Friedrich, Otto 

Geburtsdatum/-ort: 06.07.1883; Molsheim/Elsass
Sterbedatum/-ort: 21.06.1978;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Oberkirchenrat, Kirchenjurist
Kurzbiografie: 1889-1893 Volksschule Weißenburg/Elsaß
1894-1901 Realschule Straßburg/Elsass
1901-1904 Ausbildung für den mittleren Justizdienst, Straßburg
1906 Abitur als Externer
1906-1909 Studium der Rechtswissenschaften in Straßburg und Berlin
1910-1912 Staatsexamen und Promotion in Straßburg bei Prof. Kisch
1919 Übersiedlung nach Baden, Stadtrechtsrat der Stadt Karlsruhe
1924 Rechtsreferent im Oberkirchenrat der Evangelischen Landeskirche in Baden
1932 Dr. theol. h.c. der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg
1933 Lehrauftrag für Evangelisches Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät in Heidelberg, wahrgenommen fast 30 Jahre
1953 Ruhestand
1963 Honorarprofessor der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Heidelberg
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1920 Karlsruhe, Dr. rer. pol. Helene, geb. Rohde
Eltern: Vater: Otto Friedrich (1851-1894), bautechnischer Beamter
Mutter: Caroline, geb. Beyler (1850-1904)
Geschwister: 1 Bruder
Kinder: 3 Töchter
1 Sohn
GND-ID: GND/123372224

Biografie: Günther Wendt (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 95-98

Im Elsaß geboren, aufgewachsen und zum Juristen ausgebildet, kam Friedrich 1919 nach Baden. Hier wurde er nach einer Tätigkeit als Stadtrechtsrat bei der Stadt Karlsruhe Ende 1924 in den Evangelischen Oberkirchenrat der Evangelischen Landeskirche in Baden als Rechtsreferent berufen. Die ihm auf der langen Wegstrecke seines Lebens geschenkte Lebens- und Arbeitskraft haben Friedrich zum aktiv Mitwirkenden in über 50 Jahren der an Umbrüchen und gestalterischen Aufgaben in den kirchenrechtlichen und staatskirchenrechtlichen Entwicklungen reichen jüngsten Kirchengeschichte gemacht. In die aktive Dienstzeit Friedrichs fallen die Weimarer Zeit, das NS-Regime mit zahlreichen rechtswidrigen Eingriffen in die kirchliche Struktur und Ordnung sowie der dadurch ausgelöste Widerstand im Kirchenkampf, der 2. Weltkrieg und der Zusammenbruch, die Zeit des Wiederaufbaus von Staat und Gesellschaft sowie die Reorganisation und Neuordnung der Kirche nach 1945 mit der Entwicklung eines eigenständigen, dem theologischen Verständnis der Kirche entsprechenden Kirchenrechts. Als Friedrich seinen Dienst in der Kirchenleitung antrat, hatte sich die Landeskirche nach der in der Weimarer Reichsverfassung vollzogenen Trennung von Staat und Kirche und der verfassungsrechtlich garantierten kirchlichen Selbstbestimmung erstmals autonom eine Kirchenverfassung gegeben; freilich ohne tiefere Reflexion über die Eigenart einer Kirchenordnung, vielmehr in enger Anlehnung an das staatliche Verfassungsmodell der parlamentarischen Demokratie mit kirchlichen Parteien, die nach dem System der Verhältniswahl an den kirchlichen Körperschaften und Organen beteiligt waren. Diese Struktur erleichterte dem NS-Regime und den die NS-Weltanschauung repräsentierenden Gruppen, insbesondere den „Deutschen Christen“ (DC), Eingriffe in die Autonomie der Kirche und die Behinderung ihrer öffentlichen Wirksamkeit.
Am Ende der Weimarer Zeit und durch das Staatskirchenrecht der Weimarer Reichsverfassung ermöglicht, kam es – in Parallele zum Badischen Konkordat – unter maßgeblicher Mitwirkung Friedrichs zum Evangelischen Kirchenvertrag zwischen der Landeskirche und dem Freistaat Baden vom 14.11.1932. Die Ratifizierung des auf kirchlicher Seite vom Kirchenpräsidenten und Friedrich unterzeichneten Vertrages am 11.3.1933 war die letzte Amtshandlung der frei gewählten Regierung im Land Baden, eine Stunde bevor die NSDAP die Regierung in Baden in die Hand nahm. Dieser Kirchenvertrag und seine Grundkonzeption der Partnerschaft von Staat und Kirche aus gemeinsamer Verantwortung gegenüber denselben Menschen als Staatsbürger und Christen aus je eigenem Auftrag sind für die neueren, nach 1955 abgeschlossenen evangelischen Kirchenverträge in anderen Bundesländern in gewissem Sinne Modell geworden. Friedrichs Verdienste um den Kirchenvertrag und sein in der staatskirchenrechtlichen Wissenschaft anerkannter Kommentar zum Kirchenvertrag würdigte die Theologische Fakultät in Heidelberg 1932 durch die Verleihung des theologischen Ehrendoktors. Noch heute ist der Kirchenvertrag z. B. für das Zusammenwirken von Fakultät und Kirchenleitung bei der Besetzung der theologischen Lehrstühle und der theologischen Ausbildung des Pfarrernachwuchses die entscheidende Rechtsbasis.
Die Jahre unter dem NS-Regime und der Zuordnung der Landeskirche zu der immer wieder parteipolitisch mißbrauchten Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) und dem Reichskirchenregiment in Berlin waren für den Kirchenjuristen Friedrich turbulent.
Sie forderten immer wieder neue und veränderte kirchenrechtliche Regelungen zur Überwindung akuter Notstände und zur Verhinderung einer „Machtergreifung“ der DC in der Landeskirche. Am Ende des Krieges gehörte die Badische Landeskirche zwar nicht zu den „zerstörten Kirchen“. Die im Sommer 1934 durch das zentrale Kirchenregiment in Berlin geforderte und von einer DC-Mehrheit in der Landessynode gebilligte „Eingliederung“ der Landeskirche in die DEK mit der Folge des Übergangs wesentlicher Funktionen der Kirchenleitung auf die Berliner Zentrale unter der Führung des „Reichsbischofs“ wurde in einem Akt des Widerstandes in einer kirchenrechtlich ausreichenden Form bereits im November 1934 rückgängig gemacht. Dem Landesbischof stand in allen Auseinandersetzungen mit den parteipolitisch motivierten Abgesandten der Reichskirche Friedrich mit seinem klaren, an Schrift und Bekenntnis orientierten Kirchenverständnis und klugem Rat des staatskirchenrechtlich und kirchenrechtlich Gebotenen zur Seite. Freilich hat es in der Abwehr der DC erhebliche Einbrüche in die Leitungsstruktur der Kirchenverfassung gegeben. Durch vorläufige kirchliche Notgesetze wurde die Mitwirkung von Gemeindegliedern in den synodalen Leitungsorganen der Landessynode und des Erweiterten Evangelischen Oberkirchenrates (Kirchenregierung) beseitigt und alle Leitungsfunktionen auf den Landesbischof und den Evangelischen Oberkirchenrat konzentriert. Das Amt des Landesbischofs trat 1933 durch Kirchengesetz „den vorläufigen Umbau der Kirchenverfassung der Landeskirche betreffend“ an die Stelle des Kirchenpräsidenten. In der kritischen Rückschau auf die Verfassungsentwicklung nach 1933 bei der Reorganisation der Landeskirche nach dem Krieg hat Friedrich die theologisch-reformatorische Legitimität des Bischofsamts – für Baden in Fortsetzung des früheren Prälatenamts – herausgestellt und Assoziationen mit dem „Führungsprinzip“ zurückgewiesen. Letztere werden freilich durch die kirchengesetzliche Definition des Landesbischofs als „geistlicher Führer der Landeskirche“ nicht ausgeschlossen.
Schweren Auseinandersetzungen wurde Friedrich ausgesetzt, als der Staat in Durchführung des „Reichsgesetzes zur Sicherung der DEK“ (1935) im Dienstgebäude des Evangelischen Oberkirchenrats gegen den Widerspruch der Kirchenleitung eine „Finanzabteilung“ zur Kontrolle der Kirchenleitung und Übernahme wichtiger Leitungsfunktionen einrichtete.
Schließlich bedurften alle Anordnungen und Maßnahmen der Kirchenleitung, die finanzielle Auswirkungen hatten, der Zustimmung der Finanzabteilung. Das betraf insbesondere die Aufnahme von Theologen in den Kirchendienst und die Besetzung der Pfarrstellen. Nach Friedrichs Darstellung hat ein mündlicher Verkehr zwischen dem Evangelischen Oberkirchenrat und der Finanzabteilung nie stattgefunden. Es wurde nur schriftlich verhandelt. Die einschlägigen Akten dokumentieren die mutige, geradlinige und dem Auftrag der Kirche verpflichtete Haltung Friedrichs.
In die Reorganisation der Landeskirche, insbesondere die synodale-gesetzgeberische Ausarbeitung einer neuen Grundordnung, konnte Friedrich seine Erfahrungen aus der Kirchenkampfzeit und seine Bemühungen um ein dem theologischen Verständnis der Kirche gemäßes Kirchenrecht einbringen.
Anders als bei der Kirchenverfassung von 1919 standen die theologischen Fragen der Kirchenordnung und des Bekenntnisstandes der Unionskirche im Vordergrund. Die Barmer Theologische Erklärung wurde in ihrer auch kirchenrechtlichen Bedeutung anerkannt. Die Erkenntnis, daß eine Trennung von Bekenntnis und Kirchenordnung nicht zulässig ist, war gemeinsame Überzeugung aller an der Neuordnung Beteiligten. Als Arbeitsgrundlage für den Verfassungsausschuß der Landessynode diente eine umfangreiche kirchenrechtliche Denkschrift Friedrichs. Noch in seine aktive Dienstzeit fiel die Verabschiedung von Teilabschnitten der neuen Grundordnung, insbesondere die kirchliche Wahlordnung zur Wiederherstellung bekenntnisbestimmter presbyterialer synodaler Leitungsorgane mit einer rechtstheologischen Konzeption des Ältestenamtes. Die Leitung der Kirche wurde auf allen Ebenen der verfaßten Kirche als Leitungsdienst unter der alleinigen Herrschaft Jesu Christi verstanden. In diesem Sinne werden für die Leitung der Landeskirche unter Verzicht auf jede Über- und Unterordnung Landesbischof, Landessynode, Evangelischer Oberkirchenrat und Landeskirchenrat als Leitungsorgane horizontal zugeordnet und verknüpft.
Auch nach seinem Eintritt in den Ruhestand im 70. Lebensjahr blieb Friedrich für die Fortsetzung der Verfassungsreform als Mitglied des Verfassungsausschusses in vielen Stellungnahmen und Entwürfen und als Verfasser einschlägiger Publikationen engagiert. Aus seinem lutherischen Kirchen- und Amtsverständnis mit seiner Prävalenz des mit dem Predigtamt gleichgesetzten Pfarramtes hat er die weitere Entwicklung zur revidierten Grundordnung von 1972 mit ihrem rechtstheologischen Ansatz bei dem in der Vielfalt der Ämter und Dienste zu vollziehenden Verkündigungsauftrag der Gemeinde aus zunehmend kritischer Distanz verfolgt. Seine eigene kirchenrechtliche Grundposition hat Friedrich in den 2 Auflagen seines Kirchenrechtslehrbuchs (1961 und 1972) dargelegt. Friedrichs Bedenken, das Predigtamt des ordinierten Theologen könne sein proprium, seine eigentliche Aufgabe durch eine zu starke Integrierung in die Vielzahl weiterer Dienste in der Gemeinde verlieren und damit die zentrale Verkündigungsaufgabe Schaden leiden, bleibt als kritische Anfrage stehen. Sein Lehrbuch ist Ausdruck von Friedrichs bis in das hohe Alter realisierten ständigen und geistig wachen Kontakten mit der sich fortentwickelnden rechtstheologischen Forschung und Kirchenrechtspraxis. Das Lehrbuch von Friedrich hat sich auch in der anspruchsvollen Konkurrenz der großen Kirchenrechtslehrbücher von Erik Wolf und Hans Dombois wegen seines ansprechenden Theorie-Praxis-Bezuges, aber auch wegen der Originalität des Verfassers behaupten können. In seinen kirchenrechtlichen Publikationen hat seinen Niederschlag gefunden, was Friedrich seit 1932 als Lehrbeauftragter und zuletzt als Honorarprofessor der Theologischen Fakultät in Heidelberg den badischen Kandidaten der Theologie an kirchenrechtlichen Einsichten vermittelt hat.
Werke: Der Eintritt des Grundstückserwerbers in das Mißverhältnis nach § 571 BGB, Diss., Universität Straßburg 1912; Der evangelische Kirchenvertrag mit dem Freistaat Baden. Lahr 1933; Evangelisches Kirchenrecht (einleitender Artikel des 1937 begründeten „Archiv für evangelisches Kirchenrecht“, zu dessen Herausgebern Friedrich bis 1939 gehörte); Buchbesprechung von C. Schmitt, Leviathan, in: Archiv für evangelisches Kirchenrecht 3, 1939, 76 ff.; Die kirchenrechtliche Entwicklung des deutschen evangelischen Kirchentums seit 1933. Kirchliches Jahrbuch 1945-1948, 414 ff.; Die kirchen- und staatskirchenrechtliche Entwicklung der Evangelischen Landeskirche in Baden von 1933 bis 1953, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, 3, 1953/54, 292-349; Die neue Grundordnung der Evangelischen Landeskirche in Baden im Lichte des heutigen kirchlichen Verfassungsproblems, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht VII, 1 ff., 1959; Der Erwerb der Heiliggeist-Chorkirche für die Evangelische Kirchengemeinde Heidelberg, in: Eberhard Zahn, Die Heiliggeistkirche zu Heidelberg, Veröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der evangelischen Landeskirche Badens, Bd. XIX, 1960, 169 ff.; Einführung in das Kirchenrecht. Göttingen 1. Aufl. 1961, 520 S., 2. Aufl. 1978; Formprinzipien staatlicher und kirchlicher Ordnung, in: „Dienende Kirche“. Festschrift für Landesbischof D. Bender zum 70. Geburtstag, Karlsruhe 1963, 217 ff.; Die rechtliche Gestalt der Kurpfälzischen Kirche nach der Kirchenratsordnung von 1564 und dem Reskript von 1570, in: Ruperto Carola 35, 1964, 145-150; ferner Beiträge zum Calwer Kirchenlexikon 2 Bde. 1941 und zum Evangelischen Kirchenlexikon Bde. 1-3 Göttingen 1956-1959
Nachweis: Bildnachweise: Aufbruch 14, 1978, 16 (vgl. Literatur)

Literatur: Günther Wendt, Otto Friedrich †. Nachruf, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 23, 1978, 145 f.; ders., Zum Gedenken an Otto Friedrich †. Kirchenjurist in spannungsreichen Jahrzehnten, in: Aufbruch 14, 1978, 15 f.
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