von Württemberg, Wilhelm II. Karl Paul Heinrich Friedrich 

Geburtsdatum/-ort: 25.02.1848;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 02.10.1921;  Bebenhausen (heute Tübingen)
Beruf/Funktion:
  • König von Württemberg (1904–1915), Herzog zu Württemberg (ab 1918)
Kurzbiografie: 1854/1861 Unterricht durch cand. theol. (später Pfarrer) Carl Günther
1861/1862 Unterricht durch Hauptmann Linck
1863 Konfirmation durch Carl Günther
1865 Studium generale Univ. Tübingen
1866 Leutnant 3. Württ. Reiterregiment „König Wilhelm“ (Stuttgart); Teilnahme am Deutschen Krieg (u. a. Treffen von Tauberbischofsheim); Ritterkreuz des württ. Militärverdienstordens
1866 Univ. Göttingen; Kommando im württ. Hauptquartier
1866/1868 Univ. Göttingen (insbesondere Kameralwiss.); aktiv bei Corps Bremensia
1868/1869 Univ. Tübingen (insbesondere Rechtswiss.); Conkneipant bei Corps Suevia
1869 Oberleutnant 1. Preußisches Garderegiment (Potsdam)
1870 Rittmeister Preußisches Garde-Husarenregiment (Potsdam)
1870/1871 Teilnahme Deutsch-Französischer Krieg im Stab der 3. Armee (Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen); 2. September 1870 Eisernes Kreuz
1871 Dr. iur. h. c. (Univ. Tübingen)
1872 Preußischer Schwarzer-Adler-Orden
1873 Major (Preußen und Württemberg)
1874 1. Preußisches Gardedragonerregiment
1874/1875 Kommandeur Preußisches Garde-Husarenregiment (Potsdam)
1875 Oberstleutnant/Oberst à la suite (Preußen); Wiedereintritt in die württ. Armee
1877 Kommandeur 27. Württ. Kavalleriebrigade (Ludwigsburg)
1879 Generalmajor
1883 Generalleutnant
1888 General der Kavallerie; Ehrenmitglied Corps Suevia
1889 Attentat des Rotgerbers Müller in Ludwigsburg
1891 König von Württemberg; Wilhelmsstift; Inhaber 4. Bayerisches Infanterie-Regiment „König Wilhelm von Württemberg“ (Metz); Regimentsinhaber k. u. k. Husarenregiment „Wilhelm II. König von Württemberg“ Nr. 6 (Preßburg)
1892 Ritter des Ordens vom Heiligen Vlies (Orden del Toisón de Oro; Spanien/Haus Bourbon; Träger Nr. 1084)
1893 Ritter des Annunziatenordens (Ordine Supremo della Santissima Annunziata, Italien)
1899 Schacht „König Wilhelm II.“ (Salzbergwerk Bad Friedrichshall)
1900 Lungenheilanstalt Wilhelmsheim, Reichenberg
1903 Rettungsanstalt Wilhelmshilfe (Göppingen)
1904 Ritter des Hosenbandordens (Knight of the Garter; 1915 annulliert)
1907 Israelitisches Landesasyl Wilhelmsruhe; Schnelldampfer „König Wilhelm II.“ (Hapag)
1911 Silberne Hochzeit
1913 Israelitische Waisen- und Erziehungsanstalt Wilhelmspflege (Esslingen)
1914 König-Wilhelms-Turm, Baiersbronn
1916 Generalfeldmarschall
1918 Thronverzicht; Herzog von Württemberg
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Weitere Auszeichnungen: Ritter Orden des Heiligen Hubertus (Bayern;) Ehrenritter des Johanniterordens; Regimentsinhaber 6. Sächsisches Infanterie-Regiment „König Wilhelm II. von Württemberg“ Nr. 105 (Metz); Regimentsinhaber 28. Russisches Dragoner-Regiment (Nischni-Nowgorod)
Verheiratet: 1. 15.2.1877 (Arolsen) Georgine Henriette Marie, Prinzessin zu Waldeck-Pyrmont (1857–1882), ev.-luth.
2. 8.4.1886 (Bückeburg) Charlotte Marie Ida Luise Hermine Mathilde, Prinzessin zu Schaumburg-Lippe (1864–1946), ev.-ref.
Eltern: Vater: Friedrich Karl August (1808 – 1870), ritterlicher Prinz von Württemberg, General der Kavallerie
Mutter: Katharina (auch Schreibweise Catharina, Katharine, Catharine) Friederike Charlotte, geb. Prinzessin von Württemberg
(1821–1898)
Geschwister: 1 namenloser Bruder (geboren/gestorben 1850)
Kinder: 3 aus 1.:
Pauline Olga Helene Emma (1877–1965), verh. 1898 Friedrich Hermann, Erbprinz zu Wied (1872–1945);
Christoph Ulrich Ludwig (geboren/gestorben 1880);
eine weitere namenlose Tochter (geboren/gestorben 1882).
Enkel 2:
Hermann Wilhelm Friedrich zu Wied (1899–1941);
Dietrich Wilhelm Friedrich Karl Paul zu Wied (1901–1976);
Urenkel u. a. Ulrich Prinz zu Wied (1931–2010), Eigentümer von Gut Marienwahl
GND-ID: GND/11910539X

Biografie: Martin Otto (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 264-272

Wilhelm II., der im Stuttgarter Prinzenbau (heute Justizministerium Baden-Württemberg; Gedenktafel) geboren wurde, war der einzige über lebende Sohn seiner Eltern, die beide dem Haus Württemberg entstammten und beide Nachkommen des Herzogs Friedrich Eugen (1732 – 1797) waren; die Vorfahren der vierten Generation Württembergs (Ururgroßeltern) verteilten sich statt der maximal möglichen 16 auf nur zehn Ahnen. Der im Geburtsjahr regierende König Wilhelm I. (1781 – 1864) war der Großvater mütterlicherseits, der Vater Prinz Friedrich dessen Neffe; Großvater väterlicherseits war Prinz Paul (1785 – 1852), ein Bruder des ersten württembergischen Königs Friedrichs I. (1754 – 1816), der auch der Vater des Großvaters, König Wilhelms I., war. Ein jüngerer Bruder starb kurz nach der Geburt 1850 in Baden-Baden. Im Geburtsjahr von Wilhelm II. war noch nicht absehbar, dass er später einmal Kronprinz und König werden würde, obwohl das Haus Württemberg keineswegs kinderreich war und männliche Nachkommen noch seltener waren. Kronprinz war sein Onkel Karl von Württemberg (1823 – 1891), der erst seit 1846 mit der russischen Großfürstin Olga (1822 – 1892) verheiratet war; die Kinderlosigkeit des Kronprinzen war noch nicht absehbar. Der Prinz wurde von seinen verhältnismäßig alten Eltern nach den Maßstäben seiner Zeit und seines Standes, aber auch in Einklang mit der eher bescheidenen Hofhaltung, relativ frei und ohne Aufwand erzogen. Einen Teil seiner ersten Lebensjahre verbrachte er auf dem 1847 erbauten Jagdschloss Katharinenhof in Strümpfelbach bei Backnang, ab 1854 lebte die Familie im Kronprinzenpalais am Schlossplatz. Obwohl der Besuch einer öffentlichen Schule in der damaligen Zeit nicht in Frage kam, wurde Wilhelm doch von seinem Erzieher, dem nicht der württembergischen Oberschicht, sondern einer Secklerfamilie in Marbach und Heilbronn entstammenden Theologen Gottlieb Carl Günther (1825 – 1874), auf die Gesellschaft nicht zum unmittelbaren Kreis des Hofes (auch nicht adeliger) gehörender gleichaltriger Kinder Wert gelegt, darunter sein späterer Rechtslehrer Friedrich Schmidlin, von 1906 bis 1917 württembergischer Justizminister. Ab 1862 trat eine militärische Erziehung in den Vordergrund; aus der württembergischen Armee wurden sukzessive bis 1870 die Offiziere Hauptmann Linck, Oberleutnant Jäger, Hauptmann Graf von Zeppelin und Leutnant von Reitzenstein als Gouverneure oder Begleiter des Prinzen abkommandiert. Ab 1865 nahm Prinz Wilhelm. als erster württembergischer Prinz ein in den regierenden Häusern erst seit wenigen Jahren übliches Universitätsstudium an der Landesuniversität Tübingen auf. Er bezog gemeinsam mit einem fast gleichaltrigen Verwandten, dem nach ihm thronfolgeberechtigten Prinzen Wilhelm Eugen von Württemberg (1846 – 1877) in Tübingen eine Unterkunft im Hause des Professors des Römischen Rechts, Richters und nationalliberalen Politikers Robert Römer (1823 – 1879) in der Wilhelmstraße 980 (heute 26); er hörte, teilweise privatissime und mehr im Sinne eines „studium generale“, Römisches Recht bei Römer, Anthropologie bei Heinrich Sigwart (1830 – 1904), Physik bei Friedrich Eduard Reusch (1812 – 1891), Nationalökonomie bei Albert Schäffle (1831 – 1903) und Geschichte bei Heinrich Kugler (1837 – 1898).
Das Studium wurde durch den Ausbruch des Deutschen Kriegs 1866 unterbrochen, in dem Württemberg an der Seite Österreichs als Präsidialmacht des Deutschen Bundes gegen Preußen stand. Zum Leutnant befördert, wurde Wilhelm in das württembergische Hauptquartier abkommandiert, nahm zu Pferde aber auch an dem Treffen von Tauberbischofsheim vom 24. Juli 1866 teil. Er besuchte von 1866 bis 1867 die Universität Göttingen, um Kameralwissenschaft (Rechts- und Staatswissenschaften) zu studieren. Er hörte bei Johann von Helferich (1817 – 1892) Staatswissenschaften, bei Wilhelm Theodor Kraut (1800 – 1873) Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, bei Georg Waitz (1813 – 1886) Politik, bei Heinrich Albert Zachariä (1806 – 1875) Staatsrecht, bei Johann Heinrich Thöl (1807 – 1884) Deutsches Privatrecht sowie bei Richard Wilhelm Dove (1833 – 1907) Kirchenrecht. Die Wahl der „neupreußischen“ Hochschule Göttingen war nicht zufällig; die hannoversche Landesuniversität war erst durch die Annektion Hannovers an die neue deutsche Führungsmacht Preussen gekommen. Wieder in Begleitung des Prinzen Wilhelm Eugen wohnte er bei der Witwe des Obergerichtsdirektors Bobers (Weender Straße 87; seit 1901 Gedenktafel), 1867 bis 1868 bei der Witwe des Obergerichtsdirektors Kirsten (Weender Straße); er gehörte dem Corps Bremensia an, das auch bürgerliche Mitglieder hatte. In dieser Zeit entstanden wichtige Freundschaften, darunter insbesondere zu seinen Corpsbrüdern Detlev von Plato (1846 – 1917) und Gottfried von Reden (1844 – 1921); mit beiden sollte Wilhelm über 570 Briefe wechseln. Es dürfte sich um seine engsten Freunde gehandelt haben. Der aus niedersächsischem (nicht württembergischen!) Adel stammende Detlev von Plato wurde auf Betreiben des Prinzen Wilhelm 1885 gegen erheblichen Widerstand zum Hofmarschall in Stuttgart ernannt. In die Göttinger Studentenzeit fällt auch eine Liebesbeziehung von Wilhelm zu Marie Bartling, der Tochter des Göttinger Professors der Botanik Friedrich Gottlieb Bartling (1798 – 1875). Die heimliche, aber durch Briefe belegte Liebesbeziehung dauerte acht Jahre; 1890 heiratete Marie Bartling den erheblich jüngeren schottischen Bakteriologen Allan Macfayden (1860 – 1907), der an der „Royal Institution“ in London lehrte. 1868 kehrte Wilhelm noch einmal für zwei Semester nach Tübingen zurück. Er bezog in Begleitung des Oberleutnants Jäger, der sein gesamtes Studium begleitet hatte, ein Zimmer im Haus des Theologieprofessors Christian Palmer (1811 – 1875) in der Wilhelmstraße 795. Das Studium hatte einen Schwerpunkt in der Rechtswissenschaft und diente bereits der Vorbereitung auf eine Rolle als künftiger Landesherr; spätestens mit der Adoption der Großfürstin Wera (1854 – 1912), der späteren Ehefrau des Prinzen Eugen Wilhelm, durch das Königspaar 1872 war absehbar, dass die Ehe von König Karl ohne thronfolgeberechtigte Nachkommen bleiben werde. Wilhelm hörte bei Friedrich Thudichum (1831 – 1913) Staatsrecht, württembergisches Privatrecht bei Gustav Mandry (1832 – 1902) sowie Straf- und Prozessrecht bei Leopold Pfeiffer (1821 – 1881), dem ersten jüdischen Professor der Universität Tübingen; hinzu kamen noch Gesangstunden bei der Ehefrau des Strafrechtlers Reinhold Köstlin (1813 – 1856), der aus München stammenden Komponistin Josefine Caroline Lang (1815 – 1880). Das Angebot des Onkels Karl, sich in die Regierungsgeschäfte einzuarbeiten, hatte Wilhelm in dieser Zeit noch abgelehnt. Größere Bedeutung hatte wohl sein häufiger gesellschaftlicher Verkehr beim Corps Suevia, ein Verhältniscorps der Bremensia, zunächst als Conkneipant.
1869 trat Wilhelm als Offizier in die preußische Armee ein; bis zu seiner Thronbesteigung 1891 war der Offiziersberuf die seine Lebensführung bestimmende Tätigkeit. Diese trug zudem erkennbar dem neuen Bündnis Württembergs mit Preußen Rechnung. Der Prinz nahm als Offizier am Deutsch-Französischen Krieg teil, war im Stab des preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm eingesetzt, teilweise auch als Meldeoffizier. Wilhelm erlebte die Schlacht bei Sedan am 2. September 1870 und war unter den Teilnehmern der Kaiserproklamation in Versailles am 18. Januar 1871. Nach der Reichsgründung war Wilhelm als preußischer Stabsoffizier hauptsächlich in Berlin und Potsdam. Bis zu seinem Ausscheiden aus der preußischen Armee als Oberstleutnant 1875 hatte sich Wilhelm in prägenden Jahren überwiegend in Preußen aufgehalten und wurde in Württemberg, auch von der Ministerialbürokratie, die unter seinem zunehmend passiven Onkel an Einfluss gewonnen hatte und die Politik bestimmte, durchaus als Fremdkörper wahrgenommen. Unterbrochen durch eine Italienreise 1875 nahm Wilhelm dann Kommandofunktionen in Kavallerieeinheiten der württembergischen Armee wahr. Auf dem Gut seiner Mutter am schweizerischen Bodenseeufer in Seefeld bei Rorschach (Kanton St. Gallen) unweit der Residenzstadt Friedrichshafen lernte der 28jährige Offizier Wilhelm am 2. September 1877 die Tochter des Fürsten von Waldeck-Pyrmont, die zehn Jahre jüngere Prinzessin Marie kennen. Die Prinzessin war in Begleitung ihrer Eltern, des Fürsten Georg Viktor (1831 – 1893) und der Fürstin Helene (1831 – 1880), sowie ihrer Schwester Emma (1858 – 1934), der späteren Königin der Niederlande. Marie war eine Cousine des Prinzen Wilhelm; wie dieser war sie eine Enkelin des Prinzen Paul von Württemberg. Der Besuch der fürstlichen Familie war auf ausdrückliches Betreiben der Mutter von Wilhelm, Prinzessin Katharine erfolgt. Bereits am 18. November 1876 fand die Verlobung in Arolsen statt, wohin Prinz Wilhelm gereist war. Am 15. Februar 1877 heiratete Wilhelm Marie in der Schlosskapelle von Arolsen; obwohl die Eheschließung der Staatsräson sicher nicht abträglich war, galt die Verbindung doch als Liebesheirat. Das Paar bezog das Stuttgarter Kronprinzenpalais, verbachte den ersten Sommer in Seefeld. Nachdem Wilhelm das Kommando der Kavalleriebrigade in Ludwigsburg übernommen hatte, bezog das Paar 1878 ein verhältnismäßig bescheidenes klassizistisches Gut bei Ludwigsburg (Heilbronner Straße), das 1878 den Namen „Marienwahl“ erhielt. Bereits am 15. Februar 1877 war dem Paar eine erste Tochter geboren worden, die nach ihren Urgroßmüttern Pauline getauft wurde. Von Marienwahl aus nahmen Prinz Wilhelm und Prinzessin Marie zahlreiche karitative Tätigkeiten auf; ein Schwerpunkt lag im Gesundheitswesen und der Fürsorge, ein Vorbild war dabei die Königin Olga. Im gleichen Zeitraum stand das öffentliche Ansehen der Monarchie in Württemberg durchaus auf einem Tiefstand. Der König hielt sich länger im Ausland, etwa in Nizza auf und vernachlässigte seine Amtsgeschäfte. Wilhelms Cousin Wilhelm Eugen, mit dem er das Studium verbracht hatte und der in der Thronfolge bis zur Geburt eines Thronfolgers nach ihm kam, war 1877 in Düsseldorf als preußischer Offizier unter bis heute ungeklärten Umständen verstorben; bis heute halten sich Spekulationen über ein Duell.
Höhepunkt und gleichzeitig Ende des von verschiedensten Beobachtern als glücklich beschriebenen Familienlebens von Wilhelm war die langerwartete Geburt eines königlichen Prinzen, der 1879 eine unglücklich verlaufene Schwangerschaft der Prinzessin vorausgegangen war. Der am 28. Juli 1880 geborene Prinz mit dem programmatischen Namen Christoph Ulrich Ludwig starb jedoch wenige Tage nach dem Weihnachtsfest im Alter von fünf Monaten am 28. Dezember 1880 an einem Brechdurchfall. Als erster Württemberger wurde der im ganzen Land betrauerte Sohn auf einem öffentlichen Friedhof, dem Alten Friedhof Ludwigsburg beigesetzt. Von diesen Ereignissen sollte sich die sehr beliebte Prinzessin Marie nicht mehr erholen. Nach einer Totgeburt am 27. April 1882 starb sie drei Tage später am 30. April 1882 auf Marienwahl; sie wurde neben ihrem Sohn beigesetzt. Der Tod seiner Ehefrau stützte Wilhelm in eine schwere Krise. Hinzu kam, dass Wilhelm zunehmend als Vertreter seinen erkrankten Onkel Karl bei der Regierung unterstützen und Repräsentationsverpflichtungen übernehmen musste. Auf Marienwahl nahm Wilhelm rechtskundlichen Unterricht bei dem damaligen Heilbronner Landrichter Friedrich Schmidlin (1847 – 1932), ein Neffe des früheren Kultministers und Konsistorialdirektors Eduard von Schmidlin (1804 – 1869). Von den selbstbewussten Ministern, an der Spitze Ministerpräsident Hermann von Mittnacht (1825 – 1909), wurde Prinz Wilhelm, der zu großen Teilen außerhalb Württembergs sozialisiert worden war, mit Misstrauen gesehen; auch Reichkanzler Bismarck verdächtigte ihn „demokratischer Anwandlungen“. In der „Affäre Woodcock“, die in relativer Offenheit gelebte homosexuelle Liebesbeziehung des Königs zu dem Vorleser der Königin Olga, dem ehemaligen amerikanischen Prediger Charles Woodcock (1850 – 1923), stellte sich Wilhelm 1888 gegen seinen Onkel hinter Mittnacht, der wegen der Reaktion des Monarchen auf seine Kritik an der Beziehung des Königs seinen Rücktritt angeboten hatte. Problematisch waren hier weniger die intimen Details der Beziehung des Königs, über die es nur Spekulationen gab, sondern offenkundige finanzielle Vorteile, die Woodcock aus der Nähe des kranken Königs gewann.
Gegen Widerstand auch Mittnachts setzte Wilhelm auch die Ernennung seines Studienfreundes Plato zum Hofmarschall und dessen Erhebung in den württembergischen Freiherrenstand durch. Allgemein galt der von Mittnacht mit besonderem Misstrauen („Hier liegt etwas Unaufgeklärtes, Dunkles“) beobachtete Plato als mit den württembergischen Verhältnissen nicht vertraut und verhielt sich oft ungeschickt. Offenkundig besaßen Plato und seine Ehefrau Anna von Bayern (1847 – 1901), die er 1885 geheiratet hatte, das uneingeschränkte Vertrauen von Wilhelm. Als 2015 die Korrespondenz von Wilhelm mit Plato, der von Wilhelm mit „Geliebter“ angeredet wurde, aufgefunden wurde, kamen neue Spekulationen über die Qualität der Beziehung auf, auch das Verhältnis des Königs zu Platos Ehefrau Anna. Auch hier ist Vieles nur spekulativ; unklar ist auch die Rolle des mit den norddeutschen Höfen vertrauten Plato bei der sich ab 1884 abzeichnenden zweiten Ehe des Königs, die auch aus politischen Motiven gewünscht wurde. Mittlerweile war in der württembergischen Thronfolge die Situation entstanden, dass bei Ausbleiben eines männlichen Nachkommens von Wilhelm der Thron an die neubegründete katholische Linie des Hauses in Person des Prinzen Albrecht von Württemberg (1865 – 1939) gefallen wäre. Jedenfalls lernte Wilhelm offiziell 1884 bei einem Kuraufenthalt in Königstein die Prinzessin Charlotte von Schaumburg-Lippe (1864 – 1946) kennen, zu der übrigens auch ein Verwandtschaftsverhältnis bestand; die Mutter des Prinzen Eugen stammte aus dem Haus Schaumburg- Lippe. Wilhelm verlobte sich am 10. Januar 1886 mit der calvinistisch erzogenen Prinzessin; am 8. April 1886 fand die Hochzeit in Bückeburg statt. Die Beziehung zu Plato und dessen Frau dauerte über die Ehe fort. In einem Brief bezeichnete Wilhelm die Eheschließung als „Comödie, die ich vor der Welt aufführen muss.“ Gleichwohl galt die Ehe nach außen hin als vorbildlich, auch fügte sich die durch ihre Kindheit in Böhmen mit den süddeutschen Verhältnissen besser vertraute Prinzessin Charlotte in die württembergischen Verhältnisse ein und übernahm bald zahleiche karitative Ehrenämter. Am 20. Oktober 1889 überlebte Wilhelm ein Attentat; der Prinz war in Begleitung seiner Tochter mit einer Kutsche auf dem Weg von Marienwahl zum Sonntagsgottesdienst in Ludwigsburg, als der offenbar geisteskranke Rotgerber Müller (nach anderen Angaben Sattlergeselle Kleiber oder Klaiber) auf Wilhelm mehrere Pistolenschüsse feuerte. Wilhelm überlebte unverletzt, die Anteilnahme für den Prinzen war groß und trug zu dessen Beliebtheit bei. In den widersprüchlichen Berichten zum Attentat wurde als mögliches Motiv des Täters auch das Ermöglichen der katholischen Thronfolge in Württemberg benannt. Tatsächlich blieben Wilhelm und Charlotte Nachkommen versagt. Thronfolger waren zunächst die aus der schlesischen Linie des Hauses Württemberg stammenden Herzöge Wilhelm (1828 – 1896) und Nikolaus (1833 – 1903), ab 1903 dann endgültig der Herzog Albrecht. Ab den 1890er Jahren bezog der Herzog Albrecht das Kronprinzenpalais in Stuttgart. Wilhelm lebte mit seiner Familie bereits seit 1887 im bald nach ihm benannten Wilhelmspalais Stuttgart, im Sommer meist in Friedrichshafen oder Bebenhausen. 1904 übernahm Wilhelm die Pflegschaft für seinen Neffen, den späteren Autorennfahrer Max Prinz zu Schaumburg-Lippe (1898 – 1974).
Nach dem Tode König Karls am 6. Oktober 1891 wurde Wilhelm vierter König von Württemberg. Wohl auch in Hinblick auf seinen mittelbaren Vorgänger König Wilhelm I. wählte er „Wilhelm II“ als Königsname. Wilhelm II. übte sein Amt streng konstitutionell aus und beschränkte sich auf repräsentative und karitative Funktionen. Hierzu rechnen etwa die Einweihung des Lindenmuseums in Stuttgart 1902, des Hoftheaters in Stuttgart 1912 und des neuen Kunstgebäudes ebenda 1913. Besonderen Einfluss hatte Wilhelm II. 1895 in der Umwandlung des Marbacher Schillervereins in den Schwäbischen Schillerverein, dessen erstes Mitglied er wurde. Mit Mittnacht konnte bald eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gefunden werden; der Ministerpräsident äußerte sich über seinen König „Er macht mir im Amt keinerlei Schwierigkeiten.“ Wilhelm II. konnte sich nur im Detail einbringen; er schaffte für Württemberg den persönlichen Adel ab und gab dem Stammsitz seiner Dynastie, dem Rotenberg bei Stuttgart wieder den Namen „Württemberg“. 1902, nach dem Brand der Stuttgarter Oper, setzte er sich für ein Ausfallhonorar für die Schauspieler ein. Auch der freilich seinem Standesmilieu entstammende Intendant Joachim Gans Edler zu Putlitz wurde auf Betreiben von Wilhelm II. nach Stuttgart berufen. Dass 1907 der „Internationale Sozialistenkongreß“ in Stuttgart stattfinden konnte, ist wohl ebenfalls Wilhelm II. zu danken, der sich in diesen Fällen aber keineswegs in einen Widerspruch zu seiner Regierung stellte. Die spätere Volkstümlichkeit des Monarchen stellte sich erst mit den Jahren, dann allerdings umso nachhaltiger ein. Politisch ein besonderes Gewicht hatte das Verhältnis zum Reich; Wilhelm II. war der erste König von Württemberg, dessen Regierung von Anfang an nur mit einem sehr begrenzten Bündel von Kompetenzen und verbliebenen „Reservatrechten“ regieren konnte. Auch hier war das Verhalten von Wilhelm II., der Bismarck scheinbar sehr positiv sah und 1882, nur wenige Wochen nach dem Tod seiner ersten Frau, Kaiser Wilhelm I. im privaten Kreis die Ansprache zum 85. Geburtstag gehalten hatte, ausgesprochen reichsfreundlich. Zwar konnte Wilhelm II. in den meisten Fällen nur die Politik der Regierungen befolgen und kaum eigene Initiativen ergreifen. Einen nicht unerheblichen Anteil hatte Wilhelm II. jedoch 1893 an der „Bebenhäuser Abkunft (Bebenhäuser Konvention)“. Anlässlich eines Besuchs Kaiser Wilhelms II. auf Schloss Bebenhausen vom 7. bis 10. November 1893 wurde diese von Wilhelm II. und dem Kaiser als König von Preußen unterzeichnet und diente mit Wirkung vom 1. Dezember 1893 dem „engeren Zusammenschluss der deutschen Heere“; Ausbildung, Uniformierung, Beförderungsverhältnisse und Rangordnung der preußischen und württembergischen Armee wurden aneinander angeglichen, faktisch war dies ein wichtiger und von Mittnacht in dieser Form zunächst nicht gewollter Schritt zu einer Unitarisierung im Bundesstaat und hin zu einer einheitlichen Landstreitkraft des Reichs, dabei aber auch eine Schwächung überkommener württembergischer Besitzstände. Tatsächlich wurde Wilhelm II. hier von seinem preußischen Namensvetter wohl zum Abschluss gedrängt. Tatsächlich war das Verhältnis zum letzten Kaiser nicht unkompliziert; eine echte Belastung war es, als 1893 mit Theodor von Holleben (1838 – 1913) ein Corpsbruder von Wilhelm II. zum preußischen Gesandten in Stuttgart ernannt wurde, wovon sich Kaiser Wilhelm II. wohl verstärkte württembergische Rücksichtnahmen erhoffte. Letztlich durchschaute der zu Intrigen eher unfähige Wilhelm II. das Spiel. Ein genuin demokratisches Projekt wie die Demokratisierung des Wahlrechts, die seit dem Amtsantritt von Wilhelm II. drängte, gelang dann endlich 1906, in erster Linie ein Verdienst des von 1906 bis 1918 amtierenden Ministerpräsidenten Karl Hugo von Weizsäcker (1853 – 1926) und des Linksliberalen Friedrich von Payer (1847 – 1931).
Seine besondere Beliebtheit, die in Württemberg tatsächlich die Schranken der Konfessionen, gesellschaftlichen Schichten und Milieus überschritt, lag in der durchaus sichtbar zur Schau gestellten bescheidenen und bewusst bürgerlichen Erscheinung von Wilhelm II. Außer Zweifel stand auch seine echte evangelische Frömmigkeit, gerade weil sie nicht offen zur Schau gestellt wurde, sondern sich in vom ganzen Land geteilten Schicksalsschlägen scheinbar bewährt hatte. Obwohl im Gegensatz etwa zu Kaiser Wilhelm II. militärisch erzogen und lange Berufssoldat, trug er Uniformen nur zu militärischen Anlässen. Er pflegte sorgfältig das Bild des Bürgerkönigs im Straßenanzug. Mit seinen Spitzhunden „Ruby“ und „Ali“, die er 1886 von dem Untertürkheimer Bürger und Züchter Karl Berner persönlich gekauft hatte, und die er ebenso persönlich durch die Stadt führte, war er ein vertrauter Bestandteil des Stadtbildes vor dem Ersten Weltkrieg, bereits zu Lebzeiten von Legenden von dem Süßigkeiten an Kinder verteilenden Monarchen begleitet. Die kleine königliche Familie übte dabei durchaus standesübliche Freizeitaktivitäten aus, so die sehr intensiv in Bebenhausen betriebene Jagd, Reisen und auch eine vorzügliche Küche, die den europäischen Hofhaltungen entsprach; die angeblich bescheidene Hofküche war eine weitere Legende. Wilhelm II. gehörte aber auch zu den ersten Monarchen, die öffentlichkeitswirksam das Fahrradfahren betrieben. Die Lebensführung in Marienwahl war tatsächlich eher gehobener Bürgerlichkeit entsprechend, so dass Kritik aus Adelskreisen nicht ausblieb; 1897 bezeichnete die Baronin Spitzemberg, eine Tochter des Ministers Varnbüler, das Gut „Marienwahl“ anlässlich eines Besuchs in ihrem Tagebuch als „Klitsche“ und hielt Wilhelm II. und der Königin vor, „sich selber aufgegeben“ zu haben und „keine Fürsten mehr von gesinung“ zu sein. Und der bereits zu Lebzeiten mit Wilhelm II. verbundene Stil der „vornehmen Einfachheit“ war keineswegs bloße Attitüde. Durchaus im Unterschied zu der Mehrheit seiner Standesgenossen, insbesondere auch der Bundesfürsten praktizierte seine Hofkanzlei auf seinen ausdrücklichen Wunsch einen „wortökonomischen“ Stil unter weitgehendem Verzicht auf überkommene Höflichkeitsformen.
Höhepunkt der Regierungszeit von Wilhelm II. war die unter großer Anteilnahme der Bevölkerung begangene Feier seiner Silbernen Hochzeit 1911. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab Wilhelm II. eine sehr knappe Erklärung an seine Untertanen ab; ansonsten beschränkte er sich bewusst auf eine Rolle im Hintergrund. Insgesamt unternahm er 14 Besuche württembergischer Truppenteile an beiden Fronten. Der Krieg überschattete auch das 25jährige Regierungsjubiläum des Königs 1916, zu dem eine von dem Juristen Viktor Bruns herausgegebene Festschrift erschien. Anlässlich des Jubiläums erklärte der SPD-Vorsitzende Wilhelm Blos, wenn das Land einen republikanischen Präsidenten wählen solle, könne die Wahl nur auf Wilhelm II. fallen. Auch wenn Blos am rechten Rand der SPD stand, war auch in dieser Partei unbestritten, dass Wilhelm II. kein Hindernis für politische und gesellschaftliche Demokratisierung war. Wilhelm II. ließ sich während des Kriegs in der Felduniform eines Generals mit nur wenigen Orden, darunter aber das im Deutschen Krieg bei Tauberbischofsheim selbst erworbene Eiserne Kreuz, und Trauerbinde fotografieren. Die Bilder fanden Verbreitung und der Krieg tat der Beliebtheit des Königs keinen Abbruch. Eine ikonographische Bedeutung wie etwa Hindenburg konnte er aber nicht erlangen; dies teilte er freilich mit seinem Namensvetter, dem Kaiser.
Die Novemberrevolution in Württemberg und Stuttgart ist gut erforscht und dokumentiert. Noch am 7. November 1918 hatte Wilhelm II. sein letztes Kabinett unter dem Linksliberalen Theodor Liesching (1865 – 1922) ernannt, darunter der Sozialdemokrat Hugo Lindemann (1867 – 1949). In einem Aufruf „An mein Volk“ gemeinsam mit der neuen Regierung hatte er am 9. November 1918 die Wahl einer Verfassunggebenden Landesversammlung in Aussicht gestellt. Hellsichtiger als andere seiner Standesgenossen, hatte Wilhelm II. ausdrücklich seinem Innenminister Ludwig von Köhler erklärt, dass es um seine Person kein Blutvergießen geben dürfte. Am 9. November 1918 erfolgte der „Sturm auf das Wilhelmspalais“, in erster Linie wohl Arbeiter der Daimler-Werke. Auf dem Wilhelmspalais wurde die Königsstandarte eingeholt und die Rote Fahne gehisst; die Anwendung von Gewalt blieb auf beiden Seiten nahezu aus, Opfer waren nicht zu beklagen. Gegen 19 Uhr wurden Wilhelm II., die Königin Charlotte und der Hofstaat mit einem Begleitkommando in Kraftfahrzeugen nach Bebenhausen gebracht. Um den Kern der allenfalls durch ihre besondere Lautlosigkeit spektakulären Ereignisse kreist eine Vielzahl von anekdotischen Erzählungen. So habe der Sozialdemokrat Keil erklärt, dass einzige, was Wilhelm II. vorgeworfen werden könne, sei ein „Geburtsfehler“; der Spartakist Seebacher habe nur mit den Worten „S’isch halt wegge dem Sischteem“ angesichts des vorbildlichen Verhaltens von Wilhelm II. den Sturz der Monarchie rechtfertigen können, der Spartakist Robert Schreiner habe dem Begleitkommando von Wilhelm II. die ausdrückliche Weisung erteilt, „gut auf den alten Herrn aufzupassen.“ Nachdem der Sozialdemokrat Wilhelm Blos am 9. November 1918 Ministerpräsident von Württemberg wurde, ging das häufig kolportierte Scherzwort umher, der einzige Unterschied sei, dass das Staatsoberhaupt früher Wilhelm und nun Wilhelm Blos heiße. Umgekehrt fehlte es nicht bis in die sechziger Jahre an Stimmen, die wie Erich Marquardsen Wilhelm II. eine „fast zu gütige“ Haltung vorwarfen. Sichtbare politische Folge des ebenso unerwarteten wie geräuschlosen Überganges von der Monarchie zur Republik in Württemberg war, dass der ehemalige Ministerpräsident Karl von Weizsäcker noch eine für Wilhelm II. sehr günstige Regelung der Vermögensfrage, darunter Schutz des Privatvermögens, lebenslanges Wohnrecht für Wilhelm II. und die Königin in Bebenhausen, eine staatliche Pension, mit den revolutionären Machthabern getroffen hatte. Erst am 30. November 1918 erklärte Wilhelm II. in Bebenhausen in dem Anruf „An das Württemberger Volk!“ seinen Verzicht auf die (von keinem württembergischen König je getragene) Krone. Er wiederholte noch einmal seine Worte, dass seine Person „niemals ein Hindernis“ für die „freie Entwicklung der Verhältnisse des Landes und dessen Wohlergehen“ sein solle, dankte allen, „die mir in 27 Jahren treu gedient oder mir sonst Gutes erwiesen haben, insbesondere aber „unseren heldenmütigen Truppen“ aus „Herzensgrund“ und schloss mit dem „Scheidegruß“ „Gott segne, behüte und beschütze unser geliebtes Württemberg in alle Zukunft!“ Die provisorische Regierung Blos nahm wenig überraschend den Thronverzicht an, dankte mit sämtlichen Mitgliedern, darunter auch der spätere USPD-Politiker Arthur Crispien (1875 – 1946), ausdrücklich „im Namen des Volkes“ dem König, „dass er in allen seinen Handlungen von der Liebe zur Heimat und zum Volk getragen war, und dass er durch seinen freiwilligen Verzicht dazu beigetragen hat, die Bahn für die freiheitliche Entwicklung zu ebnen. Das württembergische Volk vergisst nicht, dass der König mit seiner Gemahlin in Werken der Nächstenliebe stets edel und hilfreich gehandelt hat.“ Mit dem Thronverzicht nahm Wilhelm II. den Titel eines „Herzogs zu Württemberg“ an. In privaten Briefen distanzierte er sich von dem Titel „König“, der seiner Familie von Napoleon „übergestülpt“ worden sei und verglich die Königskrone mit einer Dornenkrone. Bei der Wahl zur Verfassunggebenden Nationalversammlung für Württemberg am 12. Januar 1919 beteiligte sich Wilhelm II. erstmals in seinem Leben und „mit Stolz“ an einer Wahl, um „sein Scherflein beizutragen.“ Bis zu seinem Tod in den Vormittagsstunden des 2. Oktober 1921 lebte Wilhelm II. zurückgezogen aber geachtet in Bebenhausen und Friedrichshafen. In einem Nachruf schrieb die Heilbronner sozialdemokratische Tageszeitung „Neckar-Echo“: „Man kann wohl sagen, wenn alle Monarchen ihre Rolle so klug und mit weiser Zurückhaltung gespielt hätten, wie Wilhelm II. von Württemberg, so würde das monarchische System nicht so kläglich abgewirtschaftet und bankrott gemacht haben.“ Seine letzte Ruhestätte fand Wilhelm II. auf dem Alten Friedhof Ludwigsburg neben seiner ersten Frau und seinem Sohn; der Leichenzug soll seine Geburtsstadt Stuttgart umfahren haben. Das Ansehen von Wilhelm II. war noch lange Jahre nach seinem Tod zu bemerken. Wohl einmalig in Nachkriegsdeutschland wurde 1991 in Stuttgart vor dem Wilhelmspalais ein Bronzestandbild von Wilhelm II. in Straßenanzug mit Hut und seinen Hunden, ein Werk des Hemminger Bildhauers Hermann-Christian Zimmerle (1921 – 1995), eingeweiht. Kein einziger deutscher Fürst, der 1918 seinen Thron verlor, wurde nach seinem Tode so geehrt.
Aufgrund der allerdings zufälligen Namensgleichheit naheliegend ist ein Vergleich mit dem prominentesten Zeitgenossen von Wilhelm II., dem letzten deutschen Kaiser, das in der Regel, so etwa bei Dieter Langewiesche, zugunsten des beliebteren und sein Amt moderner ausübenden Wilhelm II. ausfällt. Dies ist methodisch freilich nicht unproblematisch und in einem gewissen Rahmen ahistorisch, zumal auch der letzte Kaiser, Wilhelm II. an Intellekt, Interessen und Energie wohl überlegen, in der Empathie und der Einsicht in die eigenen Möglichkeiten und deren Begrenztheit aber unterlegen, keineswegs unbeliebt war und es genug Parallelen zwischen beiden Monarchen gab. Umstrittene Teile der Politik von Kaiser Wilhelm II. wurden von Wilhelm II. von Württemberg getragen, so auch die Flottenpolitik, indem er als Vorsitzender des Flottenvereins in Württemberg amtierte. Hellsichtige Einsichten in die Rolle eines Monarchen finden sich zudem bei allen Schwächen auch bei Kaiser Wilhelm II., und es ist naheliegend, dass die wohl eher persönlichen Differenzen der Monarchen nach 1945 betont wurden. Tatsächlich äußerte sich Wilhelm II. von Württemberg in Briefen kritisch über den Kaiser, über den er 1909 in einem Brief „geradezu parvenuhaft“ und „alles Pose“ urteilte. In jedem Fall waren bei Wilhelm II. von Württemberg Realitätssinn und politische Klugheit stärker ausgeprägt als bei Kaiser Wilhelm II.
Das Bild von Wilhelm II. ist in der Geschichtsschreibung bis heute sehr positiv. Historiker wie Dieter Langewiesche betonen seine Rolle als präsidial amtierender „Bürgerkönig“, dessen Stadtvilla „den Vergleich mit bürgerlichen Häusern nicht bestehen konnte“; bis weit in das Umfeld der kritischen Historiographie wurde das Bild des „gekrönten Staatspräsidenten mit Erbberechtigung“, eines „Monarchen, weitsichtiger als die Monarchisten“ gepflegt. Die wenigen kritischen Stimmen wie Lothar Machtan stellen die moralische Integrität von Wilhelm II. nicht in Frage, betonen allerdings nicht ohne Berechtigung auch die starke Abhängigkeit Wilhelms II. von seinen Regierungen; selbst wenn Wilhelm II. entgegen seinen unbestreitbar lauteren Intentionen ein „persönliches Regent“ angestrebt hätte, wäre es ihm nach der problematischen Rolle seines Vorgängers und Onkels kaum möglich gewesen. Wilhelm II., der von Anlagen, Begabungen und Intelligenz sicher den Durchschnitt nicht überragte und kein Charisma besaß, war allerdings anders als viele seiner Standesgenossen klug genug, die eigenen und politischen Grenzen seines Amtes zu erkennen und dabei sich auf eine integrierende und stabilisierende Rolle als Staatsoberhaupt zu beschränken. Aus heutiger Sicht mutet dieses Verständnis sehr modern an, wenn Wilhelm II. dabei wohl auch mehr auf Gegebenheiten reagierte als ein eigenes Konzept verwirklichte. Bereits 1969 stellte Georg H. Kleine fest, Wilhelm II. habe die „demokratische Entwicklung“ Württembergs nicht vorangetrieben, sondern sich ihr vielmehr „in idealer Weise“ angepasst und damit „ihre Umrisse deutlich geprägt“. Bemerkenswert sind aber auch Kontinuitäten aus der unmittelbaren Umgebung von Wilhelm II. in den Folgejahren, die ihm nicht zugerechnet werden können, ihn jedoch stärker in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts verorten. Ab 1916 war der Berufsdiplomat und spätere Außenminister und Reichsprotektor in Böhmen und Mähren Konstantin Freiherr von Neurath (1873 – 1956) der letzte Chef seines Zivilkabinetts; der 1946 als Kriegsverbrecher verurteilte Neurath war ein Tübinger Corpsbruder des Königs und bis 1918 einer seiner wichtigsten Berater. Mit der Familie Neurath war der König seit seiner Schulzeit eng vertraut. Letzter Generaladjutant des Königs war mit General Friedrich von Graevenitz (1861 – 1922) ein Großvater des im Stuttgarter Neuen Schloss geborenen späteren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der, ohne ihn je erlebt zu haben, in seiner Autobiographie ein sehr positives Bild des Königs und dabei wohl unbewusst eine Meisterzählung der alten württembergischen Eliten, zumindest aber seiner eigenen Familie nachzeichnet.
Quellen: HStAS E 55: Ministerium der Familienangelegenheiten des Königlichen Hauses (Hausministerium) 19. König Wilhelm II.
Werke: Gottlieb Carl Günther, in: Eberhard E. von Georgii-Georgenau, Genealogische Blätter aus und über Schwaben, 1879, 292-293.
Nachweis: Bildnachweise: Wilhelm Trübner: Porträt König Wilhelm II. von Württemberg als Chef eines Dragoner-Regiments, Öl auf Leinwand, 1906 (Staatsgalerie Stuttgart).

Literatur: E. von Schneider, Der König und das königliche Haus, in: V. Bruns (Hg.), Württemberg unter der Regierung König Wilhelms II., 1916, 3-24; W. Blos, Von der Monarchie zum Volksstaat. Zur Geschichte der Revolution in Deutschland, insbesondere in Württemberg, 1922/23; L. von Köhler, Zur Geschichte der Revolution in Württemberg. Ein Bericht, 1930; T. von Pistorius, Die letzten Tage des Königreichs Württemberg. Mit Lebenserinnerungen und Lebensbekenntnissen von seinem letzten Finanzminister, dem nachmaligen Hochschullehrer, 2. Aufl. 1936; W. Keil, Erlebnisse eines Sozialdemokraten, 1947/48; J.-D. Waidelich, Vom Stuttgarter Hoftheater zum Württembergischen Staatstheater, Diss. phil. München 1956, 11; M. E. Marquardt, Geschichte Württembergs, 2. Aufl. 1961/62, 332 f., 356-358, 361; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 4, 1969, 413-415; ders., Bd. 5, 1978, 1037-1939; G. H. Kleine, Der württembergische Ministerpräsident Frhr. Hermann von Mittnacht (1825 – 1909), 1969, 172-176; R. Vierhaus (Hg.), Das Tagebuch der Baronin Spitzemberg geb. Freiin von Varnbüler. Aufzeichungen aus der Hofgesellschaft des Hohenzollernreiches, 1970, 360; P. Sauer/M. Miller, Die württembergische Geschichte von der Reichsgründung bis heute, 1971; H. Reichold, Bismarcks Zaunkönige. Duodez im 20. Jahrhundert, 1977, 77, 189; G. Cordes, Krieg Revolution Republik. Die Jahre 1918 bis 1920 in Baden und Württemberg. Eine Dokumentation, 1978; W. Kohlhaas, Der 9. November 1918 im Stuttgarter Wilhelmspalais, in: ZWLG 37 (1981), 307-361; W. Hoffmann, Erinnerungen an und um König Wilhelm II. von Württemberg, in: ebda. 42 (1983), 304-321; M. Miller/G. Taddey, Baden-Württemberg. Ein geschichtlicher Überblick, in: dies. (Hg.), Baden-Württemberg (Handbuch der historischen Stetten Deutschlands VI), 2. Aufl. 1980, XVI-LXII (LVII); M. Scheck, Zwischen Weltkrieg und Revolution. Zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Württemberg 1914 – 1920, 1981, 138-189; H. Wicki, Das Königreich Württemberg im Ersten Weltkrieg. Seine wirtschaftliche, soziale, politische und kulturelle Lage, 1984, 164; R. Uhland (Hg.), 900 Jahre Haus Württemberg. Leben und Leistung für Land und Volk, 3. Aufl. 1985; W. Skrentny/R. Schwenker/S. Weitz/U. Weitz (Hg.), Stuttgart zu Fuß. 18 Stadtteilstreifzüge durch Geschichte und Gegenwart, 1988, 8, 39, 40, 112, 237; P. Sauer, Württembergs letzter König. Das Leben Wilhelms II., 1994; B. Janzen, König Wilhelm II. als Mäzen. Kulturförderung in Württemberg um 1900, 1995; F. Schmoll, Verewigte Nation. Studien zur Erinnerungskultur von Reich und Einzelstaat im württembergischen Denkmalkult des 19. Jahrhunderts, 1995; P. Weber, Carlo Schmid 1896 – 1979. Eine Biographie, 1996; R. von Weizsäcker, Vier Zeiten. Erinnerungen, 1997, 17f.; D. Langewiesche, Wilhelm II., in: S. Lorenz/D. Mertens/V. Press (Hgg.), Das Haus Württemberg. Ein biographisches Lexikon, 1997, 330-334; ders., Die politische Klasse im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: D. Dowe/J. Kocka/H. A. Winkler (Hg.), Parteien im Wandel vom Kaiserreich zur Weimarer Republik. Rekrutierung – Qualifizierung – Karrieren, 1999, 11-26; ders., Föderativer Nationalismus als Erbe der deutschen Reichsnation. Über Föderalismus und Zentralismus in der deutschen Nationalgeschichte, in: ders., Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, 2000, 55-79 (67-74); ders., Die Monarchie im Europa des bürgerlichen Jahrhunderts. Das Königreich Württemberg, in: Das Königreich Württemberg 1806 – 1918. Monarchie und Moderne, 2006, 330-334; Raberg, Biograph. Handbuch 1815 – 1933, 2001; A. Willmann, Der gelernte König. Wilhelm II. von Württemberg. Ein Porträt in Geschichten, 2001; W. Nissen/C. Prauss/S. Schütz, Göttinger Gedenktafeln, 2002, 229f.; L. Machtan, Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen, 2008; L. Lüdicke, Constantin von Neurath. Eine politische Biographie, 2014; A. Ernst, Im Lichte neuer Quellen. Wilhelm II. – der letzte König von Württemberg, 2015; R. Weber/ H.-G. Wehling, Geschichte Baden-Württembergs, 2. Aufl. 2015, 51-83.
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