Geiger-Gog, Anni Dorothea 

Andere Namensformen:
  • Geiger-Gog, Anna Dorothea; Pseudonym: Hanne Menken
Geburtsdatum/-ort: 07.11.1897;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 06.07.1995;  Emmendingen
Beruf/Funktion:
  • Schriftstellerin
Kurzbiografie: 1914 Ausbildung zur Kindergärtnerin
1918 Staatlich geprüfte Krankenschwester
1922 Arbeit als Erzieherin im thüringischen Hildburghausen
1923 Erste Buchveröffentlichung „Der Himmelsschlüssel“
1924 Gescheiterter Versuch, in Brasilien eine genossenschaftliche Siedlung zu gründen
1925 Beitritt zur Jugendbewegung „Kronacher Bund“
1928 Mitgliedschaft im „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“ u. in d. „Internationalen Frauenliga für Frieden u. Freiheit“; Erscheinen des Bestsellers „Schlamper. Eine Hundegeschichte“
1929 Mitglied in d. KPD; Erscheinen ihres sozialkritischen Jugendbuchs „Heini Jermann“ mit Illustrustrationen von Max Ackermann; Preis d. Internationalen Frauenliga für Frieden u. Freiheit
1931/32 Reise in die Sowjetunion, Eindrücke verarbeitet sie im „Moskauer Skizzenbuch“ (1933)
1933 „Schutzhaft“, Bücherverbrennung, temp. Schreibverbot; weitere schriftstellerische Tätigkeit unter dem Pseud. Hanne Menken
1937 Lektorin d. Franckhschen Verlagsbuchhandlung
1949 Weitere Buchveröffentlichungen unter den Namen Hof u. Geiger-Hof
1951 Umzug nach Schleswig-Holstein
1975 Rückkehr nach Stuttgart
Weitere Angaben zur Person: Religion: unbekannt
Verheiratet: I. 1924 Gregor Gog (1891–1945), Schriftsteller, 1934 gesch.;
II. 1948 Ernst Hof, Lehrer, Jurist
Eltern: Vater: Johannes (Hans) Geiger (1862–1921), Schriftsetzer, Redakteur, Druckereibesitzer
Mutter: Anna Henriette Wilhelmine, geb. Dietz (1869–1900)
Geschwister: 2; Heinrich Hans (1896–1916) u. Emma Martha (geboren 1905)
Kinder: aus I. Gregor, Ziehsohn des Mannes aus 1. Ehe(geboren 1919)
GND-ID: GND/120185954

Biografie: Jörg Schweigard (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 135-137

In der Familie der 1897 in Stuttgart geborenen Geiger-Gog gehörten Bücher und Politik zum Alltag. Ihr Vater, ein gelernter Schriftsetzer, war Redakteur der in Stuttgart erscheinenden sozialdemokratischen Zeitung Tagwacht. Später war er Inhaber einer Buch- und Kunstdruckerei. Geiger-Gogs Großvater Johann Heinrich Wilhelm Dietz war ein international angesehener sozialistischer Verleger, in dessen Haus regelmäßig bekannte Politiker wie August Bebel verkehrten.
Nach dem Besuch des Evangelischen Töchterinstituts, heute: Mörike-Gymnasium, absolvierte Geiger-Gog die Hauswirtschaftsschule. Anschließend erlernte sie den Beruf der Kindergärtnerin und arbeitete als Erzieherin. Von 1918 bis 1920 bildete sie sich zur staatlich geprüften Krankenschwester weiter und arbeitete für einen Privathaushalt im schweizerischen Arosa. Seit dieser Zeit war Geiger-Gog in der Jugendbewegung tätig und gehörte von 1925 bis 1933 dem Kronacher Bund der alten Wandervögel an, dessen wesentliches Kennzeichen die Aufnahme beider Geschlechter war.
Sie lernte 1922 den anarchistischen Schriftsteller und späteren „Vagabundenkönig“ Gregor Gog kennen und heiratete ihn. Geiger-Gog übernahm die Erziehung von dessen Sohn aus erster Ehe. 1922/23 waren beide im thüringischen Hildburghausen in einem Projekt mit straffälligen Jugendlichen erzieherisch tätig.
Nachdem am 6. November 1923 das Militär in Thüringen einrückte und die Reichsexekution verhängte, zerfiel die SPD-KPD-Landesregierung, das Resozialisierungsprojekt endete abrupt und das Paar kehrte nach Stuttgart zurück. Noch im Jahr 1924 reisten die Beiden nach Brasilien und versuchten eine genossenschaftliche Siedlung zu gründen. Das Vorhaben scheiterte jedoch mangels Unterstützung durch die Regierung nach kurzer Zeit.
Nach Deutschland zurückgekehrt, lebten sie in einem selbst gebauten Holzhaus in Sonnenberg, im heutigen Stuttgarter Stadtteil Möhringen. Hier widmete sich das Ehepaar der Sozialarbeit mit Waisenkindern und der Vagabundenbewegung. Gregor Gog initiierte 1927 die Bruderschaft und gab ab 1931 ihre Zeitschrift Der Vagabund (vormals „Der Kunde“) heraus. Zur Bruderschaft der Vagabunden zählten Anarchisten, Maler, Dichter, Grafiker, auch Wanderprediger. Wie ihr Ehemann gehörte Geiger-Gog damals zur Stuttgarter Bohème und pflegte Kontakte zu prominenten Vertretern der Linken wie zu ihrem Nachbarn Friedrich Wolf, zu Clara Zetkin, Johannes R. Becher, Theodor Plievier und Erich Mühsam.
Bis Ende der 1920er-Jahre entwickelte sich Geiger-Gog zur erfolgreichen Kinderbuchautorin. Ihr erstes Buch „Himmelsschlüssel“ erschien 1923 in der Kinderbuch-Reihe „Sonne und Regen im Kinderland“ des Stuttgarter Verlags G. Gundert, in dem sie die meisten ihrer Bücher publizieren sollte. Die Auflagen ihrer Werke gingen in die Zehntausende. Das 1925 erscheinende Buch „Der Heilige und das Blümlein. Neue Legenden vom Heiligen Franz“ besprach der befreundete Stuttgarter Arzt und Schriftsteller Friedrich Wolf wohlwollend im Stuttgarter Neuen Tagblatt: „Hier ist Liebe und Weisheit! Und eine Hand, ein wundervolles Gewebe zu wirken! Anni Geiger-Gog, nun gehe durch unsere Städte.“ (5.11.1928, zit. nach Fuchs, 1983, S. 69). Ein Bestseller gelang ihr 1928 mit dem Buch „Schlamper. Eine Hundegeschichte“, dessen Auflage die Hunderttausend überschritt. In ihrem vielleicht besten Werk, dem pazifistischen und sozialkritischen Jugendbuch „Heini Jermann“ (1929), das mit Illustrationen von Max Ackermann geschmückt ist, wandte sie sich im Vorwort an Eltern, Lehrer und Erzieher: „Unsern Kindern erst wird es vorbehalten sein, den Weg weiter und vielleicht zu Ende zu gehen […]. Was wir tun können, ist: treu beiseite zu stehen und ihnen Wegweiser zu sein.“ (S. 5). Für dieses Buch, in dem auch politische Bezüge zu finden waren, etwa durch die Montage des Arbeiterlieds „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“ (S. 67f.) des Lyrikers Hermann Claudius (1878–1980), erhielt sie den mit einem Stipendium verbundenen Preis des französischen Zweigs der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“. Die Rezensenten waren sich einig, dass Geiger-Gog damit eine neue Form des Kinderbuches geschaffen hatte.
Neben Hinweisen auf den traurigen Lebensalltag lassen sich weitere zeitgenössische Bezüge in den Kinderbüchern finden. Etwa in einer lakonischen Beschreibung der Stuttgarter Gemeinderatswahl von 1931 in „Fiete, Paul und Kompanie – Die von der Webergasse“ (1932): „Von allen Plakatsäulen schreit es herunter: Wählt! Wählt Liste 1, wählt Liste 2, und so fort […] in den Schulen verprügeln sich die Jungen für die einzelnen Parteien. […]Die ganze Stadt ist wie im Fieber.“ (S. 45). Die Webergasse ist die heutige Weberstraße, in den frühen 1930er-Jahren ein Viertel der Stuttgarter Anarchosyndikalisten, denen Geiger-Gog zeitweise anhing.
Soziale Anliegen wurden in Geiger-Gogs Kindergeschichten ebenfalls thematisiert und gelöst. Wenn etwa ein Bäckermeister eine erwerbslose und kinderreiche Familie auf die Straße setzt und er durch Boykottandrohungen zweier Jugendbanden zur Rücknahme der Kündigung gezwungen wird und sich die beiden Gruppen nach dieser erfolgreichen Aktion vereinigen. (Fiete, Paul und Kompanie, 1932, S. 60-62). Nur unschwer ist hier ein Appell an die beiden zerstrittenen deutschen Arbeiterparteien zu erkennen, nicht gegeneinander zu agieren, sondern gegen den gemeinsamen Feind zu kooperieren.
Trotz der hohen Auflagen ihrer Kinderbücher konnte Geiger-Gog nicht allein von diesen Einkünften leben, zumal sie den Hauptteil des Familieneinkommens zu bestreiten hatte. Während sie vor allem nachts an den Büchern schrieb, arbeitete sie zeitweise noch als Lektorin im Gundert-Verlag und verfasste Artikel für das liberale Stuttgarter Neue Tagblatt, vor allem aber für linke Zeitungen und Beilagen wie Der Kinderfreund, Der Syndikalist, Organ der Freien Arbeiter-Union Deutschlands, die kommunistische Stuttgarter Süddeutsche Arbeiter-Zeitung oder die anarchistische Vagabunden-Zeitschrift ihres Mannes.
Wie ihr Mann Gregor, der sich Ende der 1920er-Jahre vom anarchistischen Freidenker zum Kommunisten wandelte, fand auch bei Geiger-Gog ein Gesinnungswechsel statt. 1929 trat sie der KPD bei. Sie bereiste 1931/32 die Sowjetunion, um sich ein Bild vom dortigen Erziehungswesen machen zu können. Ihre Erfahrungen beschrieb sie im „Moskauer Skizzenbuch“, das 1933 erschien und zu einer idealisierten Darstellung der sowjetischen Verhältnisse geriet. An vielen Stellen klang ihre Frustration an den deutschen Zuständen durch: „Unsere deutschen Arbeiterkinder tragen oft schon im frühen Alter die harten, herben Züge der Not, und die Bourgeoiskinder sind nichts weiter als Miniaturausgaben ihrer hohlen, aufgeblasenen Eltern.“ (Moskauer Skizzenbuch, 1933, S. 30.)
Nach der NS-„Machtergreifung“ wurde das Ehepaar verhaftet, das Material über die Vagabundenbewegung und die Verlagsunterlagen beschlagnahmt. Geiger-Gog war für mehrere Monate in „Schutzhaft“ im Stuttgarter Polizeigefängnis, in der Zelle neben dem sozialdemokratischen Abgeordneten Kurt Schumacher. Erst nach einem Hungerstreik wurde sie ins Frauengefängnis Gotteszell in Schwäbisch Gmünd verlegt, aus dem man sie im Sommer 1933 entließ. Ihr Mann war in Konzentrationslagern auf dem Heuberg, in Ulm und Reutlingen interniert. Dem an einer Wirbelsäulentuberkulose Erkrankten gelang Ende 1933 die Flucht in die Schweiz und schließlich in die Sowjetunion, wo er unter elenden Umständen 1945 seinem Leiden erlag.
Auch Geiger-Gogs Bücher wurden von den Nationalsozialisten öffentlich verbrannt, dann verboten. Unter dem Pseudonym Hanne Menken durfte sie zwar nach einiger Zeit wieder publizieren, stand aber unter Kontrolle der Gestapo. Jedes Manuskript wurde zensiert, weshalb sie kritische politische Bezüge unterließ. Ab 1937 arbeitete sie als Lektorin in der Franckhschen Verlagsbuchhandlung.1941 wurde sie gezwungen, der Reichsschrifttumskammer beizutreten.
1934 trennte sich Geiger-Gog von ihrem Ehemann, von dem sie sich im Stich gelassen fühlte. Sie sorgte allein für ihren Ziehsohn Gregor, dessen jüdische Mutter deportiert und in Auschwitz ermordet wurde.
Nach dem II. Weltkrieg heiratete sie den Lehrer und Juristen Ernst Hof und lebte mit ihm von 1951 bis 1958 in Oldenburg in Holstein und von 1959 bis 1975 in Eutin. Sie schrieb weiterhin Kinder- und Jugendbücher, nun unter dem Namen Geiger-Hof. Insgesamt veröffentlichte Geiger-Gog rund 30 Bücher, meist Jugendbücher, deren Gesamtauflage die Millionengrenze überschritt. Von 1975 bis 1982 lebte sie wieder in Stuttgart, danach in einem Altenheim in Schnait im Remstal und später in Emmendingen, wo sie hochbetagt starb.
Quellen: A d. Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn, Unsort. Quellen zum Verlag J. H.W. Dietz, Fritz-Hüser-Institut für Literatur u. Kultur d. Arbeitswelt Dortmund, Nachlasssammlung Geiger-Gog 1929–1986; HStA Stuttgart J 191 Geiger, A., Zeitungsausschnitte zur Personengeschichte; StA Ludwigsburg PL 411 I Bü 47, Zeitungsberichte. z. Vagabundentreffen u. Notiz z. Schutzhaft Geiger-Gogs.
Werke: (unter dem Namen Anni Geiger-Gog) Himmelsschlüssel, 1923; Peterle u. andere Märchen, 1924; Der Heilige u. das Blümlein, 1925; Ich u. Du, 1926; Im Lande des Heiligen Kreuzes, 1926; Um Mitternacht, 1926; Maidi, 1927; Marienlegenden, 1927; Schlamper, 1928; Heini Jermann, 1929; Schulschluss – Sommerferien!, 1930; Musikantenkinder, 1931; Fiete, Paul& Kompanie – Die von d. Webergasse, 1932; Moskauer Skizzenbuch, 1933. – (unter dem Pseud. Hanne Menken) Mutters Sorgenkind, 1933; Marli, 1934; Christnacht im Schnee, 1935; Sonnenblumen u. Radieschen, 1935; Nickel läuft ins Leben, 1937; (Übersetzung zus. mit Paul Bäuerle) Ernest Thompson Seton, Katug, 1937; Anja, 1939; Robinson Crusoe, 1939; Anja auf dem Sonnenberg, 1940; Das stille Feuer, 1941; Die Kinder von Au, 1942. – (unter dem Namen Anni Hof ) Alle Neune, 1949. – (unter dem Namen Anni Geiger-Hof:) Kordula, 1950; Jan Ellerbusch, 1952; Die Fischerkinder, 1957; Das Mädchen Urd, 1958. Erinnerungen an den Menschen Heinrich Dietz, Ms. o. J., veröff. in: Gustav Schmidt-Küster (Hg.), Ein Leben für das politische Buch. Ein Almanach zum 120. Geburtstag von Johann Heinrich Wilhelm Dietz, 1963, 39-42.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (2. Hälfte d. 1920er-Jahre) mit Gregor Gog u. dessen Sohn, aus Skrentny u.a., 1988, 91.

Literatur: Karlheinz Fuchs (Red.), Stuttgart im Dritten Reich. Die Machtergreifung, hgg. vom Projekt Zeitgeschichte im Kulturamt d. Landeshauptstadt, 1983, 68-74; Werner Skrentny u.a., Stuttgart zu Fuß. 18 Stadtteilstreifzüge durch Geschichte u. Gegenwart, 1988; Karsten Leutheuser, Freie, geführte u. verführte Jugend. Politisch motivierte Jugendliteratur in Deutschland 1919–1989, 1995, 49; Edelgard Spaude-Schulze, Macht das Maul auf!, Kinder- u. Jugendliteratur gegen den Krieg in d. Weimarer Republik, 1990, 122f.; Matthias Heeke, Reisen zu den Sowjets: der ausländische Tourismus in Russland 1921–1941, 2003, 528ff.; Jörg Schweigard, Stuttgart in den Roaring Twenties, 2012, 123-126. Gabriele Katz, Anni Geiger-Gog, in: dies., Stuttgarts starke Frauen, 2015, 163-173.
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