Ehrler, Hans Heinrich 

Andere Namensformen:
  • eigentlich Johann
Geburtsdatum/-ort: 08.07.1872;  Bad Mergentheim
Sterbedatum/-ort: 14.06.1951;  Waldenbuch
Beruf/Funktion:
  • Schriftsteller
Kurzbiografie: 1882 Volksschule und Lateinschule in Bad Mergentheim
1883-1885 Realschule in Bad Mergentheim, anschließend Privatunterricht zum Eintritt in katholische Klosterschulen mit dem Ziel des Priesterberufs (Ingolstadt 1887, Landshut 1888, Ellwangen 1890, dort Abitur 1892)
ab 1892 Studien in Würzburg und München ohne akademischen Abschluss
seit 1895 journalistische Tätigkeit nachweisbar (z. B. Frankfurter Zeitung, Konstanzer Abendzeitung, Stuttgarter Neues Tagblatt, Neckar-Zeitung, Badischer Landesbote, später Schwäbische Heimat, Schwäbischer Merkur, Süddeutsche Monatshefte, Schwäbischer Bund, Das Wort in der Zeit, Hochland u. a.)
ab 1898 Redakteur und Schriftleiter in Köln, Stuttgart, Heilbronn, Karlsruhe, Konstanz, Friedrichshafen
seit 1911 freier Schriftsteller; wegen Herzproblemen vom freiwillig gewählten Wehrdienst zurückgestellt
1919-1924 Mitarbeiter bei der Militärzensur; Korrespondent in der Militärverwaltung; Landsturmmann
1919-1921 Schriftleitung „Der Schwäbische Bund“
1922-1924 Angestellter der Robert Bosch AG in Stuttgart; Mitarbeiter der Betriebszeitung „Der Bosch=Zünder“
1926-1951 in Waldenbuch wohnhaft bis zu seinem Tod
1952 umgebettet von Waldenbuch auf den Friedhof in Bad Mergentheim
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Württembergischer Goethe-Preis (1929); Schwäbischer Dichterpreis (Schiller-Preis) (1938)
Verheiratet: 29.10.1904 (Stuttgart) Melanie Amalie, geb. Frommherz
Eltern: Vater: Johann Michael Ehrler (1832-1905)
Mutter: Margarethe, geb. Heuerling (1830-1877)
Geschwister: (aus dieser Ehe) 1 Bruder (gest. 1876) und 6 Schwestern (davon 5 früh verstorben)
GND-ID: GND/118943286

Biografie: Ulrich Lempp (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 58-61

Ehrler beginnt seine literarische Produktion etwa 1895 als freier Mitarbeiter verschiedener Zeitungen: Unter den Pseudonymen „Hans Heinrich“ oder „H. H.“ veröffentlicht er Gedichte und Feuilleton-Beiträge. Feste Verträge bei Zeitungen der demokratischen Richtung schließen sich ab 1898 an. Die Texte, die sich erhalten haben, zeigen ein überraschend breites Spektrum an Themen und sprachlichen Registern – bis hin zur übermütigen oder auch aggressiven Satire. Die Zugehörigkeit zu einem schwäbisch-fränkisch-alemannischen Dichterkreis am Bodensee (mit Hermann Hesse, Ludwig Finckh, Emanuel von Bodman u. a.) mag Ehrler ermutigt haben, den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen: 1911, mit fast 40 Jahren, gibt er die journalistische Laufbahn auf, um fortan als freier Schriftsteller zu leben.
In den nächsten 15 Jahren erscheinen elf Bücher – wohl die besten im Gesamtwerk, jedenfalls die erfolgreichsten: Traditionelle Themen der Lyrik und der Epik (Liebe, Jugend, Natur, Reise) und bekannte literarische Muster (Briefroman, Entwicklungsroman, Novelle, schlichte und komplizierte Gedichtformen) werden angereichert und aufgefrischt mit Elementen des Impressionismus und des Jugendstils; sie finden offenbar ab 1911 bis in die Zeit der Weimarer Republik genug Leser – wobei unbestritten ist, dass die literarische Avantgarde dieser Zeit schon ganz andere künstlerische Wege geht.
Ein eigener „Ehrler-Ton“ entsteht, einerseits durch die schon genannte Bindung an die Tradition: Der Verfasser ist außerordentlich belesen in Literatur, Philosophie und Theologie, aber auch in Musik, Kunstgeschichte und in Teilen der Naturwissenschaften. Fremdsprachen wie Griechisch, Latein, Französisch oder Italienisch traut und mutet er dem Leser im Original zu.
Andererseits baut Ehrler feste Themen wie Leitmotive in die Texte ein. Seine eigene Heimat gehört dazu: Die Stadt Mergentheim mit ihrer Umgebung ist – unter verschiedenen Ortsnamen – immer wieder erkennbar.
Ein weiteres Leitmotiv ist die Person des Dichters selbst: In der männlichen Hauptfigur seiner Texte ist fast immer (ein Stück von) H. H. Ehrler versteckt. Datierung, Geburtstagstermin und persönliche Eigenheiten verweisen darauf; sie erlauben ausdrücklich das, was in der Literaturwissenschaft eigentlich verboten ist, nämlich Autor, Verfasser und gar literarische Figur in einen Topf zu werfen. Ähnlich wichtige und häufige Bindeglieder zwischen Autor und Werk sind die Mutter und ihr früher Tod, Jugenderlebnisse und Schulgeschichten sowie die Ehefrau Melanie, geb. Frommherz, die in den Texten leicht auszumachen ist.
Schließlich erhalten Ehrlers Texte dadurch ein individuelles Profil, dass der Autor erst als 40-Jähriger den Beruf des freien Schriftstellers gewählt hat. Als Mann im mittleren Alter, dann immer älter werdend, bearbeitet er vor allem Themen seiner ersten Lebenshälfte (Kindheit, Jugend, Studium, Berufung und Berufsfindung, Liebe) – daraus ergibt sich ein künstlerisch oft sehr interessanter Kontrast zwischen erzählter Zeit (Jugend) und Erzählzeit (zweite Lebenshälfte).
Als das Ehepaar Ehrler sich 1926 ein Haus in der Siedlung Liebenau (bei Waldenbuch) baut, ist der Zenit von literarischer Qualität und von äußerem Erfolg schon überschritten: Die Themen und die literarischen Techniken verfestigen und wiederholen sich; die Bindung an die Tradition erscheint zunehmend epigonal, rückwärtsgewandt, nicht mehr fruchtbar. – Bis zum Lebensende begleitet von da an den Dichter und seine Frau der Kampf um Anerkennung und um Geld. Das macht ihn in den folgenden, den finsteren Jahren anfällig gegenüber den herrschenden Ideologien und Machtstrukturen. Je nachdem, aus welchen Quellen man schöpft, gewinnt man ganz widersprüchliche Bilder über Ehrlers Verhalten im „Dritten Reich“. Es gibt genug Zeugnisse unerfreulicher Anpassung an den Zeitgeist, an die Machthaber und deren „Kunst“-Auffassung. Texte an Juden und über Juden liest man heute mit Erschrecken. – Ehrler selbst hat nach dem Krieg ganze zwölf seiner Texte gebündelt, Zeitungsartikel aus dem „NS-Kurier“, und für den Nachlass mit der Aufschrift versehen: „Nicht mehr veröffentlichen!“ Ein dickeres Konvolut mit vergleichbarem Inhalt ist so beschriftet: „Als Zeitdokument bewahren!“ Das ist die Quellenlage auf der einen Seite.
Andererseits gibt es schon von 1929 an erstaunlich hellsichtige und kritische Texte, in denen Ehrler die kommende Katastrophe früh diagnostiziert und zu warnen versucht. Am meisten Beachtung verdient dabei eine Rundfunkrede zur Verfassungsfeier des Jahres 1932 in der Stuttgarter Liederhalle – ein ehrender Abgesang auf die Weimarer Verfassung. Diese Rede blieb nur als Rundfunkmanuskript erhalten; sie wurde nie gedruckt.
Der Dichter selbst erzählt – nach dem Krieg – auch von Aktionen des Widerstandes, zum Beispiel von Briefen an die „braunen“ Machthaber mit warnenden Zitaten aus der attischen Tragödie, auf Griechisch natürlich (die, ebenso natürlich, nie beantwortet wurden). Verständlich müsste sein, dass es bei einem Menschen wie Ehrler nur ein geistiger und ein individualistischer Widerstand sein konnte.
Im Nachlass finden sich zahlreiche und beeindruckende Zeugnisse für eine schonungslose und selbstkritische Aufarbeitung der Jahre des „Dritten Reiches“. Ein großes „Buch der Verantwortung“ war geplant, um nachträglich Rechenschaft über die Zeit bis 1945 abzulegen; doch reichte die Kraft nur noch für ein dickes Bündel von Entwürfen und Textbausteinen – auch sie wurden nie gedruckt.
Neu veröffentlichte Quellen belegen, dass Ehrler auch dem kirchlichen Widerstand gegen das Nazi-Regime persönlich nahe stand: Er war seit ca. 1930 befreundet mit dem erklärten Gegner der NS-Herrschaft, P. Mauritius Schurr OSB; eben dieser Priester feierte dann ab 1944 die ersten katholischen Messen in der Waldenbucher „Diaspora“, und zwar im Hause Ehrler – Kritische Solidarität mit der katholischen Kirche war auch schon vorher das Thema vieler Texte gewesen: Franziskus von Assisi ist dabei die immer wieder beschworene Leitfigur des Dichters.
Nach dem Krieg erlebt der Dichter ein bitteres Alter: Verleger und Rundfunksender lehnen seine Texte meist ab: Als Preisträger des „Dritten Reiches“ gilt er als einer von gestern. Nur in katholischen Verlagen kann er noch einiges veröffentlichen – fast nur Neudrucke alter Erzählungen und Gedichte (auch der Roman „Charlotte“, 1946 veröffentlicht, war schon vor dem Krieg entstanden). Aus dem Kreis seiner Freunde und Leser bildet sich zwar die „Gesellschaft der Freunde H. H. Ehrlers“ mit damals illustren Namen wie Theodor Heuss und Josef Eberle – aber der greise Dichter erfährt nicht mehr die breite Anerkennung, auf die er, bis zu seinem Tod, wartet. Ein Jahr nach der Beisetzung wird sein Leichnam nach Bad Mergentheim überführt und, seinem Wunsch gemäß, dort auf dem Friedhof bestattet; die Grabinschrift zitiert aus einem autobiographischen Text: „Er wollte den Menschen den Weg erhellen.“
Der 80. Geburtstag wird 1952 in seiner Geburtsstadt Bad Mergentheim postum groß gefeiert; seither heißt dort der obere Markt „Hans-Heinrich-Ehrler-Platz“; eine Gedenktafel macht das Geburtshaus kenntlich. Zum 100. Geburtstag (1972) gibt es eine Erinnerungsfeier mit einer Gedenkausgabe kritischer Freunde und Leser; in gleicher Form wird der Dichter 1991 und 2001 geehrt.
Auch in Waldenbuch wird immer wieder dokumentiert, dass H. H. Ehrler noch nicht vergessen ist.
Quellen: Ehrler-Zimmer im StadtA Bad Mergentheim (mit dem ungedruckten NL).
Werke: Briefe vom Land, 1911; Lieder an ein Mädchen, 1912; Frühlingslieder, 1913; Die Reise ins Pfarrhaus, 1913; Die Liebe leidet keinen Tod, 1915; Der Hof des Patrizierhauses, 1918; Gedichte, 1919; Briefe aus meinem Kloster, 1922; Elisabeths Opferung, 1924; Wolfgang. Das Jahr eines Jünglings, 1925; Der Spiegel des Hoch- und Deutschmeisters Maximilian Franz, 1926; Die Reise in die Heimat, 1926; Bruder Hermanns Klause, 1927; Das Gesetz der Liebe, 1928; Gesicht und Antlitz, 1928; Meine Fahrt nach Berlin, 1929; Der Wanderer; Orpheus; Der Sender (ungedruckte Hörspiele des Stuttgarter Senders), 1929/1930; Die Frist, 1931 (Roman; als ungedrucktes Hörspiel im Stuttgarter Sender), 1936; Die Lichter schwinden im Licht, 1932; Die drei Begegnungen des Baumeisters Wilhelm, 1934; Unter dem Abendstern, 1937; Mit dem Herzen gedacht, 1938; Der Vierröhrenbrunnen, 1941; Neuer cherubinischer Wandersmann, 1941; Der Morgen, 1941; Charlotte, 1946; Frauen und Mädchen, 1948; Wanderer und Pilger, 1950; Unsere Uhr hat einen Zauberschlag, 1950; Posthum (meist Wieder-Abdrucke): Gedichte, 1951; Das Unvergängliche, hg. von E. K. Münz, 1955; Die Reise in die Heimat, Neuaufl. 1958; Erzählungen, hg. von der Gesellschaft der Freunde von H. H. Ehrler, 1960; Gedichte/Briefe vom Land, hg. von Alois Keck, 1972; Aus der Heimat in die Heimat – Mergentheimer Lesebuch, hg. vom Kulturverein Bad Mergentheim, mit bisher ungedruckten Texten, 1991.
als Hg: Wenn alle Brünnlein fließen. Deutsche Liebeslieder, 1917; Das schwäbische Liederbuch, 1918; Das neue schwäbische Liederbuch (mit Hermann Missenharter), 1919; Mörike Gedichte, 1920; Kloster Maulbronn (mit Steindrucken von Adolf Hildenbrand), 1923. Vertonungen von Gedichten: Georg von Albrecht, Max Lang, Hermann Reuter.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos, Porträts, Totenmaske im Ehrler-Zimmer des StadtA Bad Mergentheim.

Literatur: Theo Gundling, H. H. Ehrler, Herkunft und Werk, in: Württ. Schulwarte, 15 (1939); Henriette Herbert, H. H. Ehrler Versuch einer Wesensschau, 1942; H. H. Ehrler geb. 1872. Als wär's ein Stück von ihm: Spiegelungen 1972, hg. von der Volkshochschule Bad Mergentheim, 1972; Siegfried Schulz, H. H. Ehrler, der Waldenbucher Dichter, in: Einblicke. Skizzen zur Geschichte der Stadt Waldenbuch, hg. von der Stadt Waldenbuch, 1996; Manfred Bosch, Leihweise von dem Drüben ins Herüben gestellt ... Über den Dichter H. H. Ehrler, in: Schwäbische Heimat 3 (1997), 240-245; Abraham P. Kustermann, H. H. Ehrler (1872-1951), in: 50 Jahre St. Meinrad auf dem Weilerberg, hg. von der Katholischen Kirchengemeinde Waldenbuch-Steinenbronn, mit bisher ungedruckten Quellen), 2000; H. H. Ehrler Mergentheim 1872-1951 Waldenbuch. Festveranstaltung zum 50. Todestag im Deutschordensmuseum Bad Mergentheim, hg. vom Kulturverein e. V., Deutschordensmuseum GmbH und Deutschordensmuseum e. V., 2002.
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