser dieses Bandes werden überrascht sein, den berühmten Sänger Wunderlich in „Baden-Württembergischen Biographien“ vorzufinden – weiß man doch, daß der Pfälzer seine glanzvollsten Jahre in München und Wien verbracht hat. Aber er selbst bezeichnete seine Studienjahre in Freiburg i. Br. als „die entscheidende Phase meines Lebens“, und in Stuttgart lernte er den Beruf des Opernsängers von der Pike auf. Damit entspricht er den vom Herausgeber aufgestellten Kategorien für die Aufnahme in dieses Sammelwerk, „prägende Jugend- und Reifejahre“ verbrachte er in Baden-Württemberg, „jedoch auswärts zum eigentlichen Lebenswerk gelangend“.
Die Wiege Wunderlichs stand in „Emrichs Braustübl“ in Kusel, einer von den Eltern gepachteten Gastwirtschaft mit angeschlossenem Kinosaal, wo sie bei den dort veranstalteten Stummfilmaufführungen die musikalische Untermalung lieferten. Als der Betrieb wegen baulicher Unzulänglichkeiten 1931 geschlossen werden mußte, hielten sich die Eltern mit Privatmusikstunden über Wasser; aber den ständigen Existenzsorgen war schließlich der Vater nicht mehr gewachsen, der Fünfjährige verlor ihn im Jahre 1935. Die Mutter erteilte weiter Musikstunden und spielte bei Tanzveranstaltungen auf und brachte damit die vierköpfige Familie durch. Die Schrecken des Krieges blieben Kusel bis in die letzten Monate des Jahres 1944 erspart. Am 6.1.1945 wurde Wunderlichs Mutter bei einem Bombenangriff verschüttet; sie überlebte, er selbst entging nur durch Zufall dem Tode. Wie alle seine Alterskameraden mußte er in den letzten Kriegswochen zum Schanzen an den Westwall ausrücken. Als er am 18.3.1945 konfirmiert wurde, rollten amerikanische Panzer durch das Städtchen.
Eine, von außen gesehen, düstere Jugend – gerade während dieser Jahre legte jedoch der Heranwachsende erste Grundlagen auf dem Weg zum „Erzmusikanten“ (Dietrich Fischer-Dieskau): Seine Mutter unterrichtete schon das Kind im Akkordeon-, Geigen- und Klavierspiel, mit zwölf Jahren lernte er Waldhorn blasen und später Trompete. Anderthalb Jahre lang dirigierte der Achtzehnjährige einen Gesangsverein in einem Nachbardorf. Die Schule erledigte er mehr so nebenbei, viel lieber streifte er in den pfälzischen Wäldern herum. Das Studium an der Pädagogischen Akademie in Kusel – Berufsziel: Volksschullehrer – blieb Episode, mittlerweile war nämlich seine Stimme „entdeckt“ worden. Der Leiter des Landestheaters in Kaiserslautern, Heinz Leopold Sulanke, der Rundfunkdirigent Emmerich Smola und der Musikwissenschaftler Josef Müller-Blattau, denen Wunderlichs Stimme bei verschiedenen Gelegenheiten aufgefallen war, rieten, unabhängig voneinander, zur gesanglichen Ausbildung, und als erste Lehrerin wirkte für ein Jahr Käthe Bittel-Valckenberg in Kaiserslautern. 1950 meldete sich Wunderlich auf den Rat von Müller-Blattau – der ihm in einem Gutachten „nach abgeschlossener Ausbildung eine große Zukunft als Sänger“ attestierte – in der Musikhochschule in Freiburg an, wurde angenommen und machte, unter seiner verehrten Meisterin von Winterfeldt, so rasche Fortschritte, daß er nach noch nicht ganz zwei Jahren eine der schwierigsten Partien der Oratorienliteratur, den Evangelisten in Bachs Weihnachtsoratorium, in Esslingen singen konnte. Von großer Bedeutung war es für Wunderlich, daß ihn der Direktor der Freiburger Musikhochschule, der Flötist Gustav Scheck, in ein Barockensemble einführte, in dem er sich seine später vielbewunderte Stilsicherheit erwarb. Nach dreijährigem Studium folgte der Evangelist in Bachs Johannespassion in der Lutherkirche in Worms mit dem Heidelberger Bachverein unter Leitung des Altmeisters Hermann Meinhard Poppen, und am Karfreitag 1954 sang er in Hof erstmals den Matthäuspassionsevangelisten. Dies sind nur einige herausragende Stationen aus Jahren großer Anspannung und großen Fleißes, in denen er sich mit nächtlicher Tanz- und Jazzmusik seinen Lebensunterhalt und die Kosten des Studiums verdienen mußte, was an die Grenzen der gesundheitlichen Belastbarkeit ging und sie oft überschritt. Daß er unter solchen Umständen liebend gerne seit 1953 bei Unterhaltungssendungen des Rundfunks mitwirkte, die ein Vielfaches der nächtlichen Fron einbrachten, liegt auf der Hand. Diesem Genre, wie auch der Operette, ist er in den späteren Jahren immer treu geblieben.
Am 21.7.1954 trat er bei einer Studio-Aufführung der „Zauberflöte“ erstmals in seiner Schicksalsrolle auf, dem Prinzen Tamino – es war die erste und auch die letzte Opernpartie seiner tragisch kurzen Laufbahn, letztmals sang er sie, nach über hundert Aufführungen, bei den Edinburgher Festspielen. Nach der Freiburger „Zauberflöte“ empfahl ein Theateragent das vielversprechende junge Talent dem Stuttgarter Opernchef Ferdinand Leitner, der Wunderlich einen Fünfjahresvertrag anbot, Anfangsgage: 400 DM. Die hinter ihm liegenden fünf Studienjahre in Freiburg seien, wie Wunderlich in einem Abschiedsbrief an die Leitung der Musikhochschule bekannte, „die schönsten und wertvollsten seines Lebens“ gewesen.
Die Lehrjahre in Stuttgart begannen mit kleinen Anfängerrollen, aber schon nach einem halben Jahr erhielt Wunderlich seine Chance: Auf Vorschlag des großen – und noblen – Kollegen Wolfgang Windgassen durfte Wunderlich als Tamino einspringen, und damit war ein erster Durchbruch geschafft. Größere Rollen folgten alsbald: Hans in der „Verkauften Braut“, Belmonte in der „Entführung aus dem Serail“, Beppo im „Bajazzo“, Fenton in den „Lustigen Weibern von Windsor“, der Sänger im „Rosenkavalier“. Das Bachsche Weihnachtsoratorium im Süddeutschen Rundfunk und eine erste Präsentation der „Schönen Müllerin“ sowie Rundfunkunterhaltungssendungen nahmen den vielbeschäftigten Sänger – dessen Gage sich in der Spielzeit 1958/59 auf das Sechsfache der Anfangsbezüge erhöht hatte – voll in Anspruch. 1958 tat sich mit den Proben zu Lortzings „Wildschütz“ in der Inszenierung von Günther Rennert (1911-1978) eine neue Dimension für den 28jährigen auf: die schauspielerische. Die Rolle des Baron Kronthal verlangte einen perfekten Komödianten, und dazu war er in Freiburg nicht ausgebildet worden. Der anfangs an den schauspielerischen Fähigkeiten Wunderlichs verzweifelnde Rennert schaffte es dann doch noch, aus dem darstellerisch unbeholfenen jungen Sänger einen „behenden und gewandten Pfiffikus erster Ordnung“, wie es in einer Rezension hieß, zu modeln. Damit war der Weg zu noch größeren Aufgaben eröffnet, wie sie sich im Jahre 1959 bei der erstmaligen Mitwirkung an den Salzburger Festspielen stellten: Auf Einladung Karl Böhms (1894-1981) sang er den Henry Morosus in der „Schweigsamen Frau“ von Richard Strauß, und es spricht für die zu jener Zeit schon einzigartige Qualität des Sängers, daß er nicht etwa mit einer seiner populären Mozartpartien, sondern mit dieser gesanglich und darstellerisch gleich anspruchsvollen Paraderolle den Durchbruch auf der internationalen Bühne erzielte.
Vom 1.8.1960 an war Wunderlich Mitglied des Ensembles der Bayerischen Staatsoper, das Joseph Keilberth leitete. Seinen vielbejubelten Einstand gab er, „der vernünftig und lebhaft agiert und mit leuchtender, makellos geführter, leicht in die Höhe steigender Belcantostimme hervorragend singt“ (Karl Löbl), mit dem Rossini-Almaviva in der Gesellschaft von Erika Köth, Hans Hotter und dem engen Freund Hermann Prey. Es folgten, neben den nun schon bewährten Mozartpartien, eine Hauptrolle – Mazal – in „Die Ausflüge des Herrn Brouček“ von Leos Janáček, die eine Serie großer Erfolge einleitete, unter ihnen besonders bemerkenswert der Lenski in „Eugen Onegin“ und der Ernesto in „Don Pasquale“. „Die Verbindung von elementarer Musikalität, Konzentration und wacher Selbstkritik bewirkten hinreißende und zugleich von feinstem Stilgefühl geprägte Interpretationen“ (Reinhold Hammerstein). Der Sänger gab sich meist frisch-fröhlich burschikos, aber dies war wohl auch sein Schutzschild gegen die übergroßen Spannungen des Theaterbetriebs und die Gefährdungen des verletzlichsten Musikinstruments, der Stimme, durch Erkältungen und Katarrhe, die ihn oft heimsuchten. Auch eine Mandeloperation wurde erforderlich.
Wunderlich fühlte sich in München wohl und hatte gleich 1960 den Familienwohnsitz dorthin verlegt. Die Bayern taten alles, um den brillanten Sänger in ihrer Staatsoper zu halten, und ernannten den erst 31jährigen zum Kammersänger, und Wunderlich erfüllte auch seinen Münchener Vertrag – aber jemand in Wien zog ihn magisch an: Herbert von Karajan (1908-1989). Er band sich ab 1963 für vier Monate jährlich an die Wiener Staatsoper und gastierte im übrigen regelmäßig in München, Stuttgart, Frankfurt, Berlin, London, Edinburgh, Salzburg und anderen europäischen Musikzentren. Tourneen nach Süd- und Nordamerika bestätigten den inzwischen erworbenen Weltruhm. Erst 1963 wandte er sich intensiv dem Liedgesang zu und fand in Hubert Giesen einen Mentor, der ihn auch hier auf die Höhen eines bis in die feinsten Verästelungen vollendet durchgestalteten Vortrags führte. Große Herausforderungen zeichneten sich am Horizont ab, Bayreuth hatte sich bereits in der Person Wieland Wagners (1917-1966) gemeldet – Lohengrin? Tannhäuser? Parsifal? –, und das Taminodebüt in der Metropolitan Opera in New York stand unmittelbar bevor, als ein tödlicher Treppensturz alle Hoffnungen zunichte machte.
Wunderlich beherrschte 35 Opernpartien. Seine Idole waren Bach und Mozart. Daneben widmete er sich mit der gleichen Hingabe der deutschen Spieloper, Richard Strauß, Gustav Mahler, Hans Pfitzner und den zeitgenössischen Komponisten Alban Berg, Werner Egk, Rolf Liebermann, Carl Orff, Hermann Reutter, Igor Strawinsky. Mit 34 Jahren war Wunderlich der bei weitem jüngste Sänger, der je Pfitzners „Palestrina“ – in der Regie Hans Hotters in Wien – verkörperte. Nach Anfangserfolgen – „Rigoletto“, „Traviata“ – war er dabei, sich das italienische Repertoire zu erobern. Die vielgerühmte „Natürlichkeit“ seines Gesangs war in Wirklichkeit das Ergebnis hart erarbeiteter und perfekt beherrschter Stimmtechnik.
Wunderlichs Ruhm ist längst Legende. Der unvergessene Sänger hatte Vorgänger – Karl Erb, Julius Patzak (1898-1974), Peter Anders (1908-1954) – aber keinen Nachfolger
Quellen: Eva Wunderlich, Fritz Wunderlich in memoriam, in: Beiheft zu „Fritz Wunderlich singt Arien und Lieder“, CD Deutsche Grammophon 436 145-2; Am Flügel: Hubert Giesen; Meine Lebenserinnerungen, 1972
Werke: Eine mit „einigem Anspruch auf lückenlose Vollständigkeit“ verfaßte Diskographie in: Werner Pfister, Fritz Wunderlich, Eine Biographie, 1990
Nachweis: Bildnachweise: in: Werner Pfister, Fritz Wunderlich (Werke), passim

Literatur: (Auswahl): Walter Erich Schäfer, Bühne eines Lebens, Erinnerungen, 1975; Jürgen Kesting, Zauberton: Fritz Wunderlich, in: Die großen Sänger. Bd. 3, 1403-1408. 1986; Fritz Wunderlich, in: Jens Malte Fischer, Große Stimmen. Von Enrico Caruso bis Jessye Norman, 428-435, 1993; Fritz Wunderlich, in: Nigel Douglas, Legendary Voices, 263-285, 1992; Hans Hotter, „Der Mai war mir gewogen ...“ – Erinnerungen, 1996; Hermann Prey, Premierenfieber, Aufgezeichnet von Robert D. Abraham, 1981; Reinhold Hammerstein, Fritz Wunderlich, in: MGG 14, 913; Christoph Zimmermann, Gedenksendung im WDR 3 zum 25. Todestag von Fritz Wunderlich am 17.09.1991; Munzinger 46/66
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